Ambulant erworbene bakterielle Harnwegsinfektionen bei Diabetes mellitus

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Ambulant erworbene bakterielle Harnwegsinfektionen bei Diabetes mellitus Empfehlungen für die Praxis Autor Johannes Kutzenberger, Bad Zwesten Bibliografie DOI 10.1055/s-0043-102486 ZUSAMMENFASSUNG Diabetiker haben ein erhöhtes Risiko an Harnwegs infektionen zu erkranken. Begünstigt wird dies durch die nicht seltene diabetogene neurogene Blasenfunktionsstörung. Unterschieden werden Infektionen des unteren und oberen Harntraktes und unkomplizierte von komplizierten Harnwegsinfektionen. Die unkomplizierte Harnwegsinfektion ist für den unteren und den oberen Harntrakt exakt definiert. Ebenso ist der Personenkreis für eine gruppenspezifische diagnostische Strategie und empirische Therapie umschrieben. Diabetiker mit stabiler Stoffwechsellage ohne Neigung zur Hypo- und Hyperglykämie und ohne diabetische Nephropathie sowie ohne weitere Begleiterkrankungen gehören dazu (HbA 1c 7,5 %). Bei Diabetikern ohne Risikofaktoren ist bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen eine empirische Therapie möglich. Die Therapieplanung sollte aber auch die oft unentdeckt gebliebene diabetogene neurogene Blasenfunktionsstörung berücksichtigen. Dann handelt es sich aber nicht mehr um eine unkomplizierte Harnwegsinfektion, und eine urologische Funktionsdiagnostik ist erforderlich. Die Therapie sollte dann an der Keim- und Resistenzbestimmung orientiert sein. Diabetiker weisen generell ein erhöhtes Infektionsrisiko auf, dies gilt auch für Harnwegsinfektionen (HWI) [1]. Frauen sind dabei häufiger betroffen als Männer. Ihr Risiko wird auf das bis zu 25-Fache im Vergleich zu gleichaltrigen Nichtdiabetikern beziffert, während man bei Männern mit Diabetes mellitus von einem auf das bis zu 20-fache Risiko ausgeht [2 4]. Dabei erhöht sich das Harnwegsinfektionsrisiko mit der Dauer der Erkrankung [5]. Grundsätzlich ist die Harnwegsinfektion eine der häufigsten Infektionen weltweit und ist damit mit einem hohen Verbrauch an Antibiotika assoziiert. Dank des breiten Spektrums geeigneter Substanzen waren Harnwegsinfektionen jahrzehntelang gut antibiotisch zu kontrollieren. Das zunehmende Auftreten multiresistenter pathogener Mikroorganismen und die stagnierende Entwicklung neuer antimikrobieller Substanzen erfordert es jedoch, die Indikationen zur antimikrobiellen Therapie und die Wahl entsprechender Antibiotika neu zu bewerten. Bild: Fotolia; Fotograf/Grafiker: Sebastian Kaulitzki Komplikationen des Diabetes mellitus Der Schweregrad der metabolischen Fehlsteuerung und das Ausmaß der mikro- und makroangiopathischen Schädigungen durch den Diabetes wirken sich in vielfältiger Weise auf die Funktion lebenswichtiger Organe aus. So ist der Diabetes mellitus die häufigste Ursache peripherer Neuropathien in Europa und Nordamerika. Neben den kardiovaskulären Komplikationen, den zentralen und peripheren Durchblutungsstörungen mit ihren schweren Folgeerscheinungen sowie der diabetischen Retinopathie und Nephropathie werden angeborene Abwehrfunktionen geschädigt. 15

Tab. 1 Erregerspektrum bei Frauen (n = 317) in Deutschland mit unkomplizierter Zystitis [15]. Tab. 2 Sensibilitätsraten für E. coli in Deutschland bei Frauen mit Zystitis in der ARESC-Studie [7]. Erreger prozentualer Anteil antimikrobielle Substanz sensible E.