Lösungen zur Obersatzbildung und Subsumtion



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Transkript:

Propädeutische Übung im Strafrecht AT I begleitend zum Grundkurs I bei Prof. Dr. Kudlich WS 2007/08 Einheit 1: Gutachtenstil Lösungen zur Obersatzbildung und Subsumtion Lösungen Obersatzbildung Fall 1 T könnte sich gem. 240 I StGB wegen Nötigung strafbar gemacht haben, indem er auf der linken Spur der Autobahn permanent die Lichthupe betätigt hat 1. Fall 2 Durch das Schlendern durch den Laden des O könnte sich T gem. 123 I StGB wegen Hausfriedensbruchs strafbar gemacht haben. T könnte sich gem. 242 I StGB eines Diebstahls schuldig gemacht haben, indem er eine CD in seine Jackentasche gesteckt hat. Dadurch, dass T einen Aufkleber mit der Aufschrift BEZAHLT über das Preisschild des Kartons geklebt hat, könnte er sich gem. 267 I StGB wegen Urkundenfälschung strafbar gemacht haben. Durch das Herausholen des Aufklebers aus der verschlossenen Schublade könnte sich T gem. 242 I, 243 I 2 Nr. 2 StGB wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall strafbar gemacht haben. 1 Für Interessierte: Maatz, NZV 2006, 337. PÜ Strafrecht AT I, WS 2007/08 Einheit 1: Gutachtenstil

Indem T das Schloss der Schublade manipuliert hat, könnte er sich wegen Sachbeschädigung gem. 303 I StGB strafbar gemacht haben. Dadurch, dass T mit dem präparierten Karton an der Kasse vorbeigegangen ist, könnte er sich gem. 263 I StGB wegen Betrugs strafbar gemacht haben. Fall 3 2 Durch das Einschlagen auf F könnte sich T gem. 223 I StGB einer Körperverletzung schuldig gemacht haben. Dadurch, dass T auf F eingeschlagen und von ihr gefordert hat, den Sachverhalt zuzugeben, könnte er sich gem. 240 I StGB wegen Nötigung strafbar gemacht haben. Dadurch, dass T auf F eingeschlagen und von ihr gefordert hat, den Ring herauszugeben, könnte sich T gem. 253 I, 255 StGB wegen räuberischer Erpressung strafbar gemacht haben. Dadurch, dass T auf F eingeschlagen und von ihr gefordert hat, Schmerzensgeld für seine seelischen Qualen zu bezahlen, könnte er sich gem. 253 I, 255 StGB einer räuberischen Erpressung schuldig gemacht haben. 2 Ein besonders krasser Haustyrannen-Fall findet sich bei BGH NJW 2003, 2464. PÜ Strafrecht AT I, WS 2007/08 Einheit 1: Gutachtenstil 2

Lösungen zur Subsumtion Fall 1 [ Obersatz] Indem A die Vase zu Boden warf, könnte er sich gem. 303 I StGB einer Sachbeschädigung schuldig gemacht haben. A. Tatbestandsmäßigkeit Zunächst müsste A tatbestandsmäßig i.s.d. 303 I StGB gehandelt haben. I. Objektiver Tatbestand 1. Fremde Sache a) Sache [ Obersatz] Mit der Vase müsste eine Sache vorliegen. [ Definition] Sachen sind gem. 90 BGB körperliche Gegenstände 3. [ Subsumtion] Die Vase ist ein körperlicher Gegenstand. [ Ergebnis] Mithin ist die Vase eine Sache. b) fremd Ferner müsste es sich bei der Vase um eine für A fremde Sache gehandelt haben. Eine Sache ist dann fremd, wenn sie nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts 3 Vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl. (2006), 303 Rdnr. 2 mit Verweis auf 242 Rdnr. 3. PÜ Strafrecht AT I, WS 2007/08 Einheit 1: Gutachtenstil 3

