Erziehungswissenschaft im Spiegel ihrer. Studiengänge. Die Studienreform und ihre Folgen für die Disziplin. Cathleen Grunert

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Z Erziehungswiss (202) 5:573 596 DOI 0.007/s68-02-0282-z Allgemeiner Teil Erziehungswissenschaft im Spiegel ihrer Studiengänge Die Studienreform und ihre Folgen für die Disziplin Cathleen Grunert Zusammenfassung: Was passiert mit den erziehungswissenschaftlichen Hauptfachstudiengängen im Zuge der Bologna-Reform? Welche Konsequenzen hat die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge für die institutionelle Organisation der Disziplin in Form ihrer Studiengänge und damit auch für die Stellung der Disziplin im Hochschulsystem? Der Beitrag fragt auf der Basis einer Bestandsaufnahme der aktuell in erziehungswissenschaftlicher Verantwortung angebotenen Hauptfachstudiengänge sowohl nach den Strukturmerkmalen als auch nach der inhaltlichen Ausrichtung dieser neuen Ausbildungsmodelle. Für Letzteres bilden zum einen die verwendeten Fachbezeichnungen sowie die Modulhandbücher die Datengrundlage, die einem Vergleich mit dem von der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) vorgeschlagenen Kerncurriculum Erziehungswissenschaft unterzogen werden. Trotz der begrenzten Aussagekraft dieses spezifischen Blickwinkels wird deutlich, dass das Aufeinandertreffen hochschulpolitischer Reorganisationsprozesse mit einer identitätsuchenden Disziplin für die institutionelle Organisation der Erziehungswissenschaft einschneidende Konsequenzen hat. Diese schlagen sich vor allem in einer verstärkten Ausdifferenzierung der Hauptfachstudiengänge nieder, die sich sowohl auf die Stellung der Disziplin im Wissenschaftssystem als auch auf die disziplinäre Selbstreproduktion auswirken kann. Schlüsselwörter: Erziehungswissenschaft Hochschule Bologna-Prozess Disziplin Studiengänge Education science as reflected in her study programs The study program reform and its consequences for the discipline Abstract: What happens to study programs for a major in education science in the wake of the Bologna reform? What are the consequences of the transition to Bachelor and Master degree programs for the institutional organization of the discipline in the form of its study programs and thus for the position of the discipline in the university system? This contribution investigates both the structural characteristics and the subject-related orientation of these new training models on the basis of a survey of the current study programs offered in education science major programs. The Online publiziert: 05.07.202 VS Verlag für Sozialwissenschaften 202 PD Dr. C. Grunert ( ) Institut für Pädagogik, Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg, Franckeplatz ; Haus 3, 06099 Halle/Saale, Deutschland E-Mail: cathleen.grunert@paedagogik.uni-halle.de

574 C. Grunert technical terms used and the module manuals are compared with the Core Curriculum Education Science proposed by the German Society for Education Studies (DGfE). Despite the limited validity of this investigation, it is clear that the clash of political reorganization of higher education processes with an identity-seeking discipline has drastic consequences for the institutional organization of education science. This is reflected in an increased differentiation of the major study programs within education science, which can affect both the position of the discipline in the academic system as well as the disciplinary self-reproduction. Keywords: Academic disciplines Bologna process Education science Higher education Study programs Es gibt viele Erziehungswissenschaftler in Deutschland, aber sie sind über alles verschiedener Meinung (Becker, zit. nach Winkel 989, S. 63), so konstatiert Hellmut Becker anlässlich der öffentlichen Vorstellung der Enzyklopädie Erziehungswissenschaft bereits 983 die Lage der Disziplin. Ging es hierbei vor allem um die theoretischen Positionen innerhalb der Erziehungswissenschaft, so begleitet dieses Postulat der Heterogenität und Unbestimmtheit bis heute auch den Prozess der universitären Etablierung der Disziplin in Form erziehungswissenschaftlicher Hauptfachstudiengänge, auf die sich der folgende Beitrag bezieht. So stellt Thiersch bereits 974 mit Blick auf die Diplomstudiengänge fest, dass es sich hier um eine nicht hinreichend strukturierte und überlastete Disziplin handelt, die kaum ein qualitativ hohes Ausbildungsniveau anbieten kann (Thiersch 974, S. IXX). Geschuldet ist dieses Erscheinungsbild damals den extrem hohen Studierendenzahlen, der defizitären Personalsituation und vor allem dem Mangel an verbindlichen Studienkonzepten (vgl. Grunert 999, S. 23). Gleichwohl wird die Einrichtung des Diplomstudiengangs für die Disziplin Erziehungswissenschaft aus heutiger Sicht als das wichtigste, zumindest als das folgenreichste Ereignis auf dem Weg ihrer Etablierung als eigenständige Disziplin (Otto und Rauschenbach 2002, S. 2) betrachtet, das nicht nur eine Stärkung des Faches im Wissenschaftssystem, sondern auch eine Ausdifferenzierung (bezogen auf außerschulische Handlungsfelder) nach sich zog, die weniger durch disziplininterne Kommunikationsprozesse induziert war, sondern eher von außen an die Erziehungswissenschaft herangetragen wurde. Dieses hatte Folgen nicht nur für die Ausbildungskonzepte an den verschiedenen Standorten und die Ausdifferenzierung der Erziehungswissenschaft in Teildisziplinen und Fachrichtungen, sondern auch für das Verhältnis von fachlich-disziplinären und professionell-tätigkeitsbezogenen Wissensformen (vgl. Böllert 2008, S. 65), das bis heute sowohl in der disziplinären Kommunikation als auch in den erziehungswissenschaftlich verantworteten Studienkonzepten ungeklärt ist. Mit dem Wegfall der Diplomstudiengänge im Zuge des Bologna-Prozesses und der Implementierung der neuen Bachelor- und Masterstruktur stellt sich nun die Frage nach den Auswirkungen dieses Prozesses auf die institutionelle Organisation der Disziplin in Form ihrer Hauptfachstudiengänge und inwiefern darüber vielleicht ähnlich wie damals mit der Einrichtung des Diplomstudiengangs ebenfalls ein fundamentaler Wandel in der disziplinären Kommunikation erfolgt. Mein Beitrag, der auf einer Bestandsaufnahme der aktuell in erziehungswissenschaftlicher Verantwortung angebotenen Hauptfachstudiengänge, deren struktureller Konzeption und inhaltlicher Ausrichtung beruht, kann sich in seiner empirischen Analyse jedoch nur auf Ersteres beschränken und muss die Frage

