Newsletter 3/12. Liebe Leserinnen, liebe Leser, sehr geehrte Damen und Herren, Dr. Knut Müller Rechtsanwalt



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Transkript:

Newsletter 3/12 Liebe Leserinnen, liebe Leser, sehr geehrte Damen und Herren, unser aktueller Newsletter kommt zusammen mit der wieder neu entfachten Diskussion um die Dienstleistungsqualitäten des Anwaltstandes. "Anwälte müssen schneller, billiger und besser sein" titelt die FAZ am Montag, den 05.11.2012 (Seite 14). Wir nehmen die Herausforderung der neuen Positionierung von Anwälten auf dem Dienstleistungssektor gerne an. Auch aus unserer Sicht müssen Anwälte in der Lage sein, bei höchsten Qualitätsansprüchen kreative und schnelle Lösungen im Interesse des Mandanten zu finden. "Schneller, billiger und besser" sind aber nicht die wesentlichen Ziele, die wir in unserer Arbeit für Sie verfolgen. "Qualität, Transparenz und Vertrauen" sollten die Maßstäbe in unserer Zusammenarbeit sein. Der anwaltliche Berater ist eben nicht nur ein kostentreibender Dienstleister, sondern ein Partner des Mandanten, der hilft Risiken zu erkennen, Fehler zu vermeiden und langfristigen Erfolg zu sichern. In diesem Sinne freuen wir uns auf eine weitere Zusammenarbeit mit Ihnen. Die nachfolgenden Beiträge setzen sich mit aktuellen Themen des Individualarbeitsrechts auseinander und zeigen offene Fragen aus dem Recht der Arbeitnehmerüberlassung aus. Ich hoffe, wir haben eine für Sie interessante Auswahl treffen können. Ihr Dr. Knut Müller Rechtsanwalt Konzentriert Nur fliegen ist schöner: Mit dem Flugzeug zum Bewerbungsgespräch? Der Kläger reiste per Flugzeug an. Er wurde nicht eingestellt. mehr... Verwertbarkeit von Beweismaterial aus verdeckter Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume im Kündigungsschutzprozess. Das BAG hat in seinem Urteil vom 21.06.2012 (Az.: 2 AZR 153/11) entschieden, dass die Entwendung von Zigarettenpackungen aus dem Warenbestand des Arbeitgebers auch nach einer langen Beschäftigungsdauer eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann. mehr... Selbst bei nicht nur vorübergehender Arbeitnehmerüberlassung entsteht kein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg zum Urteil vom 16.10.2012-7 Sa 1182/12. Im Jahr 2011 wurde das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) geändert. Seitdem sieht 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG vor, dass die Überlassung nur vorübergehend erfolgt. mehr... Vorsicht bei Facebook und Co.! Das Internet wird immer mehr zum Ort des Meinungsaustausches. Viele Menschen kommunizieren nicht mehr nur per E-Mail elektronisch, sondern auch via Facebook, Twitter und ähnlichen Plattformen. Was hat dies mit Arbeitsrecht zu tun? mehr... BAG: Urlaubsabgeltungsanspruch erlischt auch bei arbeitsfähigen Arbeitnehmern nicht mehr am Ende des Kalenderjahres Aufgabe der bisherigen Surrogatstheorie Das BAG hat in seinem Urteil vom 19.06.2012 (Az.: 9 AZR 652/10) entschieden, dass der Anspruch auf Abgeltung noch bestehender Urlaubsansprüche bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr nach 7 Abs. 3 BUrlG verfällt. mehr...

