Lösungsvorschlag Fall 5 1 Lösungsvorschlag Fall 5... 1 1. Tatkomplex: Die Geschehnisse beim Auto... 3 A. Strafbarkeit des A... 3 I. Diebstahl, 242 I... 3 1. Tatbestand... 3 1) Objektiver Tatbestand... 3 2) Subjektiver Tatbestand... 3 3) Ergebnis... 4 2. Rechtswidrigkeit... 4 3. Schuld... 4 4. Ergebnis... 4 B. Strafbarkeit des B... 4 I. Versuchte Freiheitsberaubung, 239 I Var. 2, II, 22, 23 I... 4 Vorprüfung... 4 1. Tatbestand... 4 2. Rechtswidrigkeit... 4 1) Notwehr, 32... 4 a) Notwehrlage... 5 b) Notwehrhandlung... 5 c) Verteidigungswille... 5 d) Ergebnis... 5 2) Besitzkehr, 859 II BGB... 5 3) Festnahmerecht, 127 I 1 StPO... 5 a) Festnahmelage... 5 b) Festnahmehandlung... 5 c) Festnahmewille... 6 d) Ergebnis... 6 4) Ergebnis... 6 2. Tatkomplex: Die Verfolgung durch den Garten... 6 A) Strafbarkeit des A... 6 I. Hausfriedensbruch, 123 I Var. 1... 6 1. Tatbestand... 6 1) Objektiver Tatbestand... 6 2) Subjektiver Tatbestand... 7 2. Rechtswidrigkeit... 7 3. Schuld... 7 4. Ergebnis... 7 II. Sachbeschädigung, 303 I Var. 1... 7 1. Tatbestand... 7 1) Objektiver Tatbestand... 7 2) Subjektiver Tatbestand... 8 2. Rechtswidrigkeit... 8 1) Defensivnotstand, 228 S. 1 BGB... 8 a) Notstandslage... 8 b) Notstandshandlung... 8 c) Gefahrabwendungswille... 9 1 Fall nach Schwind/Franke/Winter, Übungen im Strafrecht für Anfänger, S. 5 ff. 1
d) Ergebnis... 9 2) Rechtfertigender Notstand, 34... 9 3) Ergebnis... 9 B) Strafbarkeit des B... 9 I. Hausfriedensbruch, 123 I Var. 1... 9 1. Tatbestand... 9 1) Objektiver Tatbestand... 9 2) Ergebnis... 9 II. Körperverletzung, 223 I Var. 1, Var. 2... 9 1. Tatbestand... 10 1) Objektiver Tatbestand... 10 2) Subjektiver Tatbestand... 10 2. Rechtswidrigkeit... 10 1) Notwehr, 32... 10 a) Notwehrlage... 10 b) Notwehrhandlung... 10 c) Notwehrwille... 11 d) Ergebnis:... 11 2) Besitzkehr, 859 II BGB... 11 3) Festnahmerecht, 127 I 1 StPO... 11 4) Ergebnis... 11 III. Sachbeschädigung, 303 I Var. 2... 11 1. Tatbestand... 12 1) Objektiver Tatbestand... 12 2) Subjektiver Tatbestand... 12 2. Rechtswidrigkeit... 12 1) Aggressivnotstand, 904 S. 1 BGB... 12 2) Rechtfertigender Notstand, 34... 12 3) Ergebnis... 12 Gesamtergebnis:... 13 Exkurs: Die Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen... 14 Literatur:... 14 2
1. Tatkomplex: Die Geschehnisse beim Auto A. Strafbarkeit des A I. Diebstahl, 242 2 I 3 Indem A das Radio aus dem Auto an sich nahm, könnte er sich wegen Diebstahls zum Nachteil des B gemäß 242 I strafbar gemacht haben. 1. Tatbestand 1) Objektiver Tatbestand Der objektive Tatbestand des 242 I ist erfüllt, wenn A eine fremde bewegliche Sache weggenommen hat. Das Radio war für A eine fremde bewegliche Sache 4. Fraglich ist, ob A das Radio weggenommen hat. Dies ist der Fall, wenn er den Gewahrsam des B gebrochen und eigenen Gewahrsam begründet hat. Der B ist momentan nicht bei seinem Wagen, was dazu führen könnte, dass er keinen Gewahrsam mehr am Radio hat. Jedoch stellt das Auto eine von B generell beherrschte Gewahrsamssphäre dar, so dass B immer noch den Gewahrsam an den sich dort befindenden Gegenständen innehat. Indem A das Radio aus dem Auto herausnahm, wurde diese generelle Herrschaftsmacht des B aufgehoben. Zugleich begründete A damit neuen eigenen Gewahrsam. A hat daher das Radio weggenommen 5. Der objektive Tatbestand des 242 I ist erfüllt. 