Der Neubau des Stockwerkeigentums Herausforderungen und Lösungsansätze Rinaldo Meier 22. November 2016
Einleitung Gesetzliche Einführung STWE 1965 im ZGB STWE = besondere Form des Miteigentums STW-Eigentümer = Miteigentümer an der gesamten Liegenschaft entsprechend ihrer Wertquoten mit Sonderrecht zur ausschliesslichen Nutzung von bestimmten Teilen Heutige Gesetzgebung hat STWE auf Dauer ausgerichtet Populärste aber auch konfliktträchtige Eigentumsform Viele in die Jahre gekommenen STWE-Bauten Rinaldo Meier 22. November 2016 2
Bestandsentwicklung Stockwerkeigentum Quelle: Bundesamt für Statistik, zit. am Anlass «50 Jahre Stockwerkeigentum» durch F. Hasenmaile, Credit Suisse Swiss Real Estate Research, 2015 Rinaldo Meier 22. November 2016 3
Frage Grosszyklische Sanierung oder Ersatzneubau? Rinaldo Meier 22. November 2016 4
Problematik Ersatzneubau im heutigen Gesetz nicht zu Ende gedacht Marginale gesetzliche Anpassungen 2012 im ZGB im Bereich Immobiliensachenrecht Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen ist der Ersatzneubau beim STWE kaum gelöst Rinaldo Meier 22. November 2016 5
Gesetzgebung zu den baulichen Massnahmen an gemeinschaftlichen Teilen Definition bauliche Massnahmen (Art. 647c ff. ZGB) Bauliche Massnahmen im Sinne des Gesetzes sind zunächst sämtliche Unterhalts-, Wiederherstellungs-, Erneuerungs- und Umbauarbeiten an der im Mit- oder Stockwerkeigentum stehenden Sache 1. Dabei handelt sich nach herrschender Lehre um Verwaltungshandlungen (= rechtliche und tatsächliche Handlungen, welche sich auf die Erhaltung, Verbesserung sowie auf die Bewirtschaftung der im Miteigentum stehenden Sache beziehen). Je nach Bedeutung und Höhe der Kosten braucht es für einen Beschluss über bauliche Massnahmen unterschiedliche Quoren 1 Quelle: S. Gerster und B. Czok, Rechtsfragen bei der Renovation von Stockwerkeigentum, Luzern Tag des Stockwerkeigentums 2011, S. 91 Rinaldo Meier 22. November 2016 6
Beispiele Quorum Definition Bauliche Massnahmen (Art. 647c ff. ZGB) Notendige Notwendige Nützliche Luxuriöse Sämtliche Unterhalts-, Instandstellungs- und Erneuerungsarbeiten, die für die Erhaltung des Wertes und die Gebrauchsfähigkeit der gemeinschaftlichen Teile nötig sind Sanierungen wie auch Massnahmen, welche eine Wertsteigerung oder die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit oder Gebrauchsfähigkeit einer Sache bezwecken Dienen lediglich der Verschönerung, Ansehnlichkeit der Sache oder der Bequemlichkeit im Gebrauch Einfaches Mehr der STWE- Versammlung Qualifiziertes Mehr der STWE und zusätzlich noch der Minderheitenschutz Einstimmigkeit aller Miteigentümer Sämtliche Sanierungsarbeiten, aber auch Neubauten (Massnahmen gegen Naturereignisse) oder der Wiederaufbau eines zerstörten Gebäudes Sanierungen vor Eintritt Substanzverlust, generelle Verbesserungen der Wärme- und Schallisolation oder der Haustechnik Kaum Sanierungen. Faustregel: «Je höher die Investition im Vergleich zum geschaffenen Mehrwert, desto eher liegt eine luxuriöse bauliche Massnahme vor» Rinaldo Meier 22. November 2016 7
Einordnung von Ersatzneubauten Grundsätzlich (Art. 712e, Abs. 1 ZGB) Bei der Begründung von STWE müssen schon im Begründungsakt Die räumliche Ausscheidung der Stockwerkseinheiten sowie Die Wertquoten festgelegt sein. Diese Voraussetzungen setzen nach dem strengen Wortlaut des Gesetzes der Realisierung des Ersatzneubaus enge Grenzen, weil der Beschluss einer Neubaute eigentlich vor der Entstehung des STWE gefasst werden muss Rinaldo Meier 22. November 2016 8
Frage Fallen Neubauten direkt oder sinngemäss unter Art. 647c ff. ZGB? Rinaldo Meier 22. November 2016 9
Frage Fallen Abbruch und Wiederaufbau von Bauten unter Art. 647c ff. ZGB? Rinaldo Meier 22. November 2016 10
