Fall 7: Eigentumsgrundrecht (Art. 14 I GG)
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- Mathias Kerner
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1 StaatsR Kapitel I: Grundrechte 37 Fall 7: Eigentumsgrundrecht (Art. 14 I GG) Sachverhalt: E ist Eigentümer eines Grundstücks im Außenbereich, das nicht bebaut ist und auch nicht landwirtschaftlich genutzt wird. Auf diesem stehen zwei alte Bäume. E möchte diese fällen und das Holz verkaufen. Die zuständige Behörde verbietet ihm jedoch, die Bäume zu fällen, da diese nach dem Naturschutzgesetz des Bundeslandes als Naturdenkmal festgesetzt sind und deshalb aufgrund des Naturschutzgesetzes ein Verbot besteht, die Bäume zu fällen (vgl. z.b. Art. 9 BayNatSchG). E klagt ohne Erfolg gegen das Verbot. Er ist der Ansicht, dass damit sein Eigentum völlig entwertet würde. Frage: Ist E in Grundrechten verletzt? I. Einordnung Art. 14 GG sieht zwei Arten von Beeinträchtigungen vor: die Inhalts- und gem. Art. 14 I GG und die Enteignung (Art. 14 III GG). II. Gliederung 1. Schutzbereich Art. 14 I GG jede konkrete vermögenswerte Rechtsposition nicht nur das Haben, sondern auch die Nutzung ist geschützt 2. Eingriff 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung a) Enteignung oder Inhalts- und Inhalts- und, keine Enteignung, da bloße Belastung der Eigentümerbefugnisse des E b) Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes das Gesetz ist eine verfassungsgemäße Inhalts- und c) Verfassungsmäßigkeit der Einzelmaßnahme 4. Ergebnis: E ist nicht in Grundrechten verletzt. III. Lösung E könnte in seinem Grundrecht auf Eigentum gem. Art. 14 I GG verletzt sein. 1. Schutzbereich des Art. 14 I GG a) Das in Art. 14 I GG geschützte Eigentum ist jede, durch das einfache Recht gewährte, konkrete vermögenswerte Rechtsposition. Dazu zählt zum einen das Eigentum i.s.d. BGB, 52 also das Sacheigentum an beweglichen und unbeweglichen Sachen. Umfasst wird darüber hinaus jede weitere private vermögenswerte Rechtsposition, z.b. beschränkt-dingliche Rechte, Forderungsrechte und Ansprüche. 52 Hemmer/Wüst, Grundwissen Staatsrecht, Rn. 234.
2 38 Kapitel I: Grundrechte StaatsR Danach ist das Eigentum des E an seinem Grundstück und den darauf befindlichen Bäumen eine durch Art. 14 I GG geschützte Eigentumsposition. Dabei wird nicht nur das Eigentümerrecht als solches (das Haben ) geschützt, sondern auch die Nutzung dieser Rechtspositionen und die Verfügung darüber. Daher fällt auch das von E geplante Fällen und Verkaufen der Bäume unter den Eigentumsbegriff. b) Etwas anderes könnte sich daraus ergeben, dass nach dem Naturschutzgesetz des Bundeslandes das Fällen dieser Bäume auf dem Grundstück des E verboten ist. Gem. Art. 14 I S. 1 GG bestimmen die Gesetze Inhalt und Schranken des Eigentums. Das Eigentumsgrundrecht ist ein sog. normgeprägtes Grundrecht (oder Grundrecht mit normgeprägtem Schutzbereich). Um ein solches normgeprägtes Grundrecht handelt es sich dann, wenn das grundrechtlich geschützte Verhalten oder der geschützte Zustand nicht außerrechtlich vorgegeben sind, sondern überhaupt erst durch gesetzliche Regelungen geschaffen wird. hemmer-methode: Die körperliche Unversehrtheit einer Person (Art. 2 II S. 1 GG) ist ein außerrechtlich, quasi durch die Natur vorgegebener Zustand. Ohne dass irgendwelche Rechtsnormen diesen Zustand definieren, ist der Schutzbereich dieses Grundrechts (medizinisch) zu bestimmen. Eigentum entsteht jedoch erst durch die rechtliche Anerkennung eines bestimmten Zustands. Eigentum ist eine Rechtsposition. Dies kann auch der Definition des Schutzbereichs entnommen werden. Weiteres normgeprägtes Grundrecht ist das Grundrecht der Ehe (Art. 6 I GG) sowie teilweise die Vereinigungsfreiheit gem. Art. 9 I GG. 53 Das besondere Problem normgeprägter Grundrechte ist, dass der (einfache) Gesetzgeber den Inhalt eines solchen Grundrechts überhaupt erst bestimmt und bestimmen muss. Solche gesetzlichen Ausgestaltungen stellen keinen Eingriff in das Grundrecht dar. Andererseits kann der Gesetzgeber jedoch auch nicht beliebig das Grundrecht ausgestalten. Vielmehr beinhaltet auch ein normgeprägtes Grundrecht einen durch die Verfassung vorgegebenen Kern, ein Leitmotiv der grundrechtlichen Gewährleistung. Dieser Kern ist i.r.d. Art. 14 I GG die sog. Institutsgarantie. Diese bedeutet, dass die zum elementaren Bestand grundrechtlich geschützter Betätigung im vermögensrechtlichen Bereich 54 gehörenden Rechtspositionen nicht verändert werden dürfen. Das Grundrecht steht demnach nicht zur freien Verfügung des Gesetzgebers. Dieser kann das Grundrecht ausgestalten, hierbei ist er jedoch zur Wahrung dieses Kerns verpflichtet. c) Darüber hinaus ergibt sich bei den normgeprägten Grundrechten ein weiteres Problem. Eine Ausgestaltung des Schutzbereichs kann dazu führen, dass bisherige Rechtspositionen nachteilig verändert werden oder gar nicht mehr existieren. Daraus ergibt sich folgende Konsequenz in zeitlicher Hinsicht: Für Personen, die zuvor nicht Inhaber dieser Rechtsposition waren, stellt diese Ausgestaltung keinen Eingriff dar. Dass sie nicht mehr Inhaber dieser Rechtsposition werden können, greift nicht in ihr Grundrecht aus Art. 14 I GG ein. Denn dieses setzt eine bestehende konkrete Rechtsposition voraus. 53 Pieroth/Schlink, Rn. 209 ff. 54 BVerfGE 24, 367, 389.