2) Subjektiver Tatbestand A müsste vorsätzlich bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale des 242 I gehandelt haben. Er wusste um die Fremdheit des Radios und wollte unter Bruch des Gewahrsams des B eigenen Gewahrsam daran begründen. Ferner müsste Zueignungsabsicht gegeben sein. Diese ist gegeben, wenn A Vorsatz bezüglich der Enteignung (auf Dauer angelegt; dolus eventualis genügt) sowie die Absicht der Aneignung (mindestens vorübergehend) hatte. A wollte den B dauerhaft enteignen und sich das Radio zumindest vorübergehend aneignen. Zueignungsabsicht liegt daher vor. Die beabsichtigte Zueignung müsste auch rechtswidrig sein. Dem A stand kein Anspruch auf das Radio zu. Dies war ihm auch bewusst. Die Zueignung ist somit rechtswidrig. Der subjektive Tatbestand ist gegeben. 2 243 I S. 2 Nr.1 und Nr. 2 werden vorliegend nicht geprüft, ein Anprüfen dieser Qualifikationen wäre aber nicht falsch. Jedoch ist weder Nummer 1 (zwar umschlossener Raum, aber keine der Tathandlungen erfüllt, da einsteigen auf einem dafür regelmäßig nicht bestimmten Wege erfolgen müsste, was es hier nicht tut) noch Nummer 2 (Auto ist nicht verschlossen) erfüllt. Allenfalls könnte man einen unbenannten Strafschärfungsgrund nach 243 I S.1 annehmen. Dazu aber mehr in der Fallbesprechung BT. 3 Alle Paragrafen ohne Gesetzesbezeichnung, sind solche des StGB. 4 Unproblematisch, daher Urteilsstil. 5 Zur Vollendung respektive Beendigung der Wegnahme siehe später bei Gegenwärtigkeit der Notwehr. 3
3) Ergebnis Der Tatbestand des 242 I ist somit erfüllt. 2. Rechtswidrigkeit A handelte rechtswidrig, es sind keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich. 3. Schuld A handelte schuldhaft. 4. Ergebnis A hat sich gemäß 242 I strafbar gemacht 6. B. Strafbarkeit des B I. Versuchte Freiheitsberaubung, 239 I Var. 2, II, 22, 23 I 7 B könnte sich dadurch, dass er A festhalten wollte, wegen versuchter Freiheitsberaubung zum Nachteil des A gemäß 239 I Var. 2, II, 22, 23 I strafbar gemacht haben. Vorprüfung Da A entkommen konnte, wurde das Delikt nicht vollendet. Der Versuch einer Freiheitsberaubung ist gemäß 239 I Var. 2, II, 22, 23 I strafbar. 1. Tatbestand B wollte dem A die Möglichkeit nehmen, sich fortzubewegen und hatte daher Tatentschluss bezüglich einer Freiheitsberaubung gemäß 239 I Var. 2. Zu einer Freiheitsberaubung hatte er auch unmittelbar i.s.v. 22 angesetzt, da er aus seiner Sicht der Tatbestand ohne wesentliche Zwischenschritte verwirklicht werden kann und er die Schwelle zum Jetzt geht s los überschritten hat, indem er mit der Hand schon nach A griff. 2. Rechtswidrigkeit 1) Notwehr, 32 8 Zu prüfen ist, ob Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen. 6 123, befriedetes Besitztum, wird nach h.m. nicht bei beweglichen Sachen angenommen und ist deswegen hier nicht gegeben (siehe Sch/Sch- Lenckner/Sternberg-Lieben 123 Rn. 6). Eine Wohnung oder ein Geschäftsraum kann jedoch auch beweglich sein (Wohnwagen, Bauwagen,.), vorliegend finden sich aber keine solche Angaben im Sachverhalt. 7 Zum Aufbau des Versuchs und den einzelnen Problemen hierbei siehe später. 8 Das zivilrechtliche Notwehrrecht ( 227 BGB) stimmt inhaltlich mit 32 überein, vgl. Palandt-Heinrichs, 227 Rn. 1, so dass die Prüfung des 227 BGB zu denselben Erwägungen führt. 4
a) Notwehrlage A war gerade dabei, die Wegnahme des Radios des B zu vollenden. Dies stellt einen rechtswidrigen (s. oben) und gegenwärtigen (zumindest noch andauernden) Angriff auf das Eigentum des B dar. Eine Notwehrlage i. S. v. 32 II ist gegeben. b) Notwehrhandlung Das Festhalten war geeignet, den Angriff abzuwehren. Da A sich entfernen wollte und sich auch nach Erblicken des B nicht dazu entschloss, das Radio zurückzulassen, sind keine milderen Mittel ersichtlich, die die wirksame Abwendung des Angriffs erwarten ließen. Auch Zurufe waren nicht gleichermaßen wie ein Festhalten geeignet, auf eine tatsächliche Abwendung des Angriffs des flüchtigen A hinzuwirken. Daher war die beabsichtigte Handlung erforderlich. Ferner war die gewählte Notwehrhandlung auch geboten. c) Verteidigungswille B handelte mit Verteidigungswillen. d) Ergebnis Die Voraussetzungen des 32 sind gegeben. Das Handeln des B war durch Notwehr gerechtfertigt. 