Rechtsdurchsetzung im Privatrecht Übungsfall 6 Prof. Dr. Florian Jacoby S betreibt eine Kfz-Werkstatt. Ab und an erwirbt er von seinen Kunden Gebrauchtwagen und handelt mit diesen. G hat eine titulierte Forderung gegen S in Höhe von 10.000 Euro. Im Auftrag des G erscheint der Gerichtsvollzieher Gv bei S. Er entdeckt auf dem Hof des S einen von S zum Verkauf angebotenen Opel Zafira. Frage 1): Gv pfändet den Zafira bei S, nimmt Kraftfahrzeugschein und -brief in Besitz und bringt ein Pfandsiegel am Zafira an. Er kündigt dem S an, den Zafira zu gegebener Zeit zwecks Versteigerung abholen zu lassen. S hat Kontakt zu D, der bereits vor der Pfändung sein Interesse an dem Zafira bekundet hatte. S entfernt das Pfandsiegel und veräußert den Zafira an D. D will den Wagen nicht wieder herausgeben. Welches Vorgehen ist G gegen D zu raten? Frage 2): Gv pfändet den Zafira bei S, indem er ein Pfandsiegel anlegt. Kraftfahrzeugschein und -brief kann er nicht auffinden. Mit Brief und Schein, aber nach Abnahme des Siegels veräußert S den Wagen an D. Später bringt D den Wagen zwecks Nachbesserung zu S. Da erscheint Gv bei S. Er lässt den Wagen mitnehmen. Was ist D zu raten.
-2- Lösungshinweise: Frage 1) In Betracht kommt zum einen, dass G den Gv bittet, die begonnene Vollstreckung in den Opel Zafira auch gegen D fortzusetzen und zum anderen, dass G im Prozesswege Ansprüche gegen S durchsetzt. A. Verfolgungsrecht des Gv Problematisch ist, ob Gv aufgrund der Pfändung des Zafira berechtigt ist, das Fahrzeug dem D wegzunehmen. Da der Gerichtsvollzieher hoheitlich tätig wird, bedarf es für einen solchen Eingriff nach dem Vorbehalt des Gesetzes einer Ermächtigungsgrundlage. I. Titel des G gegen S Als Grundlage für ein solches Verfolgungsrecht kommt zunächst der Titel des G gegen S in Betracht. Dieser Titel erlaubt jedoch nach 750, 809 ZPO nur ein Vorgehen gegen S. Damit wird durch den Titel ein Vorgehen gegen D, wenn es sich auf einen anderen Rechtsgrund stützen ließe, zwar nicht ausgeschlossen. Der Titel allein legitimiert ein Vorgehen gegen D aber nicht. II. Wirkungen der Pfändung Das Wegnahmerecht könnte aber auf der erfolgten Pfändung beruhen. Anknüpfungspunkt wäre insbesondere 808 Abs. 2 ZPO. Belässt nach dieser Bestimmung der Gerichtsvollzieher die gepfändete Sache im Besitz des Schuldners, muss er diese Sache später dem Schuldner auch wegnehmen können, um sie zu verwerten. Allerdings stellt sich bei diesem Ansatzpunkt das gerade angesprochene Problem lediglich in neuem Gewande. Es lässt sich der Zivilprozessordnung keine Norm entnehmen, die die Anwendung von Zwangsmaßnahmen gegen Dritte, also gegen vom Titelschuldner abweichende Personen, erlaubt. Für solche Zwangsmaßnahme ist insbesondere 808 Abs. 2 ZPO nichts zu entnehmen. Daher taugt auch die Pfändung nicht als Grundlage für ein Verfolgungsrecht des Gv. III. Zwischenergebnis Mangels einer Ermächtigungsgrundlage scheidet also ein Vorgehen des Gv gegen D aus.
-3- B. Anspruch des G gegen D G könnte gegen D aber ein Anspruch aus 985, 1227 BGB, 804 Abs. 2 ZPO zustehen, dass D den Zafira an Gv herausgibt. I. Anwendbarkeit Zu erwägen ist zunächst, inwieweit der materiell-rechtliche Anspruch aus 985, 1227 BGB auch dem Inhaber eines Pfändungspfandrechts zustehen kann. 804 Abs. 2 ZPO verweist für die Wirkungen des Pfändungspfandrechts auf die Wirkungen des vertraglichen Pfandrechts nach 1204 ff. BGB. Zwar beschränkt sich der Verweis nach dem Wortlaut des 804 Abs. 2 ZPO auf das Verhältnis zu anderen Gläubigern. Es ist aber angezeigt, ganz grundsätzlich das Pfändungspfandrecht in seinen Wirkungen dem privatrechtlichen Pfandrecht anzunähern. Nicht das Pfandrecht, sondern nur die durch die Pfändung ebenfalls bewirkte Verstrickung unterliegt vornehmlich dem öffentlichen Recht. Daher gewährt auch das Pfändungspfandrecht Ansprüche aus 985, 1227 BGB. II. Besitz D ist als Besitzer des Zafira möglicher Anspruchsgegner eines solchen Herausgabeanspruchs. III. Pfandrecht G müsste Inhaber eines Pfändungspfandrechts am Zafira sein. 1. Entstehen des Pfandrechts Das Pfändungspfandrecht könnte auf Grundlage des Titels des G gegen V durch die Pfändung des Gerichtsvollziehers Gv nach 804 Abs. 1, 808 ZPO entstanden sein. Nach 808 Abs. 1 ZPO erfolgt die Pfändung durch Inbesitznahme des zu pfändenden Gegenstandes. Die Inbesitznahme verlangt nicht das Wegschaffen des gepfändeten Gegenstands. Nach 808 Abs. 2 S. 2 ZPO kann der Gerichtsvollzieher den gepfändeten Gegenstand im Besitz des Schuldners belassen, wenn er die Pfändung ersichtlich macht. Gv hat hier ein Siegel an den Zafira angebracht, wurde so mittelbarer Besitzer des Wagens. Eine Inbesitznahme und mithin eine wirksame Pfändung liegen vor. G hat ein Pfändungspfandrecht am Zafira erworben.
