Wie natürlich ist der heutige Einfluss des Schalenwildes auf unsere Wälder?

Ähnliche Dokumente
Meyer, P.: Monitoring der eigendynamischen Gehölzverjüngung in forschungsflächen 27. Nationalparks Harz (WFF) und niedersächsischen

Eichenwälder in der natürlichen Vegetation Nordwestdeutschlands

Braucht die Eiche die Forstwirtschaft?

Erhaltung von Eichenwäldern

Welche Bedeutung hat die Jagd für die naturnahe Waldbewirtschaftung? Christian Ammer

Neues zu natürlicher Dynamik, Klimaanpassung, Biodiversität und Waldbaukonzepten

Weidewälder: Typische Biodiversität und Möglichkeiten der Wiederherstellung am Beispiel des Hutewaldes Reiherbachtal

Wildeinflussmonitoring im Projektverbund Waldumbau in den mittleren, Hoch- und Kammlagen des Thüringer Waldes Zwischenergebnisse - Ausgangslage

Unterstützung für die Waldentwicklung - Eine Daueraufgabe?

Welche Bedeutung hat die Jagd für die naturnahe Waldbewirtschaftung? Christian Ammer

Forstliches Gutachten zur Situation der Waldverjüngung 2015 gemäß Artikel 32 Absatz 1 des Bayerischen Jagdgesetzes (BayJG)

Naturwälder und Naturwaldforschung in Niedersachsen

Rückkehr der Wölfe. Wird die Jagd überflüssig? Ulrich Wotschikowsky Oberammergau. Top Down?

Naturwaldreservate als Datenbasis zur Einschätzung natürlicher Waldentwicklungen in einem künftigen Nationalpark

Geburt, Wachstum und Tod auf 28,5 ha

Wälder mit natürlicher Entwicklung (NWE) in Niedersachsen Fachlicher Hintergrund, Status quo und Perspektiven P. Meyer

Geburt, Wachstum und Tod auf 28,5 ha

Waldaufbau: Tabellenübersicht

Raubbau und naturnahe Waldbewirtschaftung Ein Vergleich

Wald und Weidetieren. Landschaftsentwicklung durch Beweidung und die Ko-Evolution von Pflanzen und Pflanzenfresser

NATURWALDRESERVAT WEIHERBUCHET

Schalen- Wildverbiss. und seine Folgen

Langfristige ertragskundliche Versuchsflächen in Wäldern. Idee, Nutzen und Perspektiven

Naturwaldzellen in Sachsen-Anhalt: Konzept, Geschichte und Erforschung

Konvention zur Bewertung von Wildschäden im Wald. Kurzfassung Verbiss- und Schälschäden durch Schalenwild. Michael Duhr (Hrsg.)

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 71 Werdenfels - Süd Seite 1/6

Wald und Wild in NRW. Der Einfluss des Schalenwilds auf den Wald von morgen. Dipl.- LÖK Frank Christian Heute

Faktensammlung zur Dritten Bundeswaldinventur (BWI 3) für Mecklenburg-Vorpommern

F+E-Vorhaben NWE5 Natürliche Waldentwicklung als Ziel der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt

Forstliche Gutachten zur Situation der Waldverjüngung in Bayern

Die Fichte im Wandel - Franz Brosinger

1.Ziele der Anpassung an Klimaveränderung 2.Der Wald in Hessen 3. Naturgemäße Waldwirtschaft 4. Beispielhafte waldbauliche Steuerung 5.