Erziehungswissenschaft im Spiegel ihrer Studiengänge 575 nach den Folgen für das Verhältnis von disziplinärer Kommunikation und institutioneller Organisation als Denkanstoß und weitere Forschungsaufgabe zunächst offen lassen. Hauptfachstudiengänge als Spiegel der Disziplin? Möglichkeiten und Grenzen einer Analyse Wissenschaftliche Disziplinen gefasst als Forschungs- und Kommunikationsgemeinschaften von Wissenschaftlern, die durch gemeinsame Problemstellungen und Forschungsmethoden zusammengehalten werden (Stichweh 993, S. 24) zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie in der Lage sind, Ansprüche von außen in eigene Frageperspektiven zu übersetzen. In dieser Hinsicht ist die Erziehungswissenschaft vor allem aufgrund ihrer Hybridstellung zwischen Wissenschaft und Praxis eine Disziplin, die oft mehr als andere wissenschaftliche Disziplinen mit Anforderungen von außen konfrontiert ist und für die diese Erwartungen jedoch gleichzeitig wesentlicher Teil ihrer disziplinären Identität sind (Vogel 200, S. 482). Erziehungswissenschaft kann sich nicht auf einen reinen Beobachterstatus beschränken, sondern sieht sich aufgrund ihres Gegenstandfeldes der Erziehungs- und Bildungspraxis, die immer auch eine Funktion von Gesellschaft ist, nicht nur in Fragen der Lehrerbildung gesellschaftlichen und politischen Anforderungen wie auch ökonomischen Interessen gegenüber. Die relative Autonomie einer Disziplin zeigt sich aber erst in dem Vermögen, solche Ansprüche und äußere Zwänge zu brechen und in eine eigene disziplinäre Logik zu überführen (Bourdieu 998). Wenngleich der Disziplinbegriff dabei nicht impliziert, einen eindeutig definierbaren und limitierbaren Wirklichkeitsbereich zu bearbeiten und wissenschaftliche Disziplinen keineswegs als etwas Statisches und Einheitliches aufzufassen sind, so wird vor diesem Hintergrund eine Disziplin als Disziplin erst dann erkennbar und dies gilt auch für die Erziehungswissenschaft, wenn in der Art und Weise ihrer Problembearbeitung und ihres Umgangs mit äußeren Anforderungen ein wiederkehrender Standpunkt auszumachen ist, der sie von anderen Wissenschaftsdisziplinen unterscheidet. Erst dann werden Themen und Gegenstände als erziehungswissenschaftliche sichtbar und ist wissenschaftlich und nicht allein fallbezogen begründbar, was als erziehungswissenschaftliche bzw. pädagogische Frage- und Problemstellung gelten kann (vgl. Meyer-Wolters 2002; Ruhloff 2006). Eine wissenschaftliche Disziplin ist aber über diese inhaltliche Dimension der disziplinären Kommunikation über Themen- und Problemstellungen und deren methodische Bearbeitung hinaus immer auch in spezifische institutionelle Kontexte eingebettet, die als organisatorische Infrastruktur der disziplinär restrukturierten Wissenschaft fungieren (Stichweh 984, S. 62). Das heißt, die kognitive Dimension erscheint untrennbar mit der institutionellen Organisation verbunden, findet disziplinäre Kommunikation und vor allem die disziplinäre Selbstreproduktion primär in Institutionen statt, in denen die Angehörigen einer Disziplin forschen und/oder lehren (vgl. Rothland 2008, S. 49). Auch Stichweh (994, S. 7) verweist darauf, dass um von einer Disziplin sprechen zu können Strukturen notwendig sind, die eine auf die Disziplin bezogene Karriere und fest eingerichtete Prozesse der Sozialisation ermöglichen. Insofern erscheint eine Wissenschaftsdisziplin als ein komplexes Gebilde aus disziplinärer Kommunikation und institutioneller Organisation, in dem der institutionelle Kontext der akademischen Lehre

576 C. Grunert und Forschung sicher nicht die einzige, aber eine zentrale Rolle spielt. Insbesondere die Universitäten und die hier angesiedelten Ausbildungsmodelle sind dabei und dies gilt trotz Studienreform noch heute der zentrale Ort der Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses und damit der Selbstreproduktion einer wissenschaftlichen Disziplin (vgl. Stichweh 993, S. 24; Rothland 2008, S. 50). Dabei geht die Bedeutung akademischer Ausbildung für die Reproduktion der Disziplin über die reine Wissensvermittlung hinaus, werden hier doch immer auch disziplinbezogene Normen und Werte und eine spezifische Wissenschaftskultur vermittelt (siehe etwa Engler 993, 200; Stegmann 2005), die in soziokultureller Perspektive als Produkte sozialer und diskursiver Praktiken im wissenschaftlichen Feld betrachtet werden können. Insofern erscheint der Blick auf die Verfasstheit universitärer erziehungswissenschaftlicher Hauptfachstudiengänge als ein möglicher Indikator disziplinärer Wandlungsprozesse durchaus geeignet zu sein, um zumindest einige Trendaussagen im Hinblick auf die Entwicklung der Disziplin in ihrer institutionellen Organisation zu formulieren. Studiengänge sind damit nicht nur ein Teil institutioneller Organisation, der mit der wissenschaftlichen Disziplin, die etwa in wissenschaftlichen Publikationsorganen, Gremien und Forschungszusammenhängen ihren Ausdruck findet, nichts zu tun hat. Vielmehr drückt sich in ihnen auch das Selbstverständnis einer Disziplin aus, für die will sie über einzelne Forschergenerationen hinweg als solche erkennbar sein insbesondere die Hauptfachstudiengänge ein zentrales Element der Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses darstellen. Gleichwohl muss bei dem hier eingenommenen spezifischen Blick auf die erziehungswissenschaftlichen Hauptfachstudiengänge dreierlei bedacht werden: Erstens handelt es sich bei diesen lediglich um einen Ausschnitt aus der facettenreichen Ausbildungslandschaft, an der zum einen die Erziehungswissenschaft beteiligt ist und die zum anderen die Entwicklung der universitären erziehungswissenschaftlichen Hauptfachstudiengänge mit beeinflusst. Zweitens bedarf es für weitreichendere Aussagen zum Zusammenhang von erziehungswissenschaftlicher Kommunikation und ihrer institutionellen Organisation umfassenderer Untersuchungen, die die Interdependenzen beider Ebenen systematisch in den Blick nehmen. Und drittens finden diese Prozesse nicht im luftleeren Raum statt, sondern sind eingebettet in ein kompliziertes Wechselspiel von materieller Ausstattung, öffentlicher Resonanz, politischer Macht, ökonomischen Interessen und wissenschaftlicher Reputation (Rieger-Ladich 2009, S. 62), dessen Analyse weiterreichender Forschungszuschnitte bedarf. 2 Das Kerncurriculum Erziehungswissenschaft als Analysefolie erziehungswissenschaftlicher Hauptfachstudiengänge Der Befund von Becker aus dem Jahre 983 bezog sich zwar auf die theoretische Vielfalt innerhalb der Erziehungswissenschaft, jedoch ist dieser Aspekt disziplinärer Kommunikation kaum von der institutionellen Organisation und damit auch der Ausgestaltung universitärer erziehungswissenschaftlicher Hauptfachstudiengänge an den jeweiligen Hochschulstandorten zu trennen. Für die Erziehungswissenschaft gilt anscheinend, dass die Debatte um die Identität der Disziplin und ihrer Studiengänge auf Dauer gestellt ist

