Essaypreis des Zentrums für Wissenschaftstheorie, Münster im Wintersemester 2010/ Platz. Tamara Ann Köhler

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Transkript:

Essaypreis des Zentrums für Wissenschaftstheorie, Münster im Wintersemester 2010/11 2. Platz Tamara Ann Köhler Die Bedeutung der Einfachheit als Theoriewahlkriterium und Karl R. Poppers Einfachheitsbegriff verfasst im Rahmen der Veranstaltung Ist einfach besser? Einfachheit als Theoriewahlkriterium (Leitung: Julia F. Göhner)

1 Warum einfach, wenn 's auch kompliziert geht? 1 Liest man in einer Einführung in die Wissenschaftstheorie folgenden Satz: Unter den in Frage kommenden Theorien ist die Einfachste zu bevorzugen, so scheint zunächst intuitiv klar zu sein, was dieser Satz bedeutet, welche Theorie aus einer Vielzahl von Theorien gewählt werden sollte und aus welchen Gründen dies geschehen sollte. Versucht man allerdings, genauer zu beschreiben, was mit Einfachheit gemeint ist, so wird schnell klar, dass der Begriff vielseitiger ist als auf den ersten Blick angenommen und zahlreiche Interpretationen von Einfachheit möglich sind. So erklärt beispielsweise W.V.O. Quine, Einfachheit sei Annehmlichkeit und Eleganz und zudem abhängig von der spezifischen Darstellung einer Theorie. 2 E. Sober schreibt, die Informativität einer Theorie bestimme ihren Grad an Einfachheit und diese sei daher messbar an der Anzahl der benötigten Zusatzinformationen zur Beantwortung einer Fragestellung. 3 R. Swinburne vertritt die Meinung, Einfachheit sei ein Beleg für Wahrheit. 4 Ebenso zahlreich wie die Interpretationen des Begriffs Einfachheit sind auch die Gründe, aus denen Einfachheit als Theoriewahlkriterium in Frage kommt. Am meisten erstaunte mich die Position Karl R. Poppers, welcher die am besten falsifizierbare Theorie als die Einfachste auszeichnet. In diesem Essay möchte ich daher seinen Einfachheitsbegriff im Kontext seiner wissenschaftstheoretischen Schriften näher erläutern. Dazu werde ich zunächst beschreiben, in welchen Bereichen Einfachheit zur Anwendung kommt und anschließend, welche Bedeutung Einfachheit nach Popper zukommt. Betrachten wir die Einfachheit von Theorien, so bemerken wir zwei der Bereiche, bei welchen Einfachheit von besonderer Bedeutung ist: a) Einfachheit als erwünschte Eigenschaft von Theorien, die bei deren Entwicklung berücksichtigt wird, und b) Einfachheit als Kriterium zur Wahl zwischen Theorien, die dasselbe Problem bzw. dieselbe Fragestellung behandeln. 5 1 Sprichwort. 2 vgl. Quine, 1976, S. 255-258. 3 vgl. Sober, 1975, S. vii-viii. 4 vgl. Swinburne, 1997, S. 1. 5 Wichtig ist, dass alle konkurrierenden Theorien ein gemeinsames Problem behandeln; zusätzlich können die Theorien auch Lösungen für spezifische, weitere Probleme bieten (vgl. Popper, 1984, S. 15).

Köhler 2 Dabei sind a) und b) nicht unabhängig voneinander, sondern Teile eines sich wiederholenden Prozesses: des Strebens nach wahren, erklärenden Theorien. Zunächst veranlasst uns ein bestimmtes Problem, das wir zu lösen versuchen, verschiedene Theorien zu entwickeln. Hierbei berücksichtigen wir die Einfachheit sowohl aus theoretischen als auch aus pragmatischen Aspekten, wie ich später darlegen werde. Dies entspricht Punkt a) der zwei genannten Bereiche, in welchen Einfachheit berücksichtigt wird. Haben wir nun verschiedene Theorien entwickelt, so setzen wir sie der empirischen Prüfung aus, wobei einige unserer Theorien - möglicherweise alle - widerlegt werden und andere sich im Experiment bewähren. Unter diesen ist nach Popper diejenige mit dem größten Informationsgehalt zu bevorzugen, welche seinem Standpunkt nach die Einfachste ist. 6 Diese Entscheidung entspricht Punkt b). Die Wahrheit der bevorzugten Theorie ist durch ihre Bewährung und Auswahl mit Hilfe des Einfachheitskriteriums allerdings nicht bewiesen. 7 Wird sie zu einem späteren Zeitpunkt empirisch widerlegt, so entwickeln wir neue Theorien, die nicht nur da erfolgreich sein (müssen), wo es ihre Vorgängerin war, sondern auch da, wo sie versagte, d.h. wo sie widerlegt wurde 8. Diese neuen Theorien werden außerdem wieder unter Berücksichtigung der Einfachheit entwickelt, was erneut Punkt a) der beschriebenen Bereiche der Einfachheit bei Theorien entspricht. Diese wiederkehrende Abfolge der Entwicklung von Theorien, ihrer Prüfung, Eliminierung und Verbesserung könnte allein dadurch beendet werden, dass sich eine Theorie nicht nur bewährt, sondern empirisch oder logisch bewiesen wird. Da eine Theorie jedoch stets Aussagen über vergangene, gegenwärtige und zukünftige Fälle macht und es uns nicht möglich ist, Zukünftiges einzusehen, können Theorien sich lediglich empirisch bewähren und nicht bewiesen werden. Theorien sind außerdem ebenfalls nicht logisch verifizierbar, da der Schluss von den a posteriori verifizierten Aussagen auf die Theorie logisch unzulässig ist. 9 Obwohl der Wahrheitsanspruch einer Theorie nicht empirisch gerechtfertigt werden kann, 10 ist es doch interessant zu untersuchen, mit welchen Kriterien wir aus 6 vgl. Popper, 1971, S.102. 7 Popper geht hier davon aus, dass allein dann, wenn endlich viele Theorien für die Problemlösung in Frage kommen, mit seiner sog. kritischen Methode, bei welcher alle Theorien möglichst strenger Prüfung unterstehen, die wahre Theorie durch Eliminierung ihrer konkurrierenden Theorien gefunden werden kann (vgl. Popper, 1984, S. 16). 8 Popper, 1984, S. 14. 9 vgl. Popper, 1971, S. 14. 10 vgl. Popper, 1984, S.13.

