6. Der Nationalsozialismus als Überreligion

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18 Thomas Schirrmacher Krieg brauchte. Dennoch hatte sie immer Vorrang. Auch der Marxismus wurde ausgerottet, gleich welche Konsequenzen das für Deutschland und später für den Krieg hatte. Dass Hitler mit den Christen nicht so verfuhr und Mitarbeiter wie Himmler oder Bormann, die die Beseitigung der Kirchen schon in die Praxis umsetzten, immer wieder behinderte und einschränkte, zeigt, dass Hitlers Traum vom,positiven, arischen Christentum ihn doch zu einer anderen Einschätzung des Christentums führte, als der des Judentums. Oder, um es anders auszudrücken: Die Vernichtung des Judentums und des Marxismus waren Teil der Weltanschauung Hitlers und deswegen taktischen Rücksichten enthoben. Die Vernichtung des Christentums war kein Teil der Weltanschauung Hitlers und ergab sich erst allmählich, als Hitler begriff, dass sich die Kirchen nicht wirklich gleichschalten ließen. Den Hauptwiderspruch zwischen Christentum und Nationalsozialismus sah Hitler im Bereich der Ethik, wenn das Christentum sich für den Schwächeren und für Leben und Würde des Einzelnen einsetzte. Dazu beruft sich Hitler gegen das Christentum auf den (seinen) Schöpfer. Er formuliert das so: Das Gesetz des Daseins fordert ununterbrochenes Töten, damit das Bessere lebt. Das Christentum ist Auflehnen gegen dieses Grundgesetz, Protest gegen die Schöpfung; konsequent durchgeführt, würde es zur Züchtung des Minderwertigen führen. 11 Im Kern des Nationalsozialismus lag, obwohl er geschickt vortäuschte, für ein,positives Christentum einzutreten, eine tief verwurzelte Ablehnung der gesamten Zivilisation, die auf jüdisch-christlicher Ethik aufgebaut worden war. 12 6. Der Nationalsozialismus als Überreligion Für die Frage, ob der Nationalsozialismus eine Religion war, muss man zwischen Hitlers eigener Sicht und einer außenstehenden Beurteilung unterscheiden. Aus der Sicht Hitlers war der Nationalsozialismus keine Religion, sondern eine Weltanschauung und ein politischer Glaube, auch wenn er Parallelen zu diesem nur in anderen Religionen (und im Marxismus) finden konnte. Diese Sicht haben die meisten seiner Zeitgenossen und die meisten Späteren übernommen. Dazu ist jedoch zu sagen: Ob eine Bewegung sich selbst für Religion hält oder nicht, kann für sich genommen dem Religionswissenschaftler die Frage nicht beantworten, ob es sich um eine Religion handelt, denn es gibt viele religiöse Bewegungen oder Führer wie etwa die Anthroposophie oder Karl Barth, die sich selbst nicht als Religion bezeichnen wollten und trotzdem eine solche repräsentierten. Dass Hitler seinen,politischen Glauben nicht als Religion bezeichnen wollte und gegen die Stiftung einer neuen Religion war, schließt nicht aus, dass es sich trotzdem auch um eine Religion gehandelt hat. Hitlers Worte: Im übrigen bin ich nicht als Religionsstifter gekommen, sondern allein als Stifter eines neuen politischen Glaubens 13 zeigen nämlich die ganze Problematik auf. Er will zwar keine Religion (im Sinne seiner Definition) stiften, aber auch keine normale Partei oder ein normales Programm, sondern etwas, das er nur