-coli-Stämme Escherichia coli 76,7 % Proteus mirabilis 4,7 % Klebsiella pneumoniae 2,5 % Enterobacter spp. 1,3 % Citrobacter spp. 0,6 % andere Enterobacteriaceae 1,6 % non Enterobacteriaceae 0,0 % Staphylococcus saprophyticus 2,8 % Staphylococcus aureus 2,2 % andere koagulasenegative Staphylokokken 4,4 % Enterococcus spp. 2,5 % Strepococcus spp. 0,6 % Auch die Harnblase kann bei Menschen mit Diabetes mellitus in ihrer Funktion als Speicher- und Entleerungsorgan gestört sein. Die diabetische neurogene Blasenfunktionsstörung (DNBFS) oder auch diabetische Zystopathie disponiert zur Harnwegsinfektion. Mitunter fällt die beeinträchtige Blasenfunktion jedoch erst durch das Symptom der Harnwegsinfektion auf. Diabetiker haben zudem eine höhere Neigung zu komplizierten Infektionsverläufen, wie renale und pararenale Abs zesse, Pilzinfektionen, Papillennekrosen. Emphysematöse Pyelonephritiden und emphysematöse Zystitiden treten sogar zu 90 bzw. zu 67 % bei Diabetikern auf [3]. Ätiologische und pathogenetische Aspekte Ambulant erworbene Harnwegsinfektionen sind nahezu immer aufsteigende Infektionen [6], am häufigsten verursacht durch Escherichia coli. Laut der ARESC 1 -Studie [7] sind 76,70 % der Harnwegsinfektonen durch E. coli bedingt, das ECO.SENS 2 -Projekt ermittelte bei 77,03 % der Harnwegsinfektionen E. coli als Auslöser [8]. Gefolgt werden E. coli von Staphylococcus saprophyticus, Klebsiella pneumoniae und Proteus mirabilis [9]. Tabelle 1 zeigt das Erregerspektrum bei akuter unkomplizierter Zystitis (ARESC- Studie), in Tabelle 2 sind die Sensibilitätsraten für E. coli dargestellt. 67 % der Patienten mit Diabetes waren mit E. coli kolonisiert, wobei kein signifikanter Unterschied im Erregerspektrum zwischen Männern und Frauen bestand [9]. 1 Antimicrobial Resistance Epidemiological Survey on Cystitis 2 International Survey of the Antimicrobial Susceptibility of Pathogens from Uncomplicated Urinary Tract Infections Fosfomycin-Trometamol 97,9 % Mecillinam 97,5 % Nitrofurantoin 92,5 % Ciprofloxacin 96,3 % Amoxicillin/Clavulansäure 88,8 % Cefuroxim 93,0 % Cotrimoxazol 74,0 % Ampicillin 59,2 % Ein Faktor, der eine Harnwegsinfektion begünstigen könnte, könnte die bei Patienten mit Diabetes mellitus gefundene verminderte Konzentration von Interleukin(IL)-8 und IL-6 sein, die eine verminderte Expression von Granulozyten nach sich zieht [10]. E. coli wiederum exprimieren eine Vielzahl von Virulenzfaktoren wie beispielsweise Toxine, Fimbrien, Adhäsine und O-Antigene, Siderophorsysteme (Kampf um das Eisen) oder Flagellen entweder, um die Wirtszellen zu schädigen oder um sich vor dem Immunsystem des Wirts zu schützen [3, 11]. Uropathogene E. coli (UPEC) sind mit ihren Typ1-Pili zur Adhäsion an das Urothel bei Diabetikern 2-mal besser als bei Nicht-Diabetikern in der Lage [12]. Darüber hinaus sind sie zur Internalisierung in das Urothel befähigt und bilden intrazelluläre Keimreservoire. Diese E.-coli-Stämme bleiben somit unentdeckt, entziehen sich dem Zugriff der antimikrobiellen Therapie und schaffen die Voraussetzung für ein HWI-Rezidiv nach dem Ausbruch aus der Wirtszelle [13, 14]. Da Diabetiker häufiger mit antimikrobiellen Therapien in Berührung kommen, muss mit einer erhöhten Rate von Keimresistenzen (methicillinresistente Staphylococcus aureus [MRSA], Extended-Spectrum Beta-Lactamase [ESBL], vankomycinresistente Enterokokken [VRE], Chinolonresistenzen, multiresistente gramnegative Bakterien [MRGN] u. a.) gerechnet werden. Harnwegsinfektion versus symptomatische Bakteriurie Asymptomatische Bakteriurie Die asymptomatische Bakteriurie (ABU) ist ein Zufallsbefund, da sie nicht mit Beschwerden assoziiert ist. Häufig handelt es sich dabei um eine kommensale Kolonisierung, überwiegend mit E. coli. Bei Diabetikern ohne relevante Risiko faktoren, also Patienten ohne Neigung zur Hypooder Hyperglykämie und ohne diabetische Nephropathie, bedarf es keiner Therapie [9, 15]. Diese Patienten unter- 16

