GZ.: BMI-LR1315/0006-II/1/2007 Wien, am 05. Februar 2007 An alle 1) Bundespolizeidirektionen 2) Sicherheitsdirektionen 3) Landespolizeikommanden Dr. Peter Trabitsch BMJ - II 3 (Straflegislativsektion Abteilung 3) Museumstraße 7, 1070 Wien Tel.: +43(01)53126/3465 Pers. E-Mail: peter.trabitsch@bmi.gv.at Org.-E-Mail: post@bmj.gv.at WWW.BMI.GV.AT DVR: 0000051 Antwortschreiben bitte unter Anführung der GZ an die Org.-E-Mail-Adresse. Betreff: Sicherheitsbehörden Erlass über die Akteneinsicht für (Sozial-) Versicherer nach einem Verkehrsunfall mit Personenschaden Kundmachung des Erlasses des BM.I gegenüber den Gerichten und Staatsanwaltschaften In Absprache mit dem Bundesministerium für Justiz wird mitgeteilt: Allen an einem Verfahren beteiligten Parteien steht gemäß 17 Abs. 2 AVG auf Verlangen Akteneinsicht in gleichem Umfang zu. Ob und in welchem Umfang diese Bestimmung auch für die Mitteilung von Unfalldaten an Versicherungsunternehmen bei Verkehrsunfällen im Zuge von Amtshandlungen im Dienste der Strafjustiz anzuwenden ist (siehe Artikel V EGVG), wurde aus gegebenem Anlass gemeinsam mit dem Bundesministerium für Justiz einer Überprüfung unterzogen. Auf Grundlage des daraus gewonnenen gemeinsamen Rechtsstandpunktes ist in Anlehnung an die Bestimmungen der 51 bis 53 ivm 66 Abs. 1 Z 2 und 68 StPO idf StPRG, BGBl. I Nr. 19/2004, folgende Vorgangsweise einzuhalten: Sozialversicherungsträger benötigen für die versicherungsrechtliche Abwicklung regelmäßig (nur) die wesentlichen Grunddaten des Unfalls (Ort und Zeit) und der Beteiligten (insbesondere Schädiger/in und Geschädigte/r), für die bereits derzeit hinreichende gesetzliche Grundlagen bestehen.
Bemerkung: Als Grunddaten sind ferner auch Kennzeichen und Haftpflichtversicherungsanstalt eines beteiligten Kraftfahrzeuges und Aktenzeichen, gegebenenfalls Geschäftszahl der Staatsanwaltschaft oder eines Gerichtes, zu verstehen. Auch soweit Haftpflicht- und Kaskoversicherung lediglich diese Grunddaten in Erfahrung bringen wollen, bereitet die bestehende Rechtslage keine Probleme. Das aktenführende Organ hat daher allenfalls nach Rücksprache mit der Behörde einem Versicherungsträger Akteneinsicht im Sinne einer Mitteilung der Grunddaten des Verkehrsunfalls zu gewähren. Falls jedoch auch (detaillierte) Fakten über den Unfallhergang (wie beispielsweise die Übermittlung einzelner konkreter Erhebungsergebnisse bzw. die Übermittlung der Vollanzeige bzw. eines Entwurfs derselben) gewünscht werden, kann bei Mitteilung dieser Fakten an alle Parteien (=Unfallbeteiligten) eine Verabredungsgefahr grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, weshalb die Bekanntgabe bzw. Akteneinsicht zu verweigern ist, soweit dadurch im Einzelfall - etwa bei Befürchtung einer Verabredung zweier Zeugen oder des Beschuldigten und eines Entlastungszeugen, die durch die Gewährung einer Akteneinsicht wesentlich erleichtert wäre - der Zweck des Verfahrens gefährdet würde. Soweit möglich, können die Daten auf elektronischem Wege (vgl. 17 Abs.1, letzter Satz AVG), bekannt gegeben werden. Im Zweifelsfall oder bei Beschwerden betroffener Personen wäre Kontakt mit Staatsanwaltschaft bzw. Gericht aufzunehmen. Der Begriff des Beschuldigten bzw. des Privatbeteiligten ist dabei im Sinne der bestehenden Praxis und im Hinblick auf die mit 1.1.2008 wirksam werdenden Änderungen der StPO (vgl. insb. 68 Abs.2 StPRG) weit auszulegen, das heißt, dass bereits bei Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes unter dem üblichen Begriff