Zwangsstörungen bei Kinder- und Jugendlichen Ch. Wewetzer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Städtischen Kliniken ggmbh Köln/Holweide
Kriterien der Zwangsstörung Gedanken, Impulse oder Handlungen: Belastend und quälend Unsinnig und Unangenehm Trotz Widerstand sich in unangenehmer Weise wiederholend
Charakterisierung von Zwangsstörungen im Kindesund Jugendalter Entwicklungsabhängige Ausgestaltung der Zwänge Kaum isolierte Zwangsgedanken Schwierigere Therapiemotivation da seltener ich-dyston
Inhalte von Zwangshandlungen bei Kindern und Jugendlichen (N = 55; Mehrfachnennung möglich) Jans, Wewetzer 2007 Wasch- und Reinigungshandlungen 69% Kontrollvorgänge 36% Rituale zur Kontaktvermeidung 24% Ordnen und Arrangieren 20% Wiederholungszwänge 20% Zählen 18% Sonstige 29% Keine Zwangshandlungen 4%
Epidemiologie der Zwangsstörung im Kindes- und Jugendalter Prävalenz: 1-2 %, Lebenszeitprävalenz: 2,5 % 60 % Beginn vor dem 25. Lebensjahr 20 % der Betroffenen erkranken vor dem 10. Lebensjahr 1. Erkrankungsgipfel: 11.-12. Lebensjahr 2. Erkrankungsgipfel: 21.-22. Lebensjahr Jungen zeigen häufiger einen präpubertären Beginn
Ätiologie der Zwangsstörung Erklärungsansätze: Multifaktoriell Psychologisch Biologisch
Ätiologie der Zwangsstörung Basalganglien-Hypothese: Dysfunktion der Frontallappen Limbisches System Basalganglienschleife Serotonin-Hypothese Gestörte Regulation eines oder meherer zentraler Serotonin Subsysteme
Zwangsstörungen vor und nach Therapie Baxter et al., 1994
Familiäre Belastung Familienstudien 10,3 % aller 1. gradig Verwandten von Kindern und Jugendlichen mit Zwängen (Nestadt et al., 2000, Review Grados et al., 2003) Höhere familiäre Belastung bei Zwangsstörungen im Kindes- und Jugendalter (Pauls et al., 1995; Nestadt et al., 2000) Zwangsstörungen und Zwanghafte Persönlichkeitsstörungen bei den Eltern: 12% (Lifetime- Diagnosen; Wewetzer, 2001)
Metaanalyse (Freeman et al., 2007) Hohe Effektivität kognitiv-behavioraler Interventionen: mittlere Effektstärke ES = 1,55 individuelle Therapien: ohne stärkeres Einbeziehen der Familie: ES = 1,77 mit stärkerem Einbeziehen der Familie: ES = 1,88 Gruppentherapien: ES = 0,76
Metaanalyse (Abramowitz et al., 2005) Mittlere Effektstärke: Verhaltenstherapie (ERP): ES = 1,98 Pharmakotherapie mit S(S)RI: ES = 1,13
Kontrollierte Therapiestudien im Kindes- und Jugendalter Studie N Alter Dauer Design Outcome % Symptomreduktion gegenüber Baseline Franklin et al. (2003) POTS-Team (2004) 112 7-17 Jahre 12 Wochen Sertralin (m=150 mg) SER (blind) Effektstärken *: 1.4: SER+CBT 1.5: Pennsylvania 1.3: Duke SER+CBT: 53 % CBT: 46 % SER: 30 % Placebo: 15 % Placebo (blind) CBT 0.97: CBT 1.6: Pennsylvania 0.5: Duke Remission (CY-BOCS < 10): SER+CBT 3 Prüfzentren 0.67: SER 0.5: Pennsylvania 0.8: Duke SER+CBT: 54 % CBT: 39 % SER: 21 % Placebo: 4 % * im Vergleich zu Placebo nach Flament et al. (2007)
Wie häufig wird die Expositionstherapie angewandt? Befragung von Therapeuten (Erwachsenenbereich): (Freiheit et al, 2004) 37% führten ERM in der Therapie von Zwängen durch (Befragte arbeiteten dabei überwiegend verhaltenstherapeutisch). 26% wendeten die ERM bei der Therapie von Zwängen nie oder selten an. Nur ein Viertel führten die Exposition bei der Therapie von Zwängen in der alltäglichen Umgebung durch.
1. Welche diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen beinhaltet eine störungsspezifische kognitive Verhaltenstherapie? 2. Wann werden welche therapeutischen Interventionen durchgeführt? 3. Wie setze ich die einzelnen Strategien konkret in die Praxis um?