Erziehungswissenschaft im Spiegel ihrer Studiengänge 577 und die Frage nach dem einigenden Band zwar immer wieder gestellt wird, jedoch kaum beantwortet werden kann (vgl. Krüger und Rauschenbach 994; Osterloh 2002; Altefix 2009). Auswirkungen hatte dies auf die inhaltliche Ausgestaltung der erziehungswissenschaftlichen Hauptfachstudiengänge, die auch vor der Bologna-Reform von einer starken Heterogenität und inhaltlichen Ausdifferenzierung gekennzeichnet waren (vgl. Thiersch 990; Rauschenbach 994; Vogel 994). Vor diesem Hintergrund erweist sich die Diskussion um ein verbindliches und verbindendes Kerncurriculum für erziehungswissenschaftliche Studiengänge nicht nur als Versuch, die ausbildungsbezogene Uneinheitlichkeit zu bearbeiten, sondern bezieht ihren Stellenwert auch aus der Bedeutung eines solchen Schrittes für die Identität und das Selbstverständnis der Erziehungswissenschaft als eigenständiger universitärer Disziplin (Merkens, zit. nach Austermann et al. 2004, S. 38). Angesichts der aktuellen Entwicklungen in der erziehungswissenschaftlichen Ausbildungslandschaft und der an vielen Standorten drohenden Marginalisierung des Hauptfaches aufgrund des Abzugs von Kapazitäten für die Lehrerbildung (Nieke 2007, S. 30), erscheint ein Besinnen auf das Gemeinsame in der Vielfalt auch als Stärkung der Disziplin nach außen und damit vor allem aus disziplinpolitischen Gründen erstrebenswert (vgl. auch Ehrenspeck 200, S. 80). Die Frage aber, was denn nun der Kern, was das Minimum an disziplinspezifischen Problemstellungen, Wissensbezügen und Erkenntnisweisen ist, die ein Ausbildungsprofil allererst zu einem erziehungswissenschaftlichen machen, hängt unmittelbar mit der Frage nach der Identität und dem Selbstverständnis der Erziehungswissenschaft zusammen. Und so wie diese kaum zu beantworten ist, scheint auch die Diskussion um solche disziplinären Mindeststandards ein auf Dauer gestelltes Projekt zu sein. Wie bereits die Rahmenordnung für den erziehungswissenschaftlichen Diplomstudiengang (KMK 989), ist auch das 2004 von der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) veröffentliche Kerncurriculum Erziehungswissenschaft (DGfE 2004) nicht nur umstritten (vgl. Austermann et al. 2004, S. 38 ff.), sondern in seinem Status als verbindliche Bezugsgröße für die Einrichtung von Studienprogrammen fraglich. Dennoch ist es als Essenz der langjährigen Diskussion als von Vertretern der Disziplin und von der DGfE autorisiertes Orientierungsinstrument zu verstehen, das kein Gesamtcurriculum formuliert, sondern lediglich Mindeststandards, die einen erziehungswissenschaftlichen Studiengang charakterisieren sollten. Der Entwurf (s. Abschn. 3) beinhaltet somit ein Minimum an inhaltlichen Orientierungen und verzichtet auf eine konkrete Ausgestaltung in Bezug auf theoretische und methodische Ansätze. Der Vergleich der inhaltlichen Ausgestaltung der aktuell in erziehungswissenschaftlicher Verantwortung angebotenen Hauptfachstudiengänge mit den Vorschlägen des Kerncurriculums kann dann zumindest in einem ersten Trend darüber Auskunft geben, ob und wenn ja, in welchem Maße ein solches Instrument Orientierungskraft besitzt bzw. inwieweit sich die Ausgestaltung der Studiengänge diesem Substrat disziplinärer Kommunikation über die Grundlagen und Standards erziehungswissenschaftlicher Hauptfachstudiengänge annähert. Auch hier bedarf es weiterführender Untersuchungen, die etwa im Sinne von Feldstudien die Prozesse der Einführung und Konzeption der neuen Studiengänge an einzelnen Standorten rekonstruieren.

578 C. Grunert 3 Methodisches Vorgehen Die im Folgenden dargestellten Befunde basieren auf einer Bestandsaufnahme aller in der Bundesrepublik Deutschland aktuell angebotenen erziehungswissenschaftlichen Hauptfachstudiengänge. Dafür wurde auf der Basis der im Diplom- und Magistersurvey (Krüger et al. 2003; Krüger und Rauschenbach 2004) ermittelten Grundgesamtheit der Hochschulstandorte mit erziehungswissenschaftlichen Studiengängen in Deutschland sowie ergänzend über die Angaben im Hochschulkompass (www.hochschulkompass.de) eine Internetrecherche durchgeführt. Erhoben wurden Prüfungs- und Studienordnungen sowie Studienpläne und Modulhandbücher aller Hauptfachstudiengänge mit erziehungswissenschaftlicher Beteiligung. Ausgenommen waren weiterbildende und berufsbegleitende Studiengänge. Sofern sich die Informationen nicht über die Internetauftritte der jeweiligen Hochschule erheben ließen oder diese nicht dem aktuellen Stand entsprachen, wurde zudem telefonisch oder per Mail um Angaben zu den Studiengängen und ihrer inhaltlichen Ausgestaltung gebeten. Auf diese Weise wurden von allen Standorten, an denen Studiengänge in erziehungswissenschaftlicher Verantwortung angeboten werden, die entsprechenden Angaben ermittelt. In einem ersten Schritt wurden die interessierenden Strukturdaten, wie die Art des Studiengangs (Bachelor oder Master), die Anzahl der Leistungspunkte bzw. credit points der erziehungswissenschaftlichen Anteile und die Fachbezeichnungen der Studiengänge erhoben. In einem zweiten Schritt erfolgte dann eine inhaltliche Durchsicht der Studienprogramme und Modulhandbücher vor dem Hintergrund der empfohlenen Strukturierung der Studiengänge durch das im Jahre 2004 von der DGfE vorgeschlagene Kerncurriculum Erziehungswissenschaft (KCE). Im Zentrum standen dabei die Anteile, die in den Studiengangskonzeptionen auf den Bereich der Grundlagen der Erziehungswissenschaft sowie auf die Forschungsmethoden entfallen. Die erhobenen Daten wurden anschließend in das Statistikprogramm SPSS eingegeben. Die Auswertung erfolgte dann zum einen im Hinblick auf die grundlegenden Strukturdaten, zum anderen wurde ein Vergleich der erhobenen Lehranteile mit den Empfehlungen des DGfE-Kerncurriculums durchgeführt, um der Frage nachzugehen, inwiefern sich die Studienprogramme an diese Vorschläge annähern. Das KCE gliedert sich dabei in vier Studieneinheiten mit je drei Teilbereichen. Jede Studieneinheit soll einen Umfang von mindestens 6 SWS aufweisen und jeder Teilbereich einen Umfang von mindestens SWS. Hinzu kommt eine Praktikumsphase von mindestens 6 Wochen (vgl. Abb. ). Das heißt, das KCE ist damit von den vorgeschlagenen Umfängen für ein disziplinbezogenes Grundlagenstudium deutlich so angelegt, dass den einzelnen Standorten genügend Spielraum für eine individuelle Ausgestaltung und Profilbildung ihrer eigenen Studiengänge bleibt. Um einen solchen Vergleich zu gewährleisten, wurden alle Studienprogramme und Modulhandbücher durchgesehen und die entsprechenden Anteile erhoben. Aufgrund der Uneinheitlichkeit in der Ausgestaltung der jeweiligen Modulhandbücher erwies es sich teilweise als schwierig, entsprechende Zuordnungen eindeutig vorzunehmen. Aus diesem Grund standen die Studieneinheit, also die Frage, in welchem Umfang erziehungswissenschaftliche Grundbegriffe, Theorien und Geschichte eine Rolle spielen, als auch die Studieneinheit 4 und damit die Frage, in welchem Umfang Forschungsmethoden Bestandteil der Studiengänge sind, im Fokus dieses Untersuchungsschrittes, da hier die Zuordnungen noch relativ eindeutig möglich waren.

