NEUDRUCK STELLUNGNAHME 16/3486 A26. Enquetekommission V zur Zukunft der Familienpolitik in Nordrhein-Westfalen

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Transkript:

16 NEUDRUCK STELLUNGNAHME 16/3486 A26 Enquetekommission V zur Zukunft der Familienpolitik in Nordrhein-Westfalen Familienbewusste Arbeitswelt bei Arbeitgebern unterschiedlicher Größe und Struktur" 19. Februar 2016 1. Was verstehen Sie unter familienbewusster Arbeitswelt? Eine familienbewusste Arbeitswelt umfasst drei Dimensionen: Sie ist über die Familienkonstellation der Mitarbeiter informiert, erkennt an, dass familiale Belange nicht weniger wichtig sind als berufliche und kennt die zeitlichen Strukturen des Familienlebens. a) Arbeitgeber sollten umfassend über die Familienkonstellation der Mitarbeiter informiert sein, denn dies ist eine Voraussetzung für Familienfreundlichkeit. Der Arbeitgeber, speziell der/die Vorgesetzte sollte wissen, ob der/die Mitarbeiter/in Kinder hat, wie viele, wie alt diese sind, ob sie im gemeinsamen Haushalt leben und wie die Betreuung organisiert ist. Ebenso sollte bekannt sein, ob der/die Mitarbeiter/in Pflegeaufgaben wahrnimmt, hilfreich sind auch hier umfassende Informationen über die Pflegekonstellation. Zwischen den Betrieben gibt es große Unterschiede: Einige kennen den Familienkontext ihrer Mitarbeiter, andere nicht. Die Informationen über die Familiensphäre sind deswegen wichtig, weil sich die familiale Beanspruchung im Lebensverlauf ändert, bspw. sind sie bei den Übergängen in Kita und Schule sehr hoch. Die im Fünften Familienbericht beschriebene strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber Familien beruht auch auf fehlenden Informationen. Diese Informationen können in kleineren Betrieben informeller und in größeren systematischer erhoben werden. Wichtig ist dabei die Bereitschaft der Mitarbeiter/innen offen zu informieren. Dazu bedarf es ein Vertrauensverhältnis, damit Arbeitnehmer überhaupt bereit sind, diese Informationen zu geben. Hier ist auch die Arbeitnehmervertretung gefragt, dafür zu werben und sicherzustellen, dass eine Offenheit nicht zu Nachteilen führt. b) Die Lebensbereiche Arbeit und Familie sind gemeinsam zu denken, dies gilt für alle Beteiligten Vorgesetzte, Mitarbeiter/innen, Sozialpartner und Politik. Sie müssen synchronisiert werden. In gewissen Situationen kann dies zu Konflikten führen, wenn wichtige berufliche und wichtige private Termine kollidieren. Hier ist ein Verständnis notwendig, dass weder familiale Angelegenheiten noch berufliche grundsätzlich nachrangig sind. Die Bedeutung der Familie für die biologische und soziale Reproduktion der Gesellschaft, für das Heranwachsen einer neuen Generation von Arbeitskräften und für die Sozialversicherungen ist bekannt. Die Bildung von Humankapital lässt sich auch quantifizieren

