Situation des deutschen Mittelstands 15 Die Hausbanken bleiben bis heute oft der erste und einzige Ansprechpartner für den Mittelstand. Daher werden mittelstandsspezifische Fonds, Sonderkontingente und Fördermittel durch kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland nur bedingt in Anspruch genommen, auch weil Kreditunternehmen ihr Produkt- und Dienstleistungsportfolio oft bewusst einseitig auf klassische Kreditvergabe beschränken. 12 2.3.2 Allgemeine Eigenkapitalsituation des Mittelstands Eigenkapital in einem Unternehmen ist zwar nicht alles, aber ohne Eigenkapital ist alles nichts. Begründung: Eine schwache Eigenkapitalausstattung erschwert den Zugang zu langfristigen Bankkrediten deutlich,»so dass Investitionen über teure Kontokorrentkredite fristeninkongruent, sozusagen falsch finanziert werden oder wegen zu hoher Finanzierungskosten einfach unterbleiben«. 13 Damit ist die geringe Eigenkapitalausstattung ein zentrales Finanzierungsproblem des deutschen Mittelstands. Nach Erfahrungswerten der deutschen Kreditwirtschaft wird das Insolvenzrisiko erst ab einer Eigenkapitalquote von mehr als 30 Prozent deutlich geringer. Da mittelständische Unternehmen meist nicht börsennotiert sind, befinden sie sich in einem»wettbewerb um eine ausreichende Versorgung mit Fremdkapital zu günstigen Konditionen«. 14 2.3.3 Durchschnittliche Eigenkapitalquote im deutschen Mittelstand Die Ermittlung der aktuellen, repräsentativen, durchschnittlichen Eigenkapitalquote im deutschen Mittelstand ist letztlich nicht möglich. Dies behauptet das Institut für Mittelstandsforschung in Bonn.»Fehlende Datenvergleichbarkeit, unterschiedliche Erfassungskreise 15 und methodische Unterschiede 16 lassen derzeit keine Zusammenführung der Daten zu einer für alle Teilpopulationen von KMU repräsentativen Gesamtstatistik zu«. 17 Allerdings lässt sich als Tendenz erkennen, dass a) die Eigenkapitalquote mit zunehmender Unternehmensgröße ansteigt, b) Nicht-Kapitalgesellschaften (= typische Rechtsform bei kleinen und mittleren Unternehmen) in der Regel über eine geringere Eigenkapitalquote verfügen als Kapitalgesellschaften sowie c) die Eigenkapitalquote in den letzten Jahren angestiegen ist. 18
16 Neue Kreditwürdigkeitsprüfung für eine Neue Welt Die Creditreform hat auf Basis ihrer vorhandenen Daten für die Jahre 2010/2011 folgende Eigenkapitalquoten für kleine und mittelständische Unternehmen errechnet: Eigenkapitalausstattung im Verhältnis zur Bilanzsumme 2010 2011 bis 10 % 29,9 28,7 bis 20 % 25,8 25,9 bis 30 % 17,2 18,6 über 30 % 27,1 26,8 Tabelle 2: Eigenkapitalquoten 2010/2011 für KMU 19 Die eher geringen Eigenkapitalquoten im deutschen Mittelstand dürften hauptsächlich durch die Steuerpolitik beeinflusst sein. In den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten wurden die Eigenkapitalerträge auf Unternehmensebene stärker besteuert als die Fremdkapitalzinsen:»Eine Einlagenfinanzierung, also die Erhöhung des Eigenkapitalstocks, ist im Vergleich zur Fremdkapitalerhöhung steuerlich insofern von Nachteil, als die Zinsen als Kosten für das Fremdkapital als Betriebsausgaben und somit als Aufwand in der Gewinn- und Verlustrechnung absetzbar sind. Die Dividende, der Preis für das Eigenkapital, muss hingegen aus dem versteuerten Gewinn finanziert werden.«20 Wollte ein Unternehmen also möglichst niedrige Steuern zahlen, musste es seine Eigenkapitalsituation möglichst niedrig halten und gleichzeitig eine hohe Fremdkapitalbelastung akzeptieren. Letztlich lässt sich nicht verifizieren, ob die oben beschriebene Besteuerung der Unternehmen deren Innenfinanzierungskraft mindert. Zumindest wird sie aber keinesfalls gefördert. Systemisch betrachtet hat sich damit eine Abhängigkeit des Mittelstands vom sogenannten Hausbankensystem entwickelt. Die Besteuerungssituation in Deutschland führt zu einer erhöhten Nachfrage nach Fremdkapitalfinanzierung. Weil die Banken als erste Ansprechpartner häufig auch die letzten Ansprechpartner im Bereich der Finanzierung bleiben, konnte sich ein Hausbankensystem etablieren. Die vertrauensvollen Geschäftsbeziehungen werden beidseitig (also von Kreditunternehmen und Mittelstand) nur selten im Grundsatz hinterfragt. Daraus leitet sich ein stabiles System der Fremdkapitalfinanzierung des deutschen Mittelstandes ab (vgl. auch Abbildung 1).