Nur fliegen ist schöner: mit dem Flugzeug zum Bewerbungsgespräch? Arbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 15.05.2012 2 Ca 2404/12 Sachverhalt: Der Kläger bewarb sich auf eine von der Beklagten ausgeschriebene Stelle als Teamleiter. Die Beklagte lud den in Hamburg wohnhaften Kläger zum Vorstellungsgespräch am 14.12.2011 um 14:00 Uhr nach Düsseldorf ein. Der Kläger reiste per Flugzeug an. Er wurde nicht eingestellt. Der Kläger hat Vorstellungskosten in Höhe von insgesamt 429,62 geltend gemacht (Flugticket: 472,32 ; Tageskarte: 7,30 ). Die Beklagte hatte dem Kläger Kosten in Höhe von 234 erstattet. Der Kläger begehrt die Zahlung weiterer Vorstellungskosten. Entscheidungsgründe: Das Gericht wies die Klage ab. Es verwies zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach ein Arbeitgeber einem Bewerber alle Aufwendungen ersetzen muss, die der Bewerber den Umständen nach für erforderlich halten durfte, 670 BGB analog. Zu den erstattungspflichtigen Kosten gehören u.a. auch die Fahrtkosten, sofern diese zum Zwecke des Aufsuchens des Arbeitgebers erforderlich sind. Die Anreise per Flugzeug zum Vorstellungsgespräch sei nicht als üblich anzusehen. Mit Blick auf die Entfernung und den Beginn des Vorstellungsgesprächs sei dem Kläger eine Anreise per Auto oder Bahn (2. Klasse) auch zumutbar gewesen. Durch die Nutzung des Flugzeuges hätte der Kläger auch nicht ansonsten erforderliche Übernachtungskosten vermieden. Zuletzt habe der Arbeitgeber die Übernahme von Flugkosten nicht ausdrücklich zugesagt. Bewertung und Praxishinweise: Der Entscheidung ist im Ergebnis zuzustimmen. Zu kritisieren ist die Begründung, soweit das Gericht in ihr die Frage der Erforderlichkeit der Kostenerstattung mit der Frage vermischt, ob die Flugzeugnutzung für die Ausübung der ausgeschriebenen Stelle üblich bzw. sozialadäquat ist. 1. "Ob" der Kostenerstattung: Fordert der (potentielle) Arbeitgeber den Bewerber auf, sich persönlich vorzustellen, hat der Bewerber Anspruch auf Erstattung der Bewerbungskosten ( 670 BGB analog), unabhängig von einer späteren Einstellung. Dies gilt auch bei Initiativbewerbungen, nicht aber bei Anzeigen oder Vermittlungsvorschlägen der Agentur für Arbeit oder wenn der Bewerber unaufgefordert im Betrieb erscheint. Der Arbeitgeber kann seine Erstattungspflicht ausschließen, wenn er den Bewerber ausdrücklich darauf hinweist (Stellenausschreibung, Einladung), keine Kosten zu erstatten. Der Anspruch verjährt grundsätzlich in drei Jahren ( 195 BGB), die Rechtsprechung bejaht jedoch teilweise schon die Verwirkung des Anspruchs, wenn der Arbeitnehmer diesen über ein Jahr lang nicht geltend gemacht hat. 2. Umfang der Kostenerstattung: Analog zum Ausschluss kann der Arbeitgeber auch die Erstattung bis zu einer bestimmten Höhe zusagen. Ansonsten sind die verkehrsüblichen und erforderlichen Auslagen erstattungsfähig. Als üblich anerkannt können die mit einem PKW gefahren Kilometer (pauschaliert 0,30 /km) bzw. die Kosten einer Bahnfahrt (2. Klasse, hin und zurück) gelten, ebenso der Verpflegungsaufwand (Pauschale oder Beleg). Diese Kosten kann der Bewerber auch dann geltend, machen wenn z.b. durch Nutzung sonstiger Verkehrsmittel ("Billigflieger") die tatsächlichen Kosten niedriger sind, es sei denn der Arbeitgeber hat lediglich die Erstattung üblicher, tatsächlich angefallener Kosten zugesagt. Die umstrittene Frage, wann Flugkosten erforderlich und damit zu erstatten sind, konnte das Gericht offen lassen. Dies wird z.t. nur dann befürwortet, wenn der Arbeitgeber die Übernahme zugesagt hat; dies war vorliegend nicht geschehen. Nach anderer Ansicht bestimmt sich die Höhe der ersatzfähigen Kosten wesentlich nach der Bedeutung der ausgeschriebenen Stelle, insbesondere der Vergütung: je höher diese sei, umso eher dürfe der Bewerber eine Bahnfahrt 1. Klasse oder die Anreise per Flugzeug für erforderlich Dr. Knut Müller. Rechtsanwälte. Kanzlei für Arbeitsrecht. Newsletter 3/2012 vom 21.11.12 Seite 2/11

