GRUNDRECHTSTRÄGERINNEN

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Symposium Bettelverbote (Initiative Minderheiten und Bettellobby Tirol mit Unterstützung der TKI open 2014 und in Kooperation mit dem Arbeitskreis Wissenschaft und Verantwortung der LFUI) Bäckerei, 5.4.2014 Vorweg: Zusammenfassung: Amtsf.StR Mag. Gerhard Fritz Stv. KO GRin Mag. a Kathrin Heis DIE INNSBRUCKER GRÜNEN Der VfGH hat in mehreren Erkenntnissen aus 2012 (zu verschiedenen Landesgesetzen) ausgesprochen, dass ein Verbot des stillen Bettelns verfassungswidrig ist, weil es das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung verletzt (darunter fällt eben auch: darauf aufmerksam machen, dass es einem/r dreckig geht, und um ein Almosen zur Linderung einer Notlage bitten) das Gleichbehandlungsgebot (den Gleichheitssatz) verletzt, insofern andere durchaus gebräuchliche Nutzungen des öffentlichen Raums (die für mehrere oder viele ebenso subjektiv eine Belästigung darstellen können das hat halt die Nutzung des öffentlichen Raums so an sich) nicht vergleichbaren Restriktionen oder Reglementierungen unterworfen sind (Bsp: Verteilen von Gutscheinen für Gastronomie oder Waren vor Einkaufszentren, Keilen von Spenden [ Du hast doch zwei Minuten Zeit für die Rettung der Antarktis ] oder Unterstützungserklärungen für Wahlen, Volksbegehren, Petitionen, Verteilen von Flugschriften ) D.h.: BettlerInnen sind nicht ein zu entfernendes Problem, sondern GRUNDRECHTSTRÄGERINNEN. Jegliche Einschränkung und Reglementierung hat sich am Maßstab der Grundrechte messen zu lassen (d.h. Einschränkung durch Gesetze nur, soweit aus zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses erforderlich, effektiv und verhältnismäßig). Der VfGH findet es zumutbar, dass BürgerInnen im öffentlichen Raum mit dem Gesicht des sozialen Elends konfrontiert werden (das es in unserer Gesellschaft zwangsläufig auch gibt); mag dies auch subjektiv als Belästigung empfunden werden, es ist hinzunehmen. (Zumal etwa das soziale Elend in osteuropäischen Transformationsländern, also den Herkunftsländern vieler BettlerInnen, durchaus ursächlich mit unserem relativen Reichtum zusammenhängt, wie ein Referent ausführte: Die geschlossene Zuckerfabrik, die ein ganzes Dorf in der Südslowakei in Arbeitslosigkeit und Not gestürzt hat, ist ein Produkt der Heuschrecken-Tätigkeit der österreichischen Agrana.)

VfSlg. 19.662 Dass derartige Mitteilungen als belästigend, ja unter Umständen auch als störend oder schockierend empfunden werden, ändert ebenso wenig etwas am grundsätzlichen Schutz derartiger kommunikativer Verhaltensweisen durch Art10 EMRK (EGMR 7.12.1976, Fall Handyside, Appl. 5493/72, Z43 ff; 24.5.1988, Fall Müller, Appl. 10.737/84, Z27 ff; VfSlg. 10.700/1985) wie der Umstand, dass diese primär aus finanziellen Antrieben gesetzt werden (EGMR 24.2.1994, Fall Casado Coca, Appl. 15.450/89, Z35). Der VfGH hat grundsätzlich keinen Einwand gegen das Verbot qualifizierter Formen des Bettelns und stellt entsprechende landesgesetzliche Regelungen nicht grundsätzlich unter den Verdacht, das Bestimmtheitsgebot zu verletzen (wenn auch die Definition im Einzelfall problematisch sein kann). Der VfGH hat sich mit dieser eher oberflächlichen Lösung um eine eingehendere Befassung gedrückt, zukünftige Beschwerden gegen Strafen wegen qualifizierter Formen des Bettelns könnten durchaus noch zu einer (für die Landesgesetzgeber) restriktiveren Grundrechts-Judikatur führen. Slg: 19.662 Die Salzburger Landesregierung beruft sich zur Rechtfertigung des 29 Abs1 S-LSG auf die Aufrechterhaltung der Ordnung und auf den Schutz der Rechte anderer. Wie oben bereits dargelegt, vermögen aber diese Gründe das Verbot auch stiller Formen der Bettelei, also des dargestellten "Erbittens" von Hilfe, nicht zu rechtfertigen. Dieses an öffentlichen Orten ausnahmslos zu verbieten, ist in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig (anders, als dies bei qualifizierten Formen des Bettelns, auch wenn sie mit kommunikativem Verhalten verbunden sind, der Fall ist, siehe VfGH 30.6.2012, G132/11, und oben Punkt 4). 