Köhler 3 unseren Theorien die vorläufig Beste auswählen, denn diese Wahl ist ein entscheidender Schritt des steten Strebens nach wahren, erklärenden Theorien. Im Folgenden werde ich die Bedeutung der Einfachheit für die Theorienwahl in Karl R. Poppers Werken Logik der Forschung, Objektive Erkenntnis und Alles Leben ist Problemlösen genauer erläutern. Dafür werde ich zuerst die Falsifizierbarkeit und ihren Zusammenhang mit der Einfachheit, anschließend die Reduktion und ihre Bedeutung für die Einfachheit beschreiben. Die Falsifizierbarkeit ist sowohl für Punkt a) als auch für Punkt b) der oben genannten Bereiche der Einfachheit bei Theorien von Bedeutung. Die Reduktion hingegen betrifft vor allem Punkt a), also die Entwicklung von Theorien unter dem Gesichtspunkt eines Einfachheitskriteriums. Eine Theorie nennt man dann falsifizierbar, wenn man jene Fälle angeben kann, bei deren Eintreten die Theorie widerlegt wird. Für den Umgang mit dieser Theorie bedeutet das, dass man sie stets strenger Prüfung aussetzt, indem man versucht, diese falsifizierenden Situationen herbeizuführen. 11 Wird die Theorie dabei nicht falsifiziert, so bewährt sie sich vorläufig. Popper schlägt die Falsifizierbarkeit einer Theorie als Abgrenzungskriterium vor, um Wissenschaften von Nicht-Wissenschaften zu unterscheiden, so dass die Prüfbarkeit einer Theorie ein wesentliches Kriterium für ihre Wissenschaftlichkeit ist: [E]in empirisch-wissenschaftliches System muss an der Erfahrung scheitern können 12. Haben wir nun mehrere Theorien zur Wahl, so können wir sie anhand des Grades ihrer Falsifizierbarkeit miteinander vergleichen. Je mehr Gehalt eine Theorie hat, desto besser ist sie falsifizierbar, da sie mehr aussagt und es folglich mehr Fälle gibt, durch die sie widerlegt werden kann. Es gibt dann viele falsifizierende Fälle, wenn die Theorie möglichst allgemein formuliert ist. Prüfen wir unsere Theorien empirisch und bestehen einige von ihnen diese Prüfung, so ist unter ihnen nach Popper diejenige Theorie die Beste, welche den größten Informationsgehalt und somit die größte Allgemeinheit besitzt. Außerdem ist diese auch die am besten geprüfte der bisher betrachteten Theorien einschließlich all ihrer Vorgänger 13. 11 vgl. Popper, 1971, S. 15. 12 Popper, 1971, S. 15. 13 Popper, 1984, S. 16.

