1. VORLESUNG. FH Nordhausen Studienlehrgang: Sozialmanagement Lehrveranstaltung: Arbeitsrecht !!BK12!!



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!!BK12!! Telefon: 03631/434990 Fax: 03631/900430 E-mail: rae-koch-boikat@online.de FH Nordhausen Studienlehrgang: Sozialmanagement Lehrveranstaltung: Arbeitsrecht 1. VORLESUNG

FH NDH, Vorlesung Arbeitsrecht, Rechtsanwalt Michael Koch 2 Gliederung: Seite A. Arbeitsrechtsgeschichte 3 I. Die Herausbildung des Arbeitsrechts im 19. Jahrhundert 3 II. Bürgerliches Gesetzbuch 6 III. Arbeitsrecht in der Weimarer Republik 8 IV. Arbeitsrecht im Nationalsozialismus 9 V. Arbeitsrecht in der Bundesrepublik, Arbeitsrecht in der DDR 10 1. BRD 10 2. DDR 10 B. Quellen des Arbeitsrechts 11 C. Behörden und Organisationen des Arbeitsrechts 13

FH NDH, Vorlesung Arbeitsrecht, Rechtsanwalt Michael Koch 3 A. Arbeitsrechtsgeschichte I. Die Herausbildung des Arbeitsrechts im 19. Jahrhundert Bis zum Beginn der Industrialisierung gab es im Wesentlichen keine Formen von Arbeitsrecht. Der Feudaladel beschäftigte Leibeigene, gegebenenfalls doppelt freie Lohnarbeiter. Erst mit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert und dem ansteigenden Bedürfnis nach Arbeitskräften entstanden arbeitsrechtliche Gestaltungsformen. Die Industrialisierung brachte so u. a. den sogenannten Massenarbeitsvertrag mit sich. Der Arbeitsvertrag war damit die erste Form der Gestaltung von Rechten und Pflichten im Arbeitsleben, wenngleich zum damaligen Zeitpunkt auch im Wesentlichen von dem erheblichen Ungleichgewicht der Vertragspartnerschaft auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite geprägt. Das hohe Maß an Abhängigkeit der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern führte auch zu einer Überlegenheit in der Vertragsgestaltung durch die Arbeitgeber, was wiederum infolge der eingetretenen Ausbeutung ohne jeglichen Arbeitsschutz ("Manchester-Kapitalismus") zu erheblichen sozialen Spannungen auf Seiten der Arbeitnehmerschaft führte.

FH NDH, Vorlesung Arbeitsrecht, Rechtsanwalt Michael Koch 4 Mit "Manchester-Kapitalismus" werden die massiven sozialen Schieflagen in der Phase der industriellen Revolution in Großbritannien ab Mitte des 18. Jahrhunderts bezeichnet. Der Begriff wird in der Regel kapitalismuskritisch verwendet, steht aber für erhebliche Auswüchse des Kapitalismus im Sinne eines "wilden" Kapitalismus. Kennzeichnend für den "Manchester-Kapitalismus" sind Kinderarbeit, willkürliche Behandlung der Arbeiter durch Vorgesetzte, Hungerlöhne, dadurch bedingt Armut, Arbeitszeiten von oftmals bis zu 14 Stunden täglich (ohne freie Arbeitstage) und Schutzlosigkeit bei Arbeitsunfällen. Derartige Verelendungserscheinungen konnten erst angegangen werden, nachdem sich die Arbeitnehmer in Koalitionen/Gewerkschaften zusammenfanden. Die Herausbildung von Gewerkschaften begann wiederum im Vereinigten Königreich von England unter dem Begriff "trade unions". Die englischen Gewerkschaften waren die Reaktion der Arbeiter auf den sich Anfang des 19. Jahrhunderts verschärfenden "Manchester-Kapitalismus". Nach diesem Vorbild entstanden unmittelbar nach der staatlichen Aufhebung des Koalitionsverbotes im Jahr 1861 in Sachsen und später dann auch für den norddeutschen Staatenbund Gewerkschaften. Die Gründung der Gewerkschaften war insbesondere der Erkenntnis geschuldet, dass nur der Zusammenschluss der Arbeiter ein Gegengewicht zum Kapital bringen konnte und nur über Gewerkschaften bessere Arbeitsbedingungen erzwungen werden konnten (Streikrecht). Später entwickelte sich die Gewerkschaftsbewegung als Mittel zum Aushandeln arbeitsrechtlicher Grundnormen, die bis auf den jeweiligen Arbeitsvertrag eines Arbeitnehmers der Branche Anwendung fanden. Als erster Tarifvertrag gilt der Buchdruckertarif von 1873. Die Gesetzgebung nahm den Tarifvertrag als rechtliches Instrument des Arbeitsrechts erst mit Beginn der Weimarer Republik offiziell zur Kenntnis.