Erziehungswissenschaft im Spiegel ihrer Studiengänge 579 Abb. : Kerncurriculum Erziehungswissenschaft (DGfE 2004) 4 Die aktuelle Ausbildungssituation in der Erziehungswissenschaft Strukturdaten Wie die Lage der Erziehungswissenschaft im Spiegel ihrer Studiengänge sich aktuell darstellt, sollen zunächst einige Strukturdaten zeigen. Aktuell finden sich bundesweit an insgesamt 62 Standorten erziehungswissenschaftliche Hauptfachstudiengänge. Verglichen mit der Situation vor der Studienreform im Jahre 200, wo noch an 66 Standorten erziehungswissenschaftliche Hauptfachstudiengänge existierten (Krüger et al. 2003; Krüger und Rauschenbach 2004), lässt sich damit nur ein minimaler Abbau von 4 erziehungswissenschaftlichen Standorten verzeichnen. Verglichen mit einer früheren Recherche im Wintersemester 200/20 ist vor allem auf der Ebene der Masterstudiengänge ein deutlicher Anstieg zu registrieren. Waren es im Wintersemester 200/20 lediglich 46 Standorte, die mindestens einen Masterstudiengang bereithielten, so sind es 202 6. Umgekehrt finden sich an 4 der 6 Standorte keine Bachelorstudiengänge, sodass insgesamt 57 Standorte eine erziehungswissenschaftliche Langzeitausbildung anbieten, die mit der Situation vor der Studienreform vergleichbar ist. Damit ergibt sich eine Differenz an erziehungswissenschaftlichen Standorten von etwa 4 %, sodass sich die Umstellung auf die neuen Studiengänge bezogen auf die Standorte erziehungswissenschaftlicher Hauptfachausbildung bislang als moderater Schrumpfungsprozess erweist. Demgegenüber vermittelt der Blick auf die absolute Anzahl der neuen Studiengänge im erziehungswissenschaftlichen Hauptfach den Eindruck einer massiven Expansion

580 C. Grunert Abb. 2: Ein- und Zwei-Fach-Studiengänge im Bachelor und Master (nach Anzahl) (vgl. Abb. 2). Bundesweit finden sich ganze 203 Bachelor- und Master-Studiengänge, und zwar 06 Bachelor- und 97 Masterstudiengänge. Dieser vermeintliche Ausbau ist jedoch erstens nur auf Basis der Zweiteilung der ehemaligen Langzeitausbildung zu verzeichnen und kommt zweitens nur durch Studiengänge zustande mit einem zum Teil sehr marginalisierten Anteil erziehungswissenschaftlicher Inhalte. So finden sich im Bachelorbereich lediglich 45 Ein-Fach-Studiengänge (42 %), während 6 als Zwei-Fach-Studiengänge (58 %) ausgewiesen sind. Im Master hingegen sind die meisten Studiengänge als Ein- Fach-Studiengänge konzipiert (88 %). Im Bachelorbereich verfügen 24 Standorte ausschließlich über solche Ein-Fach-Studiengänge. An ebenfalls 24 Standorten finden sich ausschließlich Zwei-Fach-Bachelor- Studiengänge mit einem reduzierten Anteil erziehungswissenschaftlicher Fachinhalte. Dieser Befund ist bereits ein erstes Anzeichen dafür, dass die Einrichtung der neuen Studiengänge an vielen Standorten auch mit einem Abbau erziehungswissenschaftlicher Zuständigkeiten einhergegangen ist. 30 Standorte bieten dann aber auch ein Mehrfachangebot von mehr als einem Bachelor-Studiengang mit erziehungswissenschaftlichen Anteilen an, wenngleich lediglich 3 davon auf mehr als einen BA-Studiengang mit einem Umfang von 20 oder mehr Leistungspunkten erziehungswissenschaftlicher Anteile verweisen können. Im Masterbereich sieht die Situation jedoch anders aus. Ausschließlich über Zwei- Fach-Studiengänge verfügen hier nur 2 Standorte. Jedoch finden sich auch im Masterbereich mit immerhin 27 eine ganze Reihe von Mehrfachstandorten, an denen also mehr als ein Masterstudiengang angeboten wird. Davon können 20 mindestens auf zwei Masterstudiengänge mit mehr als 20 LP erziehungswissenschaftlicher Anteile verweisen. Grundsätzlich fällt auf, dass sich die Umfänge der einzelnen Studiengänge sehr stark voneinander unterscheiden und im BA-Bereich zwischen 30 und 80 Leistungspunkten liegen. Insgesamt sind hier ganze 26 verschiedene Umfänge festzustellen, sodass sich

Erziehungswissenschaft im Spiegel ihrer Studiengänge 58 Tab. : Erziehungswissenschaftliche Bachelorstudiengänge nach Leistungspunkten BACHELOR Umfang in LP Häufigkeit % Hauptfach 20 6 58, Kernfach 70 9 8 7, Nebenfach < 70 26 24,8 Gesamt 05 00,0 Tab. 2: Erziehungswissenschaftliche Masterstudiengänge nach Leistungspunkten MASTER Umfang in LP Häufigkeit % Hauptfach 20 83 85,6 Kernfach 70 9 9 9,3 Nebenfach < 70 5 5, Gesamt 97 00,0 bereits in dieser formalen Perspektive die Frage nach den Anschlussmöglichkeiten und der mit der Studienreform vermeintlich angestrebten vereinfachten Mobilität zwischen den einzelnen Studiengängen stellt. Mit Blick auf die erziehungswissenschaftlichen Anteile wurden die Bachelor- und Masterstudiengänge gruppiert, und zwar in Hauptfachstudiengänge (mit 20 Leistungspunkten und mehr), Kernfachstudiengänge (mit 70 9 Leistungspunkten) und Nebenfachstudiengänge mit weniger als 70 Leistungspunkten (vgl. Tab. ). Deutlich wird dabei, dass nur knapp 60 % der Bachelor-Studiengänge wirklich grundständige Hauptfachangebote beinhalten, während immerhin ein Viertel über weniger als 70 Leistungspunkte erziehungswissenschaftliche Anteile verfügen und damit Dienstleistungen für andere Fächer im Vordergrund stehen. 2 An drei Hochschulstandorten wird zudem ausschließlich ein solcher Nebenfachstudiengang im Bachelorbereich angeboten (vgl. Tab. 2). Im Master ist die Verteilung der Umfänge etwas eindeutiger, da hier die 20 Leistungspunkte als übergreifende Richtgröße dienen. Dennoch finden sich unterhalb dieser Marke immerhin auch ca. 5 % der Masterstudiengänge, die nicht in vollem Umfang auf erziehungswissenschaftliche Anteile ausgerichtet sind, sondern diese mit anderen Fächern kombinieren. Vergleichbar mit der Situation vor der Studienreform sind aber im Sinne einer erziehungswissenschaftlichen Langzeitausbildung mit angemessenen erziehungswissenschaftlichen Anteilen nur diejenigen Standorte, an denen sowohl ein Bachelor- als auch ein Masterstudiengang mit wenigstens 70 Leistungspunkten angeboten wird. Dieses Kriterium erfüllen dann nur noch 54 Standorte, sodass in dieser Perspektive durchaus ein Abbau erziehungswissenschaftlicher Hauptfachausbildung um knapp 20 % zu verzeichnen ist. 3 Im Durchschnitt werden pro Standort 3,3 Studiengänge angeboten. Während eine hohe Anzahl an Studiengängen pro Standort häufig aufgrund der Angebote im Nebenfachbereich zustande kommt, wird deutlich, dass insbesondere an den Pädagogischen Hochschulen mehrere Studiengänge im Kern- und Hauptfachbereich parallel angeboten werden. Im Schnitt sind dies an den 6 Pädagogischen Hochschulen 5 Studiengänge mit einem Umfang von 70 und mehr Leistungspunkten an erziehungswissenschaftlichen Anteilen.