2) Besitzkehr, 859 II BGB 9 Es könnte zugleich ein Fall rechtfertigender Besitzkehr, 859 II BGB, vorliegen. 859 II gehört zu den zivilrechtlichen Selbsthilferechten. A hat dem B das Radio mittels verbotener Eigenmacht (Legaldefinition in 858 I BGB) weggenommen. Da B auf frischer Tat betroffen wurde, durfte A ihm das Radio mit Gewalt wieder abnehmen. B ist daher auch durch 859 II BGB gerechtfertigt. Die zivilrechtlichen Selbsthilferechte sind in 229, 230 und 859 BGB zu finden. 10 3) Festnahmerecht, 127 I 1 StPO 11 Als weiterer Rechtfertigungsgrund kommt 127 I 1 StPO in Betracht. a) Festnahmelage A wurde auf frischer Tat betroffen und befand sich erkennbar auf der Flucht ( Festnahmegrund ). b) Festnahmehandlung Freiheitsberaubungen sind vom Festnahmerecht nach 127 I 1 StPO umfasst 12. B hat damit eine zulässige Festnahmehandlung ergriffen. 9 Gegenüber 229, 230 BGB ist 859 II BGB spezieller, vgl. Kühl, AT, 9 Rn. 10. Nach Kühl, AT, 9 Rn. 3, 12a sollen 229 BGB und 859 I BGB auch 32 vorgehen, insoweit anders Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil I, Rn. 497. 10 Rengier StR AT, 21. 11 Bei 127 I 1 StPO ist v.a. umstritten, ob das Festnahmerecht eine tatsächlich begangene Straftat voraussetzt oder ob dringender Tatverdacht ausreicht. Dieser Streit spielt natürlich nur dann eine Rolle, wenn die Tat was hier nicht der Fall ist - nicht tatsächlich begangen wurde, aus Sicht des Festnehmenden aber dringender Tatverdacht bestand. Man kann sich dann für oder gegen eine Rechtfertigung aus 127 I 1 StPO entscheiden, wichtig ist gegebenenfalls nur, dass man argumentiert. 12 Kühl, AT, 9 Rn. 91. 5
c) Festnahmewille B handelte in Kenntnis der Festnahmelage und zum Zwecke der Festnahme. d) Ergebnis Die Voraussetzungen des 127 I 1 StPO sind gegeben. B handelte rechtmäßig. 4) Ergebnis B handelte gerechtfertigt und hat sich daher nicht strafbar gemacht 13 14 15. 2. Tatkomplex: Die Verfolgung durch den Garten A) Strafbarkeit des A I. Hausfriedensbruch, 123 I Var. 16 1 Indem A den Vorgarten des N betrat, könnte er einen Hausfriedensbruch zum Nachteil des N gemäß 123 I Var. 1 begangen haben. 1. Tatbestand 1) Objektiver Tatbestand A könnte in befriedetes Besitztum eingedrungen sein. Der Vorgarten des N könnte ein befriedetes Besitztum darstellen. Die niedrige Mauer, die den Vorgarten des N umgibt, stellt eine äußerlich sichtbare Schranke dar. Der Vorgarten ist daher sicher als befriedetes Besitztum anzusehen 17. Fraglich ist, ob A in den Vorgarten i.s.v. 123 I Var. 1 eingedrungen ist. Dies ist der Fall, wenn A den Garten gegen 18 den ausdrücklichen oder mutmaßlichen 19 Willen des N betreten hat. Sofern ein solch entgegenstehender Wille nicht vorhanden ist, fehlt es am Tatbestandsmerkmal eindringen. Da der Tatbestand des 123 I immer ein Handeln gegen den Willen des Hausrechtsinhabers voraussetzt, ist das mut- 13 Zur Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen siehe noch unten. 14 Auch eine versuchte Nötigung, 240 I, III, 22, 23 I und eine versuchte Körperverletzung, 223 I, II, 22, 23 I (unmittelbares Ansetzen zur Körperverletzung zudem sehr problematisch) liegen (spätestens) mangels Rechtswidrigkeit nicht vor. 15 229, 230 BGB könnte man ansprechen. 16 Variante beziehe ich bei 123 auf die Handlungsform (Eindringen und gerade nicht Verweilen), nicht hingegen auf das Handlungsobjekt (Wohnung, Geschäftsraum, befriedetes Besitztum,.). 17 Zu diesem Begriff und den einzelnen Fällen siehe Sch/Sch- Lenckner/Sternberg-Lieben 123 Rn. 6. 