Prof. Dr. H. Brenner Osnabrück WS 2010/2011 Mathematik III Vorlesung 87 Die äußere Ableitung In ieser Vorlesung weren wir ein neuartiges mathematisches Objekt kennenlernen, ie sogenannte äußere Ableitung. Es hanelt sich abei um einen Ableitungsbegriff, er aus Differentialformen vom Gra k Differentialformen von Gra k+1 macht. Für eine Differentialform vom Gra 0, also eine Funktion f, ist ie zugehörige äußere Ableitung einfach ie 1-Form f, also ie Differentialform, ie jeem Punkt P (bei einem eukliischen Raum) as totale Differential (Df) P :R n R bzw. (bei einer Mannigfaltigkeit M) ie Tangentialabbilung zuornet. T P (f) :T P M R In er einimensionalen Differentialrechnung sin Funktionen un ihre Ableitungen bzw. Stammfunktionen gleichartige Objekte (ies gilt auch noch für ifferenzierbare Kurven), aber schon bei er Einführung es totalen Differentials zu einer Funktion in mehreren Variablen war ie Ableitung ein funamental aneres Objekt als ie Funktion. Zwar können entlang vorgegebener Richtungen höhere Richtungsableitungen efiniert weren, ie selbst wieer Funktionen sin, och erfassen iese jeweils nur einen Teilaspekt er Ableitung er Funktion, währen as totale Differential ie volle Information enthält. Mit iesem wesentlichen Unterschie von Funktion un Ableitung hängt auch zusammen, ass wir uns im Höherimensionalen noch nicht mit er umgekehrten Frage beschäftigt haben, welche Ableitungen eine Stammfunktion besitzen. Eine Funktion in mehreren Variabeln kann keine Stammfunktion besitzen, nur für eine 1-Differentialform ist ies eine sinnvolle Fragestellung. Der Satz von Schwarz über ie Vertauschbarkeit er Richtungsableitungen stellt abei schon ein wichtiges notweniges Kriterium für ie Existenz einer Stammfunktion zu einer 1-Differentialform ar. Mit er Theorie er äußeren Ableitungen finet ie Frage nach Stammfunktionen bzw. Stammformen ihren natürlichen Rahmen. Darüber hinaus erlaubt sie, en Satz von Stokes prägnant zu formulieren. Ferner können mit er äußeren Ableitung wesentliche topologische Eigenschaften einer Mannigfaltigkeit charakterisiert weren, was allerings weit über iese Vorlesung hinausgeht. 1
2 Definition 87.1. Es sei U R n offen un es sei ω E k (U) eine stetig ifferenzierbare k-differentialform mit er Darstellung ω = f I x I I {1,...,n},#(I)=k mit stetig ifferenzierbaren Funktionen Dann nennt man ie (k +1)-Form ω = I {1,...,n},#(I)=k ie äußere Ableitung von ω. f I x I = f I :U R. I {1,...,n},#(I)=k ( j=1 f I x j x j ) x I Manchmal spricht man genauer von er k-ten äußeren Ableitung. Der Differenzierbarkeitsgra er Differentialform senkt sich abei um 1, wie man an en Koeffizientenfunktionen irekt ablesen kann. Die äußere Ableitung ist für k = 0,...,n interessant, ab k n hanelt es sich um ie Nullabbilung. Wenn man sich auf glatte Differentialformen beschränkt, so ergibt sich insgesamt eine Folge von äußeren Ableitungen, nämlich C (U,R) = E 0 (U) E 1 (U) E 2 (U)... E n 1 (U) E n (U) 0. An er ersten Stelle steht hier einfach ie Ableitung einer Funktion (ie einzige Inexmenge mit null Elementen ist ie leere Menge), also ie Zuornung f f. Die wichtigsten Eigenschaften er äußeren Ableitung fassen wir wie folgt zusammen. Lemma 87.2. Es sei U R n offen, k N un es sei :E k 1(U) E k+1 0 (U), ω ω, ie äußere Ableitung. Dann gelten folgene Eigenschaften. (1) Die äußere Ableitung :E 0 1(U) E 1 0(U), ist as totale Differential. (2) Die äußere Ableitung ist R-linear. (3) Für ω E k 1(U) un τ E l 1(U) gilt ie Prouktregel (ω τ) = (ω) τ +( 1) k ω (τ). (4) Für jee zweimal stetig ifferenzierbare Differentialform ω ist (ω) = 0.