Situation des deutschen Mittelstands 17 Besteuerung Bindung an Kreditinstitut Fremdkapitalfinanzierung Hausbankensystem Abbildung 1: Abhängigkeit des Mittelstands vom Hausbankensystem 21 2.3.4 Unkenntnis des Mittelstands über Finanzierungsmöglichkeiten Die eben geschilderte Abhängigkeit des Mittelstands von seinen Hausbanken ist einer der wesentlichen Gründe, weshalb es im (vor allem kleineren und mittleren) Mittelstand an Kenntnis über sinnvolle Finanzierungsalternativen mangelt, auch weil die Hausbanken in der Regel alternative Finanzierungsformen zumindest dem deutschen Mittelstand kaum bis gar nicht anbieten. 22 Zwar haben viele kleinere mittelständische Unternehmen seit Basel II/III auch andere Finanzinstrumente genutzt. Oftmals wurden dabei aber gute Konditionen mehr in den Vordergrund gestellt als eine gut durchdachte Finanzierungsstruktur. 23 Dies äußert sich durch: a) fehlende Strategien und Ziele für die Eigenkapitalausstattung, b) fehlenden planvollen Umgang mit der Ressource Eigenkapital, c) vernachlässigte Finanz- und Liquiditätsplanung sowie d) teilweise fehlendes Bewusstsein für finanzwirtschaftliche Zusammenhänge und Notwendigkeiten, insbesondere in den Bereichen Credit Relations sowie Funktions- und Arbeitsweise von Kreditgebern. Der letztgenannte Punkt wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen: Möglicherweise entwickelt sich die Kenntnis über Finanzierungsmöglichkeiten zu
18 Neue Kreditwürdigkeitsprüfung für eine Neue Welt einem strategisch bedeutsame(re)n Wettbewerbsfaktor für das mittelständische Unternehmen. 24 Diese Entwicklung zeichnet sich bereits heute am klassischen Kreditmarkt (Banken) ab. Stichwörter dafür sind insbesondere die Begriffe Rating und Basel I, Basel II sowie Basel III. Diese strengeren Eigenkapitalvorschriften für Banken haben eine mittelbare Auswirkung auf die Kreditvergabepraxis von Banken an den Mittelstand. Im Kern fordern die Eigenkapitalvorschriften von Basel I bis III zwei wesentliche Punkte: 1. Eigenkapitalhinterlegung von Banken für ausgegebene Kredite in einer bestimmten Höhe sowie 2. Durchführung einer definierten Kreditwürdigkeitsprüfung (vor allem Basel II mit dem Stichwort: Rating). Jedes Unternehmen, das eine Fremdkapitalaufnahme plant, sollte die wesentlichen Basel-I- bis Basel-III-Regelungen kennen. Mit diesem Minimumverständnis kann der typische Ablauf einer Kreditwürdigkeitsprüfung besser nachvollzogen und zugleich eine optimale Vorbereitung von Kreditverhandlungen gewährleistet werden. Letzteres ermöglicht ein positiveres Rating und damit eine bessere gesamte Finanzierungslage.
3. Von Basel I bis Basel III 3.1 Bank für Internationalen Zahlungsausgleich Die im Kreditumfeld geläufigen Begriffe wie Basel I, II und III hängen eng mit der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) sowie dem sogenannten Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht zusammen. Die BIZ (englisch: Bank for International Settlements)»versorgt weltweit die Zentralbanken mit Liquidität und verwaltet einen Teil ihrer Währungsreserven. Doch trotz dieser herausragenden Stellung ist sie einer breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Vielleicht liegt es daran, dass die internationale Organisation im abgelegenen Basel beheimatet ist. [ ] Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die BIZ in ihrer 80-jährigen Geschichte mehrfach ihre Aufgabe änderte und diese eher abstrakt ist«25. Gemäß Eigendarstellung 26 werden folgende Schwerpunktaufgaben erfüllt: 1. Treuhänderfunktion im internationalen Zahlungsverkehr: Als»Bank der Zentralbanken«verwaltet sie Teile der Währungsreserven zahlreicher Länder sowie internationaler Finanzinstitutionen. 2. Koordination und Bewältigung von Problemen der Geld- und Währungspolitik: Förderung der Zusammenarbeit der Notenbanken sowie der Stabilität des internationalen Finanzsystems. 3. Forschungen auf dem Gebiet der Geldpolitik und -theorie sowie allgemeine Wirtschaftsanalysen. 4. Bankenaufsicht und Arbeitspapiere: Für die sogenannte normative Bankenaufsicht entstand 1974 der sogenannte Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht (vgl. 3.2).