Gallensteine asymptomatisch: wie weiter?

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PRAXIS Schweiz Med Forum 2005;5:414 418 414 Gallensteine asymptomatisch: wie weiter? Marcello Orlandi, Werner Inauen GastroenterologieZentrum, Bürgerspital Solothurn Gallensteine asymptomatisch: wie weiter? Lithiases biliaires asymptomatiques: que faire? Asymptomatic gallstones what to do? Quintessenz Gallensteine sind häufig und finden sich gehäuft bei Frauen. Die Prävalenz von Gallensteinen steigt mit zunehmendem Alter an. Zufällig entdeckte Gallensteine sind meistens asymptomatisch und bleiben dies in der Regel auch. Falls Symptome entstehen, kommt es primär zu Koliken und selten direkt zu Gallensteinkomplikationen. Viele Patienten mit Gallensteinen weisen auch dyspeptische Symptome auf. Mit einer sorgfältigen Anamnese kann in der Regel zwischen dyspeptischen und biliären Beschwerden unterschieden werden. Diese Unterscheidung ist wichtig, da keine generelle Indikation zur prophylaktischen Cholezystektomie bei asymptomatischen Gallensteinen besteht (im Gegensatz zu symptomatischen Patienten). Eine prophylaktische Cholezystektomie bei asymptomatischen Gallensteinen führt nicht zu einer Reduktion von Mortalität oder zu Lebenszeitgewinn. Sie geht aber mit einer signifikanten Morbidität und hohen Kosten einher. Nur in klar definierten klinischen Situationen sollte eine prophylaktische Cholezystektomie durchgeführt werden (Tab. 1). Abwartendes Verhalten ist bei den meisten Patienten mit asymptomatischer Cholezystolithiasis gerechtfertigt. Quintessence Les lithiases biliaires sont fréquentes et apparaissent plus volontiers chez les femmes. La prévalence des lithiases biliaires augmente avec l âge. Les lithiases biliaires découvertes fortuitement sont la plupart du temps asymptomatiques et le restent en règle générale. Si elles font des symptômes, elles donnent d abord des coliques et rarement des complications lithiasiques directes. De nombreux patients ayant des lithiases biliaires présentent également des symptômes de dyspepsie. Une anamnèse détaillée permet la plupart du temps de faire la distinction entre symptômes biliaires et dyspeptiques. Cette distinction est importante car il n y a aucune indication générale à la cholécystectomie prophylactique en cas de lithiases biliaires asymptomatiques (contrairement aux patients symptomatiques). Une cholécystectomie prophylactique en présence de lithiases biliaires asymptomatiques ne fait ni baisser la mortalité ni augmenter l espérance de vie. Mais elle est grevée d une morbidité significative et ses coûts ne sont pas négligeables. Ce n est que dans des situations cliniques bien définies qu il faut procéder à une cholécystectomie prophylactique (tab. 1). L expectative est justifiée chez la plupart des patients ayant une cholécystolithiase asymptomatique. Traduction Dr G.-A. Berger Summary Gallstones are common and frequent in women. Prevalence rises with advancing age. Gallstones detected coincidentally are usually asymptomatic and as a rule remain so. If symptoms occur they primarily consist of biliary colic and rarely direct gallstone complications. Many patients with gallstones also display dyspeptic symptoms. Careful history generally serves to distinguish between dyspeptic and biliary symptoms. The distinction is important, since there is no general indication for prophylactic cholecystectomy for asymptomatic gallstones (in contrast to symptomatic patients). Prophylactic cholecystectomy for asymptomatic gallstones does not reduce mortality or bring a gain in life years. It is, however, associated with significant morbidity and high cost. Prophylactic cholecystectomy should be performed only in clearly defined clinical situations (tab. 1). A wait-and-see attitude is justified in most patients with asymptomatic gallstones. Translation R. Turnill, MA * CME zu diesem Artikel finden Sie auf S. 424 oder im Internet unter www.smf-cme.ch * Vous trouverez les questions à choix multiple concernant cet article à la page 425 ou sur internet sous www.smf-cme.ch