halten. Dies verneinte das Gericht unter Verweis auf die tarifliche Vergütung der Stelle und die geringe Personalverantwortung. Die vom Gericht bzw. der Literatur herangezogenen Kriterien (Gehalt, Position), sind jedoch wenig aussagekräftig. So ist es gut möglich, dass das Gericht den Fall anders entschieden hätte, wenn der Kläger sich bei gleicher Vergütung und Position bei einer Airline beworben hätte. Im Zweifelsfall bleibt der Arbeitnehmer auf den Kosten sitzen. Ihm ist daher zu raten, lediglich per PKW oder Bahn (2. Klasse) anzureisen, wenn keine eindeutige Zusage vorliegt. Im Übrigen sollten Zweifelsfälle im Vorfeld mit dem potentiellen Arbeitgeber geklärt werden. Übernachtungskosten sind erstattungsfähig, wenn die Rückreise mit Blick auf Entfernung und/oder zeitliche Lage des Vorstellungsgesprächs unzumutbar ist. In keinem Fall erstattungsfähig sind der mit dem Vorstellungsgespräch verbundene Zeitaufwand (Urlaubstag o.ä.) oder ein entgangener Verdienst. Fazit Hat der Arbeitgeber keine eindeutige Aussage getroffen, liegt die Risikoeinschätzung, welche Kosten verkehrsüblich und damit erforderlich sind, regelmäßig beim Arbeitnehmer. Gleichwohl werden trotz Obsiegens des Arbeitgebers die ihm aufgrund des Prozesses bleibenden Kosten (vgl. 12a ArbGG) die Klageforderung übersteigen. Eine eindeutige Zusage hinsichtlich des "ob" bzw. des Umfangs der Kostenübernahme im Vorfeld hätte dies vermieden. Oliver Deeg Rechtsanwalt Zum Seitenanfang Dr. Knut Müller. Rechtsanwälte. Kanzlei für Arbeitsrecht. Newsletter 3/2012 vom 21.11.12 Seite 3/11

Verwertbarkeit von Beweismaterial aus verdeckter Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume im Kündigungsschutzprozess Das BAG hat in seinem Urteil vom 21.06.2012 (Az.: 2 AZR 153/11) entschieden, dass die Entwendung von Zigarettenpackungen aus dem Warenbestand des Arbeitgebers auch nach einer langen Beschäftigungsdauer eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann. Das aus einer verdeckten Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Arbeitsplätze gewonnene Beweismaterial ist dabei nach Ansicht des BAG auch bei Verstoß gegen 6b II BDSG nicht per se unzulässig. Sachverhalt Die Parteien streiten sich über eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung. Die Arbeitgeberin, ein Einzelhandelsunternehmen, installierte im Dezember 2008 in ihren Verkaufsräumen eine verdeckte Videokamera. Die Installation der Kamera erfolgte für drei Wochen unter Zustimmung des Betriebsrats. Die Arbeitgeberin begründete die Notwendigkeit mit dem Verdacht, dass es durch Mitarbeiterdiebstähle zu hohen Inventurdifferenzen gekommen sei. Auf einem Mitschnitt der Videoüberwachung war die Klägerin zu sehen, wie sie zwei Zigarettenpackungen entwendete. Die Beklagte kündigte darauf hin das Beschäftigungsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich. Die Klägerin war 18 Jahre lang bei der Beklagten beschäftigt. Die Kündigungsschutzklage der Mitarbeiterin blieb in den ersten beiden Instanzen hinsichtlich der ordentlichen Kündigung erfolglos, so dass das BAG nur noch über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung zu entscheiden hatte. Entscheidung Das BAG gab der Revision statt und verwies den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das LAG zurück. Zwar ist nach Ansicht des BAG die Kündigung nach dem durch das LAG zugrunde gelegten Sachverhalt generell sozial gerechtfertigt. Das BAG hatte jedoch Zweifel, ob die heimlichen Videoaufzeichnungen wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin prozessual verwertbar sind. Dafür sei es erforderlich, dass der konkrete Verdacht einer Straftat oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers bestand, es keine Möglichkeit zur Aufklärung durch mildere Mittel gab und die Videoüberwachung insgesamt nicht unverhältnismäßig war. Sollten diese Voraussetzungen erfüllt sein, kann das Videomaterial zu Beweiszwecken