Aufhebung des Stockwerkeigentums In bestimmten Fällen können STWE gemäss Art. 712f Abs. 3 und 4 ZGB die Aufhebung des STWE in jedem Fall Verlangen, wenn das Gebäude Abs. 3 «1. zu mehr als der Hälfte des Wertes zerstört und der Wiederaufbau nicht ohne eine für ihn schwer tragbare Belastung möglich ist; oder 2.* seit mehr als 50 Jahren in Stockwerkeigentum aufgeteilt ist und wegen des schlechten baulichen Zustands nicht mehr bestimmungsgemäss genutzt werden kann.» Abs. 4 «Die Stockwerkeigentümer, welche die Gemeinschaft fortsetzen wollen, können die Aufhebung durch Abfindung der übrigen abwenden.» * Einführung 2012 ZGB Revision Rinaldo Meier 22. November 2016 11
Fazit Vom Gesetzgeber vorgeschriebene materielle Voraussetzungen lassen viele Fragen offen Anwendungsprobleme in der Praxis langwierige Gerichtsverfahren Bestandsdauer des STWE sagt nichts über Gebäudealter aus Grosszyklische Sanierung fällt in der Regel bereits nach 30-40 Jahren an Rinaldo Meier 22. November 2016 12
Frage Welches sind die grössten Herausforderungen bei einem Ersatzneubau? Rinaldo Meier 22. November 2016 13
Konsensfindung der Stockwerkeigentümer! Rinaldo Meier 22. November 2016 14
Bezüglich Objektstrategie Rinaldo Meier 22. November 2016 15
Bezüglich finanzielle Regelung Rinaldo Meier 22. November 2016 16
Bezüglich operative Umsetzung Rinaldo Meier 22. November 2016 17
Risiken für den Fortbestand der STWE-GE Die Konsensfindung wird beeinflusst durch die Grösse der STWE-GE Heterogenität der STWE (Altersstruktur, Art der Nutzung etc.) Finanziellen Faktoren Externen Faktoren Rinaldo Meier 22. November 2016 18
Involvierte Parteien bei einem Ersatzneubau Projektplanung & Realisierung GU/Promotor Div. Bauunternehmer Planer Versicherungen Bautreuhänder Verwalter Finanzierung Banken Finanzinstitute Stockwerkeigentümergemeinschaft als Bauherrin Rechtliche Umsetzung (Bau-)Behörden Grundbuchamt Notar Eigentümer Bisherige Stockwerkeigentümer Neue Stockwerkeigentümer Rinaldo Meier 22. November 2016 19
Frage Wann ist ein Ersatzneubau gegenüber einer Totalsanierung ökonomisch vorzuziehen? Rinaldo Meier 22. November 2016 20
Wertsteigerungsverhalten von Gebäude und Bauland Abbruchformel: L (Landwert) + S (Sanierungskosten) I (Immobilienwert) + SW (Sanierungsbedingte Wertsteigerung) Rinaldo Meier 22. November 2016 21
Praktische Lösungsansätze Variante 1 Realisierung durch bestehende Stockwerkeigentümer Sämtliche Stockwerkeigentümer möchten sich am Projekt für einen Ersatzneubau beteiligen und ihr Stockwerkeigentum an der Liegenschaft behalten. Für die praktische Umsetzung unter den gegebenen Gesetzesnormen wäre der nachfolgende Prozessablauf denkbar: Rinaldo Meier 22. November 2016 22
Realisierung Ersatzneubau durch bestehende STWE Altes Gebäude Ersatzneubau Baubehörde 6a. Rechtskräftige Baubewilligung 5b. Gesuch für Baubewilligung Bisherige STWE- Gemeinschaft Wertquoten 3. Entscheid Abbruch/Neubau und Bestimmung Umsetzungsverfahren Eigentümer A: 200/1 000 Eigentümer B: 150/1 000 Eigentümer C: 150/1 000 Eigentümer D: 250/1 000 Eigentümer E: 250/1 000 1. Projektierungsauftrag 2. Kostenvoranschlag für schlüsselfertige Erstellung 6b. Aufhebung und Neubegründung des Stockwerkeigentum beim Notariat (unter Berücksichtigung der neuen Wertquoten) 8. Schlüsselfertige Erstellung Neubau Total- oder Generalunternehmer 5a. Unterzeichnung Werkvertrag mit Fixpreis Neue STWE- Gemeinschaft Wertquoten Eigentümer A: 180/1 000 Eigentümer B: 160/1 000 Eigentümer C: 100/1 000 Eigentümer D: 260/1 000 Eigentümer E: 300/1 000 4. Individueller Hypothekarantrag durch jeden Eigentümer für seine neue STWE-Einheit bei seiner Hausbank und Unterzeichnung Kreditverträge 7. Unwiderrufliches Zahlungsversprechen pro Eigentümer für Bezahlung Werkpreis STWE nach schlüsselfertiger Erstellung Bank Rinaldo Meier 22. November 2016 23
Praktische Lösungsansätze Variante 2 Realisierung durch nur einen Teil der bestehenden Stockwerkeigentümer Bei dieser Variante möchte sich nur ein Teil der bisherigen Stockwerkeigentümer am Projekt für einen Ersatzneubau beteiligen, während der Rest der Eigentümer aussteigen und ihren Anteil verkaufen will. Der Prozessablauf wird dadurch etwas komplexer als bei Variante 1. Rinaldo Meier 22. November 2016 24