PRAXIS Schweiz Med Forum 2005;5:414 418 415 Prävalenz und Epidemiologie von Gallensteinen Vor der Einführung der Ultraschalldiagnostik wurde die Prävalenz von Gallensteinen aus Autopsiedaten abgeleitet. Durch die weite Verbreitung des Ultraschalls als kostengünstige, sensitive und risikofreie Untersuchung konnten grosse Bevölkerungsgruppen gescreent werden, was Aufschlüsse über die tatsächliche Prävalenz von Gallensteinen ergab. Dabei wiesen 1,5- bis 3mal mehr Frauen als Männer Gallensteine auf [1, 2]. Eine Studie in den USA zeigte starke Schwankungen in der Prävalenz von Gallensteinen zwischen verschiedenen ethnischen Populationen [1]. Am häufigsten fanden sich Gallensteine bei Personen lateinamerikanischer Herkunft (26% bei Frauen und 9,5% bei Männern), während die Prävalenz bei Personen weisser Hautfarbe deutlich geringer war (16,6% bei Frauen bzw. 8,9% bei Männern). Am wenigsten Gallensteine fanden sich bei Menschen schwarzer Hautfarbe (13,9% bei Frauen und 5,5% bei Männern). Die durchschnittliche Prävalenz von Gallensteinen beträgt in den grossen Studien zwischen 8,6% und 16,6% für Frauen, während Männer in 5,5 7,9% Gallensteine aufweisen [1, 2]. Es zeigte sich in allen Studien eine steigende Prävalenz mit zunehmendem Alter, entsprechend finden sich bei Kindern praktisch keine Gallensteine (Ausnahme: hämolytische Syndrome). Ein Schwellenwert zwischen relativ tiefer und hoher Inzidenz für Cholezystektomien scheint bei etwa 40 Jahren zu liegen. So fanden sich in einer italienischen Studie viermal mehr Cholezystektomien bei Personen zwischen 41 und 69 Jahren als bei Personen unter 40 Jahren [2]. Wenn diese Prävalenzzahlen auf die Bevölkerung der Schweiz ab 40 Jahren hochgerechnet werden (1,922 Mio. Frauen und 1,723 Mio. Männer, gesamthaft 3,645 Mio. [3]), sind etwa 260 000 450 000 Personen über 40 Jahre Gallensteinträger (Frauen 165 000 320 000, Männer 95 000 136 000). Der natürliche Verlauf der Cholezystolithiasis 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 82 Anteil asymptomatischer Patienten mit Gallensteinen (in Prozent) Abbildung 1. Die Mehrzahl der beim Steinnachweis asymptomatischen Patienten bleiben ohne Symptome. Nur etwa 1 2% aller asymptomatischen Patienten entwickeln pro Jahr Symptome, wobei primär Koliken und selten direkt Gallensteinkomplikationen entstehen. In grossen Screeningstudien wurde gezeigt, dass ungefähr 80% der Patienten mit Gallensteinen zum Zeitpunkt der Diagnose keine spezifischen biliären Symptome aufweisen (Abb. 1 x). Innert 5 Jahren entwickeln etwa 10% dieser Patienten Symptome, innert 15 Jahren 18 20% [2, 3]. Dabei treten vor allem biliäre Koliken und nur selten biliäre Komplikationen (Choledocholithiasis, akute Pankreatitis, akute Cholezystitis, Cholangitis, Gallenstein-Ileus) auf. Patienten mit symptomatischen Gallensteinen stellen eine separate Kategorie dar. Etwa 70% dieser Patienten entwickeln innert 2 Jahren wiederholte biliäre Koliken, bei 1 2% dieser Patienten kommt es pro Jahr zu biliären Komplikationen [5]. Die meisten Patienten mit Gallensteinkomplikationen weisen eine Anamnese von wiederholten Gallenkoliken auf, Komplikationen ohne vorangegangene biliäre Symptome