- 2 - und ist eine Voraussetzung für die Zukunft von Deutschlands Unternehmen. Umgekehrt sind Familien darauf angewiesen, ein Einkommen zu erzielen, so dass erfolgreiche Betriebe im ureigenen Interesse von Familien sind. Die Synchronisation von Familie und Beruf erfordert heute stärker als früher eine familienbewusste Arbeitswelt. Denn vor mehreren Jahrzehnten war das Alleinverdienermodell verbreitet, bei dem die Synchronisation zwischen beiden Geschlechtern aufgeteilt war. Vereinfacht gesagt hatte der Mann selten Fürsorgeaufgaben bzw. Familientermine wahrzunehmen, da die Frau sich darum gekümmert hat. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts möchten fast alle Frauen berufstätig sein und ökonomisch unabhängig und Väter möchten sich stärker an der Fürsorge ihrer Kinder beteiligen. Dadurch dass beide Geschlechter berufstätig sind, gewinnt der Arbeitsmarkt Millionen an Fachkräften hinzu. Rein quantitativ hat sich die Zahl der Arbeitsstunden in erheblicher Weise erhöht, bei den Frauen seit 2005 um mehr als ein Fünftel, während sie bei den Männern konstant geblieben ist. Die Wirtschaft profitiert von dem Zweiverdiener- und Zweierfürsorge-Modell, das aus Gleichstellungsperspektive eine enorme gesellschaftliche Errungenschaft darstellt. Mitarbeiter im Alleinverdienermodell oder (noch) kinderlose sind für Arbeitgeber zweifellos bequemer zu führen, da sie räumlich und zeitlich flexibler sind. Eine familienbewusste Arbeitswelt ist insofern auch eine große Herausforderung für die Managementkapazitäten von Unternehmen und Behörden. c) Die zeitlichen Strukturen des Familienlebens sind in ihrer Bedeutung und Details vielfach noch nicht ausreichend bekannt. Die quantitative Belastung an Arbeitszeit, wenn man Beruf, Fürsorge und Haushalt addiert, verändert sich v.a. im Familienzyklus. In den beiden folgenden Abbildungen werden neue Daten zur Zeitverwendung für Frauen und Männer gezeigt:

- 3 - Quelle: Bujard, M.; Panova, R. (2016): Zwei Varianten der Rushhour des Lebens. Bevölkerungsforschung Aktuell 37, 11-20. Die Gesamtarbeitszeit für Mütter und Väter ist besonders hoch, wenn das jüngste Kind jünger als sechs Jahre ist, im Durchschnitt sind dies 63 Stunden bei den Vätern und bei Müttern zeitweise sogar 65 Stunden. Diese enorme Belastung über mehrere Jahre hinweg zeigt, dass in dieser Lebensphase eine Reduzierung der Arbeitszeit für Paare sinnvoll ist. Um Familie und Beruf zeitlich zu synchronisieren, ist die Lebensverlaufsperspektive die der Siebte Familienbericht ausführlich diskutiert unabdingbar. Eine familienbewusste Arbeitswelt sollte diese zeitlichen Strukturen im Lebensverlauf von Eltern kennen. Die in den Abbildungen rot gefärbte Fürsorgezeit ist durch die kindlichen Bedürfnisse vorgegeben. Eine Reduzierung der Arbeitszeit in der Lebensphase mit Kindern unter sechs Jahren hilft die Rushhour des Lebens zu entzerren, wobei zu dieser Logik auch eine Anhebung der Arbeitszeit danach gehört. Die geschlechtsspezifische Aufteilung der Arbeitszeit entspricht derzeit nicht den Wünschen junger Eltern: Mütter arbeiten im Beruf deutlich weniger Stunden und wünschen sich mehr, während es bei den Vätern umgekehrt ist. Eine temporäre Reduzierung der Arbeitszeit von Vätern entspricht den Lebensvorstellungen junger Paare. Bemerkenswert ist, dass Väter mehr Stunden beruflich arbeiten als gleichaltrige Männer ohne Kinder obwohl bei ihnen die Fürsorge- und Hausarbeit noch hinzukommt. Das Elterngeld hat die Elternzeitbeteiligung von Vätern verachtfacht, was eine große Bereitschaft von Vätern zeigt. Allerdings bedarf es weitergehender Modelle, die sich vom kulturellen Arbeits- und Anwesenheitsethos von Männern lösen. Eine schwer zu lösendes Paradox ist, dass die frühe Elternphase oft in ein Alter fällt, in dem Karriereentscheidungen stattfindet und wenig ökonomische Ressource da