verwendet werden. Dem stehe auch nicht 6b II BDSG entgegen. Diese Vorschrift regelt, dass bei einer Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen seien. Bei einem Verstoß gegen diese Vorschrift sei nicht jegliche Videoüberwachungsmaßnahme an öffentlich zugänglichen Arbeitsplätzen per se unzulässig, sondern müsse unter Abwägung der gegenläufigen Grundrechtspositionen unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall beurteilt werden. Fazit Das BAG verdeutlicht mit seiner Entscheidung nochmals seine bisherige Linie, dass eine verdeckte Videoüberwachung bei einem konkreten Tatverdacht zulässig sein kann und die mit ihr gewonnenen Beweismittel generell verwertet werden können. Die Zulässigkeit ist jedoch an strenge Voraussetzungen gekoppelt. Wichtig ist, dass die Maßnahme im konkreten Fall verhältnismäßig sein muss. Hier kommt es auf eine Prüfung im Einzelfall an. Der Arbeitgeber ist insbesondere angehalten, eine Überwachung nur in einem engen zeitlichen Rahmen durchzuführen und die Einstellung der Kamera so zu wählen, dass unverdächtige Dritte Dr. Knut Müller. Rechtsanwälte. Kanzlei für Arbeitsrecht. Newsletter 3/2012 vom 21.11.12 Seite 4/11

weitgehend von der Videoüberwachung ausgeschlossen sind. Weiter bestätigt das BAG seine ständige Rechtsprechung, dass die Entwendung geringwertiger Gegenstände, wie hier von Zigarettenpackungen, grundsätzlich geeignet ist, eine Kündigung zu rechtfertigen. Überraschend ist allenfalls, dass das BAG nahezu keine Ausführungen im Rahmen der durchzuführenden Interessenabwägung macht. Während im Emmely-Fall noch die lange Beschäftigungsdauer die Kündigung im Rahmen der Interessenabwägung kippte, sah das BAG vorliegend die Kündigung trotz einer 18-jährigen Beschäftigungsdauer als gerechtfertigt an. Die Entscheidung zeigt erneut auf, dass der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung eine sehr sorgfältige Abwägung der wechselseitigen Interessen vornehmen zu muss. Da diese Bewertung der vollen richterlichen Überprüfung unterliegt, besteht für den Arbeitgeber durchaus ein Risiko nach jahrelangem Rechtsstreit Annahmeverzugslohnansprüchen ausgesetzt zu sein. Häufig kann es daher für die Arbeitgeberseite sinnvoll sein, wie wir bereits in unserem Newsletter 2/10 zum Emmely-Fall aufgezeigt haben, bereits in einem frühen Stadium der Auseinandersetzung eine außergerichtliche Einigung zu suchen, um schnell Rechtssicherheit zu erlangen. Nadine Freyler Rechtsanwältin Zum Seitenanfang Dr. Knut Müller. Rechtsanwälte. Kanzlei für Arbeitsrecht. Newsletter 3/2012 vom 21.11.12 Seite 5/11

Selbst bei nicht nur vorübergehender Arbeitnehmerüberlassung entsteht kein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Berlin Brandenburg zum Urteil vom 16.10.2012-7 Sa 1182/12. Im Jahr 2011 wurde das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) geändert. Seitdem sieht 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG vor, dass die Überlassung nur vorübergehend erfolgt. Allerdings wird mangels gesetzlicher Regelung und gesetzgeberischer Begründung seitdem diskutiert, wann von einem vorübergehenden Einsatz auszugehen ist und welche Rechtsfolgen mit einer nicht mehr nur vorübergehenden Leiharbeit verbunden sind. Das LAG Berlin-Brandenburg hatte sich nun mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. In dem vom LAG Berlin-Brandenburg entschiedenen Fall hatte die Klägerin geltend gemacht, dass nach mehrjähriger Arbeitnehmerüberlassung ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher zustande gekommen sei. Die Klägerin war bei dem Tochterunternehmen einer Krankenhausbetreibergesellschaft angestellt. Das Arbeitsverhältnis wurde vor der Ende 2011 erfolgten Änderung des AÜG abgeschlossen. Das Tochterunternehmen betrieb mit Erlaubnis Arbeitnehmerüberlassung und verlieh die bei ihr angestellte Klägerin über die Dauer von vier Jahren als Krankenschwester an die Krankenhausbetreibergesellschaft. Die Klägerin hatte mit ihrer Klage auf Feststellung des Zustandekommens eines Arbeitsverhältnisses mit der sie entleihenden Krankenhausbetreibergesellschaft keinen Erfolg. Das LAG entschied, dass die von der Klägerin behauptete Rechtsfolge des Zustandekommens eines Arbeitsverhältnisses nicht eingetreten sei, da diese vom Gesetzgeber im AÜG nicht vorgesehen sei. Aus diesem Grunde ließ das Gericht offen, ob es sich bei der in Rede stehenden vierjährigen Überlassungsdauer noch um eine vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung i.s.d. 