ICF und Teilhabegesetz -Ist es eins?

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Transkript:

Verein zur Förderung der Klinik für Rehabilitationsmedizin der MHH e.v. Sommersymposium 2017 Teilhabeforschung Aktuelle Entwicklung in Deutschland ICF und Teilhabegesetz -Ist es eins? Dr. Harry Fuchs Düsseldorf

Der Paradigmenwechsel SGB IX: Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen

Verständnis von Rehabilitation vor dem 1.7.2001 (nur GKV) 11 Abs. 1 SGB V Versicherte haben. Anspruch auf Leistungen. (es folgt die Auflistung der Leistungen der Krankenbehandlung) 11 Abs. 2 SGB V Zu den Leistungen nach Abs. 1 (d.h. zu den Leistungen zur Krankenbehandlung) gehören auch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.. Ab 1.1.2000: 11 Abs. 2 SGB V Versicherte haben auch Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (d.h. eigenständiger Reha-Anspruch neben dem Anspruch auf Krankenbehandlung) Die Leistungen werden unter Beachtung des SGB IX erbracht.

Teilhabeorientierung des Behinderungsbegriffs und des Rehabilitationsrechts durch das SGB IX Ob jemand behindert im Sinne des Sozialrechts ist, bewertet sich seit dem Inkrafttreten des SGB IX nicht mehr - nach Art und Schwere einer Krankheit oder Behinderung, sondern danach, dass man als Folge davon - in seiner Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. 2 SGB IX Dr. Harry Fuchs, Düsseldorf 4

Orientierung der Teilhabeleistungen auf die Erreichung von Teilhabezielen Ziel der Rehabilitation ist nicht mehr nur - die Erlangung der individuell bestmöglichen physischen und psychischen Gesundheit (Das ist vornehmlich Aufgabe der Krankenbehandlung!) sondern vor Allem - die Förderung der Selbstbestimmung und der gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie die Vermeidung von Benachteiligungen. Dr. Harry Fuchs, Düsseldorf 5

Teilhabezielorientierung im Recht Nach 5 SGB IX werden zur Teilhabe erbracht 1. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation 2. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben 3.. 4. Leistungen zur Teilhabe an Bildung 5. Leistungen zur sozialen Teilhabe Abs. 2 Satz 1 SGB IX: Die Leistungen zur Teilhabe werden zur Erreichung der in Abs. 1 genannten Ziele (Anm.: Teilhabeziele) erbracht. 6

Wirksamkeit bezogen auf Teilhabeziele Teilhabe-/Rehabilitationsleistungen müssen nach 4 Abs. 2 SGB IX wirksam im Sinne der Erreichung der Teilhabeziele sein. Es reicht nicht aus, - die Fähigkeit zur Teilhabe (Capacity) z.b. durch Erreichung einer bestimmten Muskelkraft oder Herzleistungsfähigkeit zu vermitteln (d.i. primär Aufgabe der Krankenbehandlung). - Aufgabe der Rehabilitations- und Teilhabeleistungen ist die Behandlung der Krankheitsfolgen, d.h., der Funktionsbeeinträchtigung, insbesondere im Bereich der Aktivitäten/Leistungen und der Partizipation, wobei es auf das Erreichen der tatsächliche Teilhabe (Performance) ankommt. 7

Bedeutung der ICF für das Teilhaberecht

ICF Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit Dr. Harry Fuchs, Düsseldorf 9

Geschichte der ICF 1972: Beginn der Vorbereitungsarbeiten zur ICIDH 1980: Erstmalige Veröffentlichung der ICIDH 1993: Beginn des Revisionsprozesses der ICIDH 2001: Final Draft (Mai 2001, Assembly der WHO) 2001: ICF, Translator Version, Oktober 2001 2001: Deutscher Entwurf der ICF, November 2001 2002: Konsensus-Konferenz (27. Februar) 2002: Schlussfassung (Juli 2002), www.dimdi.de Dr. Harry Fuchs, Düsseldorf 10