1. Welche diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen beinhaltet eine störungsspezifische kognitive Verhaltenstherapie? 2. Wann werden welche therapeutischen Interventionen durchgeführt? 3. Wie setze ich die einzelnen Strategien konkret in die Praxis um?
Therapie der Zwangsstörung Verhaltensdiagnostik Psychoedukation Erste Eingrenzung der Zwänge Kognitive Interventionen Exposition mit Reaktionsmanagement Familienzentrierte Interventionen Komorbide Störungen und Funktionalität Medikation Nachsorge
Diagnostik Umfassende kinder- und jugendpsychiatrische / psychologische Untersuchung und störungsspezifische Diagnostik Therapieplanung
Therapie der Zwangsstörung Verhaltensdiagnostik Psychoedukation Erste Eingrenzung der Zwänge Kognitive Interventionen Exposition mit Reaktionsmanagement Familienzentrierte Interventionen Komorbide Störungen und Funktionalität Medikation Nachsorge
Wissensvermittlung: Psychoedukation Was sind Zwänge? Wie entstehen Zwänge? Warum habe gerade ich Zwänge bekommen? Etikettierung von Zwängen als Erkrankung ermöglicht erste Schritte zur emotionalen Distanzierung von den Zwängen
Therapie der Zwangsstörung Psychoedukation Verhaltensdiagnostik Erste Eingrenzung der Zwänge Kognitive Interventionen Exposition mit Reaktionsmanagement Familienzentrierte Interventionen Komorbide Störungen und Funktionalität Medikation Nachsorge
Erste therapeutische Maßnahmen zur Eingrenzung der Zwänge Der Zwang wird weniger zeitintensiv durchgeführt bzw. der Drang zur Durchführung wird zeitlich etwas aufgeschoben Reduktion der Einbindung des familiären Umfeldes in die Zwangshandlungen Stärkung der Therapiemotivation durch Erleben von Selbstwirksamkeit
Therapie der Zwangsstörung Psychoedukation Verhaltensdiagnostik Erste Eingrenzung der Zwänge Kognitive Interventionen Exposition mit Reaktionsmanagement Familienzentrierte Interventionen Komorbide Störungen und Funktionalität Medikation Nachsorge
Erkennen und kritisches Hinterfragen von Denkverzerrungen: Wenn ich so etwas denke, muss ich doch böse sein! Kognitive Interventionen Entwicklung einer veränderten Bewertung über die Bedeutsamkeit von Gedanken
Therapie der Zwangsstörung Psychoedukation Verhaltensdiagnostik Erste Eingrenzung der Zwänge Kognitive Interventionen Exposition mit Reaktionsmanagement Familienzentrierte Interventionen Komorbide Störungen und Funktionalität Medikation Nachsorge
Exposition mit Reaktionsmanagement (ERM) Konfrontation mit den gefürchteten Situationen oder Gegenständen. Die dadurch ausgelösten negativen Gedanken, Gefühle oder körperlichen Symptome werden so lange zugelassen, bis sie von selber in ihrer Intensität abnehmen.
Exposition mit Reaktionsmanagement (ERM) Auch ohne Zwangshandlungen kommt es zu einem deutlichen Nachlassen der Angst. Der Effekt ist nicht nur kurzfristig. Es wird die konsistente Erfahrung der Ungefährlichkeit der Situation erlebt, da die vom Patienten gefürchtete Katastrophe nicht eintritt.