FH NDH, Vorlesung Arbeitsrecht, Rechtsanwalt Michael Koch 5 Der Preußische Staat hat 1839 das erste Arbeitsschutzgesetz erlassen. Es handelte sich um ein Gesetz zur Unterbindung der weit verbreiteten Kinderarbeit in Bergwerken und Fabriken und sollte dem Zweck dienen, künftig mehr taugliche Rekruten für das Preußische Heer zu binden. Die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes, in Kraft getreten im Jahr 1869, verzichtete erstmals auf ein gesetzlich geregeltes Verbot von Arbeitnehmerkoalitionen, erklärte aber Rechte aus Tarifverträgen für nicht einklagbar. Zudem gilt es als das erste Arbeitsgesetz, in dem Arbeitnehmern Arbeitsschutzrechte im bescheidenen Umfang zugesprochen wurden. Die sogenannten Bismarck'schen Sozialgesetze von 1883, 1884 und 1889 stehen in der damaligen gesellschaftlichen Entwicklung der sich verbessernden Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer. - 1883 Krankenversicherungsgesetz (Krankengeld ab dem 3. Tag, 50 % bis zu 26 Wochen; ärztliche Behandlung; Arznei und Hilfsmittel; Krankenhausbehandlung; Sterbegeld; Wöchnerinnenunterstützung; Beiträge wurden vom Arbeitgeber zu 1/3 und vom Arbeitnehmer zu 2/3 getragen; es wurden Krankenkassen als Träger der Krankenversicherung gegründet) - 1884 Unfallversicherungsgesetz (Unfallrenten ab der 14. Woche in Abhängigkeit vom jeweiligen Verdienst; medizinische Heilbehandlung; Beweislastregel zugunsten des Verunglückten = Beweispflicht des Verunglückten entfiel; 100 % der Beiträge vom Arbeitgeber bezahlt; Träger der Unfallversicherung = Berufsgenossenschaften)

FH NDH, Vorlesung Arbeitsrecht, Rechtsanwalt Michael Koch 6-1889 Gesetz über die Alters- und Invaliditätssicherung/Rentenversicherung (Übergangsgeld während medizinischer Heilbehandlung; Altersrenten ab dem 70. Lebensjahr; Invaliditätsrente; Beiträge wurden zu gleichen Teilen vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer getragen zuzüglich eines Reichszuschusses; Träger der Rentenversicherung waren regionale Versicherungsanstalten für Arbeiter/Landesversicherungsanstalten) - 1911 Reichsversicherungsordnung/RVO (bündelte die Sozialversicherungsgesetze in einer Norm; galt bis 1991/92 für die gesamte deutsche Sozialversicherung) II. Bürgerliches Gesetzbuch Das Bürgerliche Gesetzbuch von 1896, in Kraft getreten am 01.01.1900 und heute noch im Großteil unverändert geltend, steht in der Kritik, die arbeitsrechtlichen und sozialrechtlichen Entwicklungen bis dahin nicht adäquat wiederzuspiegeln. Es sollen vor allem Auswirkungen der damals schon vorhandenen Erkenntnis, dass der Arbeitsvertrag kein herkömmlicher Schuldvertrag über den Austausch von Leistung und Gegenleistung ist, sondern vielmehr eine Rechtsbeziehung über die Existenzgrundlage des Arbeitnehmers mit starken personenrechtlichen Einschlag darstellt, fehlen. Insbesondere wird damit moniert, dass das Dienstvertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches, geregelt in den 611 bis 630 BGB, nicht zumindest einen gewissen Bestands- und Sozialschutz regelt.

