Das Strafverfahren im Einige Grundsatzinfos Dolmetscherschulung St.Gallen, Andreas Eigenmann, Staatsanwalt, Kantonales Untersuchungsamt
Übersetzungen im Strafbereich Schweizerische Strafprozessordnung, StPO Die StPO regelt die Verfolgung und Beurteilung von Straftaten im Erwachsenenstrafrecht Aufteilung i.d.r. in polizeiliches Ermittlungsverfahren, Untersuchung der Staatsanwaltschaft und erstinstanzliches Hauptverfahren (Gerichtsverfahren) Schweizerische Jugendstrafprozessordnung, JStPO Die JStPO regelt die Verfolgung und Beurteilung von Straftaten von Jugendlichen zwischen dem 10. und 18. Altersjahr Seite 2
Ermittlungsverfahren / Vorverfahren Polizeiliches Ermittlungsverfahren Die Polizei stellt aufgrund von Anzeigen, Anweisungen der Staatsanwaltschaft oder aufgrund eigener Feststellungen den relevanten Sachverhalt fest Untersuchung durch Staatsanwaltschaft Im Vorverfahren klärt die StA den Sachverhalt tatsächlich und rechtlich so weit ab, dass sie den Fall abschliessen kann Abgeschlossen wird ein Fall durch Anklage beim Gericht, durch Einstellung des Verfahrens oder durch einen Strafbefehl Seite 3
(gerichtliches) Hauptverfahren Wechsel Zuständigkeit Mit Anklageerhebung geht die Zuständigkeit für einen Fall von der Staatsanwaltschaft auf das Gericht über Phasen der Hauptverhandlung allenfalls Vorverhandlung: Klärung organisatorischer Fragen oder Vergleichsverhandlung Klärung von Vor- oder Zwischenfragen: Klärung der Gültigkeit der Anklage, Gültigkeit der Beweise etc. im Beweisverfahren erfolgt die Befragung der beschuldigten Person und ev. weiterer Beteiligter. In den Parteivorträgen (i.d.r. je zweimal) legen Staatsanwaltschaft und Verteidigung (ev. auch Privatkläger) ihre Sicht der Dinge dar Nach der Urteilsberatung folgt das Urteil des Gerichtes Seite 4
Für Sie als Dolmetschende gilt: Falsche Übersetzung (Art. 307 StGB): Wer in einem gerichtlichen Verfahren als ( ) Dolmetscher zur Sache (.) falsch übersetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Strafbar ist nur vorsätzliche falsche Übersetzung; wenn Sie nicht sicher sind, sollten Sie es sagen. Der Hinweis auf die Folgen wissentlich falscher Übersetzung erfolgt standardmässig bei jeder Einvernahme und bedeutet nicht, dass wir der übersetzenden Person nicht trauen! Seite 5
Für Sie als Dolmetschende gilt: Verletzung Amtsgeheimnis (Art. 320 StGB): Wer ein Geheimnis offenbart, das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung wahrgenommen hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Hinweis auf die Folgen der Verletzung des Amtsgeheimnisses erfolgt standardmässig bei jeder Einvernahme und bedeutet nicht, dass wir der übersetzenden Person nicht trauen! Seite 6
Die Befrager (im Vorverfahren) Leitende Staatsanwältin, leitender Staatsanwalt Leitet das Untersuchungsamt, befragt selten Staatsanwältin, Staatsanwalt Führt v.a. grössere Verfahren Sachbearbeiter/in mit staatsanwaltlicher Befugnis (SmsB) Führt Verfahren, wenn es um Freiheitsstrafen bis 3 Monate oder Geldstrafen bis 90 Tagessätze geht Polizeibeamter Führt im Auftrag der Staatsanwaltschaft eine Befragung durch Die Regeln sind für alle Befrager gleich Seite 7
