Arbeitsmedizinische Betriebsbegehungen Aktivität schafft Interesse Sibylle Hildenbrand, Verena Röder, Monika A. Rieger Institut für Arbeits- und Sozialmedizin, Universitätsklinikum Tübingen Einleitung und Fragestellung der Studie Die Lehre im Fach Arbeitsmedizin wurde zum Sommersemester 2007 neu geplant. Hierbei wurde auch ein Konzept entwickelt, mit dem sich bei 160 Studierenden pro Semester die Beteiligung der Studierenden in der Lehrveranstaltung arbeitsmedizinische Betriebsbegehung verbessern lässt. Methoden Die Modifikation bei der Veranstaltung erfolgte nach der didaktischen Methode, dass Studierenden durch eigene Beiträge bei einer Veranstaltung aktiviert werden können. Um Unterschiede zwischen den beiden verschiedenen Konzeptionen der Betriebsbesichtigungen zu erfassen, wurden Studierende befragt sowie die schriftliche Evaluation und die persönlichen Eindrücke der Dozenten ausgewertet. Ergebnisse Im Folgenden werden die Strukturen und Effekte der ursprünglichen Betriebsbegehung der neu konzipierten Betriebsbegehung gegenübergestellt. Ursprünglich lag die Veranstaltung arbeitsmedizinische Betriebsbegehung im 7. Semester. Je 30-40 Studierende konnten unter 4-5 Betrieben ihr Ziel frei wählen. Im neuen Studienplan lag die Veranstaltung im 10. Semester, 40 Studierende wurden jeweils einer Firma zugeteilt. Die Vorbereitung bestand ursprünglich aus einer 15minütige Besprechung während der Busfahrt zum Betrieb. Die Lehrenden gaben Hinweise, auf welche Punkte die Studierenden während der Begehung achten sollten. Z.B. sollten sie beobachten, ob und welche persönliche Schutzausrüstungen getragen werden. Bei der neuen Konzeption wurde ein vorbereitendes einstündiges Seminar, 1-7 Tage vor der Begehung, durchgeführt. Hierbei überlegten sich die Studierenden eine Checkliste für eine allgemeine erste Betriebsbegehung durch einen Arbeitsmediziner (Tabelle 1). Jeweils 3 Studierende wählten eines der zwölf erstellten Themen aus und erarbeiteten dazu Unterpunkte, die durch Plenum und Lehrende ergänzt wurden. Die Studierenden sollten bei der Betriebsbegehung bevorzugt Beobachtungen zu ihrem Thema notieren. Bei der ursprünglichen Betriebsbegehung waren die Studierenden unterschiedlich aktiv beteiligt. Die Begehung hatte teilweise den Charakter einer passiv erlebten Führung bis hin zum 492
Ausflugserlebnis. Die Möglichkeit zu allgemeinen Fragen an den Arbeitsmediziner der Firma vor Ort wurde unterschiedlich genutzt. Bei der neu konzipierten Betriebsbegehung zeigten die Studierenden ein aktiveres und engagiertes Verhalten. So führten sie z.b. eigene Befragungen von Beschäftigten bei der Begehung durch. Sie stellten Fragen bei der Führung und der anschließenden Diskussion, z.t. nach den Checklistenthemen. Die Möglichkeit zu allgemeinen Fragen an den Arbeitsmediziner der Firma vor Ort wurde in unterschiedlichem Umfang genutzt. Am Ende der Begehung sollten die themenbezogenen Beobachtungen für Overheadfolien lesbar groß notiert werden. Ursprünglich fand die Nachbereitung im Bus auf der Rückfahrt vom Betrieb statt. Es wurde nach Diskussionspunkten gefragt, die noch offen geblieben waren, und um eine mündliche Evaluation der Begehung gebeten. Die Bemerkungen im Bus waren meist spärlich, die Studenten wirkten relativ erschöpft. Bei der neu konzipierten Betriebsbegehung wurden für ein einstündiges Seminar, 1-7 Tage nach der Begehung, die Notizen zu den Themen auf Folien kopiert. Sie dienten den Kleingruppen in ihrem Kurzvortrag vor den Kommilitonen als Präsentationsgrundlage. Die Beobachtungen wurden im Plenum diskutiert und kommentiert. Schlussfolgerungen In der neuen Konzeption der Betriebsbegehung erlebten die Studierenden durch die bessere Vorbereitung und längeren Beschäftigung mit der Betriebsbegehung im einführenden Seminar über die erstellte Checkliste die Betriebsbegehung strukturierter und intensiver, nach dem Motto Man sieht nur, was man kennt. Durch die Aufgabe, ihre Beobachtungen später den Kommilitonen zu präsentieren, zeigten sie ein aktiveres und engagiertes Verhalten. Es wurde ein Wandel vom der z.t. passiv als Ausflug erlebten Betriebbesichtigung hin zur aktiven Beteiligung an der Betriebsbegehung vollzogen. Durch das größere Interesse und die längere Beschäftigung mit den Arbeitsplatzbedingungen sowie den Aufgaben des Arbeitsmediziners im Betrieb war der Lernerfolg größer. Als zukünftigte Verbesserungsmöglichkeiten sollten die Gruppen von 40 auf 20 Studierende verkleinert werden. Die Checkliste sollte von 12 auf 10 Themen gekürzt und an den zu besichtigenden Betrieb individuell angepasst werden. Den Studierenden sollte eine frei wählbare Präsentationsform der themenbezogenen eigenen Beobachtungen ermöglicht werden. Danksagung Die Checkliste geht in ihrer ursprünglichen Fassung auf eine Liste zurück, die von Herrn Dr. Gerd Enderle (Sozial- und Arbeitsmedizinische Akademie Baden-Württemberg e. V., in Verbindung mit der Universität Ulm) für die arbeitsmedizinischen Weiterbildungskurse 493
entwickelt wurde. Die Arbeit des Instituts für Arbeits- und Sozialmedizin Tübingen wird finanziell unterstützt durch den Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden- Württemberg e.v. (Südwestmetall). Checkliste Betriebsbegehung 1) Arbeitszeit, Arbeitsorganisation und Charakter der Tätigkeit 2) Überblick über die Beschäftigten 3) Raumklima, Beleuchtung 4) Gestaltung der Verkehrswege 5) Räumliche Gestaltung des Arbeitsplatzes Arbeitsmittel / Ergonomie 6) Arbeitsausführung 7) Belastungen und Beanspruchungen des Bewegungsapparates, Muskelarbeit 8) Physikalische Noxen 9) Chemische Noxen, Biologische Noxen 10) a) Psychomentale Belastung b) Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten, arbeitsbedingte Erkrankungen 11) Technischer, organisatoischer, persönlicher Arbeitsschutz (gestellt/angewandt) 12) Soziale Einrichtungen Tabelle 1: Erarbeitete Checkliste für eine Betriebsbegehung 494
Dokumentation Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e. V. 49. Wissenschaftliche Jahrestagung 11. 14. März 2009 in Aachen In Zusammenarbeit mit: Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte e. V. Berufsverband Deutscher Arbeitsmediziner Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung Hauptthemen: Krank und trotzdem arbeiten? - Der chronisch Kranke im Erwerbsleben Unfallprävention durch arbeitsmedizinische Vorsorge Herausgegeben von: Prof. Dr. med. Thomas Kraus Dr. med. Monika Gube Rosemarie Kohl 1
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung in andere Sprachen vorbehalten. Copyright 2009 by Geschäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e. V. Prof. Dr. med. Thomas Kraus Institut für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin, Universitätsklinikum Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen ISBN 978-3-9811784-2-5 ISSN 1861-6577 2