FH NDH, Vorlesung Arbeitsrecht, Rechtsanwalt Michael Koch 7 Allerdings gab es zur damaligen Zeit schon verschiedene Spezialgesetze, so das Arbeitsschutzgesetz von 1891 und Regelungen zur Betriebsverfassung, wie Arbeitsgerichtsbarkeit, die den Sozialschutz im Arbeitsverhältnis ausprägten. Ein Vergleich der als Anlage 1 diesem Skript beigefügten ursprünglichen Fassung des Dienstvertragsrechts 611 bis 630 BGB mit dem Dienstvertragsrecht des BGB in der heutigen Fassung zeigt indes, dass der Gesetzgeber um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert im Individualarbeitsrecht dennoch verschiedene Rechte des Arbeitnehmers im Arbeitsvertrag festgeschrieben hat, so u. a. - Vergütungsanspruch (auch ohne ausdrückliche Absprache zwischen den Vertragsparteien bei Üblichkeit), 612 BGB - Regelung über die Fälligkeit der Vergütung, 614 BGB - Annahmeverzugsregelung (der Arbeitnehmer hat auch, ohne dass er seine Arbeitsleistung erbringt, einen Anspruch auf Zahlung der Arbeitsvergütung, wenn er seine Arbeitskraft dem Arbeitgeber angeboten hat und dieser die Annahme der Arbeitsleistung unterlässt), 615 BGB - Vergütungsanspruch auch bei vorübergehender kurzfristiger Verhinderung, 616 BGB (hier handelt es sich um den Vorläufer der heute geltenden Entgeltfortzahlungsregelung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz) - gestaffelte Kündigungsfristen, 621 BGB - Verlängerungsfiktion des 625 BGB - Freizeitgewährungsanspruch zur Stellungssuche, 629 BGB - Pflicht zur Zeugniserteilung, 630 BGB.

FH NDH, Vorlesung Arbeitsrecht, Rechtsanwalt Michael Koch 8 Aus dem Vergleich der Regelungen des BGB in der Fassung vom 01.01.1900 mit der aktuellen Fassung des BGB wird deutlich, dass heute noch arbeitsgesetzliche Regelungen gelten, die bereits mit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert geschaffen worden sind. Dies wiederum belegt, dass der damalige Gesetzgeber durchaus die Rechte der Arbeitnehmer an der Gestaltung der Arbeitsverhältnisse im Blick hatte. III. Arbeitsrecht in der Weimarer Republik Während der Weimarer Republik wurden die Grundstrukturen des heutigen Arbeitsrechts geschaffen. Die Weimarer Verfassung vom 11.08.1919 gab dem Recht der Koalitionsfreiheit Verfassungscharakter. Es erkannte das Recht der Tarifparteien zum Abschluss von Tarifverträgen mit ihrer Wirkung auf das jeweilige Arbeitsverhältnis an. 1918 war eine Tarifvertragsordnung verabschiedet worden, die den abgeschlossenen Tarifverträgen eine unmittelbare und zwingende Wirkung auf die einzelnen Arbeitsverträge zubilligte. 1920 wurde das 1. Gesetz über die Einrichtung von Betriebsräten in Kraft gesetzt. Es schrieb die Einrichtung von Betriebsräten in Unternehmen vor und gab den Betriebsräten und den Unternehmensleitungen die Möglichkeit, betriebliche Regelungen über Betriebsvereinbarungen zu schließen. Der Arbeitsschutz wurde ebenfalls erweitert. Mit der Arbeitszeitverordnung von 1919 wurde der Achtstundentag für Arbeiter eingeführt. Der Mutterschutz wurde mit dem Mutterschutzgesetz von 1927 verstärkt.