Verdächtiger bzw. ab Erklärung einer betroffenen Person, sich dem Verfahren als Privatbeteiligter anzuschließen, nach den obigen Ausführungen vorzugehen ist. Im Detail wird dazu ausgeführt: Soweit das Verfahren bereits gerichtsanhängig ist, stellen 47 Abs. 2 Z 2 StPO und 82 StPO die gesetzliche Grundlage für eine Akteneinsicht dar. Soweit bereits Anzeige an die Staatsanwaltschaft erstattet wurde, das Verfahren jedoch noch nicht gerichtsanhängig ist, ist 35 Abs. 4 und 5 StAG anwendbar, wobei ein rechtliches Interesse des Versicherungsunternehmens anzunehmen ist. Jedenfalls sind die Grunddaten - 2 -
des Verkehrsunfalls gemäß Abs. 5 leg cit ( Erteilung von Auskünften nach Art und Umfang des 48a StPO ) in den damit bezeichneten Fällen über den Umweg des Geschädigten (schriftlich) an den Versicherer mitzuteilen. Die Akteneinsicht bei den im Dienste der Strafjustiz tätigen Sicherheitsbehörden ist in der geltenden StPO nicht geregelt, weil sich 47 Abs. 2 Z 2 und 82 StPO ausschließlich auf den Gerichtsakt beziehen. Jedoch ist Artikel V EGVG auf alle Amtshandlungen der Sicherheitsbehörden und ihrer Organe im Dienst der Strafjustiz anzuwenden, und zwar auch auf 24 StPO gegründete selbstständige Ermittlungen. Für die Gewährung von Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren stellt 17 AVG (ivm 24 VStG) die gesetzliche Grundlage dar. Gemäß dessen Abs. 2 muss allen an einem Verfahren beteiligten Parteien auf Verlangen die Akteneinsicht in gleichem Umfang gewährt werden. Dies gilt auch für Sozialversicherungsträger. Gemäß Abs. 3 sind von der Akteneinsicht Aktenbestandteile ausgenommen, insoweit deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen einer Partei oder dritter Personen oder eine Gefährdung der Aufgaben der Behörde herbeiführen oder den Zweck des Verfahrens beeinträchtigen würde. Die verwiesenen Bestimmungen und ihre Rechtsfolgen sind daher so mit den Bestimmungen der StPO und deren Rechtsfolgen in Beziehung zu setzen, dass den jeweils nach ihrer Funktion und ihrer Stellung im Sinnzusammenhang gleich zu erachtenden Elementen die gleichen Rechtsfolgen zugeordnet werden (vgl. WALTER/THIENEL, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze 2, Art V EGVG Anm. 3 sowie E 1, 3). Das Recht des Beschuldigten (bzw. seines Verteidigers) auf Akteneinsicht kann gemäß 45 Abs. 2 StPO bis zur Mitteilung der Anklageschrift (hinsichtlich einzelner Aktenstücke) beschränkt werden, wenn besondere Umstände die Befürchtung rechtfertigen, dass der Zweck der Untersuchung durch eine sofortige Kenntnisnahme von diesen Aktenstücken gefährdet wäre. Gemäß 38 Abs. 4 StPO kann sogar die Verständigung des Beschuldigten über das gegen ihn geführte (gerichtsanhängige) Verfahren aufgeschoben werden, solange die erwähnte Befürchtung besteht. Gemäß 47 Abs. 2 Z 2 StPO hat der Privatbeteiligte Akteneinsicht, und zwar, falls nicht besondere Gründe entgegenstehen, schon während der Vorerhebungen und der Voruntersuchung. Gemäß 82 StPO bleibt es der Beurteilung des Gerichts überlassen, ob und inwieweit eine Partei Akteneinsicht erhält. Theoretisch denkbar ist damit, dass der Versicherungsträger (als Privatbeteiligte bei Legalzession oder als Partei isv 82 StPO in den sonstigen Fällen, also beispielsweise bei Zession durch Rechtsgeschäft) noch vor dem Beschuldigten oder in weiterem Umfang als dieser Akteneinsicht bekommt. - 3 -