18 Für das Eindringen gemäß 123 I Var. 1 ist nach h.m. erforderlich, dass der Täter den geschützten Raum gegen den Willen des Berechtigten betritt. Solange kein solcher entgegenstehender Wille besteht, liegt daher kein Eindringen vor. Nach einer Mindermeinung in der Literatur bedeutet Eindringen bereits das Betreten ohne den Willen des Berechtigten. Hiernach liegt ein Eindringen daher auch dann vor, wenn kein entgegenstehender Wille besteht, solange eben nur kein zustimmender Wille besteht. Im Ergebnis kommen beide Auffassungen meist zu übereinstimmenden Ergebnissen. 19 Nicht verwechseln mit der hypothetischen Einwilligung. Auf diese kommt er nur an, wenn eine Einwilligungserklärung tatsächlich schon ausgesprochen wurde, diese aber irrtumsbehaftet war und wegen Willensmängeln unwirksam ist (BGH v. 15.10.2003 1 StR 300/03 (=NStZ-RR 2004, 16-17; JR 2004, 251-252, StV 2004, 376-377; JZ 2004, 799-800): Die Rechtswidrigkeit eines ohne ordnungsgemäße Aufklärung durchgeführten Eingriffs (hier: Bandscheibenoperation) entfällt, wenn der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte.) 6
maßliche Einverständnis tatbestandsausschließend. Hier kommt jedoch der mutmaßlich entgegenstehende Wille des Hausrechtsinhabers N in Betracht. Dieser wäre nicht damit einverstanden gewesen, dass sein Vorgarten von A als Fluchtweg missbraucht wird. A ist daher in befriedetes Besitztum des N eingedrungen. Der objektive Tatbestand des 123 I Var. 1 ist gegeben. 2) Subjektiver Tatbestand A erkannte, dass er das fremde Hausrecht verletzte und wollte dies auch; er handelte damit vorsätzlich. 2. Rechtswidrigkeit A handelte rechtswidrig. 3. Schuld A handelte schuldhaft. 4. Ergebnis A hat sich gemäß 123 I Var. 1 strafbar gemacht. Die Tat wird jedoch nur auf Antrag des N verfolgt, 123 II, 77 I. II. Sachbeschädigung, 303 I Var. 1 Indem A den Hund getreten hat, könnte er sich gemäß 303 I Var. 1 wegen Sachbeschädigung zum Nachteil des N strafbar gemacht haben. 1. Tatbestand 1) Objektiver Tatbestand A müsste eine fremde Sache beschädigt haben. Fraglich ist, ob der Hund eine Sache ist. Nach 90 BGB sind Sachen nur körperliche Gegenstände. Tiere sind nach 90a BGB keine Sachen, werden jedoch, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, als solche behandelt. Die Wertung des Zivilrechts lässt sich allerdings nicht auf das Strafrecht übertragen. Im Strafrecht fehlt eine vergleichbare Bestimmung. Nach seinem Zweck schützt 303 StGB nicht Tiere, sondern den Eigentümer. Der Eigentümer soll vor Beeinträchtigungen seiner Rechtsgüter geschützt werden. Ob dieses Rechtsgut ein Gegenstand oder ein lebendiges Tier ist, macht aus Sicht des Eigentümer keinen Unterschied; er will alle seine Rechtsgüter geschützt wissen. Die Aufgabe des Strafrechts ist der Rechtsgüterschutz, weshalb auch Tiere unter den strafrechtlichen Sachbegriff fallen. Der Hund ist eine Sache. Beschädigung ist jede nicht ganz unerhebliche Einwirkung auf die Sache. Die Brauchbarkeit des Hundes etwa zum Wachen oder Spielen wird durch den Tritt beeintächtigt. Kausalität und objektive Zurechnung sind gegeben. Der objektive Tatbestand des 303 I Var. 1 ist damit erfüllt. 7
2) Subjektiver Tatbestand A wusste, dass er durch seinen Tritt den Hund verletzen und damit i.s.v. 303 I Var. 1 beschädigen würde. Der subjektive Tatbestand ist daher erfüllt. 2. Rechtswidrigkeit Möglicherweise handelte A rechtmäßig. Dies ist der Fall, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliegt. In Betracht kommen 228 S. 1 BGB und 34 StGB. 228 S. 1 BGB ist als speziellerer Rechtfertigungsgrund vor 34 StGB zu prüfen. 