FH NDH, Vorlesung Arbeitsrecht, Rechtsanwalt Michael Koch 9 Der Schutz gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit wurde 1918 durch die Verordnung für die Erwerbslosenfürsorge eingeführt. 1927 wurde das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung verabschiedet. Es stellt damit den späten Beginn der Arbeitslosenversicherung in Deutschland, im europäischen Vergleich dar. Das Arbeitsgerichtsgesetz trat 1926 in Kraft. Damit wurde ein eigenständiger Gerichtsinstanzenzug für das Arbeitsrecht geschaffen, der dreigliedrig aufgebaut war. IV. Arbeitsrecht im Nationalsozialismus Durch das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20.01.1934 wurden erhebliche Bereiche des kollektiven Arbeitsrechts außer Kraft gesetzt. An die Stelle der selbständigen Tarifparteien trat die Deutsche Arbeitsfront, an die Stelle der Betriebsräte traten sogenannte Vertrauensleute. Damit wurde im Wesentlichen die kollektive Arbeitsrechtsordnung der Weimarer Republik zerschlagen. Berufsverband, Autonomie und Koalitionsfreiheit existierten nicht mehr und wurden durch staatlich reglementierte Arbeitsordnung und einseitige Betriebsanordnungen ersetzt.

FH NDH, Vorlesung Arbeitsrecht, Rechtsanwalt Michael Koch 10 V. Arbeitsrecht in der Bundesrepublik, Arbeitsrecht in der DDR 1. BRD Die westlichen Besatzungsmächte stellten unmittelbar nach Ende des 2. Weltkrieges die kollektive Arbeitsrechtsordnung wieder her. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände wurden wieder zugelassen. Das Grundgesetz der BRD vom 23.05.1949 statuierte das Recht auf Arbeit und freie Arbeitsplatzwahl als Grundrecht/Art. 12 Grundgesetz (Anlage 2). Auch das Recht, Gewerkschaften oder Berufsverbände zu bilden, wurde grundgesetzlich geschützt und durch Artikel 9 Abs. 3 des Grundgesetzes zu einem Grundrecht erhoben (Anlage 3). Im Wesentlichen basieren die heutigen gesetzlichen Regelungen auf dem Demokratisierungsprozess in der Bundesrepublik. 2. DDR In der DDR konnten sich anfänglich begrenzt Gewerkschaften gründen. Später mündete dies in der Herstellung der Einheitsgewerkschaft FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund), welcher im Wesentlichen staatlich reglementiert war. Es gab ein zentral reguliertes Arbeitsrecht, tarifrechtliche Regelungen, sogenannte Kollektivverträge, wurden im Wesentlichen nur von dem FDGB mit dem jeweiligen Ministerium oder Kombinaten abgeschlossen. Das Individualarbeitsrecht jedes einzelnen Arbeitnehmers wurde, und hier lag ein Vorteil auf der Hand, durch ein einheitliches Arbeitsgesetzbuch geregelt.

FH NDH, Vorlesung Arbeitsrecht, Rechtsanwalt Michael Koch 11 Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt existiert keine einheitliche Regelung des Arbeitsrechts in einem Arbeitsgesetzbuch, sondern eine Unzahl an arbeitsrechtlichen Regelungen. B. Quellen des Arbeitsrechts Wie dargelegt, gibt es kein einheitliches Arbeitsgesetzbuch in der Bundesrepublik. Arbeitsrechtliche Normen finden sich in einer Fülle von Einzelgesetzen des Privatrechts, so im BGB, Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), Tarifvertragsgesetz (TVG) oder dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Trotz dieser ganz erheblichen Fülle von arbeitsrechtlichen Gesetzen gibt es wichtige arbeitsrechtliche Bereiche, die gesetzlich nicht geregelt sind, so insbesondere das Arbeitskampfrecht/Streikrecht. Obgleich das Streikrecht dem Tarifrecht zuzuordnen ist, schweigt sich das Tarifvertragsgesetz zum Umfang und Inhalt des Rechts auf Streik aus. Diese Regelungslücke wird aufgefüllt durch ein sogenanntes Richterrecht. Artikel 28 Abs. 1 Grundgesetz (Anlage 4) prägt das Rechtsstaatsprinzip, welches wiederum mit der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz einen effektiven Gerichtsschutz gewährleistet. Jeder angerufene Richter unterliegt einem Entscheidungszwang. Da allerdings gerade im Arbeitsrecht viele unbestimmte Rechtsbegriffe einer gerichtlichen Interpretation bedürfen, hat sich in der Vergangenheit eine umfangreiche arbeitsgerichtliche Rechtsprechung entwickelt, die im Wesentlichen die Rechtsverhältnisse der Arbeitsvertrags-, Betriebs- und Tarifvertragsparteien bestimmt.