-4-2. Kein Erlöschen des Pfandrechts Zu prüfen ist weiter, ob das Pfandrecht erloschen ist, als S den Zafira an D veräußerte. Ein Erlöschen des Pfandrechts kommt in Betracht, wenn D den Zafira von S lastenfrei gem. 936 BGB erworben hat. Ein Eigentumsübergang kommt nach 929 ff. BGB in Betracht. Einigung und Übergabe liegen vor, wie es 929 S. 1 BGB verlangt. Probleme ergeben sich aus der Berechtigung des S, über den Zafira zu verfügen. Zwar ist der S als Eigentümer grundsätzlich verfügungsbefugt. Folge der Pfändung ist aber auch die öffentlich-rechtliche Verstrickung der gepfändeten Sache. Die Verstrickung begründet ein behördliches Verfügungsverbot gem. 803 ZPO, 135 f. BGB, das dem S die Verfügungsbefugnis nimmt. Also war nach der Pfändung S nicht mehr berechtigt, über den gepfändeten Zafira zu verfügen. In Betracht kommt daher allein ein gutgläubiger Erwerb des Zafira nach 135 II, 932 ff. BGB. Gem. 932, 135 II BGB wäre der gutgläubige Erwerb ausgeschlossen, wenn der D nicht in gutem Glauben gewesen ist, d. h. das Bestehen des Verfügungsverbots gekannt oder wegen grober Fahrlässigkeit nicht gekannt hat. D kannte das Fehlen der Verfügungsbefugnis des S nicht. Ein grobe Fahrlässigkeit begründender Sorgfaltsverstoß könnte aber darauf beruhen, dass D sich weder Fahrzeugschein noch Fahrzeugbrief aushändigen ließ. Zwar weist der Fahrzeugbrief keine Verfügungsbeschränkungen, sondern nur den Eigentümer aus. Jedoch ist gerade die Beschlagnahme des Fahrzeugbriefs als flankierende Maßnahme der Pfändung des Fahrzeugs Mittel, um eine unberechtigte Veräußerung eines gepfändeten Kraftfahrzeugs zu verhindern. Der Erwerber muss, fehlt der Kraftfahrzeugbrief, auch in Betracht ziehen, dass dem Veräußerer der Besitz am Brief fehlt, weil er über das Kraftfahrzeug nicht verfügen darf. D durfte daher allein angesichts der Übergabe des Zafira nicht auf die Berechtigung des S vertrauen. Diese Bewertung wird noch dadurch verstärkt, dass S den Kraftfahrzeugschein nicht vorlegen konnte, den der Halter in Besitz haben muss, um das Fahrzeug führen zu dürfen. Ein Eigentumserwerb des D scheidet daher (jedenfalls im Verhältnis zu G) nach 135 Abs. 1 BGB aus. So liegt auch kein lastenfreier Erwerb des D vor, der das Pfandrecht nach 936 BGB zum Erlöschen gebracht hätte. Also blieb das Pfandrecht ungeachtet der Veräußerung von S an D bestehen.
