1. Grundzüge der Diskursethik

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Transkript:

Die Diskursethik 1. Grundzüge der Diskursethik Interpretiere das oben gezeigte Bild: Moralische Kontroversen können letztlich nicht mit Gründen entschieden werden, weil die Wertprämissen, aus denen wir moralische Sätze folgern, verschieden sind. Die Gültigkeit von Normen ist deshalb im gemeinsamen Diskurs zu prüfen. Jürgen Habermas 1.1. Was ist ein Diskurs? Der Begriff Diskurs kommt aus dem Lateinischen discurrere in der Bedeutung von durchlaufen oder erörtern. Im 20. Jahrhundert bauten die deutschen Philosophen Jürgen Habermas und Ernst-Otto Apel diese Gesprächskultur mit der Diskursethik aus: Strittige ethische Prinzipien können in praktischen Diskursen begründet und dadurch konsensfähig werden. Der Begriff Diskurs basiert in seiner Terminologie auf dem in der Logik verwendeten Begriff diskursiv : Verschiedene Gesprächs-Etappen werden durchlaufen, um zum Ziel zu kommen. Ein Diskurs unterscheidet sich von einem einfachen Gespräch dadurch, dass er bestimmte Regeln verfolgt. Begriffserklärung (Duden): Konsens: Übereinstimmung der Meinungen Kompromiss: Übereinkunft durch gegenseitige Zugeständnisse Dissens: Meinungsverschiedenheit in Bezug auf eine bestimmte Frage Prämisse: Voraussetzung oder vorausgehende Annahme 1

2. Jürgen Habermas: Der herrschaftsfreie Diskurs Jürgen Habermas (geb. 1929) ist einer der bedeutendsten Sozialphilosophen des 20. Jahrhunderts und gilt als Begründer der Diskursethik: Wir brauchen eine Verständnisorientierung in der Gesellschaft. Eine wichtige Voraussetzung der Diskursethik ist die Theorie des kommunikativen Handelns, die Jürgen Habermas 1981 entwickelte. Sie geht davon aus, dass es trotz der Vernunftfähigkeit des Menschen nicht gelungen ist, ein gutes Leben in einer gerechten Gesellschaft zu entwickeln. Für Habermas liegt der Grund dafür nicht in der Vernunft, sondern in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Diese ist in der Regel zweckrational, d.h. jeder Mensch versucht in einer kommunikativen Situation möglichst seine Interessen durchzusetzen und das Beste für sich herauszuholen. Dies gilt auch für gesellschaftliche und ethische Diskurse. Habermas schlägt deshalb vor diese Diskurse herrschaftsfrei zu gestalten: Keiner der Teilnehmer kann für sich reklamieren, eine unumstößliche Autorität zu sein; jedes sprach- und handlungsfähige Subjekt hat die gleichen Chancen, am Diskurs teilzunehmen und darf seine bzw. ihre Thesen problematisieren. Alle verpflichten sich zur Suche nach der Wahrheit mit rationalen Mitteln. Bei der Klärung strittiger Fragen stehen im Mittelpunkt die Argumentation anstelle von Überredung und Täuschung und die Prüfung von Argumenten mit dem Ziel, einen Konsens zu finden. - Jürgen Habermas: Der Herrschaftsfreie Diskurs, in: Grundwissen Philosophie, Cornelsen 2.1. Welche Unterscheidung trifft Jürgen Habermas zwischen zweckrationalen und herrschaftsfreien Diskursen? Zweckrationaler Diskurs Herrschaftsfreier Diskurs 2