(5) Für eine stetig ifferenzierbare Abbilung (mit W R m offen.) ψ :W U un jees ω E k 1(U) gilt für ie zurückgezogenen Differentialformen (ψ ω) = ψ (ω). Beweis. (1) folgt unmittelbar aus er Definition(ie leere Menge ist ie einzige relevante Inexmenge). (2). Die Linearität folgt irekt aus er Definition, er Linearität es totalen Differentials un er Multilinearität es äußeren Prouktes. (3). Es seien x 1,...,x n ie Koorinaten auf R n. Wegen er Linearität von un er Multilinearität es Dachproukts können wir ie beien Differentialformen als ω = fx I un τ = gx J mit Inexmengen I = {i 1,...,i k } un J = {j 1,...,j l } schreiben. Es gilt ann (ω τ) = (fx I gx J ) = ((fg)x I x J ) fg = x s x I x J x s = (g f +f g )x s x I x J x s x s = g f x s x I x J + f g x s x I x J x s x s = f x s x s x I gx J + = (fx I ) gx J + g x s x s fx I x J ( 1) k fx I g x s x s x J = (fx I ) gx J +( 1) k fx I (gx J ). (4). Für eine 1-Form ω = n j=1 g jx j ist unter Verwenung von x i x j = x j x i ω = (g j x j ) = = j=1 g j ( x i x j ) x j=1 i=1 i ( g j g i )x i x j. x i x j 1 i<j n Für eine zweimal stetig ifferenzierbare Funktion f ist f = n j=1 g jx j mit en partiellen Ableitungen g j = f x j, un aher ist (f) = 0 nach 3
4 em Satz von Schwarz. Für eine Differentialform vom Gra k setzen wir ω = fx i1... x ik an un erhalten (ω) = (f x i1... x ik ). Nach er Prouktregel (3) ist ieser Ausruck eine Summe von k+1 Dachproukten, bei enen jeweils ein Dachfaktor ie Form (g) = 0 besitzt. (5). Wir schreiben ψ i = x i ψ. Wegen er Linearität er äußeren Ableitung (2) un er Linearität es Zurückziehens von Differentialformen kann man ω = fx I mit I = {i 1,...,i k } ansetzen. Da as Zurückziehen nach Aufgabe 83.13 mit em Dachproukt verträglich ist, gilt unter Verwenung er Prouktregel (3), er Regel (4) un er Kettenregel (ψ ω) = (ψ (f x i1... x ik )) = (ψ (f) ψ (x i1 )... ψ (x ik )) = (ψ (f) ψ i1... ψ ik ) = (ψ (f)) (ψ i1... ψ ik )+(ψ (f)) (ψ i1... ψ ik ) = (ψ (f)) (ψ i1... ψ ik ) = ψ (f) ψ i1... ψ ik = ψ (f) ψ (x i1 )... ψ (x ik ) = ψ (f x i1... x ik ). Definition 87.3. Es sei M eine ifferenzierbare Mannigfaltigkeit. Dann efiniert man zu einer ifferenzierbaren Differentialform ω E1(M) k ie äußere Ableitung ω E0 k+1 (M) unter Bezugnahme auf en lokalen Fall un Karten (U M un V R n offen) urch α :U V (ω) U = (ω U ) = α ((α 1 ) (ω U )). Man zieht also ie auf U eingeschränkte Differentialform nach V zurück, nimmt ort ie äußere Ableitung gemäß en lokalen Vorschriften un zieht as Ergebnis nach U zurück. Man muss sich klar machen, ass ies eine wohlefinierte Differentialform auf M ergibt, ass es also zu einem Punkt P M egal ist, unter Bezug auf welche Kartenumgebung ie äußere Ableitung gebilet wir. Seien also zwei Karten für P gegeben, wobei wir gleich annehmen ürfen, ass ihr Definitionsbereich gleich U ist. Die Karten seien α :U V un β :U W un wir setzen τ = ω U. Dann ergibt sich, wobei wir Lemma 87.2(5) auf α β 1 un α 1 τ anwenen, β ((β 1 ) (τ)) = (β α 1 α) (((α 1 α β 1 ) τ)) = α (β α 1 ) (((α β 1 ) (α 1 ) τ))
5 = α ((α 1 ) (τ)). Auch ie grunlegenen Eigenschaften von oben übertragen sich auf Mannigfaltigkeiten. Satz 87.4. Es sei M eine ifferenzierbare Mannigfaltigkeit, k N un es sei :E k 1(M) E k+1 0 (M), ω ω, ie äußere Ableitung. Dann gelten folgene Eigenschaften. (1) Die äußere Ableitung :E 0 1(M) E 1 0(M), ist ie Tangentialabbilung. (2) Die äußere Ableitung ist R-linear. (3) Für ω E k 1(M) un τ E l 1(M) gilt ie Prouktregel (ω τ) = (ω) τ +( 1) k ω τ. (4) Für jee zweimal stetig ifferenzierbare Differentialform ω ist (ω) = 0. (5) Es sei L eine weitere ifferenzierbare Mannigfaltigkeit. Für eine stetig ifferenzierbare Abbilung ψ :L M un jees ω E k 1(M) gilt für ie zurückgezogenen Differentialformen (ψ ω) = ψ (ω). Beweis. Dies sin alles lokale Aussagen, so ass sie sich aus Lemma 87.2 ergeben. Definition 87.5. Es sei M eine ifferenzierbare Mannigfaltigkeit. Eine ifferenzierbare Differentialform ω auf M heißt geschlossen, wenn ihre äußere Ableitung ω = 0 ist. Definition 87.6. Es sei M eine ifferenzierbare Mannigfaltigkeit. Eine k- Differentialform ω auf M heißt exakt, wenn es eine ifferenzierbare (k 1)- Differentialform σ auf M mit σ = ω gibt. Eine exakte Differentialform ist also eine Differentialform, für ie es eine Stammform σ gibt. Mit iesen Begriffen kann man ie obige Aussage = 0 so formulieren, ass jee exakte Form geschlossen ist. Die Geschlossenheit ist also eine notwenige Beingung afür, as es eine Stammform geben kann. Es sei hier ohne Beweis bemerkt, ass ieses notwenige Kriterium für en R n auch hinreichen ist. Diese Äquivalenz gilt aber keineswegs auf jeer Mannigfaltigkeit.