Realisierung durch nur einen Teil der bestehenden STWE Altes Gebäude Ersatzneubau Baubehörde 7a. Rechtskräftige Baubewilligung 6b. Gesuch für Baubewilligung Bisherige STWE- Gemeinschaft Wertquoten 3. Entscheid Abbruch/Neubau und Bestimmung Umsetzungsverfahren Eigentümer A: 200/1 000 Eigentümer B: 150/1 000 Eigentümer C: 150/1 000 Eigentümer D: 250/1 000 Eigentümer E: 250/1 000 Neu 1. Projektierungsauftrag 2. Kostenvoranschlag für schlüsselfertige Erstellung 8. Aufhebung und Neubegründung des Stockwerkeigentum beim Notariat (unter Berücksichtigung Neu der neuen Wertquoten) 4. Ausstieg und Verkauf an GU 7b. Verkauf STWE durch GU ab Plan im Markt, Unterzeichnung Kaufvertrag für Landanteil und Werkvertrag mit Fixpreis 9. Schlüsselfertige Erstellung Neubau Total- oder Generalunternehmer (Investor) Neue STWE- Gemeinschaft Wertquoten 6a. Unterzeichnung Werkvertrag mit Fixpreis Eigentümer A: 180/1 000 Eigentümer B: 160/1 000 Eigentümer C: 100/1 000 Eigentümer F (neu): 260/1 000 Eigentümer G (neu): 300/1 000 8. Unwiderrufliches Zahlungsversprechen pro Eigentümer für Bezahlung Werkpreis STWE nach schlüsselfertiger Erstellung 5. Individueller Hypothekarantrag durch jeden Eigentümer für seine neue STWE-Einheit bei seiner Hausbank und Unterzeichnung Kreditverträge Bank Rinaldo Meier 22. November 2016 25
Praktische Lösungsansätze Variante 3 Verkauf an einen Investor Schnitt zwischen den bisherigen STWE und der Liegenschaft durch Verkauf sämtlicher STW-Einheiten an einen Investor, beispielsweise ein Immobilienentwickler/Promotor (evtl. Vorhandrecht der bisherigen STWE). Rinaldo Meier 22. November 2016 26
Verkauf an einen Investor Vorteile Nachteile Entscheid über Projekt in einer Hand Kürzere Umsetzungsphase Zweimalige Handänderung Auslösung einer allfälligen Grundstückgewinnsteuer Rinaldo Meier 22. November 2016 27
Praktische Lösungsansätze Weitere Varianten (ohne Vorfinanzierung durch TU/GU) Gründung eines Baukonsortiums Gründung einer Kapitalgesellschaft (SPV) Rinaldo Meier 22. November 2016 28
Gründung eines Baukonsortiums 1/2 Bei kleineren bis mittleren Stockwerkeigentümergemeinschaften Vorteile Keine Handänderung, d.h. keine Auslösung von Steuern Flexible Gestaltung des Gesellschaftsvertrages Frei definierbare Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Gemeinschaft Nachteile Solidarische Haftung der Gesellschafter gegenüber Dritten Gesamtfinanzierung muss bei einer Bank konzentriert sein Auflösung der Gesellschaft im Todesfall Kreditfähigkeit gegenüber einer Bank Geringer administrativer Aufwand Keine vorgeschriebene Buchführungspflicht Rinaldo Meier 22. November 2016 29
Gründung einer Kapitalgesellschaft (SPV) 2/2 Bei Stockwerkeigentümergemeinschaften ab 10 Einheiten Vorteile Einfache Verschiebung der Wertquoten durch Aktientausch Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit gewährleistet Kreditfähigkeit gegenüber einer Bank Nachteile Zweimalige Handänderung Gewinn- und Kapitalbesteuerung Administrativer Aufwand Buchführungspflicht Haftungsbeschränkung der Aktionäre Abzugsfähigkeit der Mehrwertsteuer Rinaldo Meier 22. November 2016 30
Erforderliche Handlungsoptionen für die Umsetzung eines Ersatzneubaus Lockerung des Einstimmigkeitsprinzips Politisch schwer durchsetzbar wegen dem Schutz des Eigentums Gesetzliche Regelung des Erneuerungsfonds Schwierigkeit ist die Kontrolle der Einhaltung solcher Vorgaben Regelung des Ersatzneubaus im Stockwerkeigentümerreglement In der Praxis dürfte es schwierig sein, eine Regelung für etwas zu treffen, was erst in 50-100 Jahren aktuell wird Rinaldo Meier 22. November 2016 31
Stockwerkeigentümer Jeder denkt er sei Alleineigentümer (Eigentumsillusion), Keiner fühlt sich verantwortlich für die gemeinschaftlichen Teile (falsches Verständnis von Rechten und Pflichten), aber alle sind nur Miteigentümer (komplexe Entscheidsfindung in der Zufallsgemeinschaft) Rinaldo Meier 22. November 2016 32
Q & A Rinaldo Meier 22. November 2016 33