582 C. Grunert Fast alle Standorte bieten mittlerweile sowohl einen Master als auch einen Bachelorstudiengang an. Einzelstandorte, an denen nur Bachelor-Studiengänge angeboten werden, gibt es aufgrund der vermehrten Einrichtung von Masterstudiengängen in den letzten Jahren nur noch einmal. Einzelstandorte, an denen nur ein Masterstudiengang angeboten wird, finden sich aktuell drei. Problematisch ist für diese Standorte bei fehlenden Masterstudiengängen der Verlust der Möglichkeit wissenschaftlichen Nachwuchs zu qualifizieren, bei fehlendem Bachelor-Studiengang die Notwendigkeit, ausschließlich Absolventen anderer Hochschulen anwerben und sich auf deren unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen einstellen zu müssen. Letzteres gilt gleichzeitig auch für solche Masterstudiengänge, die nicht konsekutiv auf vorhandene Bachelorstudiengänge am jeweiligen Standort aufbauen. Damit verweist der erste Überblick über die Strukturmerkmale auf eine sehr heterogene Situation, mit der durchaus auch ein Abbau erziehungswissenschaftlicher Hauptfachausbildung verglichen mit der Situation vor der Studienreform einhergeht. 5 Etiketten und Fachbezeichnungen erziehungswissenschaftlicher Studiengänge Die Strukturdaten geben keine Auskunft darüber, was sich auch inhaltlich hinter den einzelnen Studienangeboten verbirgt. Dafür lohnt zunächst ein Blick auf die Fachbezeichnungen der Studiengänge, die deutlich auf eine Ausdifferenzierung der erziehungswissenschaftlichen Studienlandschaft im Hauptfach verweisen. Berücksichtigt wurden für die folgenden Analysen nur die jenigen Studiengänge, die erziehungswissenschaftliche Anteile von 70 und mehr Leistungspunkten aufweisen. Während sich unter den 79 Bachelor-Studiengängen mit 70 und mehr Leistungspunkten insgesamt 34 verschiedene Fachbezeichnungen ausmachen lassen (vgl. Tab. 3), ist die Situation im Masterbereich noch differenzierter: Hier finden sich bei 92 Masterstudiengängen ganze 70 verschiedene Fachbezeichnungen (vgl. Tab. 4). Aufgrund dieser Unübersichtlichkeit wurden die Studiengänge zunächst nur auf der Basis ihrer Fachbezeichnungen in Studiengänge mit einem eher generalisierten Studienprofil und Studiengänge mit einem eher spezialisierten Studienprofil gruppiert. In die nun folgenden Berechnungen sind ebenso nur Studiengänge im Kern- und Hauptfachbereich eingeflossen, also mit einem Umfang von 70 Leistungspunkten und mehr. Unter dem Stichwort generalisierte Studiengänge wurden all diejenigen zusammengefasst, die die Fachbezeichnung Erziehungswissenschaft, Pädagogik, Bildungswissenschaft oder Erziehungs- und Bildungswissenschaft tragen. Bei den Bachelor-Studiengängen sind dies insgesamt 5 von 79 Studiengängen, im Masterbereich trifft dieses Kriterium auf 45 von 92 Studiengängen zu (vgl. Abb. 3). Bereits dieser Gruppierungsversuch ergibt ein sehr heterogenes Bild, wenngleich der Begriff Erziehungswissenschaft der dominanteste ist und im Bachelor gut ein Viertel der Studiengänge bezeichnet. Gefolgt wird dieser Begriff zumindest im Bachelor von der Fachbezeichnung Pädagogik. Darüber hinaus fällt zweierlei auf: Zum einen ist es der Begriff der Bildungswissenschaft, der in einer Reihe von Studiengängen auftaucht, und zum anderen die v. a. im Masterbereich verwendete Kombina-

Erziehungswissenschaft im Spiegel ihrer Studiengänge 583 Tab. 3: Fachbezeichnungen in den erziehungswissenschaftlichen Bachelorstudiengängen ( 70 LP; n = 79) Fachbezeichnung n Fachbezeichnung n. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 0.. 2. 3. 4. 5. Außerschulische Bildung Betriebspädagogik und Wissenspsychologie Bildung und Förderung in der Kindheit Bildungs- und Erziehungswissenschaft Bildungsplanung und Instructional Design Bildungswissenschaft Bildungswissenschaft, insbesondere interkulturelle, Medienund Erwachsenenbildung Bildungswissenschaft/ Lebenslanges Lernen Elementarbildung Erziehung & Bildung Erziehungs- und Bildungswissenschaft Erziehungswissenschaft Erziehungswissenschaft: Bildung, Erziehung, Qualitätssicherung Förderpädagogik Frühe Bildung 2 5 3 34 6. 7. 8. 9. 20. 2. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 3. 32. 33. 34. Frühe Bildung/ Pädagogik der frühen Kindheit Frühkindliche Bildung und Erziehung Frühkindliche und Elementarbildung Gesundheitsförderung Gesundheitspädagogik Kultur- und Medienbildung Medien- und Bildungsmanagement Medienbildung: Visuelle Kultur und Kommunikation Pädagogik Pädagogik/Bildungswissenschaft Pädagogik der Kindheit Pädagogik der Kindheit: vor- und außerschulische Bildung Pädagogik: Entwicklung und Inklusion Rehabilitationspädagogik Sonderpädagogik Sozial- und Organisationspädagogik Soziale Arbeit Soziale Arbeit in Humandiensten Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Wohlfahrtswissenschaften 8 3 3 6 3 tion eines generalisierten Begriffes mit einem Schwerpunktbegriff. Damit erscheint vor allem der Begriff der Erziehung als alleinige Zuschreibung von Studiengängen problematisch zu werden, da dieser mit der zunehmenden Ausdifferenzierung auf Studieninhalte trifft, die mit diesem Begriff nicht mehr angemessen zu fassen sind (ähnlich Liebau 2002, S. 293 ff.). Stattdessen rückt der Begriff der Bildungswissenschaft v. a. bei denjenigen Studiengängen stärker ins Zentrum, die inhaltlich auf die Bereiche Erwachsenenbildung, Organisationsentwicklung oder Medienbildung fokussieren. Ergänzungen allgemeiner Fachbezeichnungen durch Schwerpunktnennungen sind zum einen eher allgemein gehalten, wie z. B. Erziehungswissenschaft: Erziehung und Bildung in gesellschaftlicher Heterogenität, oder spezialisieren sich vor allem auf die Bereiche Organisationsentwicklung, Frühe Kindheit/Außerschulische Bildung sowie Forschung (vgl. Abb. 4). Bei den spezialisierten Studiengängen wurde eine Gruppierung nach ähnlichen Profilen vorgenommen. Hier wird deutlich, dass sich aus einigen der bisherigen Studienrichtungen, die im erziehungswissenschaftlichen Diplomstudiengang die berufsfeldbezogenen Anteile im Gesamtstudienkonzept Erziehungswissenschaft ausgemacht hatten, eigene Studiengänge entwickelt haben. Vor allem trifft dies auf die Rehabilitations- und Sonderpädagogik sowie die Sozialpädagogik sowohl auf Bachelor- als auch auf Masterebene