Köhler 4 Poppers Einfachheitsbegriff schließt sich hieran an: Er identifiziert die Einfachheit einer Theorie mit ihrem Falsifizierbarkeitsgrad. 14 Die Theorie, die am allgemeinsten formuliert ist, ist somit auch die am besten prüfbare und einfachste Theorie. Die Falsifizierbarkeit - und damit die Einfachheit - ist sowohl aus theoretischen wie aus pragmatischen Aspekten für die Wissenschaften interessant. Aus theoretischer Sicht ist die Falsifikation einer Theorie jenes Ereignis, welches die Problemstellung erweitern und präzisieren kann, denn die Falschheit einer Aussage zu entdecken, heißt die Wahrheit ihrer Negation zu entdecken 15. Durch die Falsifikation der Theorie kann diese weiterentwickelt werden, denn die neue Theorie muss mehr erklären, ist somit allgemeiner und einfacher. 16 Obwohl Einfachheit kein Beleg für Wahrheit ist, müssen wir (wenn wir erkennen wollen) [einfachere Sätze] deshalb höher [ ] werten als weniger einfache, weil sie mehr sagen, weil ihr empirischer Gehalt größer ist, weil sie besser überprüfbar sind 17. Von einem pragmatischen Standpunkt aus ist es ersichtlich, dass wir zwar kein Wissen über die Wahrheit einer Theorie haben, mag sie auch die am besten Geprüfte sein, trotzdem müssen wir eine von unseren Theorien wählen. Popper schreibt hierzu, es sei vernünftig, die bestgeprüfte Theorie zu wählen 18, und er weist gleichzeitig darauf hin, sich nicht auf diese Theorie zu verlassen, sondern damit zu rechnen, da[ss] sich unsere Erwartungen vielleicht nicht bestätigen 19. Die einfachste Theorie ist somit sowohl aus theoretischen wie auch aus pragmatischen Gründen zu bevorzugen. Da nun der Zusammenhang zwischen Einfachheit und Falsifizierbarkeit und ebenso die Bedeutung der Einfachheit für die Theorienwahl dargelegt ist, ist nicht schwer einzusehen, welche Rolle der Reduktion dabei zukommt. Die Reduktion ist eine Methode, bei welcher versucht wird, Theorien auf andere Theorien derselben oder einer weiteren wissenschaftlichen Disziplin zu reduzieren. So wurde zum Beispiel in der Mathematik versucht, die Menge der rationalen Brüche auf 14 vgl. Popper, 1971, S. 100-101. 15 Popper, 1984, S. 14. 16 Allerdings gibt es keine Garantie, da[ss] wir Fortschritte zu besseren Theorien machen (Popper, 1984, S. 17), da wir keine Aussagen über die Wahrheit unserer Theorien machen können. Trotzdem erhalten wir bei diesem Prozess besser geprüfte Theorien, die sich besser bewähren und zu einem gewissen Zeitpunkt anderen Theorien vorgezogen werden (Popper, 1984, S.21). 17 Popper, 1971, S. 103. 18 Popper, 1984, S. 22. 19 Ebd.

Köhler 5 eine Menge geordneter Paare natürlicher Zahlen zu reduzieren. 20 Auch gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Versuch, die Chemie und die Mechanik auf eine elektromagnetische Theorie der Materie zu reduzieren. 21 Wie schon bei der Falsifizierbarkeit gilt bei der Reduktion, dass es gerade die Misserfolge sind, die zu neuen Erkenntnissen führen, da sie die Problemstellung spezifizieren. Die Reduktion ist in Poppers Sinne also ein Werkzeug der Wissenschaften zur Vereinfachung von Theorien, da sie die Bemühung erfordert, die Anzahl der bestehenden Theorien zu verringern und die Übrigen allgemeiner und gehaltvoller zu formulieren. Abschließend kann man sagen, dass es trotz mangelnder Garantie, Fortschritte zu erzielen, gute Gründe gibt, Einfachheit als Kriterium sowohl bei der Entwicklung, als auch bei der Wahl zwischen Theorien zu berücksichtigen. Aber ist die Garantie des Fortschritts durch entsprechende Wahl der Theorien wirklich von so hoher Bedeutung? Zwar haben wir die logische Gewissheit, diese nicht verifizieren zu können und deshalb auch zu keinem Zeitpunkt eine Aussage über deren Wahrheit machen zu können. Andererseits ist aber gerade dieses Verständnis der Wissenschaft als fortwährender Prozess der Weiterentwicklung von Theorien notwendig für unseren Ehrgeiz und unsere Neugier auf der Suche nach wahren, erklärenden Theorien. 20 vgl. Popper, 1995, S. 49. 21 vgl. Popper, 1995, S. 56-58.

Köhler 6 Literaturverzeichnis Popper, Karl R.: Logik der Forschung, übers. v. Dr. phil. L. Walentik, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1971. Popper, Karl R.: Objektive Erkenntnis: Ein evolutionärer Entwurf, übers. v. Hermann Vetter, Hoffmann und Campe, Hamburg 1984. Popper, Karl R.: Alles Leben ist Problemlösen: Über Erkenntnis, Geschichte und Politik, Piper, München 1995. Quine, W.V.: 24: On Simple Theories of a Complex World, in ders.: The Ways of Paradox and Other Essays, Harvard University Press, Cambridge, Massachusetts u.a. 1976, S. 255-258. Sober, Elliot: Simplicity, Oxford University Press, London 1975. Swinburne, Richard: Simplicity as Evidence of Truth, The Aquinas Lecture 61, Marquette University Press, Milwaukee 1997.