liegen keinem Risiko zur Schädigung der Nierenfunktion [1] oder der Verschlechterung der Stoffwechselfunktion [9]. Studien zufolge haben antimikrobielle Therapien in dieser Situation keine Vorteile. Der Kollateralschaden ist sogar größer als der Nutzen, wie die neue wissenschaftliche Evidenz zeigt [4, 9]. Bei urologischen Eingriffen, die zu Alterationen bzw. Inzisionen am Urothel führen, sollte jedoch eine Therapie initiiert werden [16]. Unkomplizierte und komplizierte Harnwegsinfektionen Bei der Definition der Harnwegsinfektion muss zwischen der bakteriell verursachten Entzündung des unteren Harntraktes (UHT, Zystitis) und der des oberen Harntraktes (OHT, Pyelonephritis) unterschieden werden. Außerdem gilt es, zwischen unkomplizierten und komplizierten Harnwegs infektionen zu differenzieren. Für unkomplizierte Harnwegsinfektionen die akute unkomplizierte Zystitis (AUZ) und die akute unkomplizierte Pyelonephritis (AUP) gelten folgende Kriterien: keine relevanten anatomischen Anomalien (Missbildungen, entleerungsdynamisch wirksame Harnröhrenstrikturen, Reflux etc.), keine relevanten, funktionellen Anomalien (neurogene Blasenfunktionsstörungen, obstruktive Miktion), keine relevante Nierenfunktionsstörung (diabetische Nephropathie Grad 2), keine relevanten Begleiterkrankungen, welche die Entstehung von Harnwegsinfektionen begünstigen können. Auch der Patientenkreis für die Therapie der unkomplizierten Harnwegsinfektion ist definiert, vorausgesetzt es bestehen keine relevanten Begleiterkrankungen: nicht schwangere Frauen in der Prämenopause (Standardgruppe), Schwangere, Frauen in der Postmenopause, junge Männer (< 60 Jahre) nach Ausschluss von Risikofaktoren, gesunde Patienten mit Diabetes mellitus mit stabiler Stoffwechsellage (HbA 1c < 7,5 %) und ohne relevante Risikofaktoren. Harnwegsinfektionen bei Männern werden zunächst als komplizierte Harnwegsinfektion betrachtet es sei denn, sie erfüllen nach Ausschluss von Risikofaktoren die oben genannten Kriterien. Sofern im Bereich des Harntraktes Besonderheiten bestehen, wie Missbildungen, neuro gene Blasenfunktionsstöungen infolge einer Querschnittlähmung oder einer anderen neurologischen Erkrankung (z. B. Encephalomyelitis disseminata), eine diabetogene neurogene Blasenfunktionsstörung oder das Immunsystem schwächende Komorbiditäten, handelt es sich um komplizierte Harnwegsinfektionen. Symptomatik der HWI versus einer Blasenfunktionsstörung Die Symptome der akuten, unkomplizierten Zystitis sind Dysurie, Pollakisurie, Algurie, imperativer Harndrang bis hin zur Harninkontinenz und suprapubischer Schmerz. Begleitend können diese Beschwerden auch bei einer Pyelonephritis auftreten (aufsteigende Infektion). Zusätzlich wird sich eine Infektion des oberen Harntrakts durch Flankenschmerzen, ein klopfschmerzhaftes Nierenlager und Fieber über 38 C, Übelkeit bis zum Erbrechen und allgemeinem Krankheitsgefühl bemerkbar machen. Die klinische Symptomatik bei Diabetikern entspricht der bei Nichtdiabetikern. Manchmal aber kann die Wahrnehmung der Symptome infolge der autonomen und peripheren Neuropathie bei Menschen mit Diabetes abgeschwächt sein und der Temperaturanstieg fällt weniger dramatisch aus. Dies gilt es vor allem bei Diabetikern im höheren Lebensalter zu berücksichtigen. Tatsächlich kann ein entgleister Stoffwechsel der einzige Hinweis auf eine Harnwegsinfektion sein, die dann definitionsgemäß nicht unkompliziert ist. Neben der gezielten HWI-Anamnese, insbesondere bei wiederholten Harnwegsinfektionen, sollte eine ausführliche Miktionsanamnese erfolgen. Um Hinweise auf eine diabetische neurogene Blasenfunktionsstörung nicht zu übersehen, sollte gefragt werden nach der Tagesmiktionsfrequenz, der Sensibiltät für den Blasenfüllungszustand, einer Harnstrahlabschwächung und einer