584 C. Grunert Tab. 4: Fachbezeichnungen in den erziehungswissenschaftlichen Masterstudiengängen ( 70 LP; n = 92) Fachbezeichnung n Fachbezeichnung n. 2. 3. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 0.. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 20. 2. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. Abenteuer- und Erlebnispädagogik Begabungsforschung und Kompetenzentwicklung Bildung Kultur Anthropologie Bildung und Medien: eeducation Bildung und Soziale Arbeit Bildungs- und Erziehungswissenschaft Bildungs- und Wissensmanagement Bildungsforschung (3 Semester) Bildungskulturen Kulturenbildung (Cultural Engineering) Bildungswissenschaft Bildungswissenschaft Educational Sciences Bildungswissenschaft: Organisation u. Beratung Bildungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Organisationsentwicklung Bildungswissenschaft, insbesondere interkulturelle, Medien- und Erwachsenenbildung Bildungswissenschaften Bildungswissenschaften: Bildung in globalen Technisierungsprozessen Bildungswissenschaften: Bildung von morgen gestalten Childhood Research and Education Kindheitsforschung, Beratung Early Childhood Studies Educational Sciences Elementar- und Integrationspädagogik Empirische Bildungsforschung Erwachsenenbildung/European Adult Education Erwachsenenbildung/Weiterbildung Erwachsenenpädagogik/Lebenslanges Lernen Erziehungs- und Bildungswissenschaft Erziehungs- und Bildungswissenschaften Erziehungswissenschaft Erziehungswissenschaft Sozialpädagogik/Sozialmanagement Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Außerschulische Bildung 2 2 2 2 3 3 32. 33. 34. 35 36. 37. 38. 39. 40. 4. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 5. 52. 53. 54. 55. 56. Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Forschung und Entwicklung in Organisationen Erziehungswissenschaft mit den Schwerpunkten Pädagogik der Kindheit/Diversity Education Erziehungswissenschaft: Bildungswissenschaft Erziehungswissenschaft: Erziehung und Bildung in gesellschaftlicher Heterogenität Erziehungswissenschaft: Heterogenität in Erziehung und Bildung Erziehungswissenschaft: Professionalität & Bildungsforschung Erziehungswissenschaft: Organisation von Wissen, Theorie, Empirie und Management von nichtschulischen Prozessen Erziehungswissenschaften Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Forschung und Entwicklung im Bildungswesen Forschung und Entwicklung in der Erziehungswissenschaft Frühe Bildung Frühkindliche Bildung und Erziehung Gesundheitspädagogik Interkulturelle Bildung, Migration und Mehrsprachigkeit Interkulturalität und Integration International Vocational Education Kinder- und Jugendmedien Kindheit, Jugend, Soziale Dienste Medien in der Bildung Medien- und Bildungsmanagement Medienbildung: Visuelle Kultur und Kommunikation MOTION: Master of Multilingual Educational Linguistics Organisationskulturen und Wissenstransfer Pädagogik Pädagogik für Kinder und Jugendliche der Straße Pädagogik mit Schwerpunkt Bildungsforschung und Bildungsmanagement 2 2 3 4

Erziehungswissenschaft im Spiegel ihrer Studiengänge 585 Tab. 4: (Fortsetzung) Fachbezeichnung n Fachbezeichnung n 57. 58. 59. 60. 6. 62. 63. 64. Pädagogik mit Schwerpunkt Lernkulturen Rehabilitationswissenschaften Social Work Sonder- und Integrationspädagogik Sonderpädagogik Sonderpädagogik und Rehabilitationswissenschaften Sozial- und Organisationspädagogik Soziale Arbeit 2 2 65. 66. 67. 68. 69. 70. Soziale Arbeit und Lebenslauf Soziale Arbeit: Beratung und Management Sozialpädagogik in Aus-, Fort- und Weiterbildung Theaterpädagogik Weiterbildung und Bildungstechnologie Weiterbildungsforschung und Organisationsentwicklung Abb. 3: Studiengänge nach Fachbezeichnungen: generalisierte Studiengänge ( 70 LP; nach Anzahl) zu, während sich die Erwachsenenbildung mit eigenen Studiengängen vor allem auf der Masterebene etabliert hat. Deutlich wird zudem, dass der Bereich der Pädagogik der frühen Kindheit, der als Studienrichtung im erziehungswissenschaftlichen Diplomstudiengang nur marginal vertreten war, den größten Ausbau erfahren hat. Hier scheint die Debatte um die Anhebung der beruflichen Qualifikation in den entsprechenden Handlungsfeldern mit der Studienreform auf einen Prozess gestoßen zu sein, der eine Etablierung entsprechender Studiengänge auf universitärer Ebene begünstigt hat. Im Master finden sich darüber hinaus auch Studiengänge, die einen starken Forschungsbezug aufweisen, sowie ein Pool an Studiengängen, die nicht den etablierten Teildisziplinen zuzuordnen sind, wie etwa der Studiengang Abenteuer- und Erlebnis-