- 4 - sind. Ein Beispiel zeigt, dass dies nicht zu Karrierenachteilen führen muss, wenn man die Lebensverlaufsperspektive einnimmt: Wenn ein Mann von 22-67 arbeitet und für seine zwei Kinder zehn Jahre die Arbeitszeit um 20 % reduziert, bedeutet das für die Lebensarbeitszeit eine Reduzierung von 45 auf 43 Jahre. Genug Zeit, um Karriere zu machen. Makroökonomisch wären die zwei Jahre weniger nicht viel im Vergleich zu dem Anstieg der Frauenerwerbsbeteiligung in den letzten Jahrzehnten. Ein anderer wichtiger Punkt: Familien benötigen Rituale und gemeinsame Zeiten. Das gemeinsame Frühstück und Abendessen ist hier essentiell. Die Anwesenheitskultur in vielen Betrieben und Termine, die die Arbeitszeiten auf nach 18 Uhr verlängern, sind in ihrer Wirkung rücksichtslos gegenüber Familien. Freilich sind manchmal Arbeitszeiten nach 18 Uhr unvermeidlich, gerade bei Dienstreisen. Trotzdem lässt es sich vielfach vermeiden, was v.a. Erfahrungen in nordeuropäischen Ländern zeigen. Eine familienbewusste Arbeitswelt ist mit einer Anwesenheitskultur bis in den Abend nicht vereinbar. 2. Welche Erwartungen haben Arbeitgeber, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an die berufliche Tätigkeit? Arbeitnehmer erwarten einen hohen Einsatz, Leistung und eine hohe Identifikation mit der Arbeit bzw. dem Betrieb. Für Arbeitnehmer/innen sind Einkommen, berufliche Selbstverwirklichung und bei Eltern Rücksicht gegenüber familialen Aufgaben wichtig. Beide erwarten Flexibilität. Identifikation des Arbeitnehmers und Rücksicht gegenüber der Familie des Arbeitgebers bedingen sich gegenseitig. 3. Soll die Ausgestaltung einer familienbewussten Arbeitswelt den Arbeitgebern selbst überlassen werden? Nein, gesetzliche Regelungen sind notwendig. Diese müssen den Arbeitgebern allerdings große Freiräume lassen, denn die Wege sind je nach Betriebsgröße und Branche unterschiedlich. Dazu kommt, dass gerade in Zeiten des Fachkräftemangels familienfreundliche Regelungen den Arbeitgeber attraktiver machen und ein strategischer Standortvorteil sind. 4. Wie kann man in kleineren und mittleren Unternehmen Lebensarbeitszeitmodelle und Modelle lebenslangen Lernens als Bestandteile eines langfristigen Personalmanagements entwickeln? Generell ist dies bei unterschiedlichen Unternehmensgrößen möglich. Große Unternehmen haben die Möglichkeit, umfassende Modelle im Personalmanagement oft gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern zu entwickeln. Bei kleinen Betrieben sind die Verantwortlichen dagegen oft näher an den Beschäftigten dran, so dass informellere zugeschnittene Lösungen möglich sind, was gerade bei lebenslangem Lernen ein Vorteil sein kann. Letztlich gibt es auch in kleineren und mittleren Unternehmen Praxisbeispiele, die man aufgreifen kann. 5. Führen die Anforderungen an flexible Arbeitszeitgestaltung zu Wettbewerbsnachteilen für kleinere und mittlere Unternehmen? Falls ja, wie können diese vermieden werden? Ehrlicherweise ist eine flexible Arbeitszeitgestaltung für manche kleineren Betriebe eine große Herausforderung, insbesondere das Vertretungsmanagement in der Elternzeit. Wettbewerbsnachteile entstehen allerdings auch dem Unternehmen, das nicht flexibel gegenüber den Beschäftigten ist, da die Unternehmen im Wettbewerb um gute Mitarbeiter/innen stehen. Je kleiner ein Unternehmen, desto wichtiger sind persönliche Absprachen. Arbeitnehmer kennen die Anforderungen der Betriebe und