sind selten [5]. Biliäre Koliken oder dyspeptische Beschwerden? Biliäre Kolik Das Leitsymptom bei Gallensteinen stellt die biliäre Kolik dar. Dabei kommt es zu einer im rechten oberen Quadranten lokalisierten Schmerzsymptomatik vom Crescendotyp, welche in den Rücken und in den Bereich der rechten Schulter ausstrahlt. Der Schmerz kann durch fettreiche Kost ausgelöst und von Nausea begleitet sein. Nicht selten tritt der Schmerz nachts auf. Die Episode erreicht in der Regel innert 15 30 Minuten das Schmerzmaximum, dauert üblicherweise weniger als vier Stunden und ist nicht von Fieber oder anderen systemischen Reaktionen begleitet. Länger andauernde Schmerzen oder systemische Begleitsymptome sprechen für eine akute Cholezystitis oder Pankreatitis. Dyspeptische Beschwerden Viele Patienten mit asymptomatischen Gallensteinen berichten über dyspeptische Beschwerden (Aufstossen, postprandiale Blähungen und Unwohlsein, insbesondere nach fettreichen Mahlzeiten), was oft als biliäre Dyspepsie bezeichnet wird. Wichtig ist die Beobachtung, dass die biliäre Dyspepsie praktisch gleich häufig bei Patienten mit oder ohne Gallensteine anzutreffen ist und dass die dyspeptischen Beschwerden auch nach der Cholezystektomie persistieren [6]. Eine Metaanalyse zeigte, dass lediglich Abdomi- 74 Bei Steinnachweis Nach 5 Jahren Nach 15 Jahren 66

PRAXIS Schweiz Med Forum 2005;5:414 418 416 nalschmerzen und Gallensteine signifikant korreliert sind (Odds ratio 2,0). Andere dyspeptische Beschwerden wie Flatulenz, Blähungen und Aufstossen waren nicht mit Gallensteinen assoziiert. Hingegen zeigten Patienten mit Schmerzen im Epigastrium (ohne Refluxbeschwerden) oder im rechten oberen Quadranten mit Ausstrahlung in die rechte Schulter, ausgelöst durch fettreiche Speisen und ohne Besserung nach dem Stuhlgang, in einer italienischen Studie in bis zu 93% Gallensteine [7]. Diese Daten zeigen, dass die genaue Anamnese eine recht zuverlässige Differenzierung zwischen symptomatischen Gallensteinen und dyspeptischen Beschwerden ermöglicht. Rolle der prophylaktischen Cholezystektomie Gallensteine und biliäre Karzinome Bei Patienten mit Gallenblasenkarzinom wurden in 70 90% auch Gallensteine nachgewiesen. Patienten mit symptomatischen Gallensteinen weisen eine mehr als viermal höhere Inzidenz von Gallenblasenkarzinomen auf, während das Risiko bei asymptomatischen Gallensteinen deutlich niedriger ist [8]. Wichtig ist aber auch die Feststellung, dass die jährliche Inzidenz für Gallenblasenkarzinome bei Personen über 50 Jahre lediglich 0,02% beträgt. Insgesamt entwickeln nur 0,5 3% aller Gallensteinträger ein Gallenblasenkarzinom, wobei die Inzidenz vor allem bei Frauen mit langjährig symptomatischen Gallensteinen (über 40 Jahre) signifikant ansteigt [9, 10]. Ob grössere Gallensteine das Risiko für ein Gallenblasenkarzinom erhöhen, ist umstritten. Klare Hinweise, dass grosse Gallensteine (>2 cm im Durchmesser) das Risiko für Gallenblasenkarzinome in klinisch signifikantem Ausmass erhöhen, fehlen bisher [10]. Zudem gilt eine Cholezystolithiasis auch nicht als Risikofaktor für Gallengangskarzinome. Tabelle 1. Klinische Situation und Indikation zur prophylaktischen Cholezystektomie bei Patienten mit asymptomatischen Gallensteinen. Indikation zur prophylaktischen Cholezystektomie nicht gegeben Diabetes mellitus Grosse Gallensteine (>2 cm) Vor geplanter Transplantation Indikation zur prophylaktischen Cholezystektomie im Einzelfall oder bei geplanter Abdominalchirurgie gegeben Sichelzellanämie Hereditäre Sphärozytose Indikation zur prophylaktischen Cholezystektomie gegeben Abnorm in den Ductus choledochus