Massnahmen gegen den. Sozialhilfemissbrauch

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Transkript:

SOZIALE DIENSTE Massnahmen gegen den Sozialhilfemissbrauch Schulgasse 2 Postfach 240 2560 Nidau t +41 (0)32 332 94 50 f +41 (0)32 332 94 59

2 Inhalt 1. Einleitung 3 2. Welche Massnahmen haben die Sozialdienste Nidau ergriffen, um Missbräuche zu vermeiden bzw. ihnen vorzubeugen? 3 3. Was können Indizien für Missbrauch sein? Wie haben Sie/Ihre Mitarbeiter Verdacht geschöpft? 6 4. Wie gehen Sie genau bei einem Verdacht vor? 6 5. Wie ist das für den/die Sozialberater/-in, einen Verdacht auf Sozialmissbrauch in ihren Dossiers zu entdecken? 7 6. Was tun die Sozialen Dienste, wenn sich der Verdacht erhärtet? 8

3 1. EINLEITUNG Das Thema Sozialhilfemissbrauch hat in den letzten Jahren zunehmend Schlagzeilen gemacht und steht immer wieder im Zentrum des öffentlichen Interesses. Die Sozialen Dienste Nidau haben im Verlaufe der letzten Jahre differenzierte Massnahmen zur Verhinderung von Sozialhilfemissbrauch eingeführt. Dieser Artikel zeigt auf, wie die Sozialen Dienste Nidau heute mit der Thematik Sozialhilfemissbrauch umgehen. Dieser Bericht befasst sich primär mit Fragen und Antworten rund um die Thematik Sozialhilfemissbrauch. Es ist deshalb wichtig in dieser Einleitung ebenso darauf hinzuweisen, dass es sich beim Sozialhilfemissbrauch in der Regel um Einzelfälle handelt und die allermeisten hilfesuchenden Menschen in Notlagen einen klaren Anspruch auf Sozialhilfeleistungen haben und ihren Möglichkeiten entsprechend auch das Nötige dazu beitragen und unternehmen, um wieder aus dieser Situation heraus zu kommen. In diesem Sinne handeln die Sozialen Dienste nach dem Grundsatz der Gerechtigkeit. Wer Sozialhilfe benötigt, erhält diese gemäss den gesetzlichen Grundlagen. Sozialhilfemissbrauch wird konsequent verfolgt und bekämpft. 2. WELCHE MASSNAHMEN HABEN DIE SOZIALDIENSTE NIDAU ERGRIFFEN, UM MISS- BRÄUCHE ZU VERMEIDEN BZW. IHNEN VORZUBEUGEN? Bevor diese Frage beantwortet werden kann, muss die Frage der Definition von Sozialhilfemissbrauch geklärt werden. Die Sozialen Dienste Nidau gehen von einem weiten Verständnis des Begriffs Sozialhilfemissbrauch aus und stimmen damit mit den Definitionen in der juristischen Fachliteratur für die Soziale Arbeit und spezifischen Fachdokumentationen der SKOS und des BKSV überein. Zu dieser weiten Definition zählen der unrechtmässige Bezug von Sozialhilfeleistungen durch unwahre Angaben bis zum Betrug, die unrechtmässige Verwendung von Sozialhilfeleistungen, die Aufrechterhaltung einer Notlage, die grob selbstverschuldete Notlage und die Pflichtverletzungen. Der so genannte Rechtsmissbrauch ist wesentlich schwieriger fassbar als die enge Definition des Missbrauchs in Form des Betrugs und führt auch im Bereich der Sanktionen zu einer komplexen Ausgangslage. Es können nicht alle Massnahmen zur Verhinderung von Sozialhilfemissbrauch im Detail aufgeführt werden. Entscheidend bei der Prävention von Sozialhilfemissbrauch ist nicht eine einzige Massnahme alleine, es ist immer die Summe und die Qualität von verschiedenen Massnahmen die Wirkung erzielt. Der Fachbereich Sozialhilfe der Sozialen Dienste Nidau hat die Standards und Abläufe zur Verhinderung von Sozialhilfemissbrauch im weiteren Sinne des Begriffes in den vergangenen Jahren laufend optimiert, dazu gehören u.a. folgende zentrale Massnahmen: Einführung und laufende Optimierung des Anmelde- und Intakeprozesses ab dem Jahre 2005: Der Fachbereich Sozialhilfe investiert bereits vor der Eröffnung eines Sozialhilfedossiers in die Abklärungen der sozialen Situation und die Analyse der eingereichten Unterlagen viel zeitliche Ressourcen, um möglichst in einem frühen Stadium zu verhindern, dass es zu Sozialhilfemissbrauch kommt bzw. kommen kann. Auf der einen Seite wurde damit die Zutrittsschwelle zur Sozialhilfe ab dem Jahre 2005 sukzessive und massiv er-