Da das Strafverfahrens primär die Aufklärung von Straftaten und Verfolgung verdächtiger Personen zum Ziel hat, und nach Art 6 EMRK die Durchführung eines fairen Verfahrens geboten ist, wäre das Recht auf Akteneinsicht nach 47 Abs. 2 Z 2 StPO bzw. 82 StPO nur dann und nur soweit zu gewähren, als Akteneinsicht auch dem Beschuldigten selbst gewährt wird. Da es sich allerdings um Verkehrsunfälle (Fahrlässigkeitsdelikte) handelt, wobei seitens der Versicherungsträger nur die Grunddaten des Unfalls gewünscht werden, wird eine Gefährdung des Zwecks der Untersuchung durch die Verständigung des Beschuldigten vom Verfahren praktisch immer auszuschließen sein, womit er nicht nur gemäß 38 Abs. 4 StPO vom Verfahren zu verständigen ist, sondern ihm auch die Grunddaten des Verfahrens und somit des Unfalls bekannt zu geben sind. Die Gewährung von Akteneinsicht in diesem Umfang ist sowohl gemäß 47 Abs. 2 Z 2 StPO als auch gemäß 82 StPO unproblematisch und zulässig. Gleiches gilt aber auch schon für die Einsicht in die bei der Polizei geführten Akten. Demnach ist im Regelfall 17 AVG (ivm 24 StVG und 47 Abs. 2 Z 2 bzw. 82 StPO) als Rechtsgrundlage für die Mitteilung der Grunddaten eines Verkehrsunfalls durch die Polizei an einen Versicherer heranzuziehen. Soweit nur die Grunddaten des Unfalls relevant sind und es sich um Fahrlässigkeitsdelikte handelt, ist damit eine Gefährdung des Zwecks des Verfahrens praktisch kaum vorstellbar, weshalb einem Versicherungsträger diese Daten grundsätzlich mitzuteilen sind. Soweit aber auch (detaillierte) Fakten über den Unfallhergang von den Versicherungsträgern gewünscht würden, wie beispielsweise die Übermittlung einzelner konkreter Erhebungsergebnisse bzw. die Übermittlung der Vollanzeige (bzw. eines Entwurfs derselben) verlangt wird, kann eine restriktivere Handhabung jedoch durchaus geboten sein, weil Erhebungen einen dynamischen Prozess darstellen und vor ihrem Abschluss jeweils nur eine Momentaufnahme (mit einem dann allenfalls unrichtigen Bild) liefern können. Zudem kann bei Mitteilung dieser Fakten an alle Parteien (=Unfallbeteiligten) eine Verabredungsgefahr grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, weshalb Abwägungen zwischen den (rechtlichen) Interessen des Einsichtswerbers und den Zwecken des Strafverfahrens anzustellen sind. Selbst dieses Recht des Beschuldigten auf Akteneinsicht kann gemäß 45 Abs. 2 StPO (bis zur Mitteilung der Anklageschrift) eingeschränkt werden, wenn besondere Umstände die Befürchtung rechtfertigen, dass durch eine sofortige Kenntnisnahme der Zweck der Untersuchung gefährdet wäre. - 4 -
Insgesamt liegt diesen Bestimmungen der StPO die Wertung zu Grunde, dass die Gefährdung des Zwecks der Untersuchung in einem frühen Verfahrensstadium sehr weitgehende Einschränkungen nämlich selbst die eines so grundlegenden Verteidigungsrechts wie der Akteneinsicht erlaubt. Diese Grundwertung der StPO würde jedenfalls unterlaufen, wenn 17 AVG ohne Rücksicht auf eine solche Gefährdung ein unbedingtes Recht auf Akteneinsicht gewähren würde. Vielmehr ist 17 AVG mit den Bestimmungen der StPO wie o.a. in Beziehung zu setzen (Artikel V EGVG). Der gegenständliche Erlass wird in die Datenbank Informationen und Verwaltungsvorschriften IVS aufgenommen. Zusatz für die Sicherheitsdirektionen: Um Beteilung der Bezirksverwaltungsbehörden mit einer Erlassausfertigung wird ersucht. Anhang: Strafprozessreformgesetz, BGBl. I Nr. 19/2004 Auszug Akteneinsicht 51. (1) Der Beschuldigte ist berechtigt, in die der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht vorliegenden Ergebnisse des Ermittlungs- und des Hauptverfahrens Einsicht zu nehmen. Das Recht auf