GESUNDHEITSMANAGEMENT II. Prof. Dr. Steffen Fleßa Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement Universität Greifswald

Ähnliche Dokumente
Die Bedeutung der IT im modernen Krankenhausmanagement

DRG-Kodierung ein schwieriger Fall mit den Pauschalen?

Physiotherapie und DRG

Thema 4 Aufbau und Vorgehensweise von Fallklassifikationssystemen am Beispiel der DRGs ein Überblick

G- DRG - System. Intensivseminar Medizincontrolling. Heidelberg 09. November 2006

Chancen und Gefahren von DRG aus Sicht der Pflege

Die SwissDRG-Informationsbroschüre "Basisinformationen für Gesundheitsfachleute" steht für Sie als PDF zum Download bereit.

Nachhaltigkeitsindex. Pensionssysteme. Presseaussendung. Quelle: Allianz Asset Management.

Medizinische Dokumentation

Von APDRG-CH zu G-DRG/SwissDRG

Strategisches Management im Krankenhaus

Gesundheitspauschale, Bürgerversicherung & Co.: Worüber reden die Parteien beim Thema Gesundheitsreform? Reinhard Busse, Prof. Dr. med.

Die vom Bundesamt für Statistik (BFS) herausgegebene Reihe «Statistik der Schweiz» gliedert sich in folgende Fachbereiche:

Pflege-Fallpauschalen

Controlling im Krankenhaus

Praxistage Gesundheitsversicherung statt Krankenkasse - Ist der Weg das Ziel? Ein Plus für UnternehmerInnen

Die Sprache der Medizin?

Die Rehabilitation Pflegebedürftiger im Heim: Chancen und Grenzen aus Sicht der Pflegewissenschaften

Knochenersatzmaterial teuer oder wirtschaftlich? DRG-2014

im internationalen Gesundheitssystemvergleich und europäische Gesundheitspolitik

TECHNISCHE UNIVERSITÄT MÜNCHEN

Das deutsche Gesundheitssystem im internationalen Vergleich: 7 Thesen

Vodafone Professional Tarife

Kodierung. Hintergründe, Bedeutung und Einordnung der Dokumentation und Kodierung im DRG-Zeitalter

Die internationale Migration von Gesundheitspersonal und ihre vielfältigen Auswirkungen

Siemens Business Services

ISBN: Herstellung Bachelor + Master Publishing, ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH, Hamburg, 2012

Fallpauschalen in Schweizer Spitälern. Basisinformationen für Gesundheitsfachleute

Das Tarifsystem SwissDRG und seine. Bedeutungen für die Spitalsozialarbeit. Referat an der Jahrestagung der SFSS Sektion Pädiatrie 22.

Demografie und Finanzmärkte. Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt DekaBank Finanzmarkt Roundtable Frankfurt am Main 11. April 2011

Tatort OPS Erfahrungen mit DRG am Inselspital Bern,

Ausgaben für Recht, öffentliche Ordnung und Verteidigung

Gewichtung der Kriterien für die Auswahl des Handelsplatzes

Zahnärztliche Versorgung Daten & Fakten 2015

Das aktuelle Vergütungssystem in der Reha: Stärken und Schwächen

Beherbergungsstatistik (HESTA) Richtlinien und Wegleitung zum Ausfüllen des Formulars der Beherbergungsstatistik

Zahnärztliche Versorgung. Daten Fakten

Vergleich der Erlössituation vor und nach der Einführung des DRG-Systems

Qualitätssicherung: Chancen und Zukunftsperspektiven aus Sicht der Krankenkassen

Prof. Dr. med. Andreas Becker

Ist geriatrische Rehabililtation wirksam?

- DGEM Tagung, Irrsee - Ernährung und DRG. J. Ockenga. Gastroenterologie, Hepatologie & Endokrinologie Charitè - Universitätsmedizin Berlin

Fazit: Gemessen an den wesentlichen Wettbewerbsmärkten braucht die Industrie am Standort Deutschland alle Entlastungen!

Reha-Curriculum für Vertragsärzte Indikationen und Fallbeispiele aus der Geriatrie

Inhalte der Fortbildung Krankenhausbetriebslehre 2014 Betriebswirtschaft & Management für ärztliche Führungskräfte

5. Ausgaben für Bildungseinrichtungen 3 Jahre bis Schuleintritt 2009 (OECD-34)

Soziale Sicherung, Sozialpolitik, Sozialstaat

Internationale Harmonisierung von Indikatoren zur Patientensicherheit - Konsequenzen für Deutschland

Steuerreform Grafische Darstellungen und internationale Vergleiche

Verbrauch von Primärenergie pro Kopf

Reinhard Busse, Prof. Dr. med. MPH

Läuft der Politik die Wählerschaft weg? Wahlenthaltung eine Herausforderung für unsere Demokratie

10. Mobilität: Migration und Fluktuation

Spielregeln und Auswirkungen der neuen Spitalfinanzierung. K. Steiner, Bereichsleiterin Betriebswirtschaft, DPMTT, Inselspital

KONDITIONENÜBERSICHT FÜR WERTPAPIERE

Leistungsvergütung und Qualität der Krankenhausversorgung Deutschland im internationalen Vergleich

Der pauschalierte Krebspatient Versorgungsqualität quo vadis?