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 216 Landshut 16 Seite 1/6

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 3 Altötting Seite 1/6

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 806 Miesbach Seite 1/6

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 582 Bad Bocklet Seite 1/6

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 101 HG Süd 1 Seite 1/6

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 517 Bibertgrund Seite 1/6

Borkenkäfer-Symposium im Nationalpark Bayerischer Wald 2. Juli Ungelenkte Waldentwicklung nach Sturmwurf und Borkenkäferbefall

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 211 Rottenburg 21 Seite 1/6

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 625 Nördlicher Steigerwald Seite 1/6

Wildeinflussmonitoring in Niederösterreich

Nichtheimische Baumarten Gäste oder Invasoren? Warum stehen nichtheimische Baumarten in der Kritik? Friederike Ahlmeier

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 200 Vilsbiburg 4 Seite 1/6

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 512 Weisachgrund Seite 1/6

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 90 Mühldorf III Seite 1/6

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 581 Zahlbach Seite 1/6

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 33 Sauberg Seite 1/6

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 414 Steigerwald - West Seite 1/6

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 515 Oberland Seite 1/6

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 261 Pfarrkirchen VII Seite 1/6

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 91 Mühldorf IV Seite 1/6

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 766 Penzberg Seite 1/6

Wieviel Birke verträgt die Eiche? Regina Petersen

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 572 Forstamt Rothenbuch Seite 1/6

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 511 Seebachgrund Seite 1/6

Verjüngungsinventur 2015 Zusatzauswertungen Hegegemeinschaft Nr. 615 Ebern-Itzgrund Seite 1/6

Vielfalt oder Widerspruch? Alte Buchenwälder Deutschlands werden UNESCO-Weltnaturerbe

Spezifizierung biogeochemischer Schwellenwerte für den Anbau wichtiger Waldbaumarten im Klimawandel

Hessische Naturwaldreservate: Referenzgebiete für Naturnähe

Wenn Wildnis an ihre Grenzen stößt.

Aspekte der floristischen Vielfalt naturnaher Buchenwälder. - Marcus Schmidt -

Bundeswaldinventur² - Wildverbiß und Schäle im Wald

Die Eiben im Nationalpark Bayerischer Wald - ein Zeitaspekt der Waldgeschichte?

Plenterwaldstudie im Bezirk Bregenz

Entwicklung des Klimawaldes und der Einfluss von Wild auf den Bestand

Baumartenmischung und Produktivität von Waldbeständen

RICHTLINIE BEWERTUNG VON SCHÄLSCHÄDEN AN FICHTE

Verbissgutachten Einfluss des Schalenwildes auf die Verjüngung der Wälder

1. Ansiedlung, Überleben und. Konkurrenz junger Bäume

Naturwaldreservate im Nationalpark - Beispiele für künftige Waldentwicklungen

Bannwald "Wilder See - Hornisgrinde"

Die Entwicklung von Wald- Biozönosen nach Sturm wurf

Auswertungen der Bundeswaldinventur 3

Wald als Kohlenstoffspeicher

Forstliches Gutachten zur Situation der Waldverjüngung 2015 gemäß Artikel 32 Absatz 1 des Bayerischen Jagdgesetzes (BayJG)

Auswertungen der Bundeswaldinventur 3

Auswertungen der Bundeswaldinventur 3

Klimaangepaßte Baumartenwahl am Beispiel der Mittelgebirgsregion Sauerland

MERKBLATT 25. Wildverbiss mit Weiserflächen beurteilen. Rechtliche Grundlagen. Weiserflächen Ein zusätzliches Hilfsmittel

Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

Projektverbund Wald, Wild und Menschen in Thüringen Gefördert durch den Freistaat Thüringen

Betriebswirtschaftliche Aspekte der Nadelholzwirtschaft im Klimawandel

Wofür brauchen wir eine Waldbewirtschaftung im Bayerischen Alpenraum?

Naturkapital Waldboden Grundlage für die forstliche Nutzung

Ergebnisse der Forsteinrichtung im Gemeindewald Bingen

: Anteil von Bäumen ab 50 cm Höhe und < 7 cm BHD mit jungen Schälschäden nach Baumartengruppe und Schutzmaßnahme

Neue Anforderungen der Gesellschaft an die Forstwirtschaft

Biodiversität und Schalenwildmanagement in Wirtschaftswäldern

Handbuch zur Erhebung der Verju ngungsdynamik

Ziele und Handlungsprogramm

Starkholz: Potenziale und tatsächliche Verfügbarkeiten Was wissen wir darüber?