3 StaatsR Kapitel I: Grundrechte 39 Anders ist es jedoch für die Personen, die im Zeitpunkt der gesetzlichen Ausgestaltung bereits Inhaber einer solchen Position sind. Verlieren diese dadurch die Position, so sind sie in ihrem Eigentumsgrundrecht betroffen. hemmer-methode: Würde etwa der Gesetzgeber das Pfandrecht an beweglichen Sachen abschaffen, so würde dies in das Eigentumsgrundrecht der aktuellen Pfandgläubiger eingreifen. Kein Eingriff in Art. 14 I GG liegt jedoch gegenüber allen anderen vor, denen dadurch lediglich die Möglichkeit genommen wurde, in Zukunft ein Pfandrecht an beweglichen Sachen zu erwerben. Im Fall des E könnte durch das Naturschutzgesetz die Möglichkeit, die Bäume zu fällen, von vornherein nicht zu seinen eigentumsfähigen Rechtspositionen zählen. Das Grundstück des E und sein Eigentum an den Bäumen bestehen jedoch schon, als das Fällen verboten wird, indem die Bäume als Naturdenkmal festgesetzt werden. Demnach ist die Möglichkeit des E, die Bäume zu fällen, als Nutzung seines Eigentums eine eigentumsfähige Rechtsposition, die von Art. 14 I GG umfasst ist. 2. Eingriff Ein Eingriff liegt hier darin, dass das geschützte Verhalten, das Fällen der Bäume, E durch das Gesetz, das behördliche Verbot und die gerichtlichen Entscheidungen rechtlich unmöglich gemacht wird. 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Das Gesetz müsste verfassungsmäßig sein. Gegen die formelle Verfassungsmäßigkeit bestehen keine Bedenken. Das Gesetz müsste auch materiell verfassungsmäßig sein. a) Enteignung oder Inhalts- und Bei Art. 14 I GG ist für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung danach zu unterscheiden, um welche Art von Eingriff es sich handelt. Art. 14 GG selbst sieht zwei Arten von Eingriffen vor: die Inhalts- und gem. Art. 14 I GG sowie die Enteignung gem. Art. 14 III GG Da für diese beiden Arten von Eingriffen unterschiedliche verfassungsrechtliche Anforderungen gelten, ist zu klären, welche Art von Eingriff hier vorliegt. hemmer-methode: Art. 14 I und III GG stellen jeweils einen Schrankenvorbehalt zur Rechtfertigung von Eingriffen dar. Um den einschlägigen Schrankenvorbehalt zu bestimmen, muss die Rechtsnatur des Eingriffs genauer qualifiziert, also zwischen Inhalts- und einerseits und Enteignung andererseits differenziert werden! Dabei ist die Enteignung der zielgerichtete Entzug konkreter vermögenswerter Rechtspositionen.