1) Defensivnotstand, 228 S. 1 BGB a) Notstandslage Der Hund drohte A zu beißen; es bestand daher akute Gefahr für seine körperliche Unversehrtheit bzw. für sein Eigentum (Kleidung). Fraglich ist nur, ob A die Gefahr durch die fremde Sache (Hund) selbst drohte oder ob der Hund als Werkzeug in der Hand des N anzusehen war, was zur Anwendung des 32 (Notwehr) führen müsste 20. Hier war dies jedoch nicht der Fall. Der Hund des N war undressiert, sein Verhalten war also noch in keiner Weise durch den Willen seines Eigentümers N vorbestimmt. Dem Sachverhalt sind auch keine Einwirkungshandlungen des N auf den Hund zu entnehmen. A befand sich damit in einer 228 S. 1 BGB entsprechenden Notstandslage 21. b) Notstandshandlung Da der Hund verletzt ist, liegt eine Beschädigung einer Sache (s.o.) vor. A müsste ein erforderliches Verteidigungsmittel gewählt haben. Ein Verteidigungsmittel ist dann erforderlich, wenn es kein anderes Abwehrmittel gibt, das weniger intensiv in Rechtsgüter anderer eingreift und wenn es zugleich geeignet ist, die endgültige Beseitigung der Gefahr sicherzustellen. Der Tritt war geeignet, die Gefahr abzuwenden. Ein milderes Mittel als der Tritt gegen den Hund ist nicht ersichtlich. A hat daher ein objektiv erforderliches Verteidigungsmittel eingesetzt. Der nach objektiven Kriterien vorzunehmende Wertvergleich der betroffenen Rechtsgüter führt zu dem Ergebnis, dass A zwar hinsichtlich seiner Kleidung ein gleichwertiges, hinsichtlich seiner körperlichen Unversehrtheit aber ein niederrangiges (Eigentum des N an seinem Hund) zum Schutze eines höherwertigen Rechtsgutes verletzt hat. Der Schaden steht damit nicht außer Verhältnis zur abgewendeten Gefahr. Anmerkung: Dass A sich möglicherweise fahrlässig der Gefahr ausgesetzt hat, obwohl er dem drohenden Biss durch Nichtbetreten des Grundstücks hätte ausweichen können, ist ohne Belang, wie 228 S. 2 BGB klarstellt. Hiernach würde dieser Umstand lediglich eine (zivilrechtliche) Schadensersatzpflicht begründen. 20 Wird ein Hund auf einen Menschen gehetzt, so stellt dies nach ganz herrschender Ansicht einen menschlichen Angriff i.s.d. 32 dar. Man hätte deswegen auch 32 kurz anprüfen können und das Problem bei Angriff nur menschliche Angriffe problematisieren können. Es wäre hier also auch richtig gewesen, zunächst 32 anzuprüfen, einen Angriff zu verneinen und dann erst zur Prüfung des 228 S. 1 BGB überzugehen. 21 Verwandt ist auch das Thema antizipierter Notwehr durch Selbstschussanlagen oder dressierte Wachtiere, siehe hierzu Sch/Sch-Lenckner/Perron 32 Rn. 18a und 37. 8
c) Gefahrabwendungswille A kannte die Notstandslage und handelte auch mit dem Willen, die ihm drohende Gefahr abzuwenden. d) Ergebnis Das Handeln des A war gemäß 228 S. 1 BGB rechtmäßig. 2) Rechtfertigender Notstand, 34 34, rechtfertigender Notstand, liegt nach seinen Voraussetzungen ebenfalls vor; er tritt jedoch hinter die Spezialregelung des 228 S. 1 BGB zurück. 3) Ergebnis A hat sich wegen der Verletzung des Hundes nicht gemäß 303 I Var. 1 strafbar gemacht. B) Strafbarkeit des B I. Hausfriedensbruch, 123 I Var. 1 Indem B den A durch den Garten des N verfolgte, könnte B zum Nachteil des N einen Hausfriedensbruch gemäß 123 I Var. 1 begangen haben. 1. Tatbestand 1) Objektiver Tatbestand B betrat das befriedete Besitztum des N. Fraglich ist, ob dies ein Eindringen i.s.v. 123 I Var. 1 darstellt. Dies ist nur dann der Fall, wenn B das Grundstück gegen den wahren oder mutmaßlichen Willen des N betreten hat. Über den wahren Willen des N ist nichts bekannt. Der mutmaßliche Wille des N geht jedoch dahin, dass er seinem Nachbarn nicht die Verfolgung eines Diebes verwehren würde. Da der mutmaßliche Wille des N dem Betreten des Grundstücks durch B nicht entgegensteht, kann nicht festgestellt werden, dass B i.s.v. 123 I Var. 1 eingedrungen ist 22. Der objektive Tatbestand des 123 I Var. 1 ist daher nicht erfüllt. 