Waldbau und Klimawandel Christian Ammer

Waldweidelandschaften

Das Auerhuhn in der Arberregion. Vortrag ausgearbeitet von Nikolaus Urban, Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Landau a.d.

Landratsamt Rastatt und Stadt Baden-Baden

Ergebnisse der ersten landesweiten Waldinventur in Brandenburg

Ökologie der Biozönosen

Einfluß des Faktors Mensch auf die Kohlenstoffdynamik von Wäldern

Transkript:

Die Dauerwildfrage: Strategien und Lösungswege, Veranstaltung der ANW Landesgruppe Hessen Frankenberg, 09.07.2014 Wie natürlich ist der heutige Einfluss des Schalenwildes auf unsere Wälder? P. Meyer, Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt

Inhalt Übersicht Schalenwild und Gehölzverjüngung in Naturwäldern Zur Frage des natürlichen Wildeinflusses Fazit

Einfluss des Schalenwildes Populationsbiologische Prozesse Samenfall Etablierung Jungpflanzen Fraß und Verbreitung von Samen Bodenverwundung Aufwachsen Gehölzverjüngung Wachstum der Baumschicht Verbiss Schäle Schalenwild Alterung Schäle Mortalität

Fichten-Naturwald Bruchberg Kernfläche 2, 2008

Fichten-Naturwald Bruchberg Bestandesdynamik Kernfläche 2, 1971 2008, ohne Zaun

Fichten-Naturwald Bruchberg Durchmesserverteilung Kernfläche 2, 1971 2008

Fichten-Naturwald Bruchberg Verhau durch Windwurf 1989 am Nordrand des NW Bruchberg (Juni 1990) Fotos: Wolfgang Schmidt

Fichten-Naturwald Bruchberg Einfluss des Verhaus auf die Gehölzverjüngung 1997

Fichten-Naturwald Bruchberg Situation des Windwurfs im Jahr 2010

Sukzession Kiefer-Naturwald Ehrhoner Dünen, Kernfläche 2, 1973 2009, gezäunt

Sukzession Kiefern-Naturwald Höhenklassenverteilung der Verjüngungsschicht, Ehrhoner Dünen, 2004, Kernfläche 1 (Zaun) und 4 (kein Zaun) im Vergleich

Auswertung Weisergatter Naturwälder Fragestellung Einfluss des Schalenwildes auf das Verjüngungspotenzial naturnaher Wälder unter Ausschluss von forstwirtschaftlichen Maßnahmen Untersuchungsansatz Vergleich der Verjüngungsinventuren in gezäunten Kernflächen mit ungezäunten Kernflächen und Probekreisen Vergleichbarkeit im Hinblick auf Standort (Trophie, Wasserversorgung), Alter (nur Altbestände > 100 Jahr), Bestockungstyp und Oberstandsdichte Zaunschutz > 20 Jahren Parameter: Anzahl Jungpflanzen je m 2 Summe der Trieblängen der Jungpflanzen [m je m 2 ] Artenzahl < 1,5 m Höhe je 100 m 2 Artenzahl 1,5 m Höhe je 100 m 2

Auswertung Weisergatter Naturwälder Untersuchungskollektiv

Auswertung Weisergatter Naturwälder Bildautor: F. Griese Buche reich Kiefer arm Eiche mäßig Eichen reich Buche arm Buche mäßig aus: Meyer und Richter (2013)

Auswertung Weisergatter Naturwälder Kiefer arm Eiche mäßig Eichen reich Buche arm Buche mäßig Buche reich Bildautor: F. Griese aus: Meyer und Richter (2013)

Auswertung Weisergatter Naturwälder Allgemeines lineares Modell: Verjüngung = f (Dichte Altbestand, Trophie, Zaun) Kenngröße Zaun eutroph Effektstärke Pflanzenzahl Nein Ja Nein Ja Nein Ja 1,0 5,2 8,2 11,2 Trieblängensumme Nein Ja Nein Ja Nein Ja 1,0 2,8 4,8 6,5 Artenzahl 1,5 m Nein Ja - - 1,0 1,6