Hitlers religiöse Sprache Propaganda oder Glaube? 19 mit einer religiösen Vokabel beschreiben und nur mit anderen Religionen vergleichen kann. Dass Hitler sich gegen Lehren des Christentums wandte oder gegen völkische Religionsstifter, ist in sich noch kein Argument gegen den Religionscharakter seiner Weltanschauung, denn viele Religionen bekämpfen andere Religionen, ohne dadurch ihren Religionscharakter zu verlieren. Religionen können wohl zu keiner Zeit am gleichen Ort nebeneinander bestehen bleiben. 14 Dies kommt vor allem darin zum Ausdruck, dass Hitler weltanschaulich und politisch seinen,politischen Glauben allen anderen Religionen vorschaltete. So wie etwa die römische Religion politisch allen anderen Religionen vorgeschaltet wurde, diese aber gewähren ließ, solange sie die politischen Vorgaben nicht in Frage stellten, und so wie das Christentum im Mittelalter auch politische Vorgabe war, aber die jüdische oder islamische Religion wahlweise dulden konnte, solange deren Anhänger in christlichen Regionen keine politische Bedrohung darstellten, so gehört auch der Nationalsozialismus sogar nach Selbstaussage Hitlers wesensmäßig eigentlich zu den Religionen als Vorbilder des,glaubens, wählt aber den Weg der politischen und terroristischen Herrschaft über die anderen Religionen. Der Nationalsozialismus war eine Art Überreligion, die den politischen Weg der Ausbreitung und Herrschaft über alle anderen Weltanschauungen und Religionen wählte. Denn wenn Hitler von Weltanschauung und politischem Glauben spricht, meint er die umfassendste Art von Welterklärung und von Begründung der Ethik, die man sich nur denken kann und die für ihn letztlich nur in der Allmacht Gottes begründet liegen kann. Darin, so betont er immer wieder, unterscheiden sich Weltanschauungen ja gerade von Parteien und sonstigen Ideen. Weltanschauungen proklamieren ihre Unfehlbarkeit Die Tendenz, einen uneingeschränkten Gültigkeitsanspruch zu erheben, der Wille zur Totalität 15 führt zum Absolutheitsanspruch des nationalsozialistischen Dogmas 16. Anmerkungen 1 S. Hirt (Hrsg.): Papa Pius XI. Mit brennender Sorge: Das päpstliche Rundschreiben gegen den Nationalsozialismus und seine Folgen in Deutschland. Das christliche Deutschland 1933 bis 1945: Katholische Reihe 1. Freiburg 1946. 4; vgl. C. Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin 2000, 277 278. 2 M. Greschat (Hrsg.): Zwischen Widerspruch und Widerstand: Texte zur Denkschrift der Bekennenden Kirche an Hitler (1936). Studienbücher zur kirchlichen Zeitgeschichte 6. Chr. München 1987, 108. 3 A. Hitler: Reden, Schriften, Anordnungen: Februar 1925 bis Januar 1933. Bd. 2. Teil 2. München 1992, 770. 4 W. Maser: Adolf Hitler: Legende Mythos Wirklichkeit. München 1980 7, 268 269. 5 R. Flasche: Vom deutschen Kaiserreich zum Dritten Reich: Nationalreligiöse Bewegungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland in: Zeitschrift für Religionswissenschaft 1 (1993): 28 49, hier 31.

20 Thomas Schirrmacher 6 A. Hitler: Reden, Schriften, Anordnungen: Februar 1925 bis Januar 1933. Bd. 1. München 1992, 257 258. 7 K. Scholder: Die Kirchen und das Dritte Reich. Bd. 1: Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918 1934; Bd. 2: Das Jahr der Ernüchterung 1934: Barmen und Rom. Frankfurt 1986, 107. 8 M. Rißmann: Hitlers Gott: Vorsehungsglaube und Sendungsbewußtsein des deutschen Diktators. Zürich 2001, 96. 9 K. F. Reimers: Der Reichsparteitag als Instrument totaler Propaganda. Zeitschrift für Volkskunde 75 (1979): 216 228, hier 220 221. 10 So etwa falsch bei H. Lehmann: The Germans as a Chosen People: Old Testament Themes in German Nationalism. German Studies review 14 (1991): 261 273. 11 W. Jochmann (Hrsg.): Adolf Hitler. Monologe im Führerhauptquartier 1941 1944: Die Aufzeichnungen Heinrich Heims. Hamburg 1980, 76. 12 R. S. Wistrich: Hitler und der Holocaust. Berlin 2003, 192. 13 H. S. Ziegler: Adolf Hitler aus dem Erleben dargestellt. Göttingen 1964, 121. 14 K. Hoheisel: Das Urteil über die nichtchristlichen Religionen im Traktat De errore profanarum religionum des Iulius Firmicus Maternus. Diss.: Bonn 1971, 7. 15 W. Künneth: Der große Abfall: Eine geschichtstheologische Untersuchung der Begegnung zwischen Nationalsozialismus und Christentum. Hamburg 1947, 135. 16 Ebd., 135 141 (Kapitelüberschrift).

Der Widerstand Gerhard und Ringshausen die Kirchen Gerhard Ringshausen Der Widerstand und die Kirchen 1. Distanz und Nähe von Kirchen und Widerstand Am 21. Juli 1944 ordnete der hannoversche Landesbischof August Marahrens ein Fürbittengebet an als Dank für die gnädige Errettung des Führers [ ] bei dem verbrecherischen Anschlag 1. Gemäß der theologischen Tradition verurteilte auch Michael Kardinal von Faulhaber in einer vielleicht nötigen Stellungnahme das furchtbare Verbrechen des 20. Juli, aber bei den Widerstandskämpfern sollte nach den Gesetzen der Gerechtigkeit und Menschlichkeit gerichtlich geprüft werde[n], ob von Fall zu Fall wirklich ein todeswürdiges Verbrechen vorliege. 2 1948 bejahte Max Pribilla SJ das Widerstandsrecht als Wahrzeichen und Sicherung für eine menschenwürdige Form des Regierens und des Gehorsams gemäß dem Naturrecht und der Enzyklika von Papst Pius XI.,Firmissimam constantiam vom 28. März 1937. 3 Auf evangelischer Seite kamen erst die Gutachten von Ernst Wolf und Hans-Joachim Iwand für den Remer-Prozess 1952 zu einer Anerkennung des 20. Juli 1944. Trotzdem beruhte das Ansehen der Kirchen in der Nachkriegszeit auf ihrem Widerstand. Die evangelische Kirche ließ sogar 1946 die Bekennende Kirche (BK) als Widerstandsbewegung anerkennen, aber seit den 60er Jahren meinen viele, dass die Kirchen Widerstand hätten leisten müssen. Vor 1945 betrachteten das Regime, der Widerstand und die Bevölkerung die Kirchen als Gegner des Dritten Reichs. Den Gegensatz von christlichem Glauben und NS-Weltanschauung betonten Kirchen und Partei. Helmuth James von Moltke entdeckte für sich den Glauben durch die Erfahrung des Widerstehens im Kreisauer Kreis, der im Mai 1942 beschloss: Wir sehen im Christentum wertvollste Kräfte für die religiös-sittliche Erneuerung des Volkes, die Überwindung von Hass und Lüge, für den Neuaufbau des Abendlandes, für das friedliche Zusammenleben der Völker. 4 Deshalb gipfelte sein Prozess vor dem Volksgerichtshof in der Aussage Freislers: Nur in einem sind das Christentum und wir gleich: wir fordern den ganzen Menschen! 5 Die Ermittlungen nach dem 20. Juli 1944 betonten die kirchlichen Bindungen der Widerstandskämpfer. 2. Stufen des Widerstandes und die Aufgabe der Kirche In der Kirchlichen Zeitgeschichte ist unbestritten, dass ein nur auf politische Fundamentalopposition bezogener Widerstandsbegriff nicht geeignet ist, die Breite kirchlicher