verlängerten Miktionszeit, dem Restharnempfinden sowie einem imperativen Harndrang bis hin zur drohenden oder stattfindenden Harninkontinenz. Beachtet werden muss, dass Pollakisurie, Urgency und eine drohende Harninkontinenz sowohl Symptome einer Harnwegsinfektion als auch einer hyperaktiven Blase, einer Harnretention oder Symptomatiken der unteren Harnwege ( lower urinary tract symptoms ; LUTS) infolge einer benignen Prostatahyperplasie sein können. Liegt eine Blasenfunktionsstörung vor, geht man von einer komplizierten Harnwegsinfektion aus. Hier besteht die Indikation zur urologischen Diagnostik im infektfreien Intervall mit urodynamischer Funktionsdiagnostik. Diagnostik Der Goldstandard für die Diagnostik eines Harnwegsinfektes umfasst neben der Anamnese mit der Erhebung der Beschwerdesymptomatik sowie des klinischen Befundes in der Harndiagnostik (Urinteststreifen und/oder Mikro skopie: Leukozyturie) auch die Keim- und Resistenzbestimmung. Je nach der Art der Uringewinnung werden bei Nachweis von nur einer Bakterienspezies Keimzahlen ab 10 3 /ml als signifikant in Korrelation zur Klinik angesehen [9]. 18

Tab. 3 Algorithmus der Diagnostik einer akuten unkomplizierten Zystitis bei Patienten mit Diabetes mellitus ohne relevante Risiken (HbA 1c 7,5 %) bis zur empirischen Therapie. Frauen Männer Anamnese und Symptomatik typisch für akute Zystitis Pyelonephritis und komplizierte Harnwegsinfektion ausgeschlossen Acute Cystitis Symptom Score (ACSS) deutsche Validierung klinische symptombezogene Untersuchung bei Erstvorstellung Verzicht auf Harndiagnostik möglich bei Bedarf Ausschluss einer diabetogenen neurogenen Blasenfunk tionsstörung empirische Therapie Akute unkomplizierte Zystitis Für eine gruppenspezifische diagnostische Strategie wird wie für die Standardgruppe (s. o.) gemäß den Leitlinien (Update, Konsultationsfassung) für Diabetikerinnen ohne relevante Risikofaktoren folgendes Prozedere empfohlen [9]: Eine Diagnosestellung allein aufgrund klinischer Kriterien ist mit einer Fehlerquote von einem Drittel behaftet. Selbst der Einsatz niedrigschwelliger Testinstrumente wie Urinteststreifen vermag die diagnostische Ungenauigkeit nur minimal zu vermindern. Eine flächendeckende mikrobiologische Diagnostik gilt jedoch für dieses Patientenklientel als im Alltag nicht praktikabel. Mithilfe der deutschen Validierung des Fragebogens Acute Cystitis Symptom Score [17] kann die Diagnose einer unkomplizierten Zystitis bei Deutsch sprechenden Patientinnen aufgrund klinischer Kriterien jedoch mit hoher Sicherheit gestellt, der Schweregrad der Beschwerden eingeschätzt und der Verlauf beobachtet werden [18]. Eine klinische symptombezogene Untersuchung ist nur im Rahmen einer Erstvorstellung erforderlich, auf die weitere Harndiagnostik kann hier verzichtet werden. Diese Patientinnen werden der empirischen Therapie zugeführt. Bei Männern sollte die Diagnostik eine rektale Untersuchung und eine Keim- und Resistenzbestimmung beinhalten, um eine komplizierte Harnweginfektion ausschließen und eine akute unkomplizierte Zystitis diagnostizieren zu können (Tab. 3). Pyelonephritis Anamnese und Symptomatik typisch für eine akute unkomplizierte Zystitis (selten) Pyelonephritis und komplizierte Harnwegsinfektion ausgeschlossen Ausschluss von Urethritis und sexuell übertragbaren Krankheiten (Gonokokken, Chlamydien) klinische Untersuchung mit RU Harndiagnostik Keim- und Resistenzbestimmung Ausschluss einer diabetogenen neurogenen Blasenfunktionsstörung oder einer Symptomatik der unteren Harnwege (LUTS) gezielte antimikrobielle Therapie empirische Therapie möglich, wenn akute unkomplizierte Zystitis Die klinische Symptomatik weist meist auf eine Beteiligung des oberen