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG handelte. Wie sich der Pressemitteilung entnehmen lässt, verneinte das Gericht im konkreten Fall überdies ein rechtsmissbräuchliches Strohmanngeschäft, da das Arbeitsverhältnis vor der Ende 2011 erfolgten Änderung des AÜG abgeschlossen worden war. Fazit Die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg ist rechtlich konsequent, soweit festgestellt wird, dass die von der Klägerin begehrte Rechtsfolge im neu gefassten AÜG nicht vorgesehen ist und deshalb nicht eintreten kann. Dies ergibt sich insoweit auch aus dem Umkehrschluss zu anderen Normen des AÜG. So gilt beispielsweise bei einem unwirksamen Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher wegen fehlender Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer als zustande gekommen. Weiterhin nicht geklärt ist jedoch, was unter dem Tatbestandsmerkmal vorübergehend zu verstehen ist und welchen Zweck der Gesetzgeber tatsächlich mit dessen Einführung verfolgte. Des Weiteren weist das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg selbst auf mögliche weitere Entwicklungen hin, wenn es zumindest Dr. Knut Müller. Rechtsanwälte. Kanzlei für Arbeitsrecht. Newsletter 3/2012 vom 21.11.12 Seite 6/11

nicht ausschließt, dass u. U. ein rechtsmissbräuchliches Strohmanngeschäft vorliegen könne. Da das LAG die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen hat, ist zu hoffen, dass das BAG umfassende Klarheit schafft, damit die Verleiher, Entleiher und Leiharbeitnehmer bereits im Zeitpunkt des Beginns der Arbeitnehmerüberlassung wissen, ab wann die vereinbarte Überlassung nicht mehr nur vorübergehend ist und welche Rechtsfolgen hieran geknüpft werden. Bis dahin gibt das LAG Berlin-Brandenburg den Rahmen vor, der bei der anwaltlichen Beratung in solchen Fällen genutzt werden kann. Felix Kratz Rechtsanwalt Zum Seitenanfang Dr. Knut Müller. Rechtsanwälte. Kanzlei für Arbeitsrecht. Newsletter 3/2012 vom 21.11.12 Seite 7/11

Vorsicht bei Facebook und Co.! Das Internet wird immer mehr zum Ort des Meinungsaustausches. Viele Menschen kommunizieren nicht mehr nur per E-Mail elektronisch, sondern auch via Facebook, Twitter und ähnlichen Plattformen. Was hat dies mit Arbeitsrecht zu tun? Unter Umständen eine Menge! Abgesehen davon, dass eine verbotswidrige oder exzessive Internetnutzung am Arbeitsplatz arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung rechtfertigen kann, darf nicht unterschätzt werden, dass das Internet ein öffentlicher Ort ist und dort verbreitete Meinungsäußerungen im Hinblick auf ihre Verbreitung unter Umständen nicht mehr beherrschbar sind. Mit einem Fall aus diesem Bereich hatte sich das Arbeitsgericht Hagen (Urteil v. 16.05.2012 - Az.: 3 Ca 2597/11) zu beschäftigen. Der 52 Jahre alte Arbeitnehmer war seit über 30 Jahren als Produktionsmitarbeiter beschäftigt. Er verfügt über einen Facebook-Account mit ca. 70 sog. Freunden ; mehr als die Hälfte hiervon waren Arbeitskollegen oder ehemalige Arbeitskollegen. Am 20.11.2011 beschwerte er sich in einem Post auf seiner Pinnwand, mit dem er einem ehemaligen Kollegen antwortete, über seinen Vorgesetzten V. Wörtlich hieß es dort: (...) Habe mich über diesen scheiss V. geärgert hat mir zwei abmahnungen gegeben innerhalb von drei monaten wegen rauigkeit. Diesen kleinen scheisshaufen mache ich kaputt, werde mich beschweren über diesen wixxer bin 32jahre hier