Abschied auf Raten. Begleitung Angehöriger sterbender Demenzkranker

Ähnliche Dokumente
Fleherstraße Düsseldorf-Bilk Tel Fax

Was geht, wenn nichts mehr geht? Psychologische Anmerkungen

Referentin: Elisabeth Nüßlein, Dipl. Sozialpädagogin, ausgebildete Trauerbegleiterin, Referentin für Hospizarbeit, Gruppentherapeutin

Trauer bei von Demenz betroffenen Menschen. Dr. Roland W. Kupper

Verlass mich nicht, wenn ich schwach werde

Herzlich Willkommen zur Angehörigeninformation 7. November 2016

TEILB DER VERLUST EINES NAHESTEHENDEN MENSCHEN 1. Ein Lebensende kündigt sich an 32

schließt. Aus vielen Nahtoderfahrungen wissen wir heute jedoch, dass das Leben mehr ist als unser kurzer Aufenthalt hier auf Erden.

Leben bis zuletzt Die hospizliche und palliative Versorgung schwerstkranker und sterbender Menschen

Krisen meistern Krisen meistern: Gefahr des Scheiterns und Chance des Neuanfangs

Kontakt Grenze und Beziehung. die Pflege und das Familiensystem

Modul 4 Krisenbewältigung für Pflegende

(Hannah Lothrop) Karin Jäkel, BV Das frühgeborene Kind e.v.

Wie erleben Kinder Sterben und Tod?

Wie erkennen Pflegefachpersonen, was Angehörige von onkologischen Patienten brauchen?

Herzlich Willkommen zur Palliative Care Weiterbildung Umgang mit Traurigkeit Trauer

Gliederung. Bibliografische Informationen digitalisiert durch

Angst und Angstbewältigung - Eigene Möglichkeiten und Unterstützungsangebote

Demenz die unheimliche Krankheit Demenz: macht Angst, betrifft die ganze Familie, Rollenmuster lösen sich auf, führt zu Rückzug und Isolation (auf bei

Palliative Betreuung am Lebensende

Bewältigungsprozess des Verlustes eines erkrankten Geschwisters ist?

Gesellschaftspolitische Entwicklungen

046 Bedürfnisse in der letzten Lebensphase: Wenn nichts mehr zu machen ist...

Psychologische Grundlagen

Übersicht Referat. Bedeutung von Krebs. Bedeutung von Krebs. Todesursachen. Psychologische Unterstützung bei Krebs (leider) ein Zukunftsfeld

Vom Schutz des Lebens und Sterbens in der Begegnung mit Todeswünschen Hochbetagter in der Hospizarbeit

Ausblicke: Palliative Geriatrie. in den Einrichtungen der Sozialdienste Volkssolidarität Berlin ggmbh

Die kriegt doch eh nichts mehr mit! Vom Sterben alter, demenzkranker Menschen

Auch Pflegende brauchen Pflege

Wenn die Wiege leer bleibt...

ECVET-konformes Curriculum der Altenpflege

Krisen von Angehörigen Damit muss ich alleine fertig werden! Warum fällt es uns so schwer, in belastenden Situationen Hilfe anzunehmen

Die Sterbephasen nach Kübler Ross. Das Recht auf einen würdigen Tod. Norbert Heyman Katholischer Krankenhausseelsorger.

Selbstbestimmt leben bis zuletzt

Ich habe den Psychoonkologie Lehrgang 2006 bei der. Österreichischen Gesellschaft für Psychoonkologie in Wien absolviert ÖGPO

Angehörige onkologischer Patienten

ZENTRUM FÜR. Wenn ein geliebter Mensch gestorben ist Informationen zum Thema Trauer für Betroffene

Ich lasse Dich gehen

Komplizierte Trauer und Anhaltende Trauerstörung

Trost & Stärkung. Im Ernstfall

Unterstützung für Einzelne und Familien bei schwerer Krankheit und Trauer

Krebs und Psyche wie Krankheit die Psyche verändert

Kind & Trauer. Unterstützung für Kinder und Familien in Zeiten von Sterben, Tod und Trauer in der Region Mittelbaden

Sterben, Tod und Trauer Sorge für den Mitarbeiter. Jutta Muntoni Integrative Therapeutin/ Sterbeamme Leitung Sozialer Dienst

WHO Definition von "Palliative Care

Vitalis Wohnpark Bad Essen

Angehörige: Unterstützung oder Herausforderung

Gedanken zur Abschiedskultur insbesondere im Pflegeheim. Hospiz- und Palliativnetz Werra-Meißner 27. August 2008

Umgang mit Sterbenden

Aktivierung und Palliative Care. Bedeutung der Aktivierung im Bereich von Palliative Care

+ Was erwartet Sie? Vom Schuldgefühl zur Verantwortung Angehörige im Spannungsfeld von Kontrolle und Hilflosigkeit

FACHSTELLE FÜR PFLEGENDE ANGEHÖRIGE

Konzept für die Kinder- und Jugendtrauerarbeit Salzgitter

Pflegende Angehörige zwischen Wunsch und Verpflichtung

Krisenintervention bei Menschen mit geistiger Behinderung.