22 Gerhard Ringshausen Verhaltensformen angemessen zu kennzeichnen. 6 Früh verband sie die Differenzierung vom punktuellen Dissenz bis zum Umsturz mit Schichten oder Stufen des Widerstandes. 7 Aber diese bauen nicht kontinuierlich aufeinander auf und unterliegen keiner Teleologie. Widerstehen war immer das Handeln einzelner. Ihre Entschiedenheit und Gefährdung korrespondierten der Machtentfaltung des Regimes, das die Widerstandsmöglichkeiten bestimmte. Angesichts des Vernichtungskampfes der NSDAP wünschte 1937 Erzbischof Karl Joseph Kardinal Schulte einen Widerstand, bei dem möglichst breite Schichten glaubensfreudiger und opferwilliger Katholiken einheitlich die Mitwirkung bei glaubensfeindlichen Maßnahmen ablehnen und die Rechte ihres katholischen Gewissens mutig reklamieren. 8 Darum müsse wesentlichstes Ziel aller Seelsorge [ ] sein, das Glaubensleben in möglichst vielen Katholiken so zu vertiefen und zu stärken, dass sie den Prüfungen der Zeit gewachsen sind, auch wenn Bekennertreue von ihnen verlangt wird. 9 Diese zeigten die Märtyrer und auch viele Katholiken im Alltag, aber der breite Widerstand blieb die Ausnahme. Die Zahl evangelischer Blutzeugen ist kleiner, aber Pfarrer und Gemeinden ertrugen Konsequenzen des Bekenntnisses. Dabei entdeckte die BK die Aufgabe des Wächteramtes gegenüber dem Staat. Aber dem einzelnen konnte die Kirche nie die Entscheidung abnehmen, und die von ihr stammende Orientierung konnte [ ] nicht den ganzen Bereich umfassen, in dem der Christ sich zu entscheiden hatte. 10 Die katholische Kirche wagte nicht, die Exkommunikation einzusetzen. Die BK sah zwar die Aufgabe der Kirchenzucht, aber ihre Anwendung durch Paul Schneider blieb singulär, abgesehen von der Mitteilung der Kirchenaustritte im Gottesdienst. 11 Dass beide Kirchen Widerstand hätten leisten müssen, entspricht nicht ihrem Selbstverständnis, für das die Politik keine primäre Orientierung ist. 12 Das entzieht ihr Verhalten während des Dritten Reichs nicht der historischen Beurteilung, 13 bindet sie aber an den kirchlichen Auftrag. 14 Nach diesem Maßstab ist die Sicherung der Kirche, auf die besonders Kardinal Bertram und auf evangelischer Seite die intakten Landeskirchen achteten, eine Reduktion, obwohl eine Weltanschauungsdiktatur die Kirche auf ein Sakristeichristentum 15 beschränken kann, auf das,beten und Tun des Gerechten. 16 Aber dies als Ziel zu betrachten, ist wie das kirchenpolitische Taktieren theologisch als mangelnden Glaube an die bewahrende Gegenwart Christi zu beurteilen. Dagegen steht das historische Urteil, dass die Kirchen gerade durch ihre Selbstbewahrung ein wirksamer Störfaktor des NS-Regimes waren. 17 Aber die politische Einschätzung der Lage führte die Kirchen in die Gefährdung ihres Auftrags in der Angst, aus dem nationalen Konsens herauszufallen, und der Hoffnung auf Mitwirkung in illusionärer Gemeinsamkeit. 3. Widerstand der Kirchen Mit der Regierungserklärung Hitlers vom 23. März 1933 begann für beide Kirchen eine Parallelität der Entwicklung 18, die sie auch ihre Zusammengehörigkeit entdecken ließ. In der Taktik entstanden aber Differenzen. Da Hitler die Macht der katholischen Kirche