2.2. Welche Argumente sind in einem herrschaftsfreien Diskurs erlaubt und welche nicht? Erlaubt sind Argumente, die Verboten sind Argumente, die 2.3. Im Vergleich zur Dialektik der sokratischen Methode Dialektik / Sokratische Methode - Wahrheitsanspruch Universell: Es gibt eine universalgültige allgemeine Wahrheit (Idee des Guten) - Methode Hebammenkunst: Der Gesprächspartner erkennt die Wahrheit aus eigener Kraft Diskursethik - Wahrheitsanspruch Individualistisch: Ethische Wahrheitsansprüche sind individuell verschieden - Methode Konsensfindung: Wertprämissen bedürfen der Einigung durch einen gemeinsamen Dialog 2.4. Definition der Diskursethik Die Diskursethik ist eine ethische Theorie, die sich mit den Voraussetzungen für die Lösung moralischer und normativer Konflikte durch den Diskurs beschäftigt. Sie hat zum Ziel gemeinsame Kommunikationsregeln zu definieren, die das gegenseitige Verständnis fördern und Normen und Werte durch einen im Diskurs ermittelten Konsens begründen. Ethik = Lehre vom guten und richtigen Handeln Diskursethik = Die Suche nach dem gerechten Diskussionsverfahren, um sich über das gute und richtige Handeln zu einigen 3

3. Regeln des ethischen Diskurses Zentrales Anliegen der Diskursethik ist es, die Gültigkeit und Richtigkeit ethischer Aussagen, Normen und Prinzipien mithilfe eines argumentativen Diskurses zu bestimmen. So gilt ein strittiges moralisches oder gesellschaftspolitisches Problem erst dann als gelöst, wenn es die Zustimmung aller am Diskurs Beteiligten erhält, z.b.: Ist es gerechtfertigt, dass es in Gesellschaft und Wirtschaft eine Frauenquote geben sollte? Es ist jedoch nicht der bloße Konsens, der die Gültigkeit von Normen verbürgt; es ist ja denkbar, dass Menschen sich auf etwas einigen, was jedem Verständnis von Moral widerspricht. Die Gültigkeit von Normen entspringt vielmehr bestimmten idealisierenden Unterstellungen, die die Teilnehmer in ihrer Argumentationspraxis tatsächlich vornehmen müssen. Habermas hat diese Bedingungen in dem Begriff der idealen Sprechsituation zusammengefasst. 3.1. Leite aus dem Text auf Seite 9 die Grundregeln der idealen Sprechsituation ab! a. b. c. d. Nach Habermas gilt für den idealen Diskurs allein der zwanglose Zwang des besseren Arguments. Dies bedeutet, dass alle Diskursteilnehmer die Regeln des ethischen Diskurses befolgen und dazu bereit sind ihre eigenen Überzeugungen angesichts neuer Argumente zu überdenken. 3.2. Welches Problem ist beim zwanglosen Zwang des besseren Arguments zu erkennen? 4

4. Diskursethisches Prüfungsschema Das Prüfungsschema dient als Leitfaden zur praktischen Anwendung der Diskurethischen Grundsätze. Es soll eine qualitative Bewertung unterschiedlicher Sprechsituationen ermöglichen. Argument (pro/contra) Zweckrational oder Herrschaftsfrei Das Argument ist täuschend/entspricht nicht den Beweggründen Das Argument verfolgt Einzelinteressen Ist das Argument erklärend? Welche Ziele verfolgt das Argument? Das Argument sorgt für Verständnis / ist nachvollziehbar Das Argument berücksichtigt die Interessen aller Entscheidung Motivation und Konsequenz Die Entscheidung beruht auf einem allgemeinen Handlungsprinzip Die Entscheidung kann als allgemeines Prinzip gelten Wird die Entscheidung begründet? Wird ein Konsens angestrebt? Die Folgen der Entscheidung werden erwägt Alle Betroffenen können mit der Entscheidung leben Entscheidungs- und Argumentationsrahmen (Regeln des Diskurses) Sind alle Betroffenen an der Diskussion beteiligt? Sind die Argumente klar und widerspruchsfrei (rational)? Werden die Argumente geprüft? Wird nach dem besten Argument entschieden? 5

4.1. Untersuche anhand des diskursethischen Prüfungsschemas, inwiefern folgende Sprechsituationen den Ansprüchen eines herrschaftsfreien Diskurses gerecht werden! Die Abgeordnetenkammer in Luxemburg: Kommentare auf Internetforen und sozialen Netzwerken: 6