2) Ergebnis B hat den objektiven Tatbestand des 123 I Var. 1 nicht erfüllt, sodass eine Strafbarkeit nach dieser Vorschrift ausscheidet. II. Körperverletzung, 223 I Var. 1, Var. 2 Indem B mit dem Blumentopf nach A warf, könnte er sich wegen Körperverletzung zum Nachteil des A gemäß 223 I Var. 1, Var. 2 strafbar gemacht haben. 22 Für das Eindringen gemäß 123 I Var. 1 ist nach h.m. erforderlich, dass der Täter den geschützten Raum gegen den Willen des Berechtigten betritt. Solange kein solcher entgegenstehender Wille besteht, liegt daher kein Eindringen vor. Nach einer Mindermeinung in der Literatur bedeutet Eindringen bereits das Betreten ohne den Willen des Berechtigten. Hiernach liegt ein Eindringen daher auch dann vor, wenn kein entgegenstehender Wille besteht, solange eben nur kein zustimmender Wille besteht. 9
1. Tatbestand 1) Objektiver Tatbestand B müsste den A körperlich misshandelt haben. Unter einer körperlichen Misshandlung versteht man jede üble unangemessene Handlung, die das körperliche Wohlbefinden nicht nur geringfügig beeinträchtigt. Das Bewerfen mit einem Blumentopf stellt eine üble und unangemessene Behandlung dar. Da A vor Schmerz das Radio fallen ließ, wurde auch sein körperliches Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt. B hat den A daher körperlich misshandelt. Unter Gesundheitsschädigung versteht man jede Hervorrufung oder Steigerung eines krankhaften Zustandes. Da A davon humpelte, wurde ein krankhafter Zustand bei K hervorgerufen 23. Kausalität und objektive Zurechnung liegen vor. Der objektive Tatbestand des 223 I Var. 1 ist damit gegeben 24. 2) Subjektiver Tatbestand B handelte vorsätzlich, da er wusste, dass er den A durch den Wurf mit dem Blumentopf verletzen würde und dies auch wollte. 2. Rechtswidrigkeit B könnte rechtmäßig gehandelt haben. 1) Notwehr, 32 B könnte durch Notwehr, 32, gerechtfertigt sein. Voraussetzung dafür ist eine Notwehrlage, eine Notwehrhandlung und Notwehrwille. a) Notwehrlage Eine Notwehrlage i.s.d. 32 II erfordert einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff. Hier lag ein Angriff des A auf das Eigentum des B vor. Fraglich ist, ob dieser Angriff auch gegenwärtig war. Ein Angriff ist gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch andauert. Der Diebstahl des A war zwar vollendet, aber noch nicht beendet 25, da das Beutegut noch nicht endgültig gesichert war. Der Angriff auf das Eigentum des B war daher noch gegenwärtig. b) Notwehrhandlung Die gewählte Notwehrhandlung muss erforderlich gewesen sein. Erforderlich i.s.v. 32 II ist diejenige Handlung, die ein geeignetes und das mildeste Mittel zur sicheren und endgültigen Abwehr des Angriffs darstellt. Das Bewerfen mit dem Blumentopf war geeignet, A aufzuhalten. Laut Sachverhalt konnte B den A nicht zu Fuß einholen. Ein Ruf, der A solle anhalten, wäre nicht erfolgversprechend gewesen, da A durch das Ergreifen der Flucht zu erkennen gab, dass er nicht gewillt war, das Radio ohne Zwangseinwirkung zurückzugeben. Andere Mittel zum Schutz des Eigentums des B als der Wurf mit dem Blumentopf 23 Ebenso gut Verneinung der Gesundheitsschädigung, SV ist auslegungsbedürftig. 24 Auch die Annahme von 223 I Var. 2 ist gut vertretbar, da A laut Sachverhalt humpelte und nach der Lebenserfahrung eine Gesundheitsschädigung naheliegt. 25 Zur Unterscheidung Vollendung und Beendigung siehe FB BT oder ein entsprechendes Lehrbuch. 10