($ ) ' & *&+%,- % . "/*% &" & -,- *! 3&&") 4' /*%- &"# $ -1/ /* '$ - 6,- . / *- ' &"($ /-7. ( 89!$ 4)// &"',- :!&") / : *7 /

Einführung in die Philosophie der ICF-CY

Zahnärztliche Versorgung

Deutscher Verband Technischer Assistentinnen/Assistenten in der Medizin e.v. Arbeiten im europäischen Ausland

Struktur und Entwicklung des Weinmarktes in Deutschland - Außenhandel -

Auswertung und Darstellung wissenschaftlicher Daten (1)

Internationale Fondsmärkte 1. Halbjahr 2004 Eine Analyse von DWS Investments*

Wo ist das Problem? Dr. med. K.-D. Zastrow. Klinikum Hellersdorf 24. Juni 2009

Geschlechterdifferenzen im vorschulischen Bereich und in der Grundschule

ICF Core Sets: ein Update

Die Auswirkungen des DRG-Systems auf die Qualität der Gesundheitsversorgung der Patienten

Entwicklung des realen BIP im Krisenjahr 2009

Internationale Fondsmärkte Jahr 2002 Eine Analyse von DWS Investments*

Günstiger in der Welt verbunden Swisscom senkt erneut die Roamingtarife. Medien-Telefonkonferenz 12. Mai 2009

I F" W\I. Zum Stand der Entwicklung der DRG in Deutschland ~".. 1",,\'. \

QS Q-Sys AG Systeme zur Qualitäts- und Kostensteuerung im Gesundheitswesen

Internetnutzung (Teil 1)

Analyse zum Thema Lasertechnologie

Wirtschaft trifft Hochschule. Swantje Rosenboom Leiterin Forschung & Lehre Hamburg

Entwicklungsperspektiven für Klassifikationssysteme: Pflegebedarf im Saarland PiSaar

Anhang zum Altersübergangs-Report

Grenzenloser Mobilfunk

Der Schweizer Immobilienmarkt im internationalen Vergleich

Aufbau der IBAN (International Bank Account Number)

Finanzierung von Medizintechnikprodukten in Deutschland im internationalen Kontext

Elektronische Pflegedaten = Prozessoptimierung in der Solothurner Spitäler AG Sichtbar durch Pflegediagnosen?

Chronische Krankheiten: Welche Daten haben wir?

Fax: Hotline: *

Interkulturelles Lernen mit der ICUnet.AG. Frankfurt am Main 20. Oktober 2008

Client reporting from a client's perspective. Date: 10th September 2009 Produced by: Dr. Stefan J. Illmer, Head of Client Reporting

Ausländische Direktinvestitionen

Inhalte der Fortbildung Krankenhausbetriebslehre 2013 Betriebswirtschaft und Management für ärztliche Führungskräfte

Kundeninformationen über die Ausführungsgrundsätze für professionelle Kunden

Migration und Arbeitslosigkeit

Drohende humanitäre Krise im griechischen Gesundheitssystem und das Engagement des Bundesministeriums für Gesundheit

Leistungsfähigkeit und Effizienz von Gesundheitssystemen: Prof. Dr. Gebhard Kirchgässner Berit Gerritzen, M.A.

Internationale Gesundheitssysteme

Kundeninformation für Privatkunden über die Ausführungsgrundsätze der Bank. Anlage 1: Ausführungsplätze

Neue Kammern braucht das Land!? Eine Einführung

Der finanzielle Beitrag Deutschlands zur Gesundheitsförderung in der Entwicklungszusammenarbeit

Krankenkassen im internationalen Kontext und ihre historische Entwicklung

Finanzierungs- und Vergütungssysteme in Europa: Gesetzliches Krankenversicherungssystem in Deutschland

Transkript:

GESUNDHEITSMANAGEMENT II Prof. Dr. Steffen Fleßa Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement Universität Greifswald