im Eigentum eines anderen steht 4. Vorliegend stand die Vase im Eigentum des B. Mithin war die Vase für A fremd. c) Zwischenergebnis Als eine für A fremde Sache war die Vase taugliches Tatobjekt einer Sachbeschädigung. 2. Beschädigung oder Zerstörung a) Zerstörung Weiter stellt sich die Frage, ob die Vase i.s.v. 303 I StGB zerstört worden ist. Von der Zerstörung einer Sache ist dann auszugehen, wenn sie so weitgehend beschädigt ist, dass ihre Gebrauchstauglichkeit völlig aufgehoben wird 5. Vorliegend hat A die Vase zu Boden geworfen, so dass diese zerbrochen ist. Es ist mithin von einer Zerstörung der Vase auszugehen. 6 b) Kausalität und objektive Zurechnung Die Handlung des A müsste außerdem kausal für den Erfolg, also die zerstörte Sache gewesen sein. Kausal ist nach der herrschenden conditio-sine-qua-non-formel jede Handlung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkrtetn Gestalt entfiele. Hätte A die Vase nicht zu Boden geworfen, 4 Tröndle/Fischer, a.a.o., 303 Rdnr. 4 mit Verweis auf 242 Rdnr. 5. 5 Tröndle/Fischer, a.a.o., 303 Rdnr. 14. 6 Liegt wie hier offensichtlich eine Zerstörung vor, braucht i.r.v. 303 I StGB auf das Merkmal Beschädigung nicht mehr eingegangen werden, da die Beschädigung notwendiger Weise in der Zerstörung der Sache mitenthalten ist. PÜ Strafrecht AT I, WS 2007/08 Einheit 1: Gutachtenstil 4

wäre diese nicht zerbrochen. Folglich war die Handlung des A kausal für die zerstörte Vase. Durch das Zubodenwerfen der Vase hat A außerdem eine rechtlich relevante Gefahr für das Eigentum des B geschaffen, welche sich im konkrten Erfolg, der zerstörten Vase, realisiert hat. Dieser Erfolg ist dem A auch objektiv zurechenbar. 7 3. Zwischenergebnis Damit hat A den objektiven Tatbestand des 303 I StGB erfüllt. II. Subjektiver Tatbestand Des weiteren müsste A gem. 15 StGB vorsätzlich gehandelt haben. Von vorsätzlichem Handeln ist dann auszugehen, wenn der Täter den tatbestandlichen Erfolg wissentlich und willentlich herbeigeführt hat 8. A hat die Vase im Streit mit B zu Boden geworfen, um diesen zu ärgern. Er handelte mithin vorsätzlich. III. Ergebnis Folglich handelte A tatbestandsmäßig i.s.v. 303 I StGB. B. Rechtswidrigkeit/Schuld 9 Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte im Sachverhalt ist davon auszugehen, dass A auch rechtswidrig und schuldhaft handelte. C. Ergebnis 7 Die Kausalität und die objektive Zurechnung werden ausführlich in der 4. PPÜ-Stunde besprochen. In eindeutigen Fällen wie hier, wäre es auch zulässig diese kurz im Urteilsstil abzuhandeln. 8 Vgl. Tröndle/Fischer, a.a.o., 15 Rdnr. 3. 9 Die Prüfungsschritte Rechtswidrigkeit und Schuld können auch einzeln dargestellt werden. PÜ Strafrecht AT I, WS 2007/08 Einheit 1: Gutachtenstil 5

Damit hat sich A gem. 303 I StGB wegen Sachbeschädigung strafbar gemacht. Zur Verfolgung der Tat ist gem. 303 c StGB ein Strafantrag des B erforderlich, wenn nicht die Staatsanwaltschaft wegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Fall 2 Indem A dem B mit seiner Pistole in die Brust geschossen hat, könnte er sich gem. 212 I StGB wegen Totschlags strafbar gemacht haben. A. Tatbestandsmäßigkeit Fraglich ist, ob A tatbestandsmäßig i.s.v. 212 I StGB gehandelt hat. I. Objektiver Tatbestand Dazu müsste A einen Menschen in kausaler und objektiv zurechenbarer Weise getötet haben. Laut Sachverhalt ist B ein Mensch gestorben 10. Kausal ist die Handlung im Sinne der conditio-sine-qua-non-formel dann, wenn die Handlung nicht hinweggedacht werden kann ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Hätte A nicht auf B geschossen, wäre dieser nicht an den Schussverletzungen gestorben. Folglich war der Schuss kausal für den Erfolg. Indem A auf B geschossen hat, hat er auch eine rechtlich relevante Gefahr für das Leben des B geschaffen, die sich im konkrtem Erfolg nämlich dem Tod des B realisiert hat. 10 Bei unproblematisch erfüllten Tatbestandsmerkmalen (hier: Mensch und Tötung ) kann die Subsumtionsstufe Definition entfallen. PÜ Strafrecht AT I, WS 2007/08 Einheit 1: Gutachtenstil 6