mündender Ductus pancreaticus Choledochuszysten Caroli-Syndrom Gastric-Bypass-Operation Porzellangallenblase Gallenblasenadenome Prophylaktische Cholezystektomie versus Abwarten Es existieren wenige prospektive Studien, in welchen die chirurgische Behandlung mit abwartendem Verhalten bei Patienten mit asymptomatischen Gallensteinen verglichen wurde. Die Studie von Ransohoff et al. zeigte keine Vorteile der (offenen) Cholezystektomie bezüglich Mortalität und Lebenszeitgewinns bei Patienten mit asymptomatischen Gallensteinen [11]. Eine Reduktion von Mortalität oder Morbidität gegenüber abwartendem Verhalten konnte bisher auch in den Studien mit laparoskopischer Cholezystektomie nicht gezeigt werden, auch wenn einige Autoren darauf hinweisen, dass mit zunehmendem Alter der Patienten mit längeren Operationszeiten und höheren Konversionsraten zum offenen Verfahren zu rechnen ist [12]. Weil die laparoskopische Cholezystektomie mit einer Mortalität von 0,2% und einer Morbidität von bis zu 10% (alle lokalen Komplikationen: 4,8%, Gallengangsverletzungen: 0,31%, systemische Komplikationen: 5,6%) einhergeht [13], muss die Indikation zu jeder Cholezystektomie sorgfältig gestellt werden. Asymptomatische Gallensteine: Wann besteht ein erhöhtes Komplikationsrisiko? Diabetes mellitus Epidemiologische Daten zeigen eine erhöhte Prävalenz von Gallensteinen bei Patienten mit Diabetes mellitus (insbesondere Frauen). Die Hypertriglyzeridämie wie auch die autonome Neuropathie führen zu einer Hypomotilität der Gallenblase, was die biliäre Stase begünstigt. Prospektive Studien über mehrere Jahre zeigten jedoch einen mit der Durchschnittsbevölkerung vergleichbaren Anteil an asymptomatischen Gallensteinträgern (70%) bei Diabetikern. Davon entwickelten innert 5 Jahren lediglich 10% der Patienten biliäre Koliken, und nur 4% entwikkelten biliäre Komplikationen [14]. Diese Daten zeigen, dass der zu erwartende Vorteil durch eine prophylaktische Cholezystektomie auch bei Diabetikern gering ist. In Anbetracht der bei Diabetikern erhöhten perioperativen Risiken (und Kosten) kann somit eine prophylaktische Cholezystektomie nicht befürwortet werden (Tab. 1 p). Geplante Transplantation Der Nutzen einer routinemässigen prophylaktischen Cholezystektomie vor geplanter Transplantation ist nicht bewiesen. Die meisten Studien zeigten, dass Patienten nach Nieren-, Herzoder Pankreastransplantation kein erhöhtes Risiko für Gallensteinkomplikationen aufweisen [15].

PRAXIS Schweiz Med Forum 2005;5:414 418 417 Sichelzellanämie Bei Patienten mit Sichelzellanämie kommt es in bis zu 70% zur Bildung von Pigmentsteinen, welche meistens asymptomatisch bleiben. Die Steine entstehen dabei bereits im Kleinkindesalter und korrelieren in Grösse und Anzahl direkt mit dem Ausmass der Hämolyse. Die prophylaktische Cholezystektomie wurde von einigen Autoren empfohlen, da eine biliäre Kolik bisweilen nicht von einer akuten Schmerzkrise im Rahmen der Sichelzellanämie zu unterscheiden ist [16]. Bei dieser Patientengruppe wurde jedoch über eine deutlich erhöhte perioperative Morbidität bei Cholezystektomien (bis zu 40%) berichtet. Bei geplanter abdominaler Chirurgie wird eine gleichzeitige Cholezystektomie empfohlen, ansonsten sollte die Indikation zur prophylaktischen Cholezystektomie bei jedem Patienten individuell geprüft werden. Hereditäre Sphärozytose Etwa 50% der erwachsenen Patienten mit hereditärer Sphärozytose entwickeln Bilirubingallensteine. Im Gegensatz zur Sichelzellanämie kommt es bei hereditärer Sphärozytose selten zur Steinbildung im Kindesalter [17]. Bei vielen Patienten wird im Krankheitsverlauf eine