Harntraktes hin, sodass die weiterführende Diagnostik mit einer Keim- und Resistenzbestimmung und die Sonografie zum Ausschluss von komplizierenden Faktoren am unteren und/oder oberen Harntrakt (Restharnbildung, Harnstauung, Urolithiasis u. a.) indiziert sind. Von einer komplizierten Harnwegsinfektion ist bei instabiler Stoffwechselsituation, bei diabetischen Spätkomplikationen, bei Anomalien des Harntraktes und fast immer bei älteren Männern (> 60 Jahre) [9] auszugehen. Hinweise auf eine komplizierte Pyelonephritis sind: eine Verstärkung der Insulinresistenz mit einer Verschlechterung der metabolischen Fehlsteuerung (HbA 1c > 9 %, Neigung zu Hyper- und Hpoglykämien, Body-Mass-Index (BMI) > 30 kg/m 2 ) eine manifeste diabetische Nephropathie ab Stadium II [19] (Albuminausscheidung > 200 mg/l, glomeruläre Filtrationsrate (GFR) 60 89 ml/min) Wird eine komplizierte Pyelonephritis vermutet, sind die nachfolgenden Maßnahmen angezeigt: bildgebende Diagnostik mit Magnetresonanz- und/ oder Computertomogramm je nach Fragestellung (Cave: Kontrastmittel) Labor: Überpüfung des diabetischen Stoffwechsels, Blutbild, Entzündungsparameter (C-reaktives Protein [CRP], Procalcitonin), Gerinnung, Nierenfunktion, Leberfunktion, Elektrolyte, Blutgasanalyse Blutkultur bei schwerer Pyelonephritis und insbesondere bei Verdacht auf Sepsis Je nach Bedrohlichkeit des klinischen Krankheitsbildes, insbesondere wenn urologische Komplikationen eine Rolle spielen, ist die Einweisung des Patienten in die Klinik ratsam, um einer Sepsis zuvorzukommen. In diesen Fällen muss parenteral therapiert werden sowohl im Hinblick auf den Diabetes mellitus als auch auf den Harnwegsinfekt. Es darf nicht vergessen werden, dass die metabolische Entgleisung gerade bei älteren Menschen das einzige und/oder deutlichste Symptom für eine komplizierte Harnwegsinfektion sein kann. Bei den komplizierten 19

Tab. 4 Empfehlung für eine empirische antimikrobielle Kurzzeittherapie bei akuten unkomplizierten Zystitiden bei Diabetikerinnen ohne relevante Risikofaktoren [9]. Substanz Dosierung Therapiedauer Therapie der 1. Wahl Fosfomycin-Trometamol 3000 mg 1-mal pro Tag 1 Tag Nitrofurantoin 50 mg 4-mal pro Tag 7 Tage Nitrofurantoin RT 100 mg 2-mal pro Tag 5 Tage Nitroxolin 250 mg 3-mal pro Tag 5 Tage Pivmecillinam 400 mg 2-mal pr Tag 3 Tage keine Therapie der 1. Wahl Cefpodoximpraxetil 100 mg 2-mal pro Tag 3 Tage Ciprofloxacin 250 mg 2-mal pro Tag 3 Tage Levofloxacin 250 mg 1-mal pro Tag 3 Tage Norfloxacin 400 mg 2-mal pro Tag 3 Tage Ofloxacin 200 mg 2-mal pro Tag 3 Tage Trimethoprim nur 1. Wahl, wenn regionale Resistenzrate gegen E. coli < 20 % Trimethoprim 200 mg 2-mal pro Tag 3 Tage Darstellung der Substanznamen in alphabetischer Reihenfolge. Harnwegsinfektionen muss mit einem veränderten Erregerspektrum gerechnet werden, unter anderem Enterobacteriaceae (60 75 %) am häufigsten E. coli (ca. 32 %) Klebsiella Proteus Serratia Enterobacter Pseudomonas (ca. 6 %) grampositive Kokken (ca. 25 %) Staphylococcus Enterococcus Empirische Therapie akuter unkomplizierter Zystitiden Gesunde Diabetiker ohne relevante Risikofaktoren Ärzte, die Harnwegsinfektionen bei Menschen mit Diabetes ohne relevante Risikofaktoren (HbA 1c 7,5 %) [3, 20] behandeln, sollten das Erregerspektrum und die Resistenzentwicklung in ihrer Region kennen (z.b. Auswertungen des regionalen Labors ) [1]. Bei einer regionalen Resistenzrate für ein bestimmtes Antibiotikum von über 20 % eignet sich dieses nicht für eine empirische Therapie, sodass ein anderes gewählt werden [21] oder das Ergebnis der Keimund Resistenz bestimmung abgewartet werden sollte. Kriterien für die Auswahl des Antibiotikums (Tab. 4): individuelles Risiko des Patienten (z. B. Allergien, Unverträglichkeiten, Einschränkung der Nierenfunktion) Erregerspektrum und Antibiotikaempfindlichkeit (dynamischer Prozess mit zeitlichen und örtlichen Schwankungen, s. o.) Effektivität der antimikro biellen Substanz (Beleg durch klinische Studien, Ausscheidung über den Harntrakt) unerwünschte Arzneimittelwirkungen (zugelassene Indikationen und Kontraindikationen, Beachtung von Besonderheiten laut Fachinformationen) Auswirkung auf die individuelle Resistenzsituation des Patienten nach vorangegangenen antimikrobiellen Therapien (epidemiologische Auswirkungen, Resistenzentwicklung, Begünstigung von Resistenzen anderer Antibiotikagruppen wie ESBL, MRSA, MRSE, VRE, Kolitis durch Clostridium difficile) Stabile Diabetiker Für die empirische Therapie akuter unkomplizierter Zystitiden bei stabilen Diabetikern werden in Anbetracht der hohen Empfindlichkeitsraten unter Beachtung der vorgegebenen Anwendungsbeschränkungen Fosfomycin, Nitrofurantoin, Nitroxolin oder Pivmecillinam angeraten. Pivmecillinam ist in Deutschland seit 2016 als X-Systo im Handel. Die Gefahr von mikrobiologischen Kollateralschäden ist gering. Timethoprim wird dann als Therapie der 1. Wahl empfohlen, wenn die Resistenzrate gegen über E. coli unter 20 % liegt. Cotrimoxazol besitzt regional unterschiedlich hohe Resistenzraten und ist wegen der Neigung zu hypoglykämischen Regulationsstörungen bei Diabetikern kritisch zu bewerten. 20

Bei Fluorchinolonen und Cephalosporinen ist die Gefahr mikrobiologischer Kollateralschäden am höchsten. Solange therapeutische Alternativen mit vergleichbarer Effizienz und akzeptablem Nebenwirkungsspektrum bestehen, sind Fluorchinolone und Cephalosporine demnach Infektionen höherer Schweregrade vorbehalten. Sie sind deshalb für die Behandlung der akuten unkomplizierten Zystitis nicht erste Wahl es sei denn, es gäbe keine Alternative. Mit einer antimikrobiellen Therapie lässt sich bei akuten unkomplizierten Zystitiden schnell eine Beschwerdefreiheit erreichen. 25 % der Zystitiden heilen spontan. Ein fortschreitendes Schädigungsrisiko besteht bei dieser Erkrankung nicht, sodass eine analgetische bzw. antiphlogistische symptomatische Therapie oder eine Behandlung mit Phytotherapeutika als nicht antimikrobielle Alternative diskutiert werden können. Das Erreichen der Beschwerdefreiheit nimmt dann allerdings etwas mehr Zeit in Anspruch und verlängert den Leidensdruck bei den betroffenen Patientinnen. Prospektive Studien sind zu dieser Fragestellung in Gang [18]. FAZIT FÜR DIE PRAXIS Die Harnwegsinfektion ist eine der häufigsten Infektionen weltweit. Die häufigsten Verursacher sind uropathogene E. coli auch bei Diabetes mellitus. Mit Dauer der diabetischen Erkrankung steigt das HWI-Risiko. Im Zeitalter zunehmender Resistenzen sind empirische Therapien nur bei seltenen Episoden von unkomplizierten Harnwegsinfektionen (akute unkomplizierte Zystitiden) angemessen, sofern die Resistenzentwicklung des Umfeldes bekannt ist (Studien regionales Labor, Resistenzrate < 20 %). Eine antimikrobielle Therapie einer asymptomatischen Bakteriurie (kommensale E. coli) ist bei Menschen mit Diabetes mellitus, die keine relevanten Risiken aufweisen (HbA 1c 7,5 %) nicht indiziert. Es besteht weder ein Risiko zur Verschlechterung der Nierenfunktion noch der Stoffwechselfunktion. Bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen des oberen Harntrakts sollte bei Diabetikern eine Keim- und Resistenzbestimmung vor Beginn der antimikrobiellen Therapie angestrebt werden. Die Therapie kann dann je nach Dringlichkeit und Risiko empirisch beginnen. Frühzeitige Rezidive einer Harnwegsinfektion (< 2 Wochen) können Ausdruck einer unzureichenden Primärtherapie (mangelnde Adhärenz) sein. Gegebenenfalls muss nach nicht entdeckten urologischen Anomalien gesucht werden. Sofern eine diabetogene neurogene Blasenfunktionsstörung vorliegt oder vermutet werden muss, besteht eine komplizierte Harnwegsinfektion. Empirische Therapie der unkomplizierten Pyelonephritis Vor Beginn einer Therapie der unkomplizierten Pyelonephritis bei Diabetikern sollte eine mikrobiologische Diagnostik initiiert werden, um im Falle eines Therapieversagens eine Grundlage für die Therapieadaptation zu haben. Die Therapieentscheidungen sollten entsprechend den oben genannten Kriterien evidenzbasiert getroffen werden [9, 22]. Dosierungsempfehlungen und Therapie dauer können den Leitlinien entnommen werden. Bei der Therapieplanung müssen die lokale Resistenzsituation und eine mögliche unerkannte Blasenfunktionsstörung berücksichtigt werden. Bei Männern können auch Störungen im Sinne des LUTS vorliegen, sodass begleitende Maßnahmen ergriffen werden können. Beispielsweise sollte bei hohen Restharnwerten durch einen intermittierenden Einmalkatheterismus für die regelmäße vollständige Blasenentleerung gesorgt werden, um so den entzündlichen Detritus rasch zu entfernen. Eine Prostatitis bedarf Rezidivierende Harnwegsinfektionen können eine Folge der nach intrazellulärer Invasion entstandenen Reservoirbildung von uropathogenen E. coli oder ein Symptom einer diabetogenen neurogenen Blasenfunktionsstörung sein. Es gibt eine Vielzahl von Verhaltensratschlägen und von nicht antibiotischen und phytotherapeutischen Prophylaxemaßnahmen für rezidivierende Harnwegsinfektionen, die auch für Diabetiker geeignet sein könnten. Nur wenige sind allerdings evidenzbasiert und werden auch von den Leitlinien gremien empfohlen [9]. Eine antimikrobielle Langzeitprophylaxe ist nur indiziert, wenn alle anderen Maßnahmen versagen. Dies kann bei Diabetikern mit einem erhöhten Risiko für Harnwegsinfektionen der Fall sein. Ciprofloxacin oder Cefalosporine sollen für die antimikrobielle Prophylaxe aufgrund des potenziell entstehenden, mikrobiologischen Kollateralschadens nicht verwendet werden. Die komplizierte Harnwegsinfektion ist eine Notfallsituation, die eine klinische Behandlung mit Diagnostik und Therapie der urologischen Anomalie nach initialer mikrobiologischer Diagnostik und einen kalkulierten empirischen Therapiebeginn erfordert insbesondere beim Diabetiker mit metabolischer Fehlregulation. Nach einer erfolgreichen empirischen Therapie einer unkomplizierten Harnwegsinfektion ist eine Nachsorge in der Regel nicht erforderlich. Ein Screening sollte aber nach Rezidiven und nach komplizierten Harnwegsinfektionen stattfinden. 21

AMBULANT ACQUIRED BACTERIAL URINARY TRACT INFECTIONS IN DIABETES MELLITUS RECOMMENDA- TIONS FOR CLINICAL PRACTICE Diabetics have an increased risk of urinary tract infections, especially in diabetic neurogenic bladder dysfunction (DNBD). Urinary tract infections are almost exclusively ascending infections. They have to be differentiated in infections of the lower and upper urinary tract and in complicated and uncomplicated infections. Patients are defined for group specific diagnostic strategy and for empiric therapy. Diabetics without identified risk factors (HbA 1c 7,5 %) match this group. An empiric therapy takes place for uncomplicated UTI in diabetics without identified risk factors. Planning the therapy one has to keep in mind undetected DNBD. In that case one must not talk about uncomplicated UTI. Urodynamic evaluation is mandatory. Therapy has to be done according the result of microbiological diagnostic. KEY WORDS urinary tract infection diabetes mellitus acute uncomplicated cystitis acute uncomplicated pyelonephritis