2009, Kozek-Langenecker Sibylle

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Label. Beste Klinik Allgemeine Chirurgie. Patientenblatt. Seite 1 von 7. Patient: Mustermann, Erika Geb-Dat: , OP-Dat:

Transkript:

8. Gerinnungsrunde Süd Graz 2.4.2009 Die strukturierte Gerinnungsanamnese ÖGARI Fragebogen Sibylle A. Kozek-Langenecker Evangelisches Krankenhaus Wien Univ.-Klinik für Allgemeine Anästhesie und Intensivmedizin Medizinische Universität Wien sibylle.kozek@meduniwien.ac.at

Conflict of interest Vorträge & Consulting für Astra Zeneca Baxter B.Braun Biotest CSL Behring Dynabyte Fresenius Kabi GlaxoSmithKline Mitsubishi Pharma NovoNordisk Pentapharm

Ziel der perioperativen Gerinnungsdiagnostik 1. Minimierung des Blutungs- & Thromboserisikos bei invasiven Prozeduren 2. Vermeidung von unnötigem Blutproduktverbrauch 3. Vermeidung von unnötigen Labortests 4. Steigerung der Vigilanz und Kompetenz der/s AnästhesistIn als perioperative Gerinnungsspezialisten

Gerinnungsanamnese wichtigstes Werkzeug der präoperativen Gerinnungstestung Koscielny. Clin Appl Thromb Hemost 2004;10:155 Ziv. Haemophilie 2004;10:162 Zwack. Int J Pediatr Otorhinolaryngol 1997;39 Vaessen. Acta Urol Belg 1997;3:9 Howells. Otolaryngol Head Neck Surg 1997 Dec;117 Burk. Pediatrics 1992;89:691

Standardisierte Blutungsanamnese Arbeitsgruppe Perioperative Gerinnung der ÖGARI. Anaesthesist 2007;56:604-11 Rodeghiero. J Thromb Haemost 2005;3:2691-26 Ergänzung: Haben Sie Blutsverwandte in der Gruppe der Ashkenazi? bekannte Blutgerinnungsstörung Eigen- und Familienanamnese Nasenbluten ohne erkennbaren Grund schwere Blutungsneigung Hämatome, Petechien am Körperrumpf/ungewöhnlichen Stellen/ohne erkennbaren Grund verlängertes Nachbluten bei Schnitt- oder Schürfwunden nach und während Operationen nach und während Zahnextraktionen Operationen in der Vorgeschichte: Blut- und Blutproduktverbrauch Hypermenorrhoe Schmerz- und Rheumamittel Gerinnungshemmer frei verkäufliche Mittel und diätetische Faktoren milde Blutungsneigung Medikamentenanamnese

30. Beobachten Sie folgende Blutungsarten ohne Grund: Vermehrt spontanes Nasenbluten Vermehrt blaue Flecken an untypischen Stellen oder punktförmige Blutungen Gelenksblutungen oder Blutungen in Weichteile oder Muskel Blutungen nach dem Zahnziehen Längeres oder verstärktes Nachbluten nach Schnittverletzungen Nachblutungen nach Operationen Abnormale Blutungsneigung bei Blutsverwandten (v.a. Eltern oder Geschwister) Auffällige Wundheilungsstörungen Nur für Frauen zu beantworten: Verstärkte Regelblutung vom 1.Tag an Dauer > 7 Tage > 7 Binden / Tag Bekannte Blutungsstörung 5. Medikamente: Wenn ja welche? Medikamenteneinnahme in der letzten Woche Schmerzmittel Fiebersenkende Medikamente Antibiotika Pflanzliche Medikamente Rheumamedikamente

Positive Blutungsanamnese Koscielny, Pfanner. Anaesthesist 2007;56:604-11 positive sba & normal lab tests n=372 6,7% n=256 4,5% n=628 11,2% relevant coagulation defect n=5021 88,8% positive sba negative sba

Diagnostische Konsequenzen Laboranalysen Konsil z.b. HNO bei unklarer Epistaxis Interne bei Hypertension Gynäcologie bei unklarer Hypermenorrhoe Ausheben von Krankengeschichten bei abnormen Fremdblutbedarf

First level tests: Plasmatische Gerinnung Thrombozytenzahl Va + Ca ++ prothrombin X Xa XIa VIIIa + Ca ++IX IXa VIIa + Ca ++ VII thrombin XIIIa tissue factor fibrinogen fibrin fibrin net Fibrinogenkonzentration aptt PT / INR

Risikofaktoren für perioperative Blutungen Thrombozytenfunktionsstörung (medikamenten-induziert, Organ-assoziiert oder angeboren) Prävalenz Monitoring 3-4 % PFA-100 Aggregometrie (Multiplate ) von Willebrand Syndrome (vws) - Typ I (quant.) 1-2% 70% PFA-100 vwf: Rcof vwf: Ag, - Typ II 20 30% Faktor VIII:c aptt (normal - verlängert) - Typ III 1,4 1,5 / 1.000.000 Hämophilie A 1 : 5000 männl. Geburten Hämophilie B 1 : 30.000 männl. Geburten aptt verlängert PT normal aptt verlängert PT normal Rodeghiero. Best Practice & Research in Clin Haematol 2001;14:321 Lillicrap. Haemophilia 2006;12:68