Orientierung des SGB IX an der ICF Nach der Begründung orientiert der Gesetzgeber das gesamte SGB IX nicht nur die Feststellung des Bedarfs an Teilhabeleistungen an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit der (ICF) der WHO. Die ICF bietet eine weltweit einheitliche Sprache zur Rehabilitation und beschreibt als Gesundheitszustände die Beeinträchtigungen der Teilhabe. Deutschland war 2001 weltweit das erste Land, das diesen Internationalen Maßstab in das nationale Sozialrecht übernommen hat 11

Koordinierung der Leistungen ( 10 SGB IX) Der Gesetzgeber verpflichtet die Rehabilitationsträger, den individuellen Bedarf an voraussichtlich erforderlichen Teilhabeleistungen funktionsbezogen festzustellen und schriftlich zusammenzustellen ( 10 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Mit Blick auf die Teilhabezielorientierung der Leistungen erwächst der Bedarf an Leistungen aus der Beeinträchtigung der Teilhabe. Es geht mithin darum die individuelle Beeinträchtigung der Teilhabe im Sinne Funktionsfähigkeit der ICF zu erheben und in der Sprache der ICF zu dokumentieren. Der Gesetzgeber hat die ICF weder als Assessment vorgeschrieben noch in die Organisationsverantwortung der Träger eingegriffen und ein bestimmtes Verfahren oder Instrument vorgeschrieben. Im Gegenteil, aus der Einordnung in die Koordinierung der Leistungen ist zu ersehen, dass der Gesetzgeber von den Trägern auf der Basis der ICF ein koordiniertes, d.h. trägerübergreifendes Vorgehen erwartet.

Vorgaben zur Bedarfserhebung Die Bedarfserhebung wurde als Bestandteil der Zuständigkeitsklärung geregelt. Ist dazu ein Gutachten erforderlich (hier ist bereits der Ansatz enthalten, dass die Bedarfsfeststellung, auch ohne Gutachten erforderlich sein kann), ist dazu ein geeigneter Sachverständiger zu beauftragen ( 14 Abs. 5 Satz SGB IX) Die Rehabilitationsträger sind (gemeinsam) dafür verantwortlich, dass Begutachtungen nach möglichst einheitlichen Grundsätzen durchgeführt werden ( 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX) und vereinbaren dazu zur Sicherung der Zusammenarbeit Gemeinsame Empfehlungen ( 13 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Die gemeinsame Empfehlung sollte das Instrument sein, mit dem die Rehabilitationsträger die funktionsbezogene Feststellung der Beeinträchtigung der Teilhabe und deren Dokumentation mit der Sprache der ICF in den koordinierten Begutachtungsverfahren ausgestalten. Vorgabe des Gesetzgebers war danach eine koordinierte sozialrechtliche Operationalisierung der ICF in der Begutachtung nach 14 Abs. 5 SGB IX (Fuchs 2013: ICF-orientierte Assessment im Begutachtungsverfahren Dies wurde erkennbar nicht umgesetzt.

Gesundheitsproblem Alkoholabhängigkeit, Alkoholentzugssyndrom, akute Gastritis Schürfwunden Magenbeschwerden Alkoholintoxikation schweres vegetatives Entzugssyndrom Beeinträchtigung der Selbstversorgung Beeinträchtigung der Haushaltsführung Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit Verwahrloste Wohnung Abbruch der Familienkontakte Körperfunktionen und -strukturen Aktivitäten Teilhabe Umweltbezogene Kontextfaktoren Personbezogene Kontextfaktoren (+) Sozialdienst eingeschaltet (+) stationäre Entwöhnungstherapie eingeleitet (6 Monate) (-) ländliche Umgebung (-) isolierte Lage des Hauses (-) arbeitslos (-) allein lebend (-) Suchtanamnese (-) geschieden (-) kinderlos Förderfaktoren (+) / Barrieren (-)

Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes

Diffuse Regelungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) Das BTHG schränkt die mit dem SGB IX von 2001 vorgegebene klare Orientierung an der ICF ein: Die Leistungsgesetze können aufbauend auf den Vorgaben von 13 weitergehende und speziellere Vorgaben regeln, die den Besonderheiten der jeweiligen Leistungssysteme gerecht werden oder auf eine Konkretisierung verzichten und damit den Rehabilitationsträgern weite fachliche Spielräume bei der Entwicklung und Nutzung der Instrumente überlassen. Beispielsweise wird in der Eingliederungshilfe für das Gesamtplanverfahren eine Orientierung an der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gesetzlich vorgegeben, die die Länder durch ihr jeweiliges Landesrecht mittels Rechtsverordnung regional näher ausgestalten können. Ob und inwieweit auch weitere Leistungsgesetze für eine solche ICF- Orientierung in Betracht kommen, soll durch eine wissenschaftliche Untersuchung nach Absatz 3 bis Ende 2019 geklärt werden. (Auszug aus der Begründung zum Kabinettsentwurf)

Weitere diffuse Vorstellungen Das Gesetz sieht eine Untersuchung sowie einen verwaltungsinternen und trägerübergreifenden Informationsaustausch vorrangig auf der Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation als auch der öffentlichen und fachlichen Diskussion über die Instrumente unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Expertise vor. Hierbei kann insbesondere untersucht werden, ob und inwieweit die Klassifikation, die Lebensbereiche oder das bio-psycho-soziale Modell der ICF perspektivisch einen einheitlichen Rahmen für die Bedarfsermittlung nach allen Leistungsgesetze bilden können. Damit gibt der Gesetzgeber die trägerübergreifend einheitliche Orientierung an der ICF als Vorgabe für die Bedarfsfeststellung auf. Er stellt die Anwendung der ICF in die Disposition der Träger, mit der Begründung, dass aus dem Abschlussbericht zu dem vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderten Projekt Prüfung von aktuellem Stand und Potenzial der Bedarfsermittlung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben unter Berücksichtigung der ICF (Morfeld u.a., 2014) hervor gehe, dass die Rehabilitationsträger bislang eine Vielzahl von Methoden zur Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs entwickelt haben und nutzen. Der im Rahmen des Projekts untersuchte Nutzungsgrad der ICF ist unterschiedlich ausgeprägt. Im Ergebnis wird die Nichtumsetzung der gesetzlichen Vorgaben durch die Träger nach dem hier zitierten Wortlaut der Begründung durch die Preisgabe der einheitlichen ICF-Orientierung und der trägerübergreifend einheitlichen Maßstäbe für die Bedarfsfeststellung legitimiert, statt die konsequente Umsetzung des seit 2001 geltenden Rechts durchzusetzen.

Regelungen des BTHG mit Bezug zur ICF Das BTHG enthält bzgl. der ICF-Orientierung entsprechend der zitierten Begründung unterschiedliches Recht für die Träger der Sozialversicherung im Teil1 und für die Träger der Eingliederungshilfe im Teil 2 des SGB IX. Schon danach wird eine Bedarfsfeststellung nach trägerübergreifend einheitliche Maßstäben künftig kaum noch möglich sein. erweckt mit der Verpflichtung zur Verwendung systematischer Arbeitsprozesse und standardisierter Arbeitsmittel (Instrumente), die weiterhin eine individuelle und funktionsbezogene Bedarfsermittlung und deren Dokumentation sichern sollen ( 13 Abs. 1 und 2 SGB IX) den Eindruck, als sei die ICF-Orientierung weiterhin vorgegeben. Auch im Teilhabeplan ( 19 Abs. 1 SGB IX) sollen die erforderlichen Leistungen hinsichtlich Ziel, Art und Umfang funktionsbezogen festgestellt werden.

Weitere Regelungen mit Bezug zur ICF Die Rehabilitationsträger haben nach 26 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX gemeinsame Empfehlungen für Grundsätze zur Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs nach 13 SGB IX zu vereinbaren, die die ICF wegen des Funktionsbezugs in der Bestimmung ebenfalls die ICF die Basis bildet. Im Bereich der Eingliederungshilfe wird die ICF als Grundlage der Bedarfsermittlung explizit im Gesetz benannt( 118, 143 SGB IX) Nach (dem erst ab 2023 in Kraft tretenden) 99 SGB IX soll zudem die einen Leistungsanspruch gegen den Träger der Eingliederungshilfe begründende die Leistungsvoraussetzung aus den Lebenslagen der EinglHV abgeleitet werden, die den Domänen der ICF entsprechen.