Splenektomie durchgeführt, was die Bildung von Gallensteinen verhindert. Falls zum Zeitpunkt der Splenektomie Gallensteine vorhanden sind, wird die gleichzeitige Cholezystektomie empfohlen. Patienten mit erhöhtem Risiko für Gallengangskarzinome Patienten mit abnorm in den Ductus choledochus mündendem Ductus pancreaticus, Choledochuszysten und Caroli-Syndrom (segmentale Erweiterung der intrahepatischen Gallenwege) weisen ein erhöhtes Risiko für biliäre Karzinome auf. In den meisten Fällen ist bei dieser Patientengruppe eine chirurgische Intervention notwendig. Es wird dabei empfohlen, gleichzeitig eine prophylaktische Cholezystektomie durchzuführen [18]. Patienten mit geplanter Gastric-Bypass-Chirurgie Patienten nach Gastric-Bypass-Chirurgie haben aufgrund des postoperativen raschen Gewichtsverlustes ein erhöhtes Risiko (bis zu 35%), Gallensteine zu entwickeln. In der Pathogenese der Gallensteine könnten hier eine Erhöhung der Mucinkonzentration und der Kalziumkonzentration in der Galle eine Rolle spielen. Während die überwiegende Mehrheit der normalgewichtigen Patienten mit Gallensteinen asymptomatisch bleibt, entwickelt ein signifikant höherer Anteil der Patienten mit morbider Adipositas biliäre Symptome und Komplikationen nach erfolgter Gastric-Bypass-Operation [19]. Aufgrund der postoperativen Anatomie ist zudem eine endoskopische Steinextraktion mittels ERCP (endoskopische retrograde Cholangio-Pankreatikographie) technisch nicht mehr möglich. Aus diesen Gründen wird empfohlen, anlässlich einer Gastric-Bypass-Operation gleichzeitig eine Cholezystektomie durchzuführen. Porzellangallenblase Die Porzellangallenblase stellt eine Sonderform der chronischen Cholezystitis dar. Es kommt dabei zu einer vollständigen intramuralen Kalzifikation der Gallenblasenwand, welche in der Regel bereits im Abdomenröntgen sichtbar ist. Die Inzidenz beträgt in autoptischen Serien zwischen 0,03 und 0,08%, Frauen sind fünfmal häufiger betroffen als Männer. Das Risiko für die Entwicklung eines Gallenblasenkarzinoms liegt zwischen 11 und 33% [20], so dass selbst bei asymptomatischen Patienten die Cholezystektomie empfohlen wird. Da die Gallenblasenwand stark verdickt und fibrotisch und damit die laparoskopische Präparation erschwert ist, muss häufig eine offene Cholezystektomie durchgeführt werden. Gallenblasenadenome Gallenblasenpolypen stellen bei Patienten mit Cholezystolithiasis einen klaren Risikofaktor für die Entwicklung eines Gallenblasenkarzinoms dar. Die meisten Gallenblasenpolypen sind benigne, jedoch kann mit keinem bildgebenden Verfahren zwischen neoplastischen Polypen (Adenomen) und nichtneoplastischen Polypen unterschieden werden. Unabhängig von der Polypengrösse und allfällig vorhandenen Symptomen wird deshalb bei Gallenblasenpolypen eine prophylaktische Cholezystektomie empfohlen, weil damit die Entstehung eines Gallenblasenkarzinoms verhindert werden kann. Gallenblasenkarzinome werden häufig erst spät klinisch manifest und weisen eine schlechte Prognose auf. Fazit Die laparoskopische Cholezystektomie kann bei Patienten mit asymptomatischen Gallensteinen wegen der hohen Kosten und der wie mit jedem anderen chirurgischen Eingriff verbundenen Morbidität und Mortalität nicht generell empfohlen werden. Die wenigen Indikationen für eine Cholezystektomie bei asymptomatischen Gallensteinen sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Dank Die Autoren danken für wertvolle Diskussionen und die kritische Durchsicht der Arbeit Dr. Jean- Pierre Barras, Chefarzt Chirurgie am Bürgerspital Solothurn, und Dr. Ruedi Rothenbühler, Facharzt für Allgemeinmedizin, Solothurn.