Natürlicher Wildeinfluss Gehölzverjüngung in Windwürfen: Vergleich Ural und Alpen aus: Lässig & Mucalov (2000)

Natürlicher Wildeinfluss Verarmung unserer Fauna Megaherbivoren-Hypothese (Geiser 1992, Vera 2002) Mitteleuropa wäre ohne den Einfluss des Menschen eine halboffene Landschaft ausgestorbene große Pflanzenfresser würden den Wald stark zurückdrängen Verbiss, Schäle und Fegen wären in einem starken Ausmaß natürlich. pollenkundliche Untersuchungen sprechen deutlich gegen diese Hypothese (Bradshaw et al. 2003, Mitchell 2005) aber: Waldweide als kulturhistorische Nutzungsform naturschutzfachlich wertvoll

Natürlicher Wildeinfluss Bedeutung von Weidewäldern In Breitenwirkung und Andauer ist keine Maßnahme des Menschen mit der extensiven und den Wald einbeziehenden Weidewirtschaft zu vergleichen, und zwar weltweit. Obwohl sie bis vor etwa 200 Jahren nahezu allgemein auch in Mitteleuropa herrschte und einst die Hauptnutzung des Waldes war, kann man sie heute nur noch an wenigen Stellen studieren. (Ellenberg & Leuschner 2010) P. Weitsch (1723-1806): Eichenwald mit Hirt und Herde (1760)

Natürlicher Wildeinfluss Fotozeitreihe Zaunversuch: Aspen-Regeneration Yellowstone NP 1923 1936 1937 1941 aus: Kay (2000)

Natürlicher Wildeinfluss Fotozeitreihe Zaunversuch: Aspen-Regeneration Yellowstone NP 1986 aus: Kay (2000)

Natürlicher Wildeinfluss Aspen-Regeneration Yellowstone NP aus: Kauffman et al. (2010)

Natürlicher Wildeinfluss Hairston (1960): Green World Hypothesis Prädatoren erhalten indirekt durch Herbivorenkontrolle die pflanzliche Biomasse Vorherrschende Vorstellung der Bottom-up Kontrolle durch das Nahrungsangebot Oksanen et al. (1981): Exploitation Ecosystem Hypothesis Top-Down -Kontrolle der Herbivoren durch Carnivore ab NPP > 700 g m -2 a -1 (Übergang Tundra borealer Nadelwald) aus: Ripple & Beschta (2012)

Natürlicher Wildeinfluss Überprüfung der Exploitation Ecosystem Hypothesis anhand eines weltweiten Datensatzes (Ripple & Beschta 2012) Herbivorendichte ca. 6-fach erhöht, wenn Wölfe fehlen!!!

Natürlicher Wildeinfluss Einfluss von Wolf und Luchs auf die Rehwilddichte in Europa (Melis et al. 2009 Darstellung aus Ripple & Beschta 2012) aus: Science (2011)

Fazit Schalenwild hat einen starken und überwiegend negativen Einfluss auf die natürliche Gehölzverjüngung. Hoher Verbissdruck führt weitgehend unabhängig vom Standort zu verzögertem Aufwachsen und zur Entmischung der Gehölzverjüngung. Bedeutsame Mischbaumarten (Eberesche, Eiche, Spitzahorn) können verbissbedingt nahezu vollständig ausfallen. Der natürliche Wildeinfluss dürfte erheblich unter dem aktuellen Niveau liegen, da Prädatoren (noch) weitgehend fehlen und die Lebensraumkapazität durch menschliche Landnutzung und Eutrophierung stark erhöht ist. Die sensitiven Mischbaumarten eignen sich sehr gut als Indikatoren für eine naturnahe Schalenwilddichte.

Bildautor: F. Griese