Verständnis des BTHG zur Nutzung der ICF Das BTHG versteht die ICF erkennbar als Instrument zur Bedarfsfeststellung, das in die zu systematisierenden Arbeitsprozesse und Instrumente der Träger integriert wird. Die ICF ist aber kein Instrument zur Bedarfsfeststellung und kann es auch nicht sein. Dieses Verständnis von der Anwendung der ICF belegen auch die Wahrnehmungen aus den bereits laufenden Untersuchungen und Umsetzungsprozessen, in denen versucht wird, auf der Grundlage einiger selektierter ICF-Items und meist auch nur einiger herausgegriffener Lebensbereiche (so auch die verkürzte Übernahme der Lebensbereiche in der neuen Eingliederungshilfe-Verordnung), eine standardisierte Ermittlung des Bedarfs vorzunehmen. Solche Instrumente sind jedoch für eine repräsentative, valide und reliable Darstellung der Teilhabebeeinträchtigung nicht geeignet. Solche Instrumente können Vorgabe des Gesetzgebers nicht erfüllen, die individuellen Beeinträchtigungen der Teilhabe im Einzelfall umfassend und vollständig festzustellen.

Zur künftigen Rolle des Sachverständigengutachtens Offen ist die Einordnung des bisher überwiegend maßgebenden Instruments, nämlich des Sachverständigen- Gutachtens in das neue Verfahren zur Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs. Mit Blick auf die Rechtspraxis der Träger der Sozialhilfe/Eingliederungshilfe, in der die Bedarfsfeststellung vorwiegend durch die Sachbearbeitung du nur selten durch ärztliche oder andere Sachverständige vorgenommen wird, wird das neue Instrumentarium offensichtlich auf diese Zielgruppe orientiert. Das bisherige Sachverständigengutachten würde dadurch erheblich an Bedeutung verlieren. Dies erscheint insbesondere im Rahmen der medizinischen Rehabilitation als nachgerade prekär.

Einzig klare Rechtsgrundlage des BTHG für die Bedarfsermittlung 13 Abs. 2 SGB IX: Die (zuvor angesprochenen) Instrumente müssen eine individuelle und funktionsbezogene Bedarfsermittlung gewährleisten und die Dokumentation und Nachprüfbarkeit der Bedarfsermittlung sichern, indem sie insbesondere erfassen, ob eine Behinderung vorliegt oder einzutreten droht, welche Auswirkung die Behinderung auf die Teilhabe der Leistungsberechtigten hat, welche Ziele mit Leistungen zur Teilhabe erreicht werden sollen und welche Leistungen im Rahmen einer Prognose zur Erreichung der Ziele voraussichtlich erfolgreich sind.

Fazit ICF und Teilhabegesetz - sind nicht eins! Im Gegenteil, die ICF-Orientierung des Teilhaberechts wird durch das BTHG im Verhältnis zum SGB IX von 2001 eindeutig dereguliert. Die bisherige trägerübergreifende Verpflichtung aller Rehabilitationsträger auf die Orientierung an der ICF wird abgelöst durch unterschiedliches Recht für Sozialversicherungs- und Sozialleistungsträger. Die explizite Nennung der ICF im Recht der Eingliederungshilfe verpflichtet nicht einmal diesem Bereich zu einer einheitlichen ICF-Orientierung, sondern dazu, was die Länder die das Nähere dazu bestimmen können jeweils darunter verstehen oder verstehen wollen. Im Bereich der Sozialversicherungsträger ist die ICF-Orientierung nicht einmal im Wortlaut des Gesetzes mehr vorgesehen. Die mit der Verpflichtung zur Entwicklung systematische Arbeitsprozesse und standardisierter Instrumente wohl weiterhin angestrebte Orientierung an der ICF und den dazu jetzt angelaufenen Prozessen belegt die unverändert sehr begrenzte Kompetenz und mangelnde Verständnis zur ICF. Es ist zu befürchten, dass das Ergebnis sich Teilhabeorientiert nennt, ohne es tatsächlich zu sein. Es zeichnen sich standardisierte Verfahren ab, die weder wirklich ICF-orientiert noch geeignet sind, den individuellen Bedarf umfassend und vollständig rechtskonform zu ermitteln.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Dr. Harry Fuchs, Düsseldorf 24