Gliederung: GM II 1 Finanzierung 2 Produktionsfaktoren 3 Produktion

Gliederung Vorlesung 11.04.2016 1. Vorlesung Bereich Finanzierung - Rückblick auf speziell relevante Inhalte aus GM I - Medizinische Klassifizierungssysteme - Ökonomische Klassifizierung DRG - Ziele - Grouping - Mittelwertbildung - Homogenitätskoeffizient - Geschichte der DRGs (als Grundlage eines Vergütungssystems) - HCFA-, APR-, AP-DRGs und Weiterentwicklungen - DRG-Systeme und Entwicklung Fallzahlgruppen

Medizinische Klassifikationssysteme Inhalt: Klassifizierung nach medizinischer und pflegerischer Homogenität, nicht nach Kostenhomogenität Beispiele: International Classification of Diseases (WHO) ICD-10; ICD-10 SGB V 2037 dreistellige Codes Internationale Vergleichbarkeit Medizinische Ausrichtung

Medizinische Klassifikationssysteme Beispiele (Forts.): Minimum Basic Data Set (MBDS) Von EU 1981 vorgeschlagener Minimaldatensatz Ziel: Automation der Verarbeitung von Behandlungsdaten Barthel-Index Bewertung von 10 Aktivitäten des täglichen Lebens 0, 5, 10 oder 15 Punkte: Zeitaufwand für benötigte Hilfestellung (0= totale Abhängigkeit) USA 1965 EBI: Erweiterter Barthel-Index (inkl. kognitive und kommunikative Fähigkeit) Keine Unterscheidung nach persönlichen Daten (z. B. Geschlecht)

Medizinische Klassifikationssysteme Beispiele (Forts.): Resident-Assessment-Instrument (RAI) Erfassung des Pflegeaufwandes von langfristig pflegebedürftigen Patienten 350 Positionen, auch persönliche (Alter etc.) Pflegepersonalregelung (PPR) 1990 BRD Klassifikation der Patienten in 9 Kategorien (Allgemeine vs. Spezielle Pflege in jeweils 3 Schweregrade) Ziel: Ermittlung des Stellenbedarfs

Medizinische Klassifikationssysteme Beispiele (Forts.): Charlson-Komorbiditäts-Index Berücksichtigung von 22 Begleiterkrankungen (z.b. Herzinfarkt, Demenz, AIDS) hinsichtlich der Lebenserwartung Jede Begleiterkrankung ist mit einem Punktwert von 1, 2, 3 oder 6 assoziiert Elixhauser-Comorbidity-Index Berücksichtigt 30 Komorbiditäten, die signifikant mit Krankenhausmortalität assoziiert sind

Ökonomische Klassifizierung - DRG DRG: Diagnosis Related Group Entstehung Fetter (Yale Universität), 1965-1969 Ziel: Verbesserung der Beschreibbarkeit der Vielfalt des stationären Leistungsgeschehens DRGs = in den USA entwickeltes diagnosebezogenes Fallgruppensystem für stationäre Patienten

Ziele Verbesserung der innerbetrieblichen Leistungssteuerung in Krankenhäusern, z. B. gerechte Zuteilung von Budgets auf Stationen Verbesserung des Qualitätsmanagements in Krankenhäusern, z. B. Vergleichbarkeit von Ergebnisstatistiken auf Grundlage von Fallgruppen Verbesserung der Vergleichbarkeit von Krankenhausleistungen: Verlässliche Informationen über die unterschiedliche Fallschwere (case mix) von Krankenhauspatienten Grundlage einer leistungsgerechten Vergütung (sekundär!)

Grouping Inhalt: Zusammenfassung relativ homogener Behandlungsfälle in Gruppen Homogenität: medizinisch vergleichbare Fälle mit ähnlichen durchschnittlichen Kosten DRGs stellen primär die ökonomische Homogenität sicher; sie erheben keinen Anspruch, echte Vergleichbarkeit von Fällen zu gewährleisten Interne Homogenität und externe Heterogenität verlangt Mittelwertbildung mit allen negativen Konsequenzen, egal wie fein das Raster ist

Mittelwertbildung Dichte f(x) Dichte f(x) für Krankenhaus 1 Variable x (z. B. Fallkosten, Aufenthaltsdauer)

Mittelwertbildung Dichte f(x) Dichte f(x) für Kleinstkrankenhaus: gleicher Mittelwert, höhere Streuung = höheres Risiko Variable x (z. B. Fallkosten, Aufenthaltsdauer)

Mittelwertbildung Dichte f(x) Dichte f(x) für Universitätskrankenhaus: in derselben Fallklasse höhere Durchschnittskosten Variable x (z. B. Fallkosten, Aufenthaltsdauer)

