Ethische Aspekte der Genomveränderung im außerhumanen Bereich Vortrag 5. DBV-Ackerbautagung 2017 23. Mai 2017, Berlin Dr. Stephan Schleissing, Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften an der LMU München
Der Hamlet-Monolog To be, or not to be, that is the question: Whether 'tis nobler in the mind to suffer The slings and arrows of outrageous fortune, Or to take arms against a sea of troubles, And by opposing, end them? To die: to sleep; Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage: Ob s edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern Des wütenden Geschicks erdulden oder, Sich waffnend gegen eine See von Plagen, Durch Widerstand sie enden? Sterben schlafen And makes us rather bear those ills we have Than fly to others that we know not of? Thus conscience does make cowards of us all; Daß wir die Übel, die wir haben, lieber Ertragen als zu unbekannten fliehn. So macht Bewußtsein Feige aus uns allen;
TTN-Projekte & Publikationen zur Debatte um die Gentechnik in der Landwirtschaft
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Gliederung des Vortrags 1. Experten-Umfrage: Der gesellschaftliche Diskurs um Genome Editing: Wie Experten über Nutzen, Werte und Chancen urteilen 2. Was meint natürlich in der Diskussion um Genome Editing Natürlichkeit als Argument in Risikodebatten Natürlichkeit als Wert 3. Selbstbestimmung und Ernährung: Wahlfreiheit als Wert
1. Wie Experten über Nutzen, Werte und Chancen urteilen Online-Umfrage (März-April 2017) 112 Experten deutschlandweit aus den Disziplinen der Pflanzen- und Tierwissenschaften, Agrar- und Umweltwissenschaften, Soziologie, Recht- und Politikwissenschaften, Ökonomie, Philosophie und Ethik sowie relevante Verbände und zivilgesellschaftliche Organisationen Thema Genome Editing und Wahlfreiheit (Ethisches Teilprojekt im BMBF- Verbundprojekt Genome Editing in der Agrarwirtschaft, 2016-2019) Teilnehmer 31 Experten 24 Fragen (Multiple Choice und Freitext), ca 30-40 Minuten Abschließende Frage: Welche Empfehlung für den Einsatz von Genome Editing (GE) in der Landwirtschaft würden Sie in ethischer Hinsicht geben? Insgesamt 2/3 halten den Einsatz von GE für ratsam bzw. sogar aus moralischen Gründen für geboten ; 1/3 bewertet GE als neutral oder bedenklich
1. Wie Experten über Nutzen, Werte und Chancen urteilen Frage: Welche gesellschaftlichen Werte und Ziele SOLLTEN in der öffentlichen Debatte als relevant gesetzt werden und welche Werte WERDEN die Debatte mutmaßlich prägen? Antwort (6 Begriffe zur Auswahl) SOLLTEN: Verfügbarkeit von Nahrung Nachhaltigkeit Gesundheitliche Unbedenklichkeit WERDEN: Gesundheitliche Unbedenklichkeit Selbstbestimmung beim Konsum
1. Wie Experten über Nutzen, Werte und Chancen urteilen Frage: Um die "Grüne Gentechnik" gab es in Deutschland eine kontroverse Debatte. Erwarten Sie, dass sich die künftige Debatte um Genome Editing (GE) in der Landwirtschaft von dieser unterscheiden wird? Antworten: Nein, da die eigentliche Debatte stark ideologisch/weltanschaulich geprägt ist und auf der Seite der Kritiker weitgehend unabhängig von harten wissenschaftlichen Fakten geführt wird. Nein. Gleiche Lagerbildung, gleiche Fronten. Ja, da Pflanzen, die mit GE hergestellt, sind oftmals nicht von natürlich auftretenden Mutationen zu unterscheiden - anders als bei den bisherigen gentechnisch veränderten Pflanzen. Ein Nachweis "GE-Frei" ist somit in der Qualitätskontrolle oft nicht möglich.
