OLEG ANTONOW TODESNUMMER (Originaltitel: Smertel nyj nomer) (Clownsspiel in zwei Teilen) Aus dem Russischen von Antje Leetz 1
henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 1995 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße 28 10405 Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. 2 F1
PERSONEN CLOWN DER ROTHAARIGE DER BLONDE DER SCHWARZE DER DICKE 3
ERSTER TEIL Nacht. Ein Zirkuszelt. Keine Menschenseele. Unter der Zirkuskuppel schaukeln Trapeze. In der Manege glitzern die Sägespäne. Hinter den Kulissen scharren die Pferde in den Boxen. Plötzlich bewegen sich die Sägespäne in der Manegenmitte und ein Kopf mit roter Clownsperücke taucht auf. Auf dem Gesicht verschmierte Schminkreste und hängengebliebene Sägespäne. Dem Kopf folgt der ganze Oberkörper. Der Clown hat ein schmutziges weißes Hemd, zu kurze Hosen und hohe Schuhe ohne Schnürsenkel an. In den Händen hält er eine leere Flasche. Er betrachtet sie verwundert und schwankt. Er ist betrunken. Da bin ich... flüstert er. Er hustet, schaut sich um und sieht zur Kuppel hoch. Dann zieht er einen Schuh aus und wirft ihn hoch. Von der Kuppel fällt mit pfeifendem Geräusch ein großer, abgewetzter Lederkoffer herunter. Der Clown öffnet den Koffer, verstaut sorgfältig die Flasche und holt ein Saxophon heraus. Er befeuchtet das Mundstück, bläst einige Noten und spielt dann eine orientalische Melodie. Die Sägespäne in der Manegenmitte bewegen sich abermals. Eine Strickleiter taucht daraus hervor. Unter den Klängen des Saxophons windet sie sich wie eine Schlange zur Kuppel empor. Als das Lied zu Ende ist, beginnt der Clown zur Kuppel hochzuklettern. Nachdem er eine beachtliche Höhe erreicht hat, greift er nach einem Trapez und schaukelt hin und her. Dann hängt er mit einer Hand am Trapez und spielt die Melodie. Da lösen sich plötzlich seine Finger, und der Clown fällt herunter. Er stürzt genau ins Zentrum der Manege. Die Sägespäne stieben wie Fontänen in die Höhe, die Pferde wiehern, etwas knirscht, und die Manege taucht ins Dunkle. Als sich die Dunkelheit auflöst, sieht man, wie sich vier Gestalten über den liegenden Körper beugen. Abgestürzt! Ruhe! Einen Arzt! Ruhe! Hilfe! Ruhe alle! (Horcht.) Atmet er?! Kein Blut. Was hast du hier zu suchen?! Und du?! Ich wollte nicht! Ich habe auch gesagt: lieber nicht! Einen Arzt und Wodka! Wodka? Luft! Fächelt ihm Luft zu! (Alle vier wedeln mit den Armen und pusten.) 5
Hoffnungslose Kiste! (Hinter den Kulissen heult ein Hund. Alle vier erstarren.) Vielleicht ist er schon hin?! Ich muß gleich kotzen... Wir müssen sein Herz abhören. Tus doch. Tus doch selber. Er soll! (Deutet mit dem Kopf auf den Blonden.) Guck mal! Was? Was? Was? Ich glaube... (Er tritt an den Körper heran, kniet nieder und legt sein Ohr an.) Und?! Und?! Und?! Schläfst du?! Haltet die Klappe beide! ( steht auf und schüttelt die Sägespäne ab.) Ich hab das Gefühl, er ist tot. O Gott! (Bekreuzigt sich und murmelt etwas.) Schöne Bescherung! Also! Wir wissen von nichts, haben nichts gesehen! Waren nie hier! Wir gehen! Wohin? 6
Irgendwohin! Quatsch. Zuerst müssen wir entscheiden, was weiter passiert. Entscheiden wir unterwegs! Unterwegs wohin? O Gott! Was soll jetzt werden... Wir müssen ihn hier wegschaffen! Wieso? Ein Toter in der Manege ist ein schlechtes Omen. Richtig! Wir müssen ihn in die Garderobe bringen. Wieso? Die Leute sollen wissen, daß er würdig gestorben ist! Er kam, schlief ein und war tot! Richtig! Fassen wir an! und ich an den Armen, du und der Blonde an den Beinen! Ich kann nicht! Warum nicht?! Ich hasse Tote! Faß an, hörst du! (Sie fassen den Körper und ziehen in verschiedenen Richtungen an ihm.) Hierher! Hier ist es kürzer! Los, hinter die Kulisse! Ich laß ihn gleich fallen! Ich werd dir helfen! (Sie tragen den Körper zu einer Kulisse, hinter der Pferde schnauben und wiehern.) 7
Hierhin gehts nicht! Die Pferde werden wild! (Sie schleppen den Körper zu einer anderen Kulisse, hinter der wildes Hundegeheul zu hören ist.) Alle Und hier sind Hunde! Verdammter Mist! Werfen wir ihn hierhin! Ich laß los! Festhalten! Ab gehts, bei vier! Eins! Zwei! Drei! Vier! Allez! (Im Chor.) Hopp! (Der Körper verschwindet im Dunkeln. Sie schauen ihm lange nach.) Gratuliere! Nun sind wir tote Männer. Jetzt einen Wodka! O Gott, was soll nun werden... Was schon? Morgen früh kommt der Wächter. Findet ihn. Dann das Leichenhaus. Dann die Beerdigung. Mahlzeit! Wer hat sich bloß diese Nummer ausgedacht?! Ich hab das mit dem Saxophon ausgedacht. Und ich das Spielen mit einer Hand! Das ist jetzt unwichtig! Wir müssen verschwinden! Am Ende kommt noch einer! ( tritt zum Koffer und öffnet ihn. Holt ein Jackett heraus, Hosen, Schuhe.) 8
Vielleicht kleiden wir ihn an? Ist immerhin ein Clown! Wozu?! Hat wie ein Clown gelebt, soll er wenigstens wie ein normaler Mensch sterben! Auch wieder richtig. (Schleudert eine Perücke in den Koffer.) Kommt. Was ist denn das? (Holt vom Kofferboden ein Fläschchen hervor.) Arsen. Gegen Ratten. Gehen wir. (Gehen zu dritt zur Kulisse und merken, daß der Dicke in die andere Richtung geht.) He, Dicker! Hier ist es näher. Wie? Warte! Was? Was?! Was?! Was?! Kameraden! Ihr seid schwer von Kapee! Na, los, Dicker, geh nur! Wozu? Geh! Hörst du! Wohin? Dorthin! Was kommandierst du ihn so? Begreifst du nicht! Ah!... Ich glaub, ich habs kapiert! Schweig still! 9