Folglich ist A auch der Erfolg objektiv zurechenbar. Damit ist der objektive Tatbestand des 212 I StGB erfüllt. II. Subjektiver Tatbestand Überdies müsste A vorsätzlich gehandelt haben ( 15 StGB). Hiervon ist dann auszugehen, wenn A den Tod des B wissentlich und willentlich herbeigeführt hat. Dabei ist nach h.m. zusätzlich zu beachten, dass gegenüber der Tötung eines Menschen eine erhöhte Hemmschwelle besteht (sog. Hemmschwellentheorie)11. Vorliegend hat A den B laut Sachverhalt in Tötungsabsicht in die Brust geschossen. Er handelte mithin vorsätzlich. III. Ergebnis Damit handelte A tatbestandsmäßig i.s.v. 212 I StGB. B. Rechtswidrigkeit/Schuld A handelte rechtswidrig und schuldhaft. C. Ergebnis Folglich hat sich A gem. 212 I StGB wegen Totschlags strafbar gemacht. Fall 3 Indem A dem B eine kräftige Ohrfeige gegeben hat, könnte er sich gem. 223 I StGB einer Körperverletzung schuldig gemacht haben. A. Tatbestandsmäßigkeit 11 Vgl. Tröndle/Fischer, a.a.o., 212 Rdnr. 8. PÜ Strafrecht AT I, WS 2007/08 Einheit 1: Gutachtenstil 7

Zu prüfen ist zuerst, ob A tatbestandsmäßig i.s.v. 223 I StGB gehandelt hat. I. Objektiver Tatbestand 1. Körperliche Misshandlung, 223 I Alt. 1 StGB Mit der Ohrfeige könnte eine körperliche Misshandlung vorliegen. Diese besteht in einer üblen, unangemessenen Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden des Opfers nicht nur unerheblich beeinträchtigt 12. Mit dem kräftigen Schlag in das Gesicht des B war dessen körperliches Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt; auch stellte sich die Ohrfeige als üble und unangemessene Behandlung dar. Somit liegt eine körperliche Misshandlung vor. 2. Gesundheitsschädigung, 223 I Alt. 2 StGB Fraglich ist weiter 13, ob A den B mit der Ohrfeige auch an der Gesundheit geschädigt hat. Dies wäre dann der Fall, wenn bei B durch die Ohrfeige ein pathologischer (= krankhafter) Zustand herbeigeführt worden ist 14. Aufgrund der Ohrfeige hat sich B einen blauen Fleck im Gesicht zugezogen. Damit liegt eine Gesundheitsschädigung vor. 12 Vgl. Tröndle/Fischer, a.a.o., 223 Rdnr. 3a. 13 Bei der Prüfung von 223 I StGB empfiehlt es sich, stets sowohl das Merkmal körperliche Misshandlung als auch das Merkmal Gesundheitsschädigung zu prüfen. Nicht nur, dass dem Korrektor in der Klausur hierdurch vorgeführt werden kann, dass die einschlägigen Definitionen beherrscht werden; in der Praxis ist die Frage, ob nur eine oder beide Alternativen des 223 I StGB erfüllt sind, ein bei der Strafzumessung (vgl. 46 StGB) beachtlicher Gesichtspunkt. 14 Vgl. Tröndle/Fischer, a.a.o., 223 Rdnr. 6. PÜ Strafrecht AT I, WS 2007/08 Einheit 1: Gutachtenstil 8