4 höht (z.b. sehr ausführliches 11-seitiges Anmeldeformular, 8-seitige Infobroschüre für KlientInnen), auf der anderen Seite ist diese Eingangskontrolle eines der effizientesten Mittel, um den Missbrauch der Sozialhilfe bzw. den ungerechtfertigten Bezug von Leistungen der Sozialhilfe zu verhindern. In knapp einem Drittel der Fälle besteht nach der Anmeldung zum Bezug von Leistungen kein Anspruch auf Sozialhilfe beziehungsweise die Mehrheit der Personen in dieser Kategorie melden sich nach dem unverbindlichen Anmelde- und Informationsgespräch mit einem Sozialarbeiter/einer Sozialarbeiterin nicht mehr und ziehen ihren Antrag damit zurück. Grundsätzlich direkte Bezahlung von Miete und Krankenkasse: Zur Verhinderung der unrechtmässigen Verwendung von Leistungen der Sozialhilfe werden die Mieten und die Krankenkassenprämien seit dem Jahre 2005 grundsätzlich nur noch direkt von der Sozialhilfe an die Verwaltungen und die Krankenversicherer bezahlt. Diese Massnahme führte zwar zu einer gewissen Entmündigung der Sozialhilfebeziehenden. Die Vorteile dieser Lösung überwiegen jedoch die Nachteile bei weitem. Interne und externe Schulung und Sensibilisierung Mitarbeiter/-innen ab dem Jahre 2007: Die ältere Generation der Sozialarbeiter/-innen wurde an den damaligen Schulen für Soziale Arbeit in einer Zeit ausgebildet, wo der Begriff Sozialhilfemissbrauch praktisch noch keine Bedeutung hatte. Die Kontrolle in der Sozialhilfe spielte zwar schon immer eine Rolle, doch vor einigen Jahren sprach man in der Praxis noch wenig oder überhaupt nicht von Missbrauch. Das gesellschaftspolitische Umfeld hat sich in den 80er- und 90er-Jahre verändert, die Mentalität/Anspruchshaltung der Menschen hat sich scheinbar einer Wandlung unterzogen und der politische Druck führte in den vergangenen Jahren zu einer zunehmenden Sensibilisierung der Mitarbeiter/-innen gegenüber dem Thema des Missbrauchs in der Sozialhilfe. Die interne und externe, spezifische Schulung zum Thema Sozialhilfemissbrauch ist daher ein wichtiger Grundstein, um dem Missbrauch zu begegnen. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass die eigentliche Kernaufgabe der Sozialarbeiter/-innen die Beratung der Klient/-innen ist und bleibt. Regelmässige Intervisionen und Supervisionen der Mitarbeitenden sichern eine gute Beratungsqualität: Die Beratung mit dem Ziel der wirtschaftlichen Reintegration steht im Zentrum der Bemühungen eines öffentlichen Sozialdienstes. Die zielgerichtete Beratung der sozialhilfebeziehenden Klient/-innen leistet einen wesentlichen Beitrag zur Prävention von Sozialhilfemissbrauch. Im Rahmen von Inter- und Supervisionen können belastende Situationen gemeinsam analysiert und nach neuen Lösungsansätzen gesucht werden. In Intervisionen kommen oftmals Fälle zur Besprechung, wo die Grenze zwischen der Aufrechterhaltung einer Notlage und damit dem Missbrauch der Sozialhilfe im weitesten Sinne des Wortes - und dem Unvermögen eines Klienten aus gesundheitlichen oder anderen Gründen fliessend ist. Konsequente Anzeigepraxis: Seit dem Jahre 2006 wird bei einem festgestellten Verstoss gegen Art. 85 des SHG konsequent eine Strafanzeige eingereicht. Wer Leistungen oder Beiträge des Kantons oder der Gemeinden durch unrichtige oder unvollständige Angaben oder durch Verschweigung von Tatsachen erwirkt, wird gemäss Gesetz mit Busse oder Haft bestraft. Die Strafanzeigen werden nach Aufbereitung der relevanten Unterlagen durch die Sozialarbeiter/-innen und die Bereichsleitung Sozialhilfe durch einen Juristen /