Exposition mit Reaktionsmanagement (ERM) Graduierte Konfrontation (Angsthierarchie) mit Auslösern in vivo zusammen mit dem Therapeuten ggf. Co-Therapeutenbegleitung Konfrontation im Selbstmanagement
Therapie der Zwangsstörung Psychoedukation Verhaltensdiagnostik Erste Eingrenzung der Zwänge Kognitive Interventionen Exposition mit Reaktionsmanagement Familienzentrierte Interventionen Komorbide Störungen und Funktionalität Medikation Nachsorge
Familiarität in der Würzburger Studie (Wewetzer et al. 2001) DSM-IV Lebenszeit- Diagnosen Angst- Störungen Affektive Störungen Tic- Störungen Zwangs- Stärungen Substanz Abusus (alkohol) Mütter N = 40 Väter N = 35 12 (30%) 6 (17,1%) 6 (15%) 7 (20%) 6 (15%) 3 (8,6%) 2 (5%) 1 (2,9%) 5 (14,2%) N = 42 Kinder mit Zwangsstörungen Keine Diagnose 23 (57,5%) 21 (60%) Methoden: Schedule for Affective Disorders and Schizophrenia Lifetime Anxiety for the assessment of DSM-IV diagnoses (SADS-LA-IV) Wewetzer et al., 2002
Zwangsstörungen und zwanghafte Persönlichkeit (Wewetzer et al. 2001) DSM-IV Lebenszeit Diagnosen Mütter Väter OCD 5% 2,9% N= 42 Kinder mit Zwangsstörungen OCPD 10,5% 8,8% OCPD: zwanghafte Persönlichkeits-Störung Methoden: International Personality Disorder Examination (IPDE) 21% der Mütter leiden an weiteren Persönlichkeitsstörungen: Ängstliche Persönlichkeit (10,5%) und Abhängige Persönlichkeit (10,5%)
Familiäre Interaktion in Familien mit einem zwangskranken Kind (N = 39) Massive Einbindung in die Symptomatik 85% Verbale Aggressionen gegenüber den Müttern 59% Körperliche Angriffe gegenüber den Müttern 23%
Familienzentrierte Interventionen Integration in alle Module je nach individuellen Bedürfnissen Psychoeduation (Entlastung der Eltern!) Erarbeitung eines gemeinsamen Krankheitskonzeptes Ggf. Verminderung der Einbindung in die Zwänge Positive Verstärkung der Bewältigungsbemühungen des Kindes
Therapie der Zwangsstörung Psychoedukation Verhaltensdiagnostik Erste Eingrenzung der Zwänge Kognitive Interventionen Exposition mit Reaktionsmanagement Familienzentrierte Interventionen Komorbide Störungen und Funktionalität Medikation Nachsorge
Komorbidität im Vergleich 1 Toro Hanna Geller Reddy Jans et al. 1992 1995 1996 2000 2007 Anzahl N = 72 N = 31 N = 30 N = 54 N = 55 Alter 12,0 J. 13,5 J. 12,6J. 13,6 J. 12,8 J. Geschlecht 65% 61% 70% 63% 53% männlich Y-BOCS k. A. 24 23 19 22 Wert Gesamte 78% 84% 90% 69% 69% Komorbidität
Gefühlsmanagment : Funktionale Aspekte 1 Verringerung, Vermeidung negativer Gefühle Erleben positiver Gefühle (Sicherheit, Stolz) Langeweile, innere Leere bekämpfen Schutz vor Depression Entlastung: Vermeidung von Anforderungen / Entwicklungsaufgaben
Funktionale Aspekte 2 Beziehungsgestaltung: Konfliktvermeidung in wichtigen Beziehungen Dominanz, Macht Sorge und Fürsorge erzeugen Andere Personen an sich binden Aufmerksamkeit erzeugen, etwas Besonderes zu sein. Distanz zu anderen Menschen wahren.
Therapie der Zwangsstörung Psychoedukation Verhaltensdiagnostik Erste Eingrenzung der Zwänge Kognitive Interventionen Exposition mit Reaktionsmanagement Familienzentrierte Interventionen Komorbide Störungen und Funktionalität Medikation Nachsorge
Kontrollierte Studien im Kindes- und Jugendalter Autor N Alter Dosis- Dauer Ergebnisse (Jahre) Mittel Leonard et al. 1989 48 13,8 Clomipramin 150 mg 5 Wo. 76% Sign. Besserung March et al. 1998 107 6-12 Sertralin 170 mg 8 Wo. 42% Sign. Besserung Geller et al. 2001 103 7-18 Fluoxetin 24,6 mg 13 Wo. 49% Sign. Besserung Riddle et al. 2001 135 8-17 Fluvoxamin 165 mg 10 Wo. 42% Sign. Besserung
Therapie der Zwangsstörung Psychoedukation Verhaltensdiagnostik Erste Eingrenzung der Zwänge Kognitive Interventionen Exposition mit Reaktionsmanagement Familienzentrierte Interventionen Komorbide Störungen und Funktionalität Medikation Nachsorge
Nachsorge Billanzierung des Therapieergebnisses Rückfallprophylaxe Auffrischungssitzungen übergeordnete therapeutische Interventionen (z.b.: kognitive Umstrukturierung dysfunktionaler Grundannahmen, soziales Kompetenztraining) Stabilisierung des Therapieerfolges
Persistenz von Zwangsstörungen im Kindes- und Jugendalter Metaanalyse Stewart et al., 2004 40 % Vollbild der Zwangsstörung 60% Vollbild + subklinische Symptomatik