29 Abs1 S-LSG verstößt daher aus diesem Grund auch gegen Art10 EMRK. Slg. 19665. G132/11 vom 30.6.12 Kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot; Auslegung der teilweise sprachlich misslungenen Bestimmungen möglich. Nicht anders als bei Landesgesetzen, die eine Verletzung des öffentlichen Anstandes dann sanktionieren, wenn ein grober Verstoß gegen die guten Sitten vorliegt ( 1 Abs2 Oö. Polizeistrafgesetz, vgl. idz auch VfSlg. 11.776/1988), ist der Verfassungsgerichtshof der Auffassung, dass nach den obgenannten Kriterien diese Straftatbestände einer Auslegung zugänglich sind. Die Regelung des Verbotes des aufdringlichen oder aggressiven Bettelns an öffentlichen Orten oder von Tür zu Tür zielt darauf ab, eine besonders aktive, insistierende Form des Bettelns zu verbieten, nicht aber stille Formen des Bettelns zu erfassen. Auch der Umstand, dass der Gesetzgeber das Betteln in 1a Abs1 bis 3 Oö. Polizeistrafgesetz im Rahmen einer organisierten Gruppe oder das Veranlassen anderer zum Betteln, das Organisieren von Betteln oder das Mitführen von unmündigen Minderjährigen beim Betteln als Verwaltungsübertretung normiert, macht deutlich, dass es dem Gesetzgeber nicht darum ging, den bloßen Anblick der Bettler als den Passanten nicht zumutbare Belästigung zu "ersparen", sondern entsprechende Beschränkungen vorzusehen, um problematische Teilaspekte des Phänomens Bettelei zurückzudrängen. An dieser Beurteilung ändert auch nichts, dass die angefochtenen Bestimmungen teilweise sprachlich misslungen sind, zumal die Regelungen des 1a Abs2 und 3 Oö. Polizeistrafgesetz (restriktiv) so zu verstehen sind, dass jedenfalls nur auf die in Abs1 genannten Bettelmodalitäten in den dort genannten Begehungsformen (nämlich in aufdringlicher oder aggressiver Weise, wie durch Anfassen oder unaufgefordertes Begleiten oder Beschimpfen, an einem öffentlichen Ort oder von Ort zu Ort oder von Haus zu Haus oder als Beteiligter einer organisierten Gruppe) abgestellt wird. Die Formulierungen "in welcher Form auch immer" in Abs2 und Abs3 leg. cit. sind - vor dem Hintergrund, dass strafgesetzliche Bestimmungen nicht erweiternd ausgelegt werden dürfen (vgl. VfSlg. 8695/1979) - jedenfalls so zu verstehen, dass sie nicht jedwede Bettelmodalität (aufdringliches, aggressives, aktives, stilles Betteln) erfassen, sondern allein auf die Begehungsformen des 1a Abs1 Oö. Polizeistrafgesetz abstellen. Sohin normieren die Abs2 und 3 leg. cit. gegenüber Abs1 bloß spezielle Straftatbestände, die der Landesgesetzgeber als - wohl mit Blick auf den Unrechtsgehalt -

hervorhebenswert erachtet, nämlich den "Missbrauch" von Kindern zur Bettelei und die Organisation der Bettelei. Ein darüber hinausgehender Regelungsgehalt - wie etwa ein Verbot der stillen Bettelei - ist diesem Verwaltungsstraftatbestand nicht zusinnbar. Auch die Vorverlagerung der Strafbarkeit durch die Versuchsregelung des 1a Abs4 Oö. Polizeistrafgesetz ändert an der Bestimmtheit der Regelungen nichts. Es ist aber ein Märchen, der VfGH habe das Verbot des gewerbsmäßigen Bettelns jedenfalls gebilligt. Richtig ist, dass der VfGH einen Individualantrag gegen eine solche Bestimmung mangels persönlichen Beschwers des Antragsstellers (also mangels Antragslegitimation) durch einen Beschluss (VfSlg 19.697/2012) abgewiesen hat; er hat sich aber materiell mit dem Begriff der Gewerbsmäßigkeit nicht befasst.. Slg 19.697, Beschluss, Wien Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit bzw. Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 und 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zb VfSlg. 10.353/1985, 15.306/1998, 16.890/2003). Durch die Einbeziehung des Tatbestandes des "gewerbsmäßigen" Bettelns - neben der aufdringlichen, aggressiven oder organisierten Bettelei - in 2 Abs1 lita WLSG wollte der Wiener Landesgesetzgeber somit eine weitere unerwünschte Erscheinungsform des Bettelns verbieten. Da, wie dargetan, 2 Abs1 lit. a WLSG kein absolutes Bettelverbot normiert, sondern bloß eine weitere, qualifizierte Form der Bettelei erfasst und zumindest die stille Bettelei zur Überbrückung einer Notlage weiterhin erlaubt, trifft die antragsbegründende Prämisse der Antragstellerin, dass sie in ihrer Rechtssphäre betroffen sei, nach ihrem eigenen Vorbringen nicht zu. (Trotzdem steht in den EB einiger Landesgesetze, das Verbot gewerbsmäßigen Bettelns bzw. dessen strengere Bestrafung sei durch die Rspr des VfGH als verfassungsrechtlich unbedenklich erwiesen. (In den EB zum TLpolG ist sogar irreführend von einem Erkenntnis des VfGH die Rede.) Dass jemand, der/die nicht nur ganz kurzfristig in einer Notlage ist, zwangsläufig seinen/ihren Lebensunterhalt über längere Zeit mit Betteln verdient, könnte ja durchaus als gewerbsmäßig interpretiert werden: Er/sie wird dann für seine/ihre besonders große Not durch höhere Strafen bzw. längere Ersatzfreiheitsstrafen die bei BettlerInnen fast immer zum Primärarrest mutieren, eben weil sie die Strafe nicht zahlen können bestraft.) Die VO-Ermächtigung, quasi bettelfreie Zonen durch Gemeindeverordnung einzurichten (z.b. im TLPolG) beruht auf einer Nebenbemerkung in einem Erkenntis des VfGH, ist in der Literatur und Lehre bereits sehr umstritten und könnte einer eingehenderen verfassungsrechtlichen Prüfung durch den VfGH durchaus nicht standhalten.

Ferdinand Koller (Wien): Gegenargumente zum dominanten Diskurs Bettelverbote werden regelmäßig mit Argumenten begründet, die sich bei näherer Betrachtung als als unhaltbar, unrealistisch oder unsinnig erweisen. Charakteristisch für diese Argumente ist jedenfalls, dass sie das Betteln ausschließlich als Sicherheitsthema konstruieren (auch politisch sprechen oft die SicherheitssprecherInnen der Parteien zu diesem Thema) und damit von der nötigen Diskussion über Armut und Sozialpolitik ablenken. Schutz vor Belästigung : Im öffentlichen (speziell urbanen) Raum gibt es zahlreiche Belästigungen, die regelmäßig toleriert werden (müssen); Werbung und Spendenkeilerei z.b. sind meist viel aufdringlicher. Wo gibt es je eine Diskussion über ein Verbot des aufdringlichen Spendensammelns oder der Verteilung von Werbematerial (sei es kommerziell oder politisch)? Die Belästigung besteht hier in der puren Anwesenheit von Personen in Not (die dann noch speziell wahrgenommen werden als Fremde, Roma mit allen Klischees und Vorurteilen behaftet). Medial-politisch heißt es dann: Wir haben ja nichts gegen Betteln an sich, aber gegen Menschen, die nach Tirol kommen, um zu betteln Subtext: die nicht hier hergehören, die fremd sind ). Es braucht keine eigenen Regelungen für BettlerInnen im Sammelgesetz (Regelungen für Straßen- und Haussammlungen) steht ja auch nichts über aufdringliches Sammeln. Es braucht auch keine speziellen Regelungen für das Häufen von Bettelei, das regelt sich ökonomisch ganz von allein: 15 BettlerInnen auf 100 m wird es schlicht nicht geben (ganz ohne Organisation oder