Homogenitätskoeffizient Homogenitätskoeffizient: Ein Maß für die Streuung innerhalb einer Population Anwendung: unterschiedliche Methoden innerhalb verschiedener Wissenschaften (z. B. Abweichung des Gewichtes von Ratten) Anwendung DRG: Kosten und / oder Liegezeit Ab der G-DRG-Version 2003/2004 wurde ein Homogenitätskoeffizient «HK» eingeführt 1 HK = 1 + σ µ Variationskoeffizient (VK): relative Standardabweichung, d.h. die Standardabweichung dividiert durch den Mittelwert Homogenitätskoeffizient (HK):

Homogenitätskoeffizient Variationskoeffizient Homogenitätskoeffizient 0.00 (keine Streuung) 100 % 0.11 90 % 0.25 80 % 0.33 75 % 0.43 70 % 0.50 67 % 0.54 65 % 0.67 60 % 1.00 50 % unendlich 0 % Grundsatz: HK sollte für DRGs über 60 % liegen

Homogenitätskoeffizient der Kosten (Beispiel) Homogenität s-koeffizient G- DRG 2004 G- DRG 2005 G- DRG 2006 G- DRG 2007 < 50 % 0,4 0,2 50-54 % 1,3 1,3 0,6 0,7 55-59 % 8,4 6,7 60-64 % 28,4 27,8 14,2 14,2 65-69 % 33,9 30,9 41,8 41,9 70-74 % 18,2 21,8 27,1 26,5 75-100 % 9,4 11,3 16,3 16,7

Geschichte der DRGs (als Grundlage eines Vergütungssystems) HCFA-DRGs Zielgruppe: Staatliches Krankenversicherungssystem für Rentner in USA (Medicare) nur Fallgruppen, die für Rentner relevant sind: 493 verschiedene Fallgruppen Medicare untersteht Health Care Financing Administration (HCFA) Einführung: 1983 als verpflichtendes prospektives Vergütungssystems im Medicare Programm

AP-DRGs Ziele: Entwicklung eines Systems für ein allgemeines Patientenspektrum, inkl. Neugeborene, Kinder, HIV- Patienten Einbeziehung von außergewöhnlichen Prozeduren, z.b. Transplantationen, Luftröhrenschnitte Berücksichtigung von Schweregraden CC= Comorbidity or Complication MCC = Major comorbidity or complication Fallgruppen: 641 Durchführung: New York + 3M; New York DRGs, 1988 Weiterentwicklung, 1990

APR-DRGs APR-DRGs: All patients refined DRGs: 1991 Integration von AP-DRGs, HCFA-DRGs, RDRGs. Ziel: Ausdehnung der Anwendung von DRGs über den Bereich des Ressourcenverbrauchs und der Vergütung hinaus Nebendiagnosen: Einfluss von relevanten Nebendiagnosen bei der Gruppenzuweisung verstärkt; Differenzierung in der Zuweisung sowohl nach Schweregraden als auch nach dem Mortalitätsrisiko. Gruppenbildung: 355 Basis-DRGs werden weiter unterteilt in jeweils vier Schweregradstufen und vier Mortalitätsrisikostufen: 1422 Einzel-APR-DRGs.

Weiterentwicklungen Generationen Generation I: nur bestimmte Fälle abgedeckt HCFA-DRGs Generation II: Alle Fälle; Komplikationen Z.B. AP-DRGs; GHM-DRGs (Groupes Homogènes de Malades) Generation III: Nebendiagnosen Z.B. R-DRGs (Refined DRGs); APR-DRGs (All Patient Refined DRGs) Generation IV: Routineanwendung für Entgelt Z.B. AR-DRGs (Australian Refined DRGs), I-AP- DRGs (International All Patient DRGs), G-DRGs (German DRGs)

DRG-Systeme Yale DRG 1977 NordDRG 1996 GHM 1986 HCFA DRG 1983 SR-DRG 1994 NY-DRG 1988 AP-DRG 1990 RDRG 1989 APR-DRG 1991 IAP-DRG 2000 AN-DRG 1992 AR-DRG 1999 G-DRG

DRG - Systeme USA Australien Neuseeland, Singapur, Malaysia Frankreich Belgien Schweiz Italien, Spanien, Portugal Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark Deutschland HCFA-, AP-, R-, APR-DRG AR-DRG AN-DRG GHM APR-DRG AP-DRG HCFA-DRG NordDRG G-DRG

Entwicklung Fallgruppenzahl HCFA-DRGs AP-DRGs APR-DRGs NORD-DRGs GHM AR-DRGs G-DRG 493 DRGs 641 DRGs 1422 Einzel-DRGs 495 DRGs 582 DRGs 409 Basisgruppen 824 DRGs (ursprünglich) 1.200 DRGs (2015)