Die andere Seite der Palliation: Der Prozess des Abschiednehmens von Beginn weg

Hospizarbeit ist mitten im Leben

Psychodynamik chronischer Schmerzen und Auswirkungen auf Betreffende und deren Beziehung. Vortrag Pflegeforum am Klinikum Oldenburg

Tod und Suizidalität im Umgang mit behinderten Kindern und ihren Familien

Palliative Care. In der Begleitung von Menschen mit geistiger Behinderung

Leben mit einer chronischen Erkrankung Wie gehen Angehörige damit um? Ignorieren bis zu in Watte packen?

Ein Schatten auf dem Leben Hinterbliebene nach Suizid. Faktoren, die den Verlauf eines Trauerprozesses beeinflussen können

P A L L I A T I V E PA C L A L R IA E T IVE C A R E

Psychoonkologische Versorgung auf der Palliativstation

Christoph Kolbe. Warum tue ich nicht, was ich will? Emotionale Orientierung zum Umgang mit psychodynamischen Blockierungen

Leben mit Demenz. Empfehlungen für den Alltag. Brücken in die Welt der Demenz Validation im Alltag ein Informationstag Kardinal König Haus

Schuld und Trauer - wenn das Leben der Seele Wunden schlägt. Vortrag. beim Pastoraltag. der Seelsorgeregion Hochstift Paderborn

Wenn wir helfen können, aber nicht mehr heilen Wie bereiten wir unsere Patienten darauf vor?

Können Sie vom Himmel fallen? Drs. Rianne Meeusen Cernay, Frankreich

Palliative Care. LUKS Sursee. Kompetenz, die lächelt.

Trauer mehr als nur ein Gefühl

Umgang mit Sterben, Trauer und Verlust

Die ARCHE Beratungsstelle für Krisenintervention und

Ich lass dich gehen und finde mich neu

Familie und Freunde: Helfer und Mitbetroffene

Häufige Begleiterkrankungen: Körperliche Erkrankungen Epilepsie Sonstige körperliche Erkrankungen

2.1.1 Die Anfänge: das Phasenmodell von Elisabeth Kübler-Ross Neuerer Erklärungsansatz: Sterben als dynamischer Prozess...

Sterben für Anfänger

Es tut mir leid, aber sie werden sterben

Palliative Pflege Gerontologisches Forum 12.September 2016

Ausbildung spiritueller Lebens- Sterbe und Trauerbegleiter

Lebenswert leben auch mit (Alzheimer-)Demenz

Suizidprävention im Alter Claudius Stein, Thomas Kapitany Kriseninterventionszentrum Wien

Häufige Begleiterkrankungen: Körperliche Erkrankungen Epilepsie Sonstige körperliche Erkrankungen

Wie möchten die Menschen sterben. Welche Probleme ergeben sich daraus? Dr.med. Regula Schmitt Tila Stiftung, Bern

Angehörige als zentraler Partner in der Langzeitpflege. gemeinsam für eine gute Lebensqualität

Hospiz ist Haltung. Die schweren Wege nicht alleine gehen

WONCA Europe 2012 Psychologische Begleitung des onkologischen Patienten

Dem Sterben Leben geben - Hospizarbeit im Landkreis Böblingen

2015 Götz-Volkmar Neitzel. Umgang mit Trauer

Was zählt ist dieser Augenblick

Der Umgang mit Verlusttraumatisierungen. Markos Maragkos Überblick

Eine Hilfe für Angehörige und Freunde, wenn ein nahe stehender Mensch stirbt. Erzdiözese Bamberg und Evang.-Luth. Kirchenkreise Bayreuth und Nürnberg

Gefördert aus Mitteln des Fonds Gesundes Österreich. Hospizkultur und Palliative Care in der mobilen Pflege und Betreuung zu Hause

Eltern sein plus! Beispiele von Elternbegleitung aus der Erfahrungswelt einer Praxis für f medizinische Genetik und vorgeburtliche Diagnostik

Nordische Hospiz- und Palliativtage Zukunft: bewahren verändern gestalten

Es ist egal, zu welchem Zeitpunkt man einen Menschen verliert.. Es ist immer zu früh und es tut immer weh.

Transkript:

Begleitung Angehöriger sterbender Demenzkranker Sabine Tschainer Dipl.-Theologin, Dipl.-Psycho-Gerontologin aufschwungalt, München

Abschied Abschied nehmen hat häufig auch einen schmerzlichen Aspekt, ist mit Verlust und Loslassen müssen verknüpft. Die Entwicklung und Pflege einer individuellen Abschiedskultur bedarf heute - mehr als früher - einer bewussten Entscheidung und der Selbstdisziplin. Je weniger ich lebenslang Abschied nehmen ausgehalten und gelebt habe, desto schwerer wird mir vielleicht auch einmal mein eigenes Sterben fallen.

Abschied Sich vor Augen zu halten, dass wir sterben werden, heißt, menschlich und abschiedlich zu leben. Lernen, Abschied zu nehmen, ist ein Mosaikstein der Lebendigkeit.