Absprachen oder Hintermänner / Hinterfrauen ), weil da keiner was verdient. BettlerInnen vor der Ausbeutung durch die Bettelmafia schützen: [Zur Genese von Bildern über die Hintermänner: Im National Geographic gab es 2012 eine Reportage über ein relativ steinreiches rumänisches Dorf: der Reichtum stammt von vielen Kunstschmieden, die dort traditionell angesiedelt sind und gute Geschäfte machen. Die Bilder dieser Reportage hat die Krone übernommen und frei erfunden als die Villen der Mafia-Hintermänner, die die BettlerInnen ausbeuten, abgedruckt (aber mit dem Quellenverweis auf das seriöse National Geographic )]. Was es zweifellos gibt, ist Selbstorganisation (Absprachen über Fahrgemeinschaften, zur Organisation von Not-Unterkünften, zur gegenseitigen Hilfe ). Es gibt aber keine empirischen Hinweise auf mafiöse Organisationsstrukturen. Wenn es sie gäbe, wäre ein Verbot erst recht sinnlos. Zur Verhinderung ausbeuterischer Strukturen gibt es zahlreiche Tatbestände im StGB (Ausbeutung, Nötigung, Erpressung, Menschenhandel) die nur eingesetzt werden müssen dafür braucht es keine Landespolizeigesetze. Wir verbieten ja auch nicht generell das Arbeiten auf Baustellen, nur weil es ausbeuterische Schwarzarbeit auf Baustellen gibt. Schließlich: Die EU-RL gegen Menschenhandel richtet sich gegen die

Viktimisierung von Opfern. Wenn es also ausbeuterische Strukturen gibt, sind die Hintermänner zu finden und zu bestrafen, nicht die Opfer doppelt zu bestrafen. Was ist schon Organisation : Betteln ist ja verfassungsrechtlich erlaubt, warum soll es ein Vergehen sein, wenn sich BettlerInnen untereinander absprechen? Bestraft würde also die soziale Interaktion von Menschen, die einer erlaubten Tätigkeit nachgehen (sh. etwa die EB zum Wiener Gesetz, die so schwammig formuliert sind, dass es den Gesetzgebern offenkundig schon selbst gruselt: diese EB sind auf der hp des Wiener Landtags nicht mehr verfügbar ) Kinder- und Jugendschutz: Ob das Kindeswohl gefährdet ist, wäre im Einzelfall zu prüfen und außerdem: Alternativen haben BettlerInnen eh nicht. Es geht also offenbar nicht darum, die Kinder zu schützen, sondern darum, sie aus unserer Stadt wegzuschaffen. BettlerInnen sind schlicht TrägerInnen von Grundrechten, d.h. jede Spezialregelung, die nicht auch alle anderen NutzerInnen des öffentlichen Raums betrifft, ist eo ipso absurd (und gleichheitswidrig). Wozu sind also Bettelverbote gut? Es sind billige Lösungen, mit denen PolitikerInnen Handlungsfähigkeit an aufgebauschten Problemen demonstrieren. Ass.Prof. in Dr. in Mag. a Barbara Weichselbaum, Institut für Staatsrecht der Universität Wien / Juridicum, und Boltzmann-Institut für Menschenrechte (barbara.weichselbaum@univie.ac.at) http://bim.lbg.ac.at/de/team/barbara-weichselbaum zur Rspr des VfGH (sh. auch schon Vorweg, S.1-2; diese Zusammenfassung stützt sich auch schon auf den Vortrag von Frau Prof. in Weichselbaum) Der VfGH ist zum stillen Betteln eindeutig und abschließend. Grundrechtlich wird mit Art 10 EMRK (Meinungs- und Kommunikationsfreiheit) argumentiert; einen Bezug zur Erwerbsfreiheit (Art 8 EMRK und StGG lehnt der VfGH ausdrücklich ab (sh. ausführlich G132/11, Oberösterreich, Slg. 19.665) G155/10 vom 30.6.2012, Sl. 19.662