5 eine Juristin eingereicht. Im Jahre 2009 reichten die Sozialen Dienste Nidau in vier Fällen eine Strafanzeige gegen Sozialhilfebezüger/-innen ein, eine davon in der Folge einer Abklärung durch die Sozialinspektorinnen der Firma ABS. Die konsequente Anzeigepraxis hat aus der Sicht der Sozialen Dienste eine präventive Wirkung auf den Sozialhilfemissbrauch. Leistungen die durch unrichtige Angaben oder durch das Verschweigen von Tatsachen erwirkt wurden, müssen von den Sozialhilfebeziehenden zurückerstattet werden. Diese zwingende Rückerstattungsverpflichtung gilt im Übrigen auch bei grob selbstverschuldeter Notlage, z.b. wenn die Arbeitslosenversicherung ALV wegen Pflichtverletzungen ihre Leistungen eingestellt hat und die Sozialhilfe die Existenz sichern muss. Einführung von standardisierten Weisungen und Verfügungen: Im Jahre 2007 führte der Fachbereich Sozialhilfe standardisierte Verfügungen und Weisungen ein. Diese Weisungen und Verfügungen kommen unter anderem bei mangelnder Kooperation der Sozialhilfebeziehenden mit den Sozialen Diensten oder bei Verletzung der Mitwirkungspflicht zum Einsatz. Weisungen und Verfügungen sind in der Praxis zunehmend wichtige Instrumente zur Verhinderung von Sozialhilfemissbrauch. Die Androhung von Kürzungen in Weisungen oder die Kürzung von Sozialhilfeleistungen mittels Verfügungen und damit die Wirkung repressiver Sanktionen ist zwar in Fachkreisen umstritten, doch in der Praxis und in Anbetracht der politischen Vorgaben unvermeidlich. Im Jahre 2009 erliessen die Soziale Diensten Nidau 58 sozialhilferechtliche Verfügungen, in 21 Fällen ging es um Kürzungen des SKOS- Budget wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht, in einem Fall wurde die Sozialhilfe vollständig eingestellt. Einführung von Sozialinspektor/-innen: Im Sommer 2008 führten die Sozialen Dienste Nidau auf der Grundlage eines Beschlusses des Gemeinderates Sozialhilfeinspektor/-innen ein. Im Jahre 2009 wurde die Firma ABS von den Sozialen Diensten Nidau mit acht Abklärungsaufträgen beauftragt. Aus der Sicht der Sozialen Dienste Nidau Sozialhilfe wären in zwei Fällen im Anschluss an die ABS-Abklärungen verdeckte Ermittlungen angezeigt gewesen. Verdeckte Ermittlungen sind auf der Basis der heutigen gesetzlichen Bestimmungen nicht zulässig. In einem Fall führten die Abklärungen der ABS zu einer Strafanzeige. Der Einsatz von Sozialinspektor/-innen ist ein ergänzendes Element, um Missbräuchen in der Sozialhilfe vorzubeugen. Einführung von systematischen, periodischen Anspruchsüberprüfungen auf Sozialhilfe: Ab Frühjahr dieses Jahres wird als vorläufig letztes zentrales Element in der ganzen Kette von Massnahmen die so genannte systematische, periodische Anspruchsüberprüfung eingeführt. Bei dieser jährlichen Überprüfung geht es darum, an Hand von vorbestimmten Dokumenten wie z.b. Kontoauszügen und einer Selbstdeklaration den weiteren Anspruch auf Sozialhilfe zu überprüfen. Wegweisend bei der Etablierung der heutigen Praxis waren die von der SKOS und dem BKSV entwickelten Standards, der Austausch von Fachinformationen mit anderen Sozialdiensten, eigene Erkenntnisse und die politischen Vorgaben. Eine konsequente, korrekte Linie im Bereich der Prävention von Sozialhilfemissbrauch dient den Interessen der ehrlichen, armutsbetroffenen Klient/-innen, dem Berufsstand der Sozialarbeiter/-innen und nicht zuletzt dem Gemeinwesen. Eine 100%-ige Si-