First level tests: Primäre Hämostasekapazität von Willebrand factor: Antigen (vwf:ag) Ristocetin-Cofaktor-Aktivität (vwf:rco) Thrombozytenfunktion Lillicrap. Haemophilia 2006;12:68 Koscielny. Clin Appl Thrombosis Hemostasis 2004;10:155

Key messages: PFA-100 TM sensitive für von Willebrand Syndrom Lillicrap. Haemophilia 2006;12:68 konventioneller ADP test: diagnostische Lücke für ADP-Rezeptor Antagonisten Hezard. Thromb Res 2003;108:43. Agarwal. Anesthesiology 2006;105:676. Mani. Platelets 2006;17:303 abhängig von vwf, Thrombozahl (> 100 G/l), Hämatocrit (> 30%) Schambeck. Laboratoriums Medizin 2002;26:557. Salama. Transfus Apheresis Sci 2004;30:93. Carcao. Br J Haematol 2002;117:961

1: Aspirin 2: Clopidogrel/Ticlopidin 3: GP IIb/IIIa Inhibitor 4: PGE1, PGI2 2,4 GP IIb/IIIa 2,3,4 3 vwf VIII ADP Mechanismen und Monitoring der Antiplättenchen Therapie 1,2,4 TXA 2 αg dt 4 PG COX-1 1 Aggregation Ca Ca Epinephrin Influx Ca TXA 2 1 P2Y(12) Thrombin Kollagen ADP P2Y(1) ADP P2X(1) ADP Metzler. Anaesthesist 2007;56:401 2

Second level tests wenn first level tests abnormal sind detaillierte Analyse z.b. vwf Multimeranalyse, molekulare Marker, Tc Proteinexpression, aptt : TT, Faktoractivitäten, Lupusantikoagulans Greaves. J Thromb Haemost 2007;5:167 Indikation/Reihenfolge: Kenntnis in Hämostaseologie

Handlungsempfehlungen sollen die Entscheidungsfindung unterstützen und die PatientInnensicherheit steigern Revision keine Ergebnisgarantie

Von der Gerinnungsanamnese zur Laboranalytik Arbeitsgruppe Präanästhesiologische Patientenevaluierung der ÖGARI keine Komorbidität kein Labor unauffällig Leberinsuffizienz PTZ Thr ASA 3 PTZ aptt Fibr Thr wertvoll: POCT Blutungsanamnese spezielle Eingriffe * PTZ aptt Fibr Thr PHK wertvoll: POCT Gerinnungshemmer Individualmedizin Drug-Monitoring auffällig klinische Symptome PTZ aptt Fibr Thr PHK spezifische Diagnostik # wertvoll: POCT * intrakranielle und spinale Eingriffe, Eingriffe an der Retina, neuroaxiale Regionalanästhesien mit Katheteranlage ausserhalb der Geburtshilfe, zentralvenöse Katheteranlage infra-, supraclavikulär # bei bekannter Gerinnungsstörung z.b. Faktor VIII bei Hämophilie A siehe auch www.oegari.at, Arbeitsgruppe AGPG aptt=aktivierte partielle Thromboplastinzeit; Fibr=Fibrinogenspiegel; POCT=Point-of-care funktionelles Gerinnungsmonitoring (z.b. ROTEM); PHK=primäre Hämostasekapazität d.h. vwf:ag, vwf:rco, PFA-100 (oder Aggregometrie); PTZ=Prothrombinzeit; Thr=Thrombozytenzahl

Blutungsstörungen können übersehen werden aber auch durch Routinegerinnungstests! milder Faktorenmangel (z.b. Faktor VII-Mangel) Intraoperative Manifestation: Blutung symptomatische Behandlung basierend auf bettseitigem Monitoring

Routinegerinnungstests aptt, PTZ normale Werte schließen ein Blutungsrisiko nicht aus vermitteln ein falsches Gefühl von Sicherheit abnormale Werte führen nicht zwangsläufig zur Blutung z.b. aptt Faktor XII-Mangel, Lupusantikoagulans Inzidenz und Konsequenzen: selten Task Force ASA. Anesthesiology 2002;96:485

Konsequenzen von unindiziertem Testen zusätzliche Risiken und Discomfort Verzögerung des OP-Programms Kosten

ASA-Klassifikation Saklad. Anesthesiology 1941;2:281 78% Fritsch. Reformpoolprojekt 2004

Therapeutische Konsequenzen Optimierung des Gerinnungsstatus Pause/Modifikation der Antikoagulation prophylaktisch prokoagulante Therapie DDAVP Response-Test unspezifische Gerinnungsförderung Vermeidung von Transfusionen Eigenblutspende, Anämiekorrektur

Koronare Stent und duale Antiplättchentherapie Thromboserisiko Blutungsrisiko Clopidogrel 1 Monat (BMS), 12 Monate (DES)! ESC, AHA, ASC, FDA Grad A Metzler. Anaesthesist 2007;56:401

Mediko-legale Aspekte schriftliche Dokumentation des Blutungsund Thromboserisikos schriftliche Einverständniserklärung juristische Sicherheit in Gutachten