Akteneinsicht berechtigt auch dazu, Beweisgegenstände in Augenschein zu nehmen, soweit dies ohne Nachteil für die Ermittlungen möglich ist. (2) Soweit die im 162 angeführte Gefahr besteht, ist es zulässig, personenbezogene Daten und andere Umstände, die Rückschlüsse auf die Identität oder die höchstpersönlichen Lebensumstände der gefährdeten Person zulassen, von der Akteneinsicht auszunehmen und Kopien auszufolgen, in denen diese Umstände unkenntlich gemacht wurden. Im Übrigen darf Akteneinsicht nur vor Beendigung des Ermittlungsverfahrens und nur insoweit beschränkt werden, als besondere Umstände befürchten lassen, dass durch eine sofortige Kenntnisnahme von bestimmten Aktenstücken der Zweck der Ermittlungen gefährdet wäre. Befindet sich der Beschuldigte jedoch in Haft, so ist eine Beschränkung der Akteneinsicht hinsichtlich solcher Aktenstücke, die für die Beurteilung des Tatverdachts oder der Haftgründe von Bedeutung sein können, ab Verhängung der Untersuchungshaft unzulässig. (3) Einfache Auskünfte können auch mündlich erteilt werden. Hiefür gelten die Bestimmungen über Akteneinsicht sinngemäß. 52. (1) Soweit dem Beschuldigten Akteneinsicht zusteht, sind ihm auf Antrag und gegen Gebühr Kopien (Ablichtungen oder andere Wiedergaben des Akteninhalts) auszufolgen oder herstellen zu lassen; dieses Recht bezieht sich jedoch nicht auf Ton- oder Bildaufnahmen. (2) In folgenden Fällen hat der Beschuldigte keine Gebühren nach Abs. 1 zu entrichten: 1. wenn und so lange ihm Verfahrenshilfe bewilligt wurde, - 5 -
2. wenn er sich in Haft befindet, bis zur ersten Haftverhandlung oder zur früher stattfindenden Hauptverhandlung hinsichtlich aller Aktenstücke, die für die Beurteilung des Tatverdachts oder der Haftgründe von Bedeutung sein können, 3. für Befunde und Gutachten von Sachverständigen, Behörden, Dienststellen und Anstalten. (3) Dem Verfahrenshilfeverteidiger sind unverzüglich Kopien des Aktes von Amts wegen zuzustellen. Gleiches gilt für die Fälle des Abs. 2 Z 2 und 3. Der Verteidiger des in Haft befindlichen Beschuldigten kann beantragen, dass ihm Kopien der in Abs. 2 Z 2 und 3 angeführten Aktenstücke auch in weiterer Folge von Amts wegen übermittelt werden. Verfahren bei Akteneinsicht 53. (1) Einsicht in den jeweiligen Akt kann im Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft und bis zur Erstattung des Abschlussberichts ( 100 Abs. 2 Z 4) auch bei der Kriminalpolizei begehrt werden, im Hauptverfahren bei Gericht. (2) Soweit Akteneinsicht zusteht, ist sie grundsätzlich während der Amtsstunden in den jeweiligen Amtsräumen zu ermöglichen. Im Rahmen der technischen Möglichkeiten kann sie auch über Bildschirm oder im Wege elektronischer Datenübertragung gewährt werden. 66. (1) Opfer haben - unabhängig von ihrer Stellung als Privatbeteiligte - das Recht,... 2. Akteneinsicht zu nehmen ( 68),... Akteneinsicht 68. (1) Privatbeteiligte und Privatankläger sind zur Akteneinsicht berechtigt, soweit ihre Interessen betroffen sind; hiefür gelten die 51, 52 Abs. 1, Abs. 2 Z 1 und 3 sowie 53 sinngemäß. Im Übrigen darf die Akteneinsicht nur verweigert oder beschränkt werden, soweit durch sie der Zweck der Ermittlungen oder eine unbeeinflusste Aussage als Zeuge gefährdet wäre. (2) Dieses Recht auf Akteneinsicht steht auch Opfern zu, die nicht als Privatbeteiligte am Verfahren mitwirken. (3) Das Verbot der Veröffentlichung nach 54 gilt für Opfer, Privatbeteiligte und Privatankläger sinngemäß. Für den Bundesminister: Dr. Wolfgang Eminger elektronisch gefertigt - 6 -