Das umfassende, nicht zwischen bestimmten Formen der Bettelei differenzierende Verbot des 29 Abs1 Sbg LandessicherheitsG erfasst auch jene Formen der Bettelei, in denen ein einzelner Bettler unaufdringlich und nicht aggressiv oder überhaupt "still", nur durch schriftlichen ("Taferl") oder symbolischen ("Hut") Hinweis an einem öffentlichen Ort einen anderen Menschen um finanzielle Hilfe bittet. Öffentlichen Orten ist jedoch die Begegnung mit anderen Menschen immanent. Der Ausschluss des "stillen" Bettelns an öffentlichen Orten entbehrt im Lichte des Art7 Abs1 B-VG einer sachlichen Rechtfertigung. Verstoß des umfassenden Verbotes jeglichen Bettelns an öffentlichen Orten auch gegen Art10 EMRK. Auch ein Appell an die Solidarität und finanzielle Hilfsbereitschaft anderer ist von der Kommunikationsfreiheit des Art10 Abs1 EMRK geschützt. Eine gesetzliche Bestimmung, die auch solches verbietet, greift in die durch Art10 Abs1 EMRK geschützte Kommunikationsfreiheit derjenigen ein, die an öffentlichen Orten anderen Menschen ihre Bitte auf die dargestellte Weise unterbreiten wollen. Die Aufrechterhaltung der Ordnung und der Schutz der Rechte anderer vermögen das Verbot auch stiller Formen der Bettelei, also des "Erbittens" von Hilfe, nicht zu rechtfertigen. Dieses an öffentlichen Orten ausnahmslos zu verbieten, ist in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig. Ungelöst ist die Frage der! qualifizierten Formen des Bettelns. Die hinreichende Bestimmtheit der landesgesetzlichen Regelungen (die alle sehr ähnlich sind, weil eh einer vom anderen abgeschrieben hat) hat der VfGH etwas pauschal als gegeben erachtet. Slg 19.662 Wie der Verfassungsgerichtshof in dem Erkenntnis vom 30. Juni 2012, G132/11, dargetan hat, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, dass der Landesgesetzgeber bestimmte Formen der Bettelei verbietet, insbesondere, wenn diese Formen in besonderem Maße das Gemeinschaftsleben stören und bzw. oder dies zum Schutz bestimmter Personengruppen (wie etwa Kindern) geboten ist. In diesem Sinne hat der Verfassungsgerichtshof jedenfalls keine Bedenken gegen ein Verbot aggressiven und organisierten Bettelns, ist dies doch zur Hintanhaltung von bestimmten unerwünschten Erscheinungsformen der Bettelei ein geeignetes und auch sonst sachlich zu rechtfertigendes Mittel. Insbesondere problematisch ist das organisierte Betteln. Die Verhinderung von Ausbeutung ist eine Frage des Strafrechts (und somit eindeutig nicht Länderkompetenz) und die Organisation von Fahrgemeinschaften ist weder ordnungswidrig noch hat sie sonst einen Unwertcharakter. Ein vom VfGH mit einer Nebenbemerkung (in Salzburg, VfSlg 19.662/2012) selbst geschaffenes Problem ist die Verordnungs-Ermächtigung für Gemeinden, unter bestimmten Umständen auch das stille Betteln zu verbieten. Da ist die Rede von der Anzahl die die Benützung des öffentlichen Raums erschwert was zu einem Missstand führt oder der unmittelbar bevorsteht. Woran das genau zu messen ist, bleibt unklar (ziemlich sicher ist, dass zeitlich unbegrenzte ausgedehnte bettelfreie Zonen nicht halten werden). Es stellt sich hier ja auch wieder sofort das Gleichbehandlungsproblem: Wird z.b. das Betteln im Festspielbezirk während der Salzburger Festspiele verboten, was ist dann mit anderen auch grundsätzlich erlaubten Nutzungen des öffentlichen Raums, z.b. durch Musikfreaks, die mit

Plakaten (brauche unbedingt Karte, zahle jeden Preis ) durchaus auch den Festspielgästen im Weg stehen und sie belästigen? Auf diese Nebenbemerkung sind die Länder sofort aufgesprungen, um stilles Betteln, das ja eindeutig grundsätzlich erlaubt ist (VfSlg 19.662/2012), doch wieder zu verbieten aber NUR das stille Betteln zu verbieten, und andere Belästigungen nicht, die auch die Nutzbarkeit des öffentlichen Raums stören oder einschränken, ist ja erst recht wieder gleichheitswidrig. Slg. 19.662 Ein ausnahmsloses Verbot, als "stiller" Bettler den öffentlichen Ort zu nutzen, grenzt ohne sachliche Rechtfertigung bestimmte Menschen davon aus, öffentliche Orte wie andere zu ihrem selbstgewählten Zweck zu nutzen und