sind somit nicht ersichtlich. Die Notwehrhandlung war daher erforderlich und auch geboten i.s.v. 32 I 26. Anmerkung: Es ist also zu beachten, dass im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung nicht die Verhältnismäßigkeit der Mittel geprüft wird. Es findet keine Güterabwägung zwischen dem gefährdeten und dem durch die Verteidigung verletzten Rechtsgut statt. Man muss nur von mehreren zur Verfügung stehenden ebenso wirksamen Mitteln dasjenige wählen, das den geringsten Schaden anrichtet. Lediglich die Abwehrhandlung muss erforderlich sein. Das Folgenrisiko trägt grundsätzlich der Angreifer. c) Notwehrwille B handelte subjektiv mit Verteidigungswillen. d) Ergebnis: Notwehr ist gegeben. 2) Besitzkehr, 859 II BGB 27 Es könnte zugleich ein Fall rechtfertigender Besitzkehr, 859 II BGB, vorliegen. A hat dem B das Radio mittels verbotener Eigenmacht (Legaldefinition in 858 I BGB) weggenommen. Da B auf frischer Tat betroffen wurde, durfte A ihm das Radio mit Gewalt wieder abnehmen. B ist daher auch durch 859 II BGB gerechtfertigt. 3) Festnahmerecht, 127 I 1 StPO B könnte auch durch das Festnahmerecht gemäß 127 I 1 StPO gerechtfertigt sein. Das Festnahmerecht berechtigt aber nur zu Freiheitsberaubungen ( 239), zu Nötigungen ( 240) sowie zu leichten Körperverletzungen, die hierdurch bedingt sind 28. Schwerwiegendere Körperverletzungen, wie sie durch den Wurf mit einem Blumentopf an die Schulter entstehen können, sind nicht durch 127 I StPO gedeckt 29. 4) Ergebnis B handelt gerechtfertigt. Er hat sich daher nicht wegen Körperverletzung gem. 223 I Var. 1, Var. 2 strafbar gemacht 30. III. Sachbeschädigung, 303 I Var. 2 Indem B den Blumentopf durch das Werfen auf A in tausend Stücke zerspringen ließ, könnte er sich wegen Sachbeschädigung gemäß 303 I Var. 2 zum Nachteil des N strafbar gemacht haben. 26 Ein krasses Missverhältnis, das zu einer Einschränkung des Notwehrrechts führen könnte, ist hier nicht gegeben. 27 Gegenüber 229, 230 BGB ist 859 II BGB spezieller, vgl. Kühl, AT, 9 Rn. 10. Nach Kühl, AT, 9 Rn. 3, 12a sollen 229 BGB und 859 I BGB auch 32 vorgehen, insoweit anders Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil I, Rn. 497. 28 Siehe Kühl, AT, 9 Rn. 91. 29 Andere Ansicht bei guter Begründung vertretbar, wenn man die Verletzung durch den Wurf mit dem Blumentopf als leichtere Körperverletzung einstuft. Entscheidend bei der Argumentation ist jedenfalls, ob die Festnahmehandlung zum Festnahmezweck in einem angemessenen Verhältnis steht. Dabei hat grundsätzlich der staatliche Strafanspruch, der durch 127 I StPO geschützt wird, hinter der Gesundheit des Täters zurückzustehen. 30 Auch eine Nötigung, 240 I, liegt daher mangels Rechtswidrigkeit nicht vor. 11
1. Tatbestand 1) Objektiver Tatbestand Der Blumentopf war für B eine fremde Sache. Diese hat er durch den Wurf zerstört. Kausalität und objektive Zurechnung liegen vor. Der objektive Tatbestand ist gegeben. 2) Subjektiver Tatbestand Da B den zerbrechlichen Blumentopf über eine längere Distanz warf, nahm er zumindest billigend in Kauf, dass der Topf dabei zu Bruch gehen würde. Er handelte daher zumindest mit dolus eventualis. 2. Rechtswidrigkeit Fraglich ist, ob B rechtswidrig handelte. 1) Aggressivnotstand, 904 S. 1 BGB B könnte gemäß 904 S. 1 BGB gerechtfertigt sein. Hierzu müsste eine Notstandslage gegeben sein, mithin eine gegenwärtige Gefahr vorliegen. Es lag hier eine gegenwärtige Gefahr für das Eigentum des B vor. B wirkte auf den Blumentopf ein, indem er ihn zerstörte. Des Weiteren müsste eine Notstandshandlung gegeben sein. Ein Einwirkung auf die Sache liegt durch die Zerstörung des Blumentopfes vor. Fraglich ist, ob diese Notstandshandlung notwendig i.s.v. 904 S. 1 BGB war. Ein milderes, ebenso geeignetes Mittel zur Abwendung der Gefahr lag nicht vor. Daher war das Werfen mit dem Blumentopf notwendig. Zu prüfen ist ferner, ob der dem B drohende Schaden (Verlust des Radios) objektiv unverhältnismäßig groß gegenüber dem durch die Notstandshandlung entstehenden Schaden ist. Durch die Notstandshandlung ging nur ein alter Blumentopf zu Bruch. Demgegenüber wäre der Verlust des wertvollen Radios unverhältnismäßig groß. Da B auch mit Gefahrabwendungswillen handelte, ist er nach 904 S. 1 BGB gerechtfertigt. 