PRAXIS Schweiz Med Forum 2005;5:414 418 418 Korrespondenz: PD Dr. med. Werner Inauen Chefarzt Gastroenterologie Bürgerspital CH-4500 Solothurn inauen@swissonline.ch www.gastroenterologiezentrum.ch Literatur 1 Everhart JE, Khare M, Hill M, Maurer KR. Prevalence and ethnic differences in gallbladder disease in the United States. Gastroenterology 1999;117:632 9. 2 Barbara L, Sama C, Morselli Labate AM, Taroni F, Rusticali AG, Festi D, et al. A population study on the prevalence of gallstone disease: the Sirmione study. Hepatology 1987;7: 913 7. 3 Gracie WA, Ransohoff DF. The natural history of silent gallstones: The innocent gallstone is not a myth. N Engl J Med 1982;307:798 800. 4 Statistik des jährlichen Bevölkerungsstandes (ESPOP) 2003. Bundesamt für Statistik, 6. Februar 2004. 5 Thistle JL, Cleary PA, Lachin JM, Tyor MP, Hersch T. The steering committee, National Co-operative Gallstone Study Group. The natural history of cholelithiasis: the National Co-operative Gallstone study. Ann Intern Med 1984;101: 171 5. 6 Weinert CR, Arnett D, Jacobs D Jr, Kane RL. Relationship between persistence of abdominal symptoms and successful outcome after cholecystectomy. Arch Intern Med 2000; 160:989 95. 7 Festi D, Sottili S, Colecchia A, Attili A, Mazzella G, Roda E, et al. Clinical manifestations of gallstone disease: evidence from the Multicenter Italian Study on Cholelithiasis (MICOL). Hepatology 1999;30:839 46. 8 Zatonski WA, Lowenfels AB, Boyle P, Maisonneuve P. Epidemiologic aspects of gallbladder cancer: a case-control study of the SEARCH Program of the International Agency for Research on Cancer. J Natl Cancer Inst 1997;89:1132 8. 9 Piehler JM, Crichlow RW. Primary carcinoma of the gallbladder. Surg Gynecol Obstet 1978;147:929 42. 10 Glenn F, Hays DM. The scope of radical surgery in the treatment of malignant tumors of the extrahepatic biliary tract. Surg Gynecol Obstet 1954;99:929 41. 11 Ransohoff DF, Gracie WA, Wolfensen LB, Neuhauser D. Prophylactic cholecystectomy or expectant management for silent gallstones. A decision analysis to assess survival. Ann Intern Med 1983;99:199 204. 12 Bittner R, Ulrich M. Gallenblasenleiden immer eine Operationsindikation? Internist 2004;45:8 15. 13 Z Graggen K, Wehrli H, Metzger A, Buehler M, Frei E, Klaiber C. Complications of laparoscopic cholecystectomy in Switzerland. A prospective 3-year study of 10174 patients. Surg Endos 1998;12:1303 10. 14 Del Favero G, Caroli A, Meggiato T, Volpi A, Scalon P, Puglisi A, et al. Natural history of gallstones in non-insulin dependent diabetes mellitus. A prospective 5-year follow-up. Dig Dis Sci 1994;39:1704 7. 15 Melvin WS, Meier DJ, Elkhammas EA, Baumgardner GL, Davies EA, Henry ML, et al. Prophylactic cholecystectomy is not indicated following renal transplantation. Am J Surg 1998;175:317 9. 16 Malone BS, Werlin SL. Cholecystectomy and cholelithiasis in sickle cell anemia. Am J Dis Child 1988;142:799 800. 17 Bates GC, Brown CH. Incidence of gallbladder disease in chronic haemolytic anemia (spherocytosis). Gastroenterology 1952;21:104 9. 18 de Groen PC, Gores GJ, LaRusso NF, Gunderson L, Nagorney DM. Biliary tract cancers. N Engl J Med 1999;341: 1368 476. 19 Amaral JF, Thompson WR. Gallbladder disease in the morbidly obese. Am J Surg 1985;149:551 7. 20 Shimizu M, Miura J, Tanaka T, Itoh H, Saitoh Y. Porcelain gallbladder: relation between its type by ultrasound and incidence of cancer. J Clin Gastroenterol 1989;11:471 6.