verstößt daher gegen den Gleichheitsgrundsatz. Die Unsachlichkeit des ausnahmslosen Verbots zeigt sich auch darin, dass der Gesetzgeber an öffentlichen Orten eine Reihe anderer Nutzungsformen toleriert, bei denen Menschen etwa mit dem Ziel angesprochen werden, eine Spende für gemeinnützige Zwecke zu geben, Zeitungen oder Zeitschriften zu erwerben oder bestimmte Vergnügungs- oder Gastgewerbebetriebe zu besuchen. Der Ausschluss des "stillen" Bettelns an öffentlichen Orten entbehrt im Lichte des Art7 Abs1 B- VG daher einer sachlichen Rechtfertigung. Da wird es auch kompetenzrechtlich problematisch: Würde abgestellt z.b. auf die Leichtigkeit, Flüssigkeit und Sicherheit des Fußgängerverkehrs, die durch eine Anzahl von BettlerInnen (abhängig von der Breite des Gehsteigs?) gefährdet sei, steht eine solche Regelung den Ländern gar nicht zu, denn das ist in der StVO ( 78, Verhalten auf Gehsteigen und Gehwegen in Ortsgebieten) bundesgesetzlich geregelt und keine Frage der örtlichen Sicherheitspolizei. Überdies müsste hier die Erheblichkeit der Beeinträchtigung nachgewiesen werden, die für die Rechtmäßigkeit eines Verbots essenziell ist, sh. die Rspr des VwGH (28.4.93, 92/02/0204). In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem das Verteilen politischer Flugblätter durch eine einzelne Person auf einem drei bis vier Meter breiten Gehsteig die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs - anders als etwa beim Verteilen auf der Fahrbahn - von vornherein nur in einem ganz geringfügigen Maß beeinträchtigen kann, ist daher zugunsten des Rechtes auf freie Meinungsäußerung bereits die Bewilligungspflicht gemäß 82 Abs 1 erster Satz StVO zu verneinen. Prof. in Weichselbaum verweist auch auf das Viktimisierungsverbot der EU- Menschenhandels-RL, aus der die Verpflichtung der (Bundes)Behörden folgt, mit den Mitteln des StGB gegen Ausbeutung vorzugehen und nicht mutmaßlich Ausgebeutete mit dem Landesgesetz doppelt zu bestrafen, unter dem Vorwand, sie vor einer Mafia schützen zu wollen. RICHTLINIE 2011/36/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates Amtsblatt der Europäischen Union L 101/1 15.4.2011

Erwägungsgründe: (14) Die Opfer des Menschenhandels sollten im Einklang mit den Grundprinzipien der Rechtsordnung der betreffenden Mitgliedstaaten vor strafrechtlicher Verfolgung oder Bestrafung wegen strafbarer Handlungen wie der Verwendung falscher Dokumente oder Verstößen gegen die Prostitutions- oder Einwanderungsgesetze geschützt werden, zu denen sie als unmittelbare Folge davon, dass sie dem Menschenhandel ausgesetzt waren, gezwungen wurden. Mit diesem Schutz wird das Ziel verfolgt, die Menschenrechte der Opfer zu schützen, ihre weitere Viktimisierung zu vermeiden und sie dazu zu ermutigen, in Strafverfahren als Zeugen gegen die Täter auszusagen. Dieser Schutz sollte eine strafrechtliche Verfolgung oder Bestrafung wegen Straftaten nicht ausschließen, die eine Person willentlich begangen hat oder an denen sie willentlich teilgenommen hat. Art 12 (4) Unbeschadet der Verteidigungsrechte stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Opfer von Menschenhandel entsprechend einer von den zuständigen Behörden vorgenommenen Einschätzung ihrer persönlichen Umstände eine besondere Behandlung zur Verhinderung sekundärer Viktimisierung erhalten To whom it may concern: Verwendung und Weitergabe nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht. DISCLAIMER: Dies ist eine unautorisierte Mitschrift. Die Verantwortung für die Zusammenfassung und Quellen-Recherche liegt ausschließlich beim/bei der AutorIn. Sachliche und rechtliche Fehler sind uns und nicht etwa den Vortragenden anzulasten.