Geschichtlicher Überblick. Mathematische Logik. Vorlesung 2. Alexander Bors. 6. März A. Bors Logik

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Transkript:

Geschichtlicher Überblick Mathematische Logik Vorlesung 2 Alexander Bors 6. März 2017 1

Geschichtlicher Überblick Überblick 1 Geschichtlicher Überblick (Quelle: Hoffmann, pp. 13 66) Zu Russells Werk Zu Zermelo und Fraenkels Werk 2

Die Russellsche Antinomie Der britische Philosoph und Mathematiker Bertrand Russell (1872-1970) schrieb 1902 einen Brief an Gottlob Frege, der dessen Arbeit an den Grundgesetzen der Arithmetik, und damit sein Lebenswerk, erschüttern sowie die gesamte Mathematik in eine Grundlagenkrise stürzen sollte. Russell hatte erkannt, dass ein bestimmtes Grundprinzip sowohl von Freges Logik als auch von Cantors Mengenlehre widersprüchlich ist. Es handelt sich dabei um das allgemeine Komprehensionsaxiom: Zu jeder durch eine logische Formel ϕ(x) in einer Variablen ausdrückbaren Eigenschaft gibt es eine Menge, welche gerade jene Objekte als Elemente enthält, die die Eigenschaft erfüllen. Formal: y x : (x y ϕ(x)). 3

Die Russellsche Antinomie cont. Erinnerung: Cantor hatte gezeigt, dass eine Funktion f : M P(M) nie surjektiv sein kann, da etwa M f := {x M x / f (x)} nicht im Bild von f liegen kann. Die Idee hinter der Definition von M f ist ein Diagonalargument: Wähle M f gerade so, dass es sich, für jedes x M, bezüglich dem Enthalten von x genau anders herum verhält wie f (x) (formal: x M f x / f (x)). Russells Idee, einen Widerspruch aus dem allgemeinen Komprehensionsaxiom abzuleiten, ist im Prinzip die gleiche Idee: Nutze das Axiom, um eine Menge M zu definieren, die sich, für jede Menge M, in einem bestimmten Punkt, nämlich in der Frage, ob M in ihr enthalten ist, anders verhält als M selbst. 4

Die Russellsche Antinomie cont. Konkret heißt das: M ist die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst als Element enthalten; formal ist, um die Existenz von M abzuleiten, lediglich ϕ(x) im allgemeinen Komprehensionsaxiom als x / x zu wählen. Damit gilt also für alle Mengen x: x M genau dann, wenn x / x. Da auch M eine Menge ist, folgt insbesondere (mit x := M): M M genau dann, wenn M / M, was unsinnig ist. Diese widersprüchliche Konstruktion ist als die Russellsche Antinomie berühmt geworden. Russell selbst hat das Ganze für LaiInnen auch mit dem Barbier-Paradoxon erklärt. 5

Die Russellsche Antinomie cont. Schon vor der Entdeckung der Russellschen Antinomie waren Widersprüche in der naiven Mengenlehre entdeckt worden: Cantor (1897): Die Menge aller Kardinalzahlen ist ein widersprüchliches Objekt. Burali-Forti (1897), Cantor (1899): Die Menge aller Ordinalzahlen ist ein widersprüchliches Objekt. Diese waren aber eher als Kuriositäten, resultierend aus dem unzulässigen, da informellen, Gebrauch verschiedener Begriffe, angesehen worden. Für Frege war die Russellsche Antinomie ein schwerer Schlag, der sein ganzes Lebenswerk zunichte machte. Er verfiel in tiefe Depressionen, zog sich aus der Wissenschaft zurück und starb 1925 als verbitterter Mann. 6

Die Principia Mathematica Russell griff Freges Traum von einem soliden formalen Fundament für die Mathematik auf. Er war überzeugt, dass sich die Idee retten lässt, wenn man bei den Regeln für die Konstruktion von Mengen vorsichtiger ist. Gemeinsam mit dem britischen Mathematiker Alfred Whitehead arbeitete er zehn Jahre intensiv und publizierte schließlich sein mathematisches Lebenswerk: die Principia Mathematica, erschienen in drei Bänden zu insgesamt über 1800 Seiten. Das mengentheoretische Fundament