3. Kausalität und objektive Zurechnung A müsste die körperliche Misshandlung und Gesundheitsschädigung in kausaler und objektiv zurechenbarer Weise herbeigeführt haben. Hätte A dem B keine Ohrfeige gegeben, wäre dieser nicht in seinem körperlichen Wohlbefinden beeinträchtigt worden und hätte auch keinen blauen Fleck davon getragen. Folglich war As Verhalten kausal für den Erfolg Durch die Ohrfeige hhat A zudem eine rechtlich relevante Gefahr für die Gesundheit des B geschaffen, die sich im konkrten Erfolg, nämlich Schmerzen und dem blauen Fleck realisiert hat. Mithin ist A der Erfolg auch objektiv zurechenbar. II. Subjektiver Tatbestand A handelte mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung und damit vorsätzlich. III. Ergebnis Damit handelte A tatbestandsmäßig i.s.v. 223 I StGB. B. Rechtswidrigkeit/Schuld A handelte rechtswidrig und schuldhaft. C. Ergebnis Damit hat sich A gem. 223 I StGB einer Körperverletzung schuldig gemacht. Zur Verfolgung der Tat ist gem. 230 I 1 StGB ein Strafantrag des B erforderlich, wenn nicht die Staatsanwaltschaft wegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. PÜ Strafrecht AT I, WS 2007/08 Einheit 1: Gutachtenstil 9

Fall 4 Indem A die Vase des B mitnahm, um diese für sich zu behalten, könnte er sich gem. 242 I StGB eines Diebstahls schuldig gemacht haben. A. Tatbestandsmäßigkeit Fraglich ist zunächst, ob A tatbestandsmäßig i.s.v. 242 I StGB gehandelt hat. I. Objektiver Tatbestand 1. Fremde bewegliche Sache Mit der im Eigentum des B stehenden Vase liegt ein taugliches Tatobjekt in Gestalt einer fremden beweglichen Sache vor. 2. Wegnahme A müsste die Vase des B weggenommen haben. Unter Wegnahme i.s.v. 242 I StGB versteht man den Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht unbedingt tätereigenen Gewahrsams 15. Gewahrsam ist die vom Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft, welche sich nach der Verkehrsauffassung bestimmt 16. Die Vase befand sich vorliegend in der Wohnung des B, so dass dieser ursprünglich Gewahrsam an der Vase hatte. Durch das Mitnehmen der Vase aus der Wohnung des B ist dessen Gewahrsam gebrochen und ein neues Gewahrsamsverhältnis 15 Vgl. Tröndle/Fischer, a.a.o., 242 Rdnr. 16. 16 Vgl. Tröndle/Fischer, a.a.o., 242 Rdnr. 11. PÜ Strafrecht AT I, WS 2007/08 Einheit 1: Gutachtenstil 10

zugunsten des A begründet worden. Es liegt also eine Wegnahme vor. 3. Zwischenergebnis A hat den objektiven Tatbestand des 242 I StGB verwirklicht. II. Subjektiver Tatbestand 1. ( Normaler ) Vorsatz A handelte mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung und damit vorsätzlich. 2. Zueignungsabsicht ( überschießende Innentendez ) A müsste überdies in der Absicht gehandelt haben, sich die Vase rechtswidrig zuzueignen. Hierfür ist erforderlich, dass sich A die Vase (zumindest vorübergehend) selbst aneignen und den B dauerhaft enteigenen wollte 17. Vorliegend hat A die Vase mitgenommen, um diese für sich zu behalten. Er handelte insofern mit der erforderlichen Zueignungsabsicht. 3. Zwischenergebnis A hat auch den subjektiven Tatbestand des 242 I StGB erfüllt. III. Ergebnis Damit handelte A tatbestandsmäßig i.s.v. 242 I StGB. B. Rechtswidrigkeit/Schuld A handelte rechtswidrig und schuldhaft. 17 Vgl. Tröndle/Fischer, a.a.o., 242 Rdnrn. 32 ff. PÜ Strafrecht AT I, WS 2007/08 Einheit 1: Gutachtenstil 11

C. Ergebnis Folglich hat sich A gem. 242 I StGB eines Diebstahls schuldig gemacht. Zur Verfolgung der Tat ist für den Fall, dass es sich bei der Vase um eine geringwertige Sache gehandelt hat (Grenze: 50,- EUR 18 ), gem. 248a StGB ein Strafantrag des B erforderlich, wenn nicht die Staatsanwaltschaft wegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. 18 Die Geringwertigkeitsgrenze ist nicht starr und teilweise wird diese auch sehr viel niedriger angesetzt; vgl Tröndle/Fischer, a.a.o., 248a Rdnr. 3, die die Geringwertigkeitsgrenze bei 25,- Euro annehmen. PÜ Strafrecht AT I, WS 2007/08 Einheit 1: Gutachtenstil 12