6 Eukliische Halbräume Definition 87.7. Unter em eukliischen Halbraum er Dimension n versteht man ie Menge H = {x R n x 1 0} mit er inuzierten Topologie. Bei n = 0 ist ies ein Punkt, bei n = 1 ist ies as Intervall [0, ], bei n = 2 hanelt es sich um eine Halbebene, un bei n = 3 um einen Halbraum. Wenn man statt 1 einen aneren Koorinateninex oer statt nimmt, so nennt man auch iese Objekte Halbräume. Da ein Halbraum H abgeschlossen im R n ist, ist eine Teilmenge T H genau ann abgeschlossen in H, wenn sie abgeschlossen im R n ist. Diese Äquivalenz gilt nicht für offene Mengen. Bspw. ist er Gesamtraum H in H offen, aber nicht im R n. Die Menge H = {x R n x 1 = 0} gehört zu H un heißt er Ran von H. Er ist homöomorph zu R n 1 (was bei n = 0 als leer zu interpretieren ist). Mit H + bezeichnet man ie positive Hälfte, also H + = {x R n x 1 > 0}, ie eine offene Teilmenge im R n ist. Die Halbräume bilen ie Stanarmoelle für ie Mannigfaltigkeiten mit Ran, ie wir jetzt einführen wollen. Es hanelt sich abei um eine Verallgemeinerung es Mannigfaltigkeitsbegriffes. Ein typisches Beispiel für eine Mannigfaltigkeit mit Ran ist ie abgeschlossene Vollkugel; ihr Ran ist ie Sphäre. Ein Punkt im Innern er Kugel besitzt eine kleinere offene Kugelumgebung, in einem solchen Punkt sieht es also lokal so aus wie im R 3. Ein Punkt auf em Ran er Kugel besitzt nicht eine solche Umgebung, sonern in jeer offenen Umgebung avon ist er Ran gegenwärtig; ein solcher Ranpunkt sieht lokal wie ein Halbraum aus. Die Karten einer Mannigfaltigkeit mit Ran weren offene Mengen in einem Halbraum sein. Für ie Übergangsabbilungen müssen wir aher von ifferenzierbaren Abbilungen, ie auf Halbräumen efiniert sin, sprechen können. Dies ermöglicht ie folgene Definition. Definition 87.8. Es sei U H eine offene Teilmenge in einem eukliischen Halbraum H R n, P U sei ein Punkt un es sei ϕ :U R m eine Abbilung. Dann heißt ϕ ifferenzierbar in P, wenn es eine offene Umgebung P V R n un eine Fortsetzung ϕ :V R m mit ϕ U V = ϕ U V gibt, ie in P ifferenzierbar ist Der neue Differenzierbarkeitsbegriff wir also auf en alten zurückgeführt. Für eine offene Menge U H, ie en Ran von H nicht trifft, ist ies gleichbeeuten mit er Definition für eine offene Mengen im R n.
Mit ieser Strategie, Begriffe für Ranpunkte über ie Existenz von offenen Umgebungen mit fortgesetzten Objekten zu efinieren, übertragen sich viele wichtige Konzepte auf ie neue allgemeinere Situation, was wir nicht immer im Einzelnen ausführen weren. Bspw. ist klar, was ein Diffeomorphismus von offenen Mengen im Halbraum un was as totale Differential einer ifferenzierbaren Abbilung ist. Auch ie Definition einer Mannigfaltigkeit mit Rang ist vor iesem Hintergrun nicht überaschen. 7