2) Rechtfertigender Notstand, 34 904 S. 1 BGB ist gegenüber 34 spezieller, weshalb letzterer hier zurücktritt 31. Anmerkung: Notwehr, 32, kommt hier nicht in Betracht. Die Notwehrhandlung muss sich immer gegen Rechtsgüter des Angreifers richten. Angreifer ist hier der A, es wird jedoch in das Rechtsgut des N (=Eigentum am Blumentopf) eingegriffen. Wirkt sich die Handlung auf Rechtsgüter von unbeteiligten Dritten aus, so scheidet eine Rechtfertigung nach 32 aus. Auch 228 S. 1 BGB ist hier nicht einschlägig, da die Gefahr für das Eigentum des B nicht von der durch die Notstandshandlung beeinträchtigten Sache ausging (hier: Nicht der Blumetopf ist die Gefahr, sondern nur das Mittel, um die von A verursachte Gefahr abzuwenden). 3) Ergebnis B hat sich nicht gemäß 303 I Var. 2 strafbar gemacht. 31 Es wäre auch gut vertretbar, an eine mutmaßliche Einwilligung des N zu denken und diese zu bejahen. 12
Gesamtergebnis: B hat sich nicht strafbar gemacht. A ist strafbar wegen Diebstahls gem. 242 I und Hausfriedensbruchs gem. 123 I Var. 1. Die Taten stehen in Realkonkurrenz, 53. 13
Exkurs: Die Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen Oftmals stellt sich das Problem, wie zu verfahren ist, wenn mehrere Rechtfertigungsgründe auf denselben Sachverhalt zutreffen. Dies betrifft vor allem das Problem des Verhältnisses zwischen den Vorschriften der 32, 34 StGB einerseits und den zivilrechtlichen Selbsthilfe- und Notrechten andererseits. Generell ist zunächst davon auszugehen, dass die Rechtfertigungsgründe unabhängig voneinander anzuwenden sind. Da eine allgemeine Konkurrenzformel nicht existiert, mit deren Hilfe man das Nebeneinander von Rechtfertigungsgründen ordnen könnte, bietet es sich an, vom materiellen Gehalt der einschlägigen Erlaubnissätze auszugehen und im jeweiligen Einzelfall die Lösung hieran zu orientieren. Daraus ergibt sich beispielsweise, dass 32 StGB ( das schneidige Notwehrrecht ) als Sonderregelung anderen Rechtfertigungsgründen vorgeht. 904 S. 1, 228 BGB als spezielle Notstandsregelungen vor 34 StGB zu prüfen sind. zwischen 904 S. 1 BGB und 228 BGB kein Konkurrenzverhältnis besteht. Diese können nie (!) beide zugleich bejaht werden, da sie einen jeweils unterschiedlichen Regelungsgegenstand haben. 904 S. 1 BGB betrifft den aggressiven Notstand (unbeteiligte Sache wird beschädigt). 228 BGB dagegen den defensiven Notstand (die Sache von der Gefahr ausgeht, wird selbst beschädigt). Nicht verwechseln: 34 StGB deckt beide Fälle ab, das heißt hiernach kann sowohl ein aggressiver als auch ein defensiver Notstand gerechtfertigt sein. das Vorliegen einer Einwilligung oder einer mutmaßlichen Einwilligung die Anwendung des 34 StGB nach h.m. ausschließt, da sonst die Einwilligungsvoraussetzungen unterlaufen würden. Beispiel: O lehnt aus religiösen Gründen eine Bluttransfusion ab, obwohl diese ihr Leben retten würde. Nimmt der Arzt nun entgegen ihrem Willen dennoch eine Bluttransfusion vor, stellt dies eine strafbare Körperverletzung dar. Eine den Arzt rechtfertigende Einwilligung liegt nicht vor und auf 34 (Rettung des gegenüber der körperlichen Unversehrtheit höherwertigeren Guts Leben) darf nicht zurückgegriffen werden, da sonst der Patientenwillen leer liefe. es für eine Klausurlösung aber vor allem wichtig und auch ausreichend ist, alle in Betracht kommenden Rechtfertigungsgründe aufzuführen und ihre Voraussetzungen zu prüfen (Gutachten!). 127 I StPO in den einschlägigen Fällen immer zusätzlich zu prüfen ist. Literatur: Heinrich StR AT Bd. I 15, 16; Krey AT Bd. 1 13 14; Kühl AT 8, 9; Wessels/Beulke StR AT 8 III, IV, 9, Rengier STR AT, 19, 20, 21, 22, 23. 14