586 C. Grunert Abb. 4: Studiengänge nach Fachbezeichnungen: spezialisierte Studiengänge ( 70 LP; nach Anzahl) pädagogik in Marburg oder der Studiengang Bildungskulturen Kulturenbildung an der Universität Magdeburg. Insgesamt erweisen sich im Bachelorbereich gut ein Drittel (35 %) der Studiengänge als spezialisierte Studiengänge, während im Masterfeld immerhin 50 % der Studiengänge diesem Bereich zuzuordnen sind. Schaut man sich nun noch einmal an, an wie vielen Standorten sowohl ein generalisierter Bachelor- als auch ein generalisierter Master-Studiengang im Umfang von mindestens 70 Leistungspunkten angeboten wird, dann bleiben im Vergleich zur Situation vor der Studienreform nur noch 27 Standorte übrig, sodass fast 60 % der Standorte diesem Kriterium nicht mehr entsprechen. In der Abb. 5 sind die bislang erörterten Entwicklungen in der erziehungswissenschaftlichen Hauptfachausbildung entlang der genannten Kriterien bezogen auf die Anzahl der Hochschulstandorte noch einmal zusammenfassend dargestellt. Die Durchsicht von Studienprogrammen und Modulhandbüchern macht zudem deutlich, dass es aktuell nicht nur eine Reihe von unterschiedlichen Fachbezeichnungen gibt, sondern innerhalb dieser findet sich darüber hinaus eine Vielzahl an möglichen Schwerpunktsetzungen in wiederum stark differierenden Umfängen. Während im Bachelorbereich in 24 der 5 generalisierten Studiengänge eine Schwerpunktsetzung erfolgt, betrifft dies auf der Masterebene lediglich 6 von 28 Studiengängen. Allein in den 24 Bachelor- Studiengängen finden sich 70 Schwerpunkte mit 38 unterschiedlichen Bezeichnungen, die sich nur noch in geringen Anteilen an der traditionellen teildisziplinären Fachsystematik orientieren. Zudem haben die Schwerpunkte an den einzelnen Standorten einen unterschiedlichen Stellenwert, sodass in einigen Fällen mehrere Schwerpunkte gewählt werden müssen oder in anderen Fällen die Schwerpunktsetzung nur über die Ausrichtung von Praktikum und Bachelorarbeit erfolgt. Der Versuch einer Gruppierung zeigt deutlich

Erziehungswissenschaft im Spiegel ihrer Studiengänge 587 Abb. 5: Hochschulstandorte mit erziehungswissenschaftlicher Hauptfachausbildung (nach Anzahl) eine starke Position der Erwachsenenbildung/Weiterbildung (6), die ihre Studienschwerpunkte mit relativ einheitlichen Fachbezeichnungen markiert. Daneben finden sich, wenn auch in geringeren Anteilen, die klassischen Studienrichtungen Sozialpädagogik (7) und Rehabilitationspädagogik (6). Demgegenüber verweisen diejenigen Schwerpunkte, die außerhalb dieser traditionellen teildisziplinären Kennzeichnung liegen, auf eine starke Ausdifferenzierung in eine Reihe von Einzelschwerpunkten und zeichnen so eine Entwicklung nach, die auch für die Studiengänge generell ausgemacht werden konnte. 6 Inhaltliche Ausrichtungen und disziplinäre Mindeststandards erziehungswissenschaftlicher Studiengänge Über die Fachbezeichnungen hinaus wurden alle Bachelorstudiengänge auch daraufhin untersucht, inwieweit sie sich in der Ausgestaltung ihrer Studienpläne an dem von der DGfE vorgeschlagenen Kerncurriculum Erziehungswissenschaft (KCE) orientieren. Eingegangen in diese Untersuchung sind nur Bachelorstudiengänge im Kern- und Hauptfachbereich, also diejenigen, die in einem Umfang von 70 und mehr Leistungspunkten erziehungswissenschaftliche Anteile aufweisen. Betrachtet man zunächst die Anteile an den Grundlagen der Erziehungswissenschaft (vgl. Tab. 5), dann wird deutlich, dass diese zwischen den einzelnen Studiengängen sehr stark schwanken. Gleichwohl finden wir in der Gruppe der generalisierten Studiengänge mit durchschnittlich,4 SWS erwartbar die höchsten Anteile grundlagenbezogener erziehungswissenschaftlicher Lehrinhalte. Hier finden sich nur 3 Studiengänge, die unter den Mindestanforderungen des KCE von 6 SWS bleiben, die auf die Vermittlung von Grundbegriffen, Theorien und geschichtlichen Zusammenhängen entfallen sollen,

588 C. Grunert Tab. 5: Anteil an Grundlagen der Erziehungswissenschaft (Bachelorstudiengänge, 70 LP; nach SWS) SWS 70 9 LP 20 LP Gesamt Durchschnitt Generalisierte Bachelorstudiengänge 0 SWS 0 0 0 2 4 SWS 0 4 3 6 8 SWS 5 8 3,4 0 4 SWS 6 5 2 > 4 2 0 2 Spezialisierte Bachelorstudiengänge 0 SWS 3 5 8 2 4 SWS 3 5 6 8 SWS 0 2 2 3,6 0 4 SWS 0 4 4 > 4 0 0 0 während zwei Drittel deutlich darüber liegen. Unterschiede werden dabei v. a. zwischen den Studiengängen mit der Fachbezeichnung Bildungswissenschaft auf der einen und Erziehungswissenschaft oder Pädagogik auf der anderen Seite deutlich: Während letztere mit durchschnittlich 2 SWS sehr hohe Anteile allgemein-erziehungswissenschaftlicher Grundlagen aufweisen, liegen erstere mit durchschnittlich 8 SWS deutlich darunter. Demgegenüber bleiben die spezialisierten Studiengänge in Bezug auf die Grundlagen der Erziehungswissenschaft klar unter den Mindestanforderungen des Kerncurriculums. Mit durchschnittlich nur 3,6 SWS und 9 Studiengängen, die ganz auf eine allgemein-erziehungswissenschaftliche Grundlagenausbildung verzichten, stehen in diesen Studiengängen die je spezifischen Bereiche und Praxisfelder im Zentrum. Im Hinblick auf die Forschungsmethoden ergibt sich ein ähnlich heterogenes Bild. Hier erweisen sich die generalisierten Studiengänge stärker forschungsorientiert als die spezialisierten, bei denen neun Studiengänge ganz auf eine Ausbildung in Forschungsmethoden verzichten und weitere sechs unter den Mindestanforderungen des Kerncurriculums von 6 SWS bleiben. Aber auch bei den generalisierten Studiengängen wird deutlich, dass immerhin ein Viertel unter diesem Richtwert bleibt, sodass insgesamt mehr als ein Drittel der Studiengänge die Mindestanforderungen des DGfE-Kerncurriculums in Bezug auf die Forschungsmethoden unterschreitet (vgl. Tab. 6). 7 Fazit Insgesamt zieht wie die Befunde zeigen das Aufeinandertreffen hochschulpolitischer Reorganisationsprozesse mit einer identitätsuchenden Disziplin deutliche Veränderungen für die institutionelle Organisation der Erziehungswissenschaft in Form ihrer Hauptfachstudiengänge nach sich. Diese sind nicht nur in einem Abbau von Standorten mit umfassenden erziehungswissenschaftlichen Studienangeboten zu finden, sondern auch in der Ausdifferenzierung der Studienstrukturen im Hinblick auf Ein- und Zwei-Fach-Studiengänge und deren erziehungswissenschaftlicher Anteile sowie in einer Entwicklung hin zu