dabei und so ein faules schwein der noch nie gearbeitet hat in seinem scheissleben gibt mir zwei abmahnungen, da hat er sich im falschen verguckt diese drecksau naja sag mal bis bald Sämtliche Freunde des Mannes und unter bestimmten Voraussetzungen auch deren Freunde konnten diesen Beitrag lesen. Als der Arbeitgeber von diesen Facebook-Beiträgen erfuhr, kündigte er das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos und hilfsweise mit ordentlicher Kündigungsfrist. Die ordentliche Kündigung sah das Arbeitsgericht Hagen als wirksam an. Nach Ansicht des Gerichts hatte der Arbeitnehmer seinen unmittelbaren Vorgesetzten derart grob beleidigt, dass ein Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung vorliegt. Die fristlose Kündigung scheiterte allein an der langen Betriebszugehörigkeit des Mannes. Grobe Beleidigungen eines Vorgesetzten können ohne vorhergehende Abmahnung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Voraussetzung hierfür ist, dass die ehrverletzende Äußerung nicht in einem vertraulichen Gespräch mit Kollegen getätigt wurde. Denn Arbeitnehmer können darauf vertrauen, dass solche Äußerungen nicht nach außen dringen und den Betriebsfrieden bzw. das Vertrauensverhältnis der Arbeitsvertragsparteien nicht zerstören. Der Arbeitnehmer hatte jedoch keinen vertraulichen Rahmen für seine grob beleidigenden, ehrverletzenden sowie teilweise unwahren Äußerungen gewählt. Die Veröffentlichung auf der Facebook-Pinnwand kam nach Ansicht des Gerichts einem Aushang am Schwarzen Brett des Betriebs gleich, da sich unter den Freunden, die die Nachricht lesen konnten, etliche Kollegen befanden. Auch das LAG Hamm hatte sich mit einem Facebook-Fall zu beschäftigen. (LAG Hamm, Urteil vom 10.10.2012 Az.: 5 Sa 451/12). Der dortige (26 Jahre alte) Kläger absolvierte eine Ausbildung zum Mediengestalter Digital und Print bei Dr. Knut Müller. Rechtsanwälte. Kanzlei für Arbeitsrecht. Newsletter 3/2012 vom 21.11.12 Seite 8/11

dem Beklagten, der Internetdienstleistungen anbietet und u.a. Facebook-Profile für Kunden erstellt. Auf dem privaten Facebook-Profil des Klägers befindet sich unter der Rubrik Arbeitgeber die folgende Eintragung: Arbeitgeber: menschenschinder & ausbeuter Leibeigener Bochum daemliche schheisse fuer mindestlohn - 20 % erledigen Der Beklagte nahm das zum Anlass, eine fristlose Kündigung auszusprechen. Er betrachtet die Eintragung als Beleidigung. Das LAG Hamm hat die fristlose Kündigung als wirksam angesehen. Die Äußerungen des Klägers auf dessen Facebook-Profil seien als Beleidigung des Ausbilders anzusehen. Die Äußerung war einer Vielzahl von Personen zugänglich. Die Tatsache, dass es sich um ein Ausbildungsverhältnis handelte, stand der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegen. Der Auszubildende war 26 Jahre alt. Dem Arbeitgeber war es nicht zuzumuten, dem Auszubildenden angesichts dessen unreifer Persönlichkeit und mangelnder Ernsthaftigkeit - zunächst durch eine Abmahnung sein Fehlverhalten klar zu machen und eine Änderung seines Verhaltens zu bewirken. Fazit Arbeitnehmer sollten vorsichtig sein, was sie im Internet über ihren Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen verbreiten. Grobe Beleidigungen können eine außerordentliche fristlose, zumindest aber eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Grob beleidigende Äußerungen belasten das für ein Arbeitsoder Ausbildungsverhältnis erforderliche Vertrauensverhältnis unter Umständen massiv. Durch die durch die einschlägigen Onlineplattformen hergestellte Öffentlichkeit muss damit gerechnet werden, dass der Arbeitgeber von solchen Äußerungen erfährt und die entsprechenden Konsequenzen zieht. Für Arbeitgeber sei angemerkt, dass man sich derart grobe Beleidigungen nicht bieten lassen muss, sondern durchaus unter Zuhilfenahme des bekannten arbeitsrechtlichen Instrumentariums (Abmahnung oder Kündigung) hiergegen vorgehen kann. Welches Mittel letztlich das Richtige ist, ist in jedem Einzelfall abhängig von der Schwere der Beleidigung und den Sozialdaten des Arbeitnehmers zu prüfen. Carolin Schnigula Rechtsanwältin Zum Seitenanfang Dr. Knut Müller. Rechtsanwälte. Kanzlei für Arbeitsrecht. Newsletter 3/2012 vom 21.11.12 Seite 9/11