6 cherheit, dass Sozialhilfemissbrauch mit den heutigen Mitteln unterbunden werden kann, gibt es allerdings nicht und der Aufwand in diesem Bereich geht zu einem grossen Teil zu Lasten der Kernaufgabe der Sozialen Arbeit. 3. WAS KÖNNEN INDIZIEN FÜR MISSBRAUCH SEIN? WIE HABEN SIE/IHRE MITARBEI- TER VERDACHT GESCHÖPFT? Unvollständige Angaben im Anmeldeformular, unvollständige Abgabe von eingeforderten Unterlagen während dem Intakeprozess Unstimmigkeiten bei den Verfügungen für Stipendien im Vergleich zu den vorhandenen Informationen Unstimmigkeiten in den Steuerunterlagen (Steuerklärung, definitive Steuerveranlagung, Steuerrechnung) im Vergleich zu den vorhandenen Informationen Wiederholte schlechte Erreichbarkeit per Telefon Wiederholte nicht wahrgenommene Besprechungstermine Bauchgefühl / Intuition der Sozialarbeiter/-innen Nichtbefolgen von mündlichen und schriftlichen Vereinbarungen / Weisungen Nichtantritt von Beschäftigungs- oder Integrationsmassnahmen Nichtdeklarierte Lohneinnahmen bei Überprüfungen von AHV-Kontoauszügen Besitz eines Motorfahrzeugs das den Sozialen Diensten gegenüber nicht angegeben wurde Keine Reaktion auf Zurückbehalten des Lebensunterhalts wegen Nichterscheinens an einem Besprechungstermin oder nicht abgegeben Unterlagen Auffälligkeiten auf Bank- und PC-Kontoauszügen Anonyme oder namentliche Hinweise von Dritten Inkaufnehmen von verhältnismässig hohen Budgetkürzungen wegen Mietzinskürzungen auf die vorgeschriebenen Limiten oder Autobesitz, obwohl die Sozialhilfe keine Beiträge an die Fahr- und Unterhaltskosten bezahlt Massive Überschuldung und damit wegen drohenden Beitreibungen keine Motivation/kein Antrieb mehr, um von der Sozialhilfe wegzukommen 4. WIE GEHEN SIE GENAU BEI EINEM VERDACHT VOR? Es gibt verschiedene Optionen. Wir gehen bei der Beantwortung dieser Frage eher von der engeren Definition von Missbrauch, also von unwahren Angaben oder allenfalls Betrug der Sozialhilfebeziehenden, aus. Bei einem Verdacht werden die vorlie-