complicated urinary tract infection uropathogenic Escherichia coli (UPEC) einer entsprechenden Therapie, wozu Ciprofloxacin 2-mal 500 mg über 14 Tage empfohlen wird [9]. Rezidivierende Harnweginfektionen Von rezidivierenden Harnwegsinfektionen (rhwi) spricht man, wenn mehr als 2 Infektionen im Verlauf von 6 Monaten oder mehr als 3 Infektionen im Laufe eines Jahres auftreten [18]. Die Akuttherapie entspricht der bei unkomplizierten HWI, ausgeschlossen werden sollten Risikofaktoren, wie Keimwechsel eingeschränkte Adhärenz Pathologie des Harntraktes (Steine, vesikourethraler Reflux, andere Anomalien, Neoplasien je nach Lebens alter) unzureichend therapierter Diabetes mellitus Blasenfunktionsstörungen Fremdkörper im Harntrakt (z. B. Katheter) Zusammenhang mit Sexualleben? Körperhygiene? unzureichende Therapie einer Prostatitis/Prostatasteine, Adhärenz? Beteiligung von Darmsegmenten (Blasenaugmentation, Neoblase) Bestätigen sich die genannten Risikofaktoren, sollte nicht mehr von einer unkomplizierten Harnwegsinfektion gesprochen werden. Falls ein Keimwechsel vermutet werden muss, gilt es, die Therapie gemäß der Keim- und Resistenzbestimmung einzuleiten. Sie sollte in diesem Fall nicht empirisch durchgeführt werden. Die zur Adhäsion und intrazellulären Invasion des Urothels befähigten uropathogenen E.-coli-Stämme bilden Keim reservoire, die viele antimikrobielle Therapieoptionen nicht erreichen. Eine Ausnahme ist hier Ciprofloxacin. Das in der aufsteigenden Henle schen Schleife gebildete Tamm-Horsfall-Glukoprotein [23] kann die Adhäsionsbereitschaft allerdings mindern. Deshalb sollte eine exzessive Dilu tion durch eine zu hohe Flüssigkeitszufuhr vermieden werden, um diesen Schutzfaktor nicht wegzuspülen. Eine Biofilmbildung an Fremdkörpern begünstigt Harnwegsinfektionen. Es gibt eine Reihe prophylaktischer Maßnahmen, die nur zum Teil evidenzbasiert sind [9]. Aufgrund des möglichen mi krobiologischen Kollateralschadens gerade bei Fluorchinolonen und Cephalosporinen sollten diese nicht prophylaktisch eingesetzt werden [9]. Zum Thema der HWI-Prophylaxe gibt es mehrere, gute Publikationen [9, 24 26]. Interessenkonflikt Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Korrespondenzadresse Literatur Dr. Johannes Kutzenberger Fontanestraße 16 34596 Bad Zwesten jfkutzenberger@aol.com [1] Geerlings SE. Urinary tract infections in patients with diabetes mellitus: epidemiology, pathogenesis and treatment. Int J Antimicrob Agents 2008; 31: S54 S57 [2] Nicolle LE, Friesen D, Harding GKM, Roos LL. Hospitalization for acute pyelonephritis in Manitoba, Canada, during the period from 1989 to 1992: Impact of diabetes, pregnancy, and aborginal origin. Clin Infect Dis 1996; 22: 1051 1056 [3] Fünfstück R, Nicolle LE, Hanefeld M, Stein G. Ursachen und Folgen von Harnwegsinfektionen bei Diabetes mellitus. Chemother J 2011; 20: 193 199 [4] Wagenlehner FME, Naber KG, Fünfstück R et al. Epidemiologie, Diagnostik, Therapie und Management unkomplizierter bakteriell ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten. In: S3-Leitlinie Harnwegsinfektionen. AWMF-Register-Nr 043/044, 2010 [5] Boyko EJ, Fihn SD, Scholes D et al. Risk of urinary tract infection and asymptomatic bacteriuria among diabetic and nondiabetic menopausal women. Am J Epidemiol 2005; 161: 557 564 [6] Meiland R, Geerlings SE, Hoepelman AIM. Management of bacterial urinary tract infections in adult patients with diabetes mellitus. Drugs 2002; 62: 1859 1868 [7] Naber KG, Schito G, Botto H et al. Surveillance study in Europe and Brazil on clinical aspects and antimicrobial resistance epidemiology in females with cystitis (ARESC): Implications 22

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