FH NDH, Vorlesung Arbeitsrecht, Rechtsanwalt Michael Koch 12 Durch den Beitritt der Bundesrepublik zur EG, speziell aber auch im zeitlichen Zusammenhang mit der Ausweitung der Europäischen Union in den 90er Jahren und nach dem Jahrtausendwechsel, verstärkt die Europäische Union Bemühungen, das Arbeitsrecht europaweit zentral arbeitnehmerfreundlich zu gestalten und wesentliche Arbeitsrechte der Arbeitnehmer als europäische Grundrechte zu schützen. Beispielhaft dafür stehen die Richtlinien der Europäischen Union zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, in Beschäftigung und Beruf sowie von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen vom 29.06.2000, 27.11.2000 und 23.09.2002. Diese sogenannten Antidiskriminierungsrichtlinien wurden von den Mitgliedsstaaten, insbesondere auch von Deutschland, nur schleppend umgesetzt. So hat die Bundesrepublik Deutschland in Umsetzung dieser Antidiskriminierungsrichtlinien erst am 14.08.2006 nach langjähriger intensiver Diskussion das sogenannte Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft gesetzt, das Arbeitnehmer vor Benachteiligungen aus Gründen der Rasse, wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität schützen soll. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Sitz in Luxemburg wahrt durch seine Rechtsprechung die einheitliche Auslegung des europäischen Arbeitsrechts. Der EuGH ist berufen, Vertragsverletzungen in Mitgliedsstaaten zu sanktionieren. Der EuGH kann auch von Arbeitsvertragsparteien angerufen werden. Die Entscheidung des EuGH hat bindende Wirkung nur für die Parteien des jeweiligen Arbeitsgerichtsprozesses. Indes hat der EuGH zwischenzeitlich eine Rechtsprechung entwickelt, dass grundsätzliche arbeitsrechtliche Mindeststandards als sogenannte grundlegende Rechte auch nicht durch binnenstaatliche Gesetzesregelungen beeinträchtigt werden dürfen. Dementsprechend muss die nationale Rechtsprechung stark auch auf die europäische Arbeitsrechtsprechung des EuGH Rücksicht nehmen.

FH NDH, Vorlesung Arbeitsrecht, Rechtsanwalt Michael Koch 13 C. Behörden und Organisationen des Arbeitsrechts Die oberste Bundesbehörde der Arbeitsverwaltung ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit. Ihm sind u. a. die Arbeitsmarktpolitik, das Arbeitsrecht und der Arbeitsschutz sowie die gesetzliche Sozialversicherung funktional zugeordnet. Die Bundesagentur für Arbeit ist juristische Person des öffentlichen Rechts und funktional dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit zugeordnet. Auf Länderebene führt die Bundesagentur für Arbeit ihre Aufgaben durch Regionaldirektionen und Arbeitsagenturen aus. Die Arbeitsgerichtsbarkeit wird durch eine dreistufige Gerichtsbarkeit gewährleistet. Auf Länderebene existieren als I. Instanz Arbeitsgerichte, die vorwiegend in Kreisund kreisfreien Städten angesiedelt sind. In Thüringen gibt es folgende Arbeitsgerichte: - Arbeitsgericht Eisenach - Arbeitsgericht Erfurt - Arbeitsgericht Gera - Arbeitsgericht Jena - Arbeitsgericht Nordhausen - Arbeitsgericht Suhl. In II. Instanz gibt es auf Länderebene die sogenannten Landesarbeitsgerichte, in Thüringen das Thüringer Landesarbeitsgericht mit Sitz in Erfurt.

FH NDH, Vorlesung Arbeitsrecht, Rechtsanwalt Michael Koch 14 Auf Bundesebene besteht das Bundesarbeitsgericht als sogenannte Revisionsinstanz mit Sitz in Erfurt. Anlage 1: BGB in der Fassung vom 01.01.1900, Deckblatt, Seiten 115 bis 118 Anlage 2: Artikel 12 Grundgesetz Anlage 3: Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz Anlage 4: Artikel 28 Abs. 1 Grundgesetz