Die Befragten Beschuldigte/Beschuldigter Gegen die beschuldigte Person wird ein Strafverfahren geführt; sie ist nicht zur Aussage verpflichtet, darf lügen und kann eine Verteidigung beiziehen Auskunftsperson Hat sich möglicherweise strafbar gemacht; ist deshalb nicht zur Aussage verpflichtet und kann nicht Zeuge sein; Privatkläger werden ebenfalls als Auskunftsperson befragt Zeuge/Zeugin Kann Auskunft über wesentliche Tatsachen geben; ist normalerweise zur Aussage verpflichtet und wird bestraft, wenn er/sie lügt Ausnahme: Angehörige müssen nicht aussagen Seite 8
Ablauf der Einvernahme Bei allen Einvernahmen gleich: Dem Befragten wird gesagt, welche Rechte und allenfalls welche Pflichten er hat Anschliessend wird die eigentliche Einvernahme durchgeführt und fortlaufend übersetzt Dann müssen Sie das Protokoll rückübersetzen Am Schluss unterschreiben alle Beteiligten (der Beschuldigte auf jeder Seite, der StA und Sie am Schluss) Seite 9
spezielle Hinweise bei der Einvernahme des Beschuldigten: Bei der ersten Einvernahme: Mitteilung, dass ein Vorverfahren eingeleitet wurde und welche Straftaten Gegenstand des Verfahrens sind Recht, die Aussage und die Mitwirkung zu verweigern Recht, einen Verteidiger beizuziehen, allenfalls eine amtliche Verteidigung zu beantragen Recht, einen Übersetzer zu verlangen Folgeeinvernahmen: Recht, die Aussage und die Mitwirkung zu verweigern weitere Hinweise je nach Situation Seite 10
spezielle Hinweise bei der Einvernahme des Zeugen: Wahrheitspflicht: Ausschliesslich der Zeuge untersteht der Wahrheitspflicht; bei wissentlich falscher Aussage droht Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahre oder Geldstrafe (Art. 307 StGB) Zeugnisverweigerungsrechte: Keine Pflicht, sich selbst zu belasten und bei Opfern in Bezug auf die sexuelle Intimsphäre (Art. 169 StPO) Keine Aussagepflicht gegenüber Ehegatten und gewissen Verwandten (Art. 168 StPO) Zeugnisverweigerungsrecht aufgrund Amtsgeheimnis (Art. 170 StPO) Zeugnisverweigerungsrecht aufgrund Berufsgeheimnis (Art. 171 StPO) Quellenschutz für Medienschaffende (Art. 173 StPO) Seite 11
spezielle Hinweise bei der Einvernahme der Auskunftsperson: Falsche Anschuldigung (Art. 303 StGB) Alle Befragten können bestraft werden, wenn sie jemanden vorsätzlich falsch belasten Irreführung der Rechtspflege (Art. 304 StGB) Alle Befragten können bestraft werden, wenn sie vorsätzlich behaupten, es sei eine Straftat begangen worden, obwohl es nicht stimmt Begünstigung (Art. 305 StGB) Alle Befragten können bestraft werden, wenn sie vorsätzlich mit ihren Aussagen einen Dritten vor der Strafverfolgung schützen Seite 12
Rückübersetzung - Korrekturen Der Beschuldigte darf beim Rückübersetzen alles korrigieren, was er möchte Wenn der Beschuldigte Korrekturen verlangt, sollten Sie es dem StA sagen - auch wenn es nur um Kleinigkeiten geht Kleinere Korrekturen können direkt ins Protokoll geschrieben werden; bei grösseren Anpassungen gibt es i.d.r. einen Nachtrag Seite 13
Spezielle Einvernahmen Festnahmeeröffnung Dem Festgenommen werden die Haftgründe vorgehalten und er kann sich dazu äussern; auch werden ihm seine Rechte erklärt und er wird gefragt, ob Angehörige, Arbeitgeber oder die Vertretung des Heimatlanges orientiert werden sollen. Haftrichterverhandlung Wenn der Festgenommene es verlangt, findet eine Verhandlung vor dem Haftrichter statt. Dieser entscheidet danach, ob und wie lange der Festgenommene in Untersuchungshaft kommt. Seite 14