4 40 Kapitel I: Grundrechte StaatsR Eine Inhalts- und liegt dagegen vor, wenn Eigentümerbefugnisse verkürzt werden. Als Abgrenzungskriterium wird zudem angeführt, dass die Enteignung konkret-individuell sei, während eine Inhaltsund abstraktgenerell sei. hemmer-methode: Dies ist allerdings insoweit irreführend, als auch ein Gesetz, das die Möglichkeit einer Enteignung vorsieht, notwendigerweise abstrakt-generell formuliert sein muss. So z.b. die Enteignungsgesetze, die eine Enteignung ermöglichen, um Einrichtungen der Schulen, Hochschulen u.a. zu schaffen. 55 Maßgeblich für die Abgrenzung ist zum einen die Zielgerichtetheit (Finalität). 56 Zum anderen kommt es darauf an, ob eine verselbstständigte Rechtsposition ganz oder teilweise entzogen wird (dann Enteignung), oder Eigentümerbefugnisse nur belastet werden (dann Inhaltsbestimmung). Entscheidend hierfür ist, was als verselbstständigte Rechtsposition angesehen wird. hemmer-methode: Der weitgehende Ausschluss der Kündigung von vermietetem Wohnraum ist eine Inhalts- und, da die Kündigungsmöglichkeit keine verselbstständigte Rechtsposition, sondern lediglich eine aus dem Sacheigentum folgende Eigentümerbefugnis ist. Würde man das Kündigungsrecht als verselbstständigte Rechtsposition ansehen, so würde diese durch das Mietrecht entzogen Vgl. z.b. Art. 1 I Nr. 2 BayEnteignungsG. Hemmer/Wüst, Grundwissen Staatsrecht, Rn. 238 f. Hier wird durch das Naturschutzgesetz die Möglichkeit des E, die Bäume zu fällen und durch Veräußerung wirtschaftlich zu verwerten, beschränkt. Diese Nutzung seines Eigentums ist jedoch keine verselbstständigte Rechtsposition. Sie ist lediglich eine Eigentümerbefugnis, die aus dem Sacheigentum an Grundstück und Bäumen folgt. Durch das Naturschutzgesetz wird E nicht final eine konkrete Rechtsposition entzogen, sondern sein Eigentum an den Bäumen wird belastet und beschränkt. Das Verbot des Fällens der Bäume ist daher eine Inhalts- und i.s.v. Art. 14 I S. 2 GG. b) Verfassungsmäßigkeit der Inhaltsund Inhalts- und en müssen insbesondere die Institutsgarantie des Eigentums beachten sowie ansonsten verhältnismäßig sein. Insbesondere i.r.d. Verhältnismäßigkeit ist die Sozialbindung des Eigentums nach Art. 14 II GG zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber hat bei Eingriffen in das Eigentumsgrundrecht, wie bei anderen Grundrechtseingriffen auch, den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz des Grundrechts zu beachten. Anders als bei anderen Grundrechten ist jedoch bei dem Eigentumsgrundrecht dem Gesetzgeber durch die Sozialbindung gem. Art. 14 II GG der Auftrag erteilt, die Eigentumsordnung auch zum Wohl der Allgemeinheit zu regeln. Das Eigentumsrecht und die Sozialbindung müssen daher durch den Gesetzgeber in einen gerechten Ausgleich gebracht werden.
5 StaatsR Kapitel I: Grundrechte 41 Allgemeinwohl und geschütztes Rechtsgut bedeuten bei der Regelung des Naturschutzgesetzes, dass besondere Naturschönheiten erhalten werden, damit sich alle daran erfreuen können. Dieses Rechtsgut überwiegt auch das Interesse der Eigentümer an der Nutzung ihres Eigentums, sog. Privatnützigkeit. Die Grundstücke werden dadurch auch nicht vollständig entwertet, zumal Ausnahmen von dem Gesetz im Einzelfall möglich sind. c) Verfassungsmäßigkeit der Einzelmaßnahme Da die Festsetzung als Naturdenkmal mit dem daraus folgenden Verbot des Fällens der Bäume verfassungsgemäß ist, bestehen hier keine Anhaltspunkte für die Verfassungswidrigkeit der Einzelmaßnahme. 4. Ergebnis E ist nicht in Grundrechten verletzt. IV. Zusammenfassung Art. 14 GG ist ein normgeprägtes Grundrecht. Deren Schutzbereiche setzen rechtliche Regelungen voraus, sie bedürfen daher der Ausgestaltung des Gesetzgebers. Bei Eingriffen in das Eigentumsgrundrecht ist zwischen Enteignungen (Art. 14 III GG) sowie Inhalts- und en zu unterscheiden. Sound: Enteignung ist der finale Entzug konkreter verselbstständigter vermögenswerter Rechtspositionen. Eine Inhalts- und liegt bei der Beschränkung von Eigentümerbefugnissen vor. hemmer-methode: Im Zweifel sollten Sie in der Klausur von einer Inhalts- und ausgehen. Eine Enteignung liegt dagegen stets vor, wenn Folge der Maßnahme ist, dass Inhaber einer eigentumsfähigen konkreten Rechtsposition nunmehr der Staat ist (Enteignung als klassische Güterbeschaffung). Zu den Problemen der Enteignung und dem Verhältnis zwischen der Enteignung durch Gesetz (sog. Legalenteignung) und aufgrund Gesetzes (sog. Administrativenteignung) vgl. noch Fall 23. V. Zur Vertiefung Zu Art. 14 GG Hemmer/Wüst, Grundwissen Staatsrecht, Rn. 231 ff. Vgl. BVerfG, Life&Law 03/2000, 190 ff.; OVG Münster, Life&Law 05/2000, 340 ff.; BVerwG, Life&Law 11/2001, 799 ff.; BVerwG, Urteil vom , 4 C 3/08 = Life&Law 11/2009, 761.
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