-5-3. Zwischenergebnis G ist Inhaber eines Pfändungspfandrechts am Zafira. IV. Kein Recht zum Besitz Ein Recht des D zum Besitz des Zafira besteht nicht. Insbesondere kann D den Kaufvertrag als Recht zum Besitz nur seinem Vertragspartner S, nicht aber dem G entgegenhalten. V. Ergebnis G kann von D aus 985, 1227 BGB Herausgabe des Zafira verlangen. Angesichts des Besitzes des G, den ihm der Gv nach der Pfändung mittelte, und der gerade festgestellten Bösgläubigkeit des D kann G den Anspruch auch auf 1007 Abs. 1 BGB stützen. Frage 2) Was D zu raten ist, hängt davon ab, welche Rechtsbehelfe D gestützt auf seinen Erwerb des Zafira mit Aussicht auf Erfolg geltend machen kann. A. Vollstreckungserinnerung nach 766 ZPO Eine Vollstreckungserinnerung hätte Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet wäre. Die Zulässigkeit der Vollstreckungserinnerung setzt insbesondere ihre Statthaftigkeit voraus. Statthaft ist die Vollstreckungserinnerung, wenn der Erinnerungsführer einen Verstoß des Vollstreckungsorgans gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung rügt. Die Rüge eines solchen Fehlers könnte darauf beruhen, dass der Gv die Zwangsvollstreckung in einen nicht (mehr) wirksam gepfändeten Gegenstand fortgesetzt hat, obwohl er die Entstrickung zuvor hätte prüfen müssen. Der Erwerb des Zafira durch D von S könnte die infolge der Pfändung eingetretene Verstrickung nach 135 II, 136, 936 BGB beendet haben. Problematisch ist jedoch, ob Gv eine solche Entstrickung im Zwangsvollstreckungsverfahren zu berücksichtigen hat. Der Gerichtsvollzieher soll, wie insbesondere 808 f. ZPO zeigen, keine rechtliche Prüfung vornehmen, sondern sich an den tatsächlichen Gewahrsamverhältnissen orientieren. Diese Wertung hat nicht nur bei der Pfändung, sondern auch bei der Fortsetzung des Vollstreckungsverfahrens Gültigkeit. Wie Gv also ohne einen Verfahrensfehler zu begehen den Zafira bei S hätte erneut (ggf. auch für einen anderen Gläubiger) pfänden können,
-6- so konnte er die Zwangsvollstreckung ungeachtet der Frage fortsetzen, ob D die Pfandsache unter Erlöschen der Verstrickung erworben hat. Folglich kann D einen Verstoß des Gv gegen die Art und Weise der Vollstreckung nicht rügen. Die Erinnerung des D wäre bereits unzulässig. Dem D ist daher nicht zu diesem Rechtsbehelf zu raten. B. Drittwiderspruchsklage nach 771 ZPO Die Drittwiderspruchsklage hätte Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet wäre. I. Zulässigkeit Die Zulässigkeit der Drittwiderspruchsklage setzt ihre Statthaftigkeit voraus. D müsste mit der Behauptung, die Pfandsache erworben zu haben, ein die Veräußerung hinderndes Recht geltend machen können. Zu den die Veräußerung hindernden Rechten gehört insbesondere das Eigentum. D macht geltend Eigentümer geworden zu sein. Also ist die Drittwiderspruchsklage statthaft und zulässig. II. Begründetheit Die Drittwiderspruchsklage wäre begründet, wenn D Eigentümer des Zafira ist. Ursprünglich war S Eigentümer des Zafira. D könnte das Eigentum von S durch Übereignung nach 929 S. 1 BGB erworben haben. Einigung und Übergabe liegen vor. Angesichts der zuvor erfolgten Pfändung des Zafira ist aber problematisch, ob S berechtigt war, dem D das Eigentum am Zafira zu verschaffen. Die mit der Pfändung einhergehende Verstrickung bedeutet ein behördliches Veräußerungsverbot nach 135 f. BGB. Daher war S nicht mehr verfügungsbefugt. In Betracht kommt allein ein gutgläubiger Erwerb nach 135 II, 929 ff. BGB. Da eine Veräußerung nach 929 S. 1 BGB vorliegt, ist der Tatbestand des gutgläubigen Erwerbs nach 932 Abs. 1 BGB erfüllt. Problematisch ist allerdings, ob ein Ausschlusstatbestand vorliegt. Der Ausschlusstatbestand des 932, 135 Abs. 2 BGB greift, wenn der D beim Erwerb nicht in gutem Glauben war. D wusste nichts von der fehlenden Berechtigung des S. Ihm waren zudem auch keine Umstände bekannt, die an der Berechtigung Zweifel begründeten. Insbe-
-7- sondere händigte S dem D die Kraftfahrzeugpapiere aus. Der Ausschlusstatbestand des 932 BGB liegt daher nicht vor. Es greift aber der Ausschlusstatbestand des 935, 135 Abs. 2 BGB ein, wenn die Sache dem Berechtigten abhanden gekommen ist. Im Wege der entsprechenden Anwendung des 935 BGB über 135 Abs. 2, 136 BGB ist der Gerichtsvollzieher als Repräsentant des geschützten Gläubigers als Berechtigter anzusehen. Belässt der Gerichtsvollzieher nach 808 Abs. 2 ZPO die gepfändete Sache beim Schuldner, so erlangt der Gerichtsvollzieher aber keinen unmittelbaren Besitz, sondern der verbleibt beim Schuldner. Der Gerichtsvollzieher wird lediglich mittelbarer Besitzer. Daher liegt auch kein Bruch des Besitzes des unmittelbaren Besitzers vor. Der Ausschlusstatbestand des 935 BGB greift ebenfalls nicht ein. D ist also durch den Erwerb von G Eigentümer geworden. Die Drittwiderspruchsklage ist begründet. III. Ergebnis Die Widerspruchsklage hat Aussicht auf Erfolg. Ihre Erhebung ist G zu raten.