Spezielle Einvernahmen Konfrontationseinvernahme Hier werden zwei Beschuldigte oder ein Beschuldigter und ein Zeuge einander in einer Befragung gegenüber gestellt und widersprüchliche Aussagen zu klären versucht. Es geht ach darum, dass eine belastende Aussage vor dem Beschuldigten wiederholt wird und dass dieser Fragen an den Zeugen stellen kann. Vergleichsverhandlung Unter bestimmten Voraussetzungen werden zwei Parteien vorgeladen und in einem Gespräch wird versucht, eine Einigung zwischen diesen zu erzielen. Kommt eine Einigung zustande, wird das Strafverfahren eingestellt. Seite 15
Wichtige Begriffe Strafbefehl: Der Strafbefehl ist ein Urteilsvorschlag des Staatsanwaltes. Bis zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten oder einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen oder gemeinnütziger Arbeit bis 720 Stunden ist der Staatsanwalt quasi Richter. Wenn der Beschuldigte keine Einsprache gegen den Entscheid erhebt, wird der Strafbefehl zum Urteil Einstellungsverfügung Der Staatsanwalt stellt das Verfahren von sich aus ein, wenn schon im Untersuchungsverfahren klar ist, dass ein Gericht den Beschuldigten freisprechen würde, weil z.b. überhaupt kein Delikt vorliegt oder die Täterschaft nicht bewiesen werden konnte Seite 16
Wichtige Begriffe Anklage / Urteil Bei Fällen, die über das Strafmass des Strafbefehls hinausgehen (oder die nicht zu einer Einstellung des Verfahrens führen) erhebt der Staatsanwalt Anklage Dass Gericht führt dann die Hauptverhandlung durch und fällt einen Entscheid Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine Anklage im abgekürzten Verfahren erfolgen. Dann legt die Staatsanwaltschaft mit dem (verteidigten) Beschuldigten das Strafmass bereits während der Untersuchung fest; das Gericht hat dieses dann noch zu bestätigen Seite 17
Wichtige Begriffe Freiheitsstrafe: Ist unbedingt (muss abgesessen werden), wenn sie über drei Jahren dauert Ist bedingt (verbunden mit einer Probezeit) bis zu zwei Jahren möglich Kann zwischen 1 und 3 Jahren teilbedingt sein, d.h. ein Teil muss abgesessen werden, der andere Teil nicht Seite 18
Wichtige Begriffe Geldstrafe Zuerst wird die Zahl der Tagessätze nach Verschulden bestimmt (z.b.: Verkauf eines Kokainkügeli gibt 30 Tagessätze) Dann wird die Höhe des einzelnen Tagessatzes nach Einkommen festgelegt Die Kombination (Anzahl Tagessätze mal Höhe des einzelnen Tagessatzes) ergibt dann die eigentliche Geldstrafe Die Geldstrafe kann bedingt sein (sie muss dann nicht bezahlt werden, wenn der Verurteilte sich bewährt) Busse Fixer Betrag nach Verschulden und Einkommen bei Übertretungen (geringfügigen Delikten) Ist immer unbedingt, muss also immer bezahlt werden Seite 19
Wichtige Begriffe Kosten Der Aufwand für die Untersuchung, bestehend aus der Gebühr (pauschal für die Untersuchung) und den Barauslagen (tatsächliche Kosten, z.b. für Haft, Begutachtung) stellt die Untersuchungskosten dar Die Kosten müssen vom Verurteilten bezahlt werden; bei einem Freispruch bezahlt der Staat die Kosten Dolmetscherkosten zahlt immer der Staat (auch bei einer Verurteilung) Seite 20
Wichtige Begriffe Zivilforderung Der Geschädigte kann seinen Schaden (und allenfalls eine Genugtuung) geltend machen, der StA (im Strafbefehl) oder der Richter (im Urteil) kann darüber entscheiden, ob der Verurteilte zahlen muss Beschlagnahme Der StA behält die sichergestellten Gegenstände vorläufig; mit der Schlussverfügung wird definitiv über das Schicksal der Gegenstände entschieden Einziehung Wenn ein beschlagnahmter Gegenstand in der Schlussverfügung eingezogen wird, heisst das, dass der Beschuldigte ihn definitiv nicht mehr erhält Seite 21