1. Wie Experten über Nutzen, Werte und Chancen urteilen Antworten: In der medialen Debatte ist keine Differenz zwischen GE und GMO-Kontroverse zu erwarten. Dies war auch in der synthetischen Biologie zu beobachten: In den Medien bzw. in den durchgeführten Bürgerbeteiligungsverfahren (v.a. in England) waren keine Differenzen zu GMO zu erkennen. Unterschiede zwischen GE und GMO hinsichtlich der öffentlichen Thematisierung könnten sich ergeben, wenn der Präzisionsaspekt ("die Zeit der Gen-Bastelei ist vorbei") bzw. der Natürlichkeitsaspekt ("GE ist im Ergebnis wie Natur") im Fokus stehen. Die Saatgutindustrie versucht heute durch neues Wording wie "naturidentisch oder rewildening" auszublenden, dass die Methode des Gene editing eine gentechnologische Methode ist. Es ist unglaubwürdig, wenn einerseits proklamiert wird, dass mit der neuen Technik die Züchtung revolutioniert wird, aber gleichzeitig nichts anderes gemacht wird, was die Natur sowieso mache.
1. Wie Experten über Nutzen, Werte und Chancen urteilen Frage: Bei welchen Anliegen erwarten Sie die größten Einwände gegenüber landwirtschaftlichen Produkten, die mittels Genome Editing (GE) hergestellt werden? (9 Anliegen zur Auswahl, mehrfach Ankreuzen möglich) Antwort: Gesundheit (77 %) Umwelt- und Artenschutz (81 %) Natürlichkeit (100 %)
2. Was meint natürlich in der Diskussion um Genome Editing? 1. Natürlichkeit als Argument in Risikodebatten? Definition GVO: Ein genetisch veränderter Organismus (GVO) ist ein Organismus mit Ausnahme des Menschen, dessen genetisches Material so verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise durch Kreuzen und/oder natürliche Rekombination nicht möglich ist. (RICHTLINIE 2001/18/EG, Art 2)
Zwei Lesarten des Vorsorgeprinzips Starke Lesart Umkehr der Beweislast Schwache Lesart Beibehalten der Beweislast Betonung des Nichtwissens (Ungewissheit über Folgen) Führe eine sorgfältige Risikoanalyse durch! (Risikovergleich zentral) Enthalte dich im Zweifel! Sorge vor, aber handle! Vgl. Klaus Peter Rippe: Vorsorge als umweltethisches Leitprinzip, online unter http://www.ekah.admin.ch/fileadmin/ekah-dateien/dokumentation/gutachten/d-gutachten-vorsorge-leitprinzip-2001.pdf
2. Was meint natürlich in der Diskussion um Genome Editing? Thesen zum ethischen Wert des Vorsorgeprinzips: 1. Das Vorsorgeprinzip bleibt auf die Expertise der wissenschaftlichen Risikobewertung angewiesen. Es dient dazu, dass notwendige Vertrauen in die Wissenschaft und die Qualitätsstandards der biologischen Sicherheitsforschung zu fördern. 2. Das Vorsorgeprinzip als politisches Prinzip: Es ist legitim, nicht nur ungefähre Schadensszenarien in den Blick zu nehmen, sondern auch den möglichen Nutzen der Anwendung einer neuen Technologie mitabzuwägen. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Verantwortliche Vorsorge nimmt nicht nur die Abwehr unerwünschter Folgen in den Blick. Sie stellt sich auch der Frage, welche neuen Ungerechtigkeiten dadurch entstehen oder bestehen bleiben, dass ein möglicher Fortschritt durch Nichthandeln gerade verhindert wird. 3. Vorsorge und Innovation sind nicht Gegensätze. Aus einer verantwortungsethischen Sicht sind beide Grundsätze auf einander zu beziehen.
2. Was meint natürlich in der Diskussion um Genome Editing? Aber: Was hat das Natürliche mit der Frage nach einer verantwortlichen Vorsorge zu tun? Was lehrt die Unterscheidung zwischen künstlich und natürlich in Sicherheitsfragen? Wann ist eine große technische Eingriffstiefe potenziell riskanter, wann präziser bei der Zielerreichung? Wieviel Erfahrungswissen ist notwendig, um den Fokus mehr auf das Produkt anstatt den Prozess der Herstellung eines neuen Organismus zu legen? Wie verhält sich der Naturbegriff der Naturwissenschaften zum Wert des Natürlichen?
2. Was meint natürlich in der Diskussion um Genome Editing? 2. Natürlichkeit als Wert: 3 Aspekte (1) Nachhaltigkeit Erhaltung der natürlichen Ressourcen (Kreislaufmodell) Generationengerechtigkeit Nachhaltigkeitschancen von Genome Editing: Resistente Nutzpflanzen brauchen weniger Pestizide (z.b. pilzresistente Weizensorten) z.b. allergenfrei Milch Wassernutzungseffizenz von Pflanzen Biodiversität? (2) Tierwohl Verbesserung der Tiergesundheit in der Nutztierhaltung (z.b. hornlose Rinder, Resistenz gegen Schweinegrippevirus etc.)