7 genden Indizien mit der Bereichsleitung Sozialhilfe besprochen und ein Abklärungsauftrag für die Sozialinspektor/-innen formuliert. Dieser Abklärungsauftrag wird von der Bereichsleitung Sozialhilfe und der Abteilungsleitung der Sozialen Diensten Nidau unterschrieben. Die weiteren Optionen sind: Auswertung von anonymen und namentlichen Hinweisen von Dritten: Die Klient/-innen werden mit möglichen Indizien im Rahmen eines rechtlichen Gehörs konfrontiert. Ist die Sachlage unbestritten und liegt ein Missbrauch vor, wird eine Rückerstattungsvereinbarung unterzeichnet, eine Kürzungsverfügung wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht erlassen oder/und eine Strafanzeige eingereicht. Regelmässige Besprechungen und damit eine grössere indirekte Kontrolle. In solchen Gesprächen kann ein Verdacht oder ein ungutes Gefühl der Sozialarbeiterin / des Sozialarbeiters auch direkt angesprochen werden. Anmeldung in einem Integrations- oder Beschäftigungsprogramm zu Testzwecken: Geht ein zugewiesener Klient / eine zugewiesene Klientin anschliessend regelmässig in das zugewiesene Programm, kann in den meisten Fällen davon ausgegangen werden, dass die betreffenden Sozialhilfeempfänger/-innen keiner nichtdeklarierten Erwerbstätigkeit gegenüber den Sozialen Diensten nachgehen. Kontrolle der AHV-Kontoauszüge / Bankkonto- und Postcheckkontoauszügen: Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt uns, dass die meisten Fälle von unrichtigen Angaben und Betrug gegenüber den Sozialen Diensten, durch die Kontrolle der AHV-Kontoauszüge aufgedeckt werden konnten. Durch diese Kontrolle ist es den Sozialen Diensten möglich, allenfalls nicht deklarierte Erwerbseinkommen der vergangenen Jahre zu erkennen. Nachteil dieser Kontrolle ist, dass durch Schwarzarbeit erworbenes Einkommen auf diesen Auszügen selbstverständlich nicht erfasst ist. 5. WIE IST DAS FÜR DEN/DIE SOZIALBERATER/-IN, EINEN VERDACHT AUF SOZIALMISS- BRAUCH IN IHREN DOSSIERS ZU ENTDECKEN? Ein solches Ereignis löst in jedem Fall eine Fülle von belastenden, unguten Gefühlen und Fragen bei den Sozialarbeiter/-innen hervor. Diese Gefühle können das Vertrauen in die Sozialhilfebeziehenden und teilweise in den Sinn der Arbeit auf einem öffentlichen Sozialdienst erschüttern. Es ist dann die herausfordernde Aufgabe jedes Einzelnen, des Teams und der Leitung ein Gleichgewicht zwischen gesunder Skepsis und Vertrauen im Verhältnis zu den Klient/-innen in der Sozialhilfe zu schaffen und zu erhalten. Unmittelbar nach dem Aufdecken eines Missbrauchs können folgende Gefühle aufbrechen: Wut, Frustration, Ambivalenz Wut und Erschütterung darüber, dass eine Minderheit von Sozialhilfebeziehenden durch ihr inakzeptables Verhalten das System des letzten Auffangnetzes dermassen herausfordern und ein Stück weit zerstören, dass grosse

8 zeitliche Investitionen zu Lasten der Kernaufgabe der Sozialen Arbeit gemacht werden müssen Erschütterung des Menschenbildes. Wie weit kann ich den Klient/-innen überhaupt noch vertrauen? Gefühl des Hintergangenseins Hätte ich es vorher merken können oder merken müssen? Reichen unsere bisherigen Massnahmen aus? Was sind die Gründe die zum Missbrauch führen und was muss die Soziale Arbeit noch unternehmen, um den Missbrauch weiter einzudämmen? 6. WAS TUN DIE SOZIALEN DIENSTE, WENN SICH DER VERDACHT ERHÄRTET? Nach den erfolgten Abklärungen der ABS wird der Bericht und die empfohlenen Massnahmen gemeinsam mit der Bereichsleitung Sozialhilfe analysiert. Haben sich die Verdachtsmomente durch den Einsatz der Sozialinspektor/-innen weiter erhärtet oder liegen eindeutige Fakten vor, werden die Sozialhilfebeziehenden zu einem rechtlichen Gehör eingeladen und mit den Resultaten im direkten Gespräch konfrontiert. Dieses Gespräch wird protokolliert und von beiden Seiten unterschriftlich bestätigt. Gemäss den Vorgaben für den Fachbereich Sozialhilfe werden die Resultate der Abklärungen der Sozialinspektorinnen höher gewichtet als die Aussagen der Klient/-innen und der interne Rechtsdienst hat schlussendlich die Aufgabe, eine Verfügung zu formulieren. In allen anderen Dossiers wo sich der Verdacht ohne die Abklärungen der ABS erhärtet hat, gilt folgendes Vorgehen: Durchführung eines rechtlichen Gehörs Erstellung einer Rückerstattungsverpflichtung oder Rückerstattungsverfügung Einreichung einer Strafanzeige, allenfalls in Kombination mit einer Privatklage Nidau, März 2010 Soziale Dienste Nidau Andreas von Wartburg Stellenleiter Christoph Graf, Leiter Fachbereich Sozialhilfe