BAG: Urlaubsabgeltungsanspruch erlischt auch bei arbeitsfähigen Arbeitnehmern nicht mehr am Ende des Kalenderjahres Aufgabe der bisherigen Surrogatstheorie Das BAG hat in seinem Urteil vom 19.06.2012 (Az.: 9 AZR 652/10) entschieden, dass der Anspruch auf Abgeltung noch bestehender Urlaubsansprüche bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr nach 7 Abs. 3 BUrlG verfällt dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsfähig oder krank gewesen ist. Die Parteien stritten über einen Anspruch auf Abgeltung von Urlaubstagen, nachdem das Arbeitsverhältnis durch Kündigung des Arbeitnehmers beendet worden war. Der Arbeitnehmer hatte im Beendigungsjahr keinen Urlaub beansprucht, sondern erst im Januar des Folgejahres dessen Abgeltung vom Arbeitgeber verlangt. Die Vorzinstanzen wiesen die Klage des Arbeitnehmers ab. Die Revision wurde vom BAG hingegen als begründet erachtet und der Klage stattgegeben. Praxishinweis Das BAG hat mit dieser Entscheidung einen bislang wesentlichen Grundsatz des deutschen Urlaubsrechts aufgegeben. Die frühere Rechtsprechung ist stets davon ausgegangen, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch an die gleichen Voraussetzungen gebunden sei, wie der Urlaubsanspruch selbst (sog. Surrogat zum Urlaubsanspruch). Voraussetzung für den Abgeltungsanspruch war danach, dass dieser bis zum Ende des Kalenderjahres geltend gemacht worden sein musste, ansonsten sei er wie auch der Urlaubsanspruch selbst ersatzlos untergegangen. Da arbeitsfähige Arbeitnehmer ihren Urlaub im laufenden Kalenderjahr geltend machen konnten, hätten sie auch bei Ausscheiden den Abgeltungsanspruch noch im gleichen Jahr geltend machen können. Nur für arbeitsunfähige Arbeitnehmer wurde dies aufgrund der zwischenzeitlich ergangenen EuGH-Rechtsprechung mittlerweile anders gesehen. Diese Ansicht hat nun der 9. Senat des BAG aufgegeben. Der Urlaubsabgeltungsanspruch sei ein Geldanspruch, dessen Erfüllbarkeit nicht von der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers abhänge und der nicht dem Fristenregime des BUrlG unterliege. Begründet wird dies vom BAG mit der Regelung des 7 Abs. 4 BUrlG, der zum einen nicht zwischen arbeitsunfähigen und arbeitsfähigen Arbeitnehmern unterscheidet, zum anderen selbst keine Verfallklausel (wie in 7 Abs. 3 BUrlG) enthält. Die bisherige Anwendung des 7 Abs. 3 BUrlG auf den Abgeltungsanspruch sei mit dem Sinn und Zweck des 7 Abs. 3 BUrlG nicht vereinbar, der eine Urlaubshortung über mehrere Jahre verhindern solle. Diese Gefahr besteht aber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, durch die der Abgeltungsanspruch entsteht, gar nicht. Insofern wird die Anwendung des 7 Abs. 3 BUrlG auf den Abgeltungsanspruch nach 7 Abs. 4 BUrlG aufgegeben. Arbeitnehmer sind nun nicht mehr gezwungen, zur Wahrung etwaiger Urlaubsabgeltungsansprüche, den Urlaub oder dessen Abgeltung noch in demselben Jahr, in dem der Urlaub entstanden ist, geltend zu machen. Vielmehr kann die Abgeltung von bestehenden (Rest-) Urlaubsansprüchen auch noch im Folgejahr des Ausscheidens gefordert werden. Geltende arbeits- oder tarifvertragliche Ausschlussfristen sind allerdings insoweit zu beachten. Arbeitgeber sollten bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses nun mit noch größerer Sorgfalt darauf achten, dass Resturlaubsansprüche und Zeitguthaben noch vor Ablauf der Kündigungsfrist über eine entsprechende unwiderrufliche Freistellung des Arbeitnehmers abgegolten werden. Susanna Suttner Rechtsanwältin Zum Seitenanfang Dr. Knut Müller. Rechtsanwälte. Kanzlei für Arbeitsrecht. Newsletter 3/2012 vom 21.11.12 Seite 10/11

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