2. Was meint natürlich in der Diskussion um Genome Editing? (3) Natürliche Mannigfaltigkeit warum ist sie wichtig? Wir verstehen, was gut ist, nur im Blick auf eine Welt, die uns schätzens-wert, bejahenswert, erstrebenswert erscheint eine Erscheinung, die sich in der Erfahrung bewährt hat. Natürliche Mannigfaltigkeit ist ein grundlegender Wertaspekt eines holistisch verstandenen Guten. (Ludwig Siep) Werte gehen nicht in individuellem oder kollektivem Nutzen auf Auch kulturelle Mannigfaltigkeit als Wert (Engl. Garten, Schönheit menschlicher Züchtungen, ästhetische Naturerfahrung) Natürlichkeit als Formulierung konventioneller Wahrnehmung, die entweder den Common sense stärken will oder als Kritik gegen technischen Fortschritt eingesetzt wird Toleranz auch für irrationale Wertentscheidungen?
3. Selbstbestimmung und Ernährung: Wahlfreiheit als Wert Statement von Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, auf dem Berliner Symposium Brauchen wir eine neue Gentechnik-Definition (02/2017): Kulturelles Unbehagen kann nicht einfach verboten werden. Vielleicht muss man deshalb nach Regeln suchen, die das kulturelle Unbehagen aufgreifen. (ohne deshalb wissenschaftliche Kriterien zu ignorieren oder vor Änderungen am Gentechnikrecht zurückzuschrecken)
3. Selbstbestimmung und Ernährung: Wahlfreiheit als Wert Gentechnikgesetz: Kennzeichnungspflicht gentechnischer veränderter Organismen Diskussion von (Wahl)Freiheit als Weg der Konfliktmoderationen?! Selbstbestimmung: Fähigkeit, frei darüber bestimmen zu können, wie man sein Leben führt. 3 Ebenen: 1. individuelle Ebene: Entscheidungsfreiheit über eigene Ernährung: Essen als kulturelles Gut 2. Entscheidungsfreiheit von Landwirten über Anbaumethoden: Wirtschaftliche Betätigungsfreiheit als Wert 3. Entscheidungsfreiheit auf der Ebene von Gemeinschaften: Versorgungssicherheit und nachhaltige Landwirtschaft
3. Selbstbestimmung und Ernährung: Wahlfreiheit als Wert Wahl(Freiheit) im Konflikt: Kollision zwischen Selbstbestimmung auf individueller und gemeinschaftlicher Ebene Wie ist ein Ausgleich zwischen negativer Freiheit (äußerem Zwang) und sozialer Freiheit (Anforderung an Nachhaltigkeit und Nahrungssicherheit als Voraussetzung für individuelle Selbstbestimmung) möglich? Probleme der aktuellen GVO-Kennzeichnung: auf Seiten der Konsumenten: Alternative zwischen Gefahr (Gentechnik) und Unbedenklichkeit (ohne Gentechnik) trotz wissenschaftlicher Risikoprüfung und erfolgter Zulassungsgenehmigung! Widerspruch zu Zwecksetzung des Gentechnikgesetzes: Zweck des Gesetzes ist es, die Möglichkeit zu gewährleisten, dass Produkte, insbesondere Lebens- und Futtermittel, konventionell, ökologisch oder unter Einsatz gentechnisch veränderter Organismen erzeugt und in den Verkehr gebracht werden können (Abs. 2)
3. Selbstbestimmung und Ernährung: Wahlfreiheit als Wert Alternative: Kennzeichnung muss dem Verbraucher eine Güterabwägung ermöglichen, die ihn dazu auffordert, nach seinen eigenen Wertpräferenzen zu entscheiden Online-Umfrage: Wann ist der Wahlfreiheit gegenüber genom-editierten Produkten (GE) genüge getan? (Mehrfachvotum möglich) 20 % GE als GVO gekennzeichnet 20 % eigene Kennzeichnung für GE 35 % Produkte erhältlich sind, bei denen ausgeschlossen werden kann, dass GE zum Einsatz kam 35 % keine Kennzeichnung von GE
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