Begleitung von Angehörigen Demenzkranker wichtiger Aspekt, inwieweit sich die Angehörigen vor der Demenzerkrankung bewusst mit Abschieden, Trauer und Tod als Bestandteil ihres Lebens auseinandergesetzt haben

Trauer-Phasen-Modell nach Elisabeth Kübler-Ross Nicht-wahrhaben-wollen Zorn, Auflehnung Verhandeln Depression Zustimmung

Lebenslanges Modell unterscheidet zwischen einer vorauseilenden einer begleitenden und einer nachgehenden Trauer

Demenzerkrankung erfordert Modifizierung des Wissens Angehörige von Betroffenen leben mit Voranschreiten der Demenzerkrankung, aber weit vor Beginn des Sterbeprozesses im engeren Sinn zwischen den Welten. Der Partner, die Partnerin oder das Elternteil (auch Schwiegereltern) ist noch am Leben, aber er oder sie ist nicht mehr vorhanden.

Demenzerkrankung erfordert Modifizierung des Wissens Im Zusammenhang mit Angehörigen von demenzerkrankter Menschen werden die uns bekannten Trauerphasen durcheinander gewirbelt, außer Kraft gesetzt, setzen zu früh ein oder sind nicht lebbar. Begleitende und nachgehende Trauer sind - oftmals jahrelang vor dem körperlichen Tod des vertrauten Menschen - Begleiter der Angehörigen.

Angehörige von Demenzkranken jahrelanges, kontinuierliches Verlusterlebnis erleben die Trauerphasen immer wieder müssen stückchenweise Abschied von einem ihnen nahestehenden Menschen nehmen jahrelange seelische Belastung

Wiederholte Trauerphasen bei Angehörigen Demenzerkrankter Schock und Verleugnung Verwirrung Aufbrechende Gefühle Wut Schuldgefühle Depression und Isolation Genesung

Umzug ins Pflegeheim: seelische Belastungen der Angehörigen Selbstvorwürfe des Versagens / Nicht-Durchhaltens Vorwürfe anderer (z.b. Familie, Bekannte) Verlust der Lebensaufgabe / Tagesstrukturierung Mangel an Sozialkontakten / Leere Befürchtungen, dass Heimversorgung den Bedürfnissen des Demenzkranken nicht gerecht wird

Angehörige sterbender Demenzerkrankter sind häufig in einer seelischen Krise, insbesondere - wenn Sterbeprozess zeitnah an Heimeinzug einsetzt - bei Unfähigkeit zur Akzeptanz der Demenzerkrankung - bei symbiotischen Beziehungen ( unerledigten Geschäften )

In der Begleitung der Angehörigen sterbender Demenzerkrankter sollten die Mitarbeiter der Pflegeheime sich nicht überfordern. -"unerledigten Geschäfte", -Akzeptanz der Demenzerkrankung -Lernen des Abschied-nehmens -> qualifiziertem therapeutischen / beraterischem Handeln vorbehalten Diese Grenzziehung dient auch und gerade zur Entlastung der MitarbeiterInnen in der Pflege.

Reaktionen / Aufgaben der MitarbeiterInnen der stationären Altenpflege für die Angehörigen sterbender Demenzkranker die persönliche Reflektion der eigenen Haltung zu Sterben und Tod die Weitergabe von spezifischen Informationen zu Demenzkrankungen im letzten Stadium die Weitergabe von allgemeinen Informationen zur psychischen Situation sterbender Menschen die Weitergabe von Informationen zu seelisch-emotionalen Bedürfnissen sterbender Demenzkranker

Reaktionen / Aufgaben der MitarbeiterInnen (2) Entwicklung von Ritualen (sinnliche Erfahrungen) Möglichkeiten zum Abschied nehmen (Ruhe/Zeit) Bennennung von Ansprechpartnern Offener Umgang mit dem Thema Sterben und Tod Zusammenarbeit mit Hospizvereinen (Hospizhelfer als Paten) Absprachen mit dem Hausarzt bzw. zuständigen Ärzten Abschiedsritual im Haus entwickeln

Das körperliche Sterben und der endgültige Tod des Demenzkranken stellen häufig eine - auch von den Angehörigen so erlebte - Erlösung dar. Aber trotz des vielfach vorweggenommenen Todes gehen viele Angehörige Demenzkranker nach dem endgültigen Tod noch einmal und intensiv den Weg des Abschiednehmens mit aller Trauer und Wut, allen Schuldgefühlen und aller Einsamkeit.

In der Begleitung sterbender Demenzkranker begegnen wir zwei existentiellen Grundängsten: Der Angst vor dem Verlust unseres Geistes Der Angst vor dem Verlust unseres Körpers. Wir begegnen unserer eigenen Macht- und Hilflosigkeit gegenüber der totalen Auflösung menschlicher Existenz.

Dieser völligen Bedrohung meines eigenen Ich s kann ich nicht mit Rezepten begegnen, sondern nur mit der mühseligen Reflektion und Veränderung meiner eigenen Einstellung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Sabine Tschainer Auenstr. 60 80469 München Tel.: 089 / 500 80 401 www.aufschwungalt.de