Erziehungswissenschaft im Spiegel ihrer Studiengänge 589 Tab. 6: Anteil an Forschungsmethoden (Bachelorstudiengänge, 70 LP; nach SWS) SWS 70 9 LP 20 LP Gesamt Durchschnitt Generalisierte Bachelorstudiengänge 0 SWS 0 0 0 2 4 SWS 7 4 6 8 SWS 5 2 26 7,3 0 0 0 Spezialisierte Bachelorstudiengänge 0 SWS 3 6 9 2 4 SWS 5 6 4, 6 8 SWS 0 2 2 0 0 2 einer kaum noch überschaubaren Pluralität von Studieninhalten und -profilen (vgl. auch Grunert 2004; Horn et al. 2008; Stisser et al. 202). Dabei stellt sich vor dem Hintergrund der zunehmenden Spezialisierung von Studiengängen in erziehungswissenschaftlicher Verantwortung die Frage nach deren disziplinären Bezügen, da ein verbindendes Kerncurriculum und übergreifende Inhalte häufig kaum noch auszumachen sind. Diese Entwicklung ist m. E. Ergebnis eines Prozesses, in dem disziplininterne Unbestimmtheiten auf disziplinexterne Zwänge und Anforderungen treffen, deren Interdependenzen anhand des hier präsentierten begrenzten empirischen Materials nicht systematisch herausgearbeitet, sondern allenfalls hypothetisch und beispielhaft angedeutet werden können. Im Hinblick auf die institutionelle Organisation der Disziplin Erziehungswissenschaft in Form ihrer Studiengänge ist hier zum einen die Entwicklung an den Fachhochschulen ausgeblendet geblieben. Aufgrund der Angleichung der möglichen Ausbildungsabschlüsse in Form von Bachelor und Master an Universitäten und Fachhochschulen ergibt sich aktuell die Situation, dass an beiden Institutionen Studiengänge entstehen, die sich zumindest in ihrem Labeling sehr stark ähneln und sich als erziehungswissenschaftlich ausgerichtet verstehen. Daraus entfaltet sich eine wachsende Konkurrenz zwischen beiden Ausbildungseinrichtungen, die durch die weiterhin eher praxisorientierte Ausrichtung der Fachhochschulstudiengänge noch verstärkt wird und der die Gefahr eignet, dass auch universitäre Studiengänge weniger aus disziplinären Gesichtspunkten, sondern vielmehr aus Erfordernissen des Marktes heraus initiiert und im Sinne einer unmittelbar praxisbezogenen Berufsausbildung strukturiert werden. In welcher Art und Weise sich beide Ausbildungsinstitutionen in der Ausgestaltung ihrer Studiengänge beeinflussen und welche Wettbewerbsdynamiken dabei im Zuge des Bologna-Prozesses freigesetzt wurden, kann ebenfalls nur mittels gesonderter Analysen herausgearbeitet werden, die sich systematisch auf solche Interdependenzen beziehen. Zum anderen bleiben hier auch die Entwicklungen in den Lehramtsstudiengängen ausgeblendet, die etwa mit der differenten Praxis der Umstellung auf das Bachelor- und Masterformat in den einzelnen Bundesländern sowie mit der Einrichtung von sogenannten Schools of Education noch ganz andere Dynamiken freisetzen, die die Disziplin Erziehungswissenschaft sowohl auf der Ebene der disziplinären Kommunikation als auch

590 C. Grunert auf der Ebene ihrer institutionellen Organisation betreffen. Gerade in Bezug auf die Ausgestaltung der Lehrerbildung erscheint eine Reduzierung des disziplinären Einflusses der Erziehungswissenschaft evident, sind hier doch wenn auch bundesländerspezifisch die äußeren Zwänge weitaus größer und werden die strukturelle und curriculare Ausrichtung sowie die Qualitätskriterien auch disziplinfremd mitbestimmt. Insbesondere für Nordrhein-Westfalen beklagen in dieser Hinsicht etwa Casale et al. (200), dass mit der Einrichtung von Schools of Education sowie der Orientierung am Begriff der Bildungswissenschaften in der curricularen Ausgestaltung der Lehrerbildung ein Übergewicht psychologischer Ausbildungsinhalte zu Lasten erziehungswissenschaftlichen Wissens (a. a. O., S. 48) einhergeht. Insofern wird hier zumindest auf die Gefahr einer Entkoppelung von Lehrerbildung und Erziehungswissenschaft als einem weiteren Prozess aufmerksam gemacht, der sich auf die Erziehungswissenschaft als Disziplin und ihren Stellenwert innerhalb des Wissenschaftssystems auswirken kann. Gleichzeitig erscheint die aktuelle Situation der zunehmenden Bindung von Personalkapazitäten für die Lehrerbildung sowie die Priorisierung dieses Ausbildungszweiges in der Hochschulpolitik als ein Prozess, der sich auf die Ausgestaltung erziehungswissenschaftlicher Hauptfachstudiengänge auswirkt und die Möglichkeiten für deren Ausbau an den einzelnen Standorten durchaus einschränkt. Auch diese Frage nach dem Einfluss der aktuellen Entwicklungen in der Lehrerbildung auf die disziplinäre Kommunikation und institutionelle Organisation in der Erziehungswissenschaft muss hier ausgeblendet bleiben und bedarf weiterer systematischer Untersuchungen. Zu den Faktoren, die eine Ausdifferenzierung erziehungswissenschaftlicher Hauptfachstudiengänge vorantreiben, gehören aber neben hochschulpolitischen und marktbezogenen Interessen deutlich auch disziplininterne Prozesse. Diese verweisen im Falle der Erziehungswissenschaft auf Unbestimmtheiten, die anscheinend dafür anfällig machen, dass Umstrukturierungen, wie sie mit dem Bologna-Prozess auf der Ebene der Studiengänge erfolgen, sich eher an externen als an internen Kriterien der Disziplin orientieren (Meyer-Wolters 2009, S. 60). Dazu gehört in erster Linie sicher der erwähnte Hybridstatus der Erziehungswissenschaft, der sich aus ihrem unbestimmten Praxisbezug ergibt. Bezogen auf diese Problematik herrscht innerhalb der Erziehungswissenschaft keine Einigkeit. So werden die Frage danach, was die Erziehungswissenschaft für die Praxis zu leisten imstande ist, sowie die Frage, was die pädagogische Praxis überhaupt sei und für welche Handlungsfelder sie zuständig sein soll, unterschiedlich beantwortet (vgl. auch Osterloh 2002, S. 23). Diese Unbestimmtheiten machen die Erziehungswissenschaft zum einen offen für Neues und lassen sie flexibel auf Anforderungen aus unterschiedlichen pädagogischen Praxisfeldern reagieren. Zum anderen ergibt sich aus diesem fehlenden disziplinären Standpunkt heraus aber auch die Problematik einer unkontrollierten Ausdifferenzierung erziehungswissenschaftlich verantworteter Hauptfachstudiengänge. Damit einher gehen nicht nur ein auch durch die Reorganisation der Hochschulen induzierter verstärkter Wettbewerb, wachsende intradisziplinäre Konkurrenz wie auch interdisziplinäre Spannungen. Vielmehr erscheinen vor dem Hintergrund der Einführung von Bachelorstudiengängen, die in erster Linie berufsbefähigend sein sollen, diese Unbestimmtheiten durchaus problematisch, da die Gefahr besteht, dass diejenigen Inhalte, deren Praxisrelevanz nicht unmittelbar deutlich gemacht werden kann, zunehmend ins