- 5 - können oft einschätzen, ob etwas wirklich nicht geht oder nur das Familienbewusstsein gering ausgeprägt ist. 6. Wie können insbesondere Klein- und Kleinstbetriebe bei diesen Lösungsansätzen unterstützt werden? Welche generellen betrieblichen und arbeitsorganisatorischen Faktoren erweisen sich als förderlich bzw. hinderlich für eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie? Die Frage ist branchenspezifisch sehr unterschiedlich zu beantworten. Home-office ist oft eine Hilfe, geht aber selten in Handwerksbetrieben. Kinderbetreuung durch soziale Dienstleister für einzelne Tage bei Notfällen kann entlasten. Kommunikation zwischen Angestellten und Arbeitgebern ist aber auch hier entscheidend; gerade auch wenn es um das Management von Tagen geht, bei denen das Kind krank ist. 7. Welche Schwierigkeiten haben Angestellte des öffentlichen Dienstes oder dem öffentlichen Dienst nahestehende Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber bei der Vereinbarkeit von Fürsorgearbeit und Beruf insbesondere in Phasen der Familiengründung (differenziert nach Berufsgruppen und Geschlechtern)? Die Schwierigkeiten und Mechanismen sind im öffentlichen Dienst ähnlich wie in der Privatwirtschaft. Allerdings hat er den Vorteil, langfristiger planen zu können. Daher kann der öffentliche Dienst bei der Etablierung lebensverlaufsbezogener Arbeitszeiten und Weiterbildung als Pionier fungieren. Beispielsweise wenn es darum geht, eine mehrjährige familienbedingte Arbeitszeitreduzierung auf Vollzeit light so auszugestalten, dass es nicht die Karrierechancen mindert. Die langfristige Planbarkeit und der politische Wille kann genutzt werden, direkt im öffentlichen Dienst zukunftsweisende Modelle einzuführen. Ein Nachteil im öffentlichen Dienst ist allerdings, dass flexible Maßnahmen oft umfassender Regelungen bedürfen, was oft hemmend ist. 8. Mit welchen Arbeitszeitmodellen lassen sich gleichzeitig die Erwerbsbeteiligung von Müttern und die Fürsorgearbeit von Vätern unter dem Aspekt der partnerschaftlichen Aufteilung von Familie und Beruf maximieren? Wie sollten diese Arbeitszeitmodelle auch mit Blick auf Einkommens- und Karriereperspektiven konkret ausgestaltet sein? In diese Richtung hat das 2007 eingeführte Elterngeld gewirkt. Da Mütter oft mehr und Väter oft weniger arbeiten möchten, sind qualifizierte, vollzeitnahe Teilzeitstellen zentral für eine partnerschaftliche Aufteilung von Familie und Beruf. Wenn wie bisher Teilzeitarbeit zu Karrierenachteilen führt, ist sie für die meisten vollzeitbeschäftigen (Männer) keine Option. Ein weiterer Aspekt ist, die Anwesenheitskultur zu hinterfragen, wo es möglich ist, Home-office einführen und die Leistung stärker an Ergebnissen zu beurteilen. 9. Welche Effekte auf soziale (Des-)Integration können sich aus flexiblen Arbeitszeitmustern ergeben? Mehrere Home-office-Tage pro Woche kann die Kommunikation im Team und die gemeinsamen Meetings erschweren. Dies lässt sich durch gute Organisation beheben, bspw. durch die Festlegung von ein oder zwei Tagen, an denen alle Mitarbeiter eines Teams bzw. einer Abteilung anwesend sind. Ein ganz anderer Aspekt: Desintegration kann auch gegenüber den eigenen Kindern entstehen, wenn man zu viel Zeit bei der Arbeit verbringt. Die flexiblen Arbeitszeitmuster und die Synchronisierung der vielfältigen Lebensbereiche erfordern ein zunehmendes Maß an Zeitkompetenz. Dies betrifft Arbeitnehmer/Eltern ebenso wie Vorgesetzte.

- 6-10. Welche Chancen und Risiken entstehen durch die fortschreitende Digitalisierung und Technisierung der Arbeitswelt für Vereinbarkeit von Fürsorgearbeit und Beruf? Die Chancen liegen darin, dass Home-office zunehmend möglich wird (siehe oben). Ein Risiko besteht in der geringeren Halbwertszeit digitaler Kompetenzen. Familienbedingte Pausen über mehrere Jahre können zu einem Rückstand bei diesen Kompetenzen führen. 11. Welche Maßnahmen sind darüber hinaus für eine familienbewusste Arbeitswelt erforderlich? Wie kann die Landespolitik dies unterstützen? Die Landespolitik kann durch qualitativ hochwertige Kitas und Ganztagsschulangebote Familien unterstützen. Sie kann dazu beitragen, dass Zeitkompetenz stärker im Bildungssystem thematisiert wird. Als Arbeitgeber kann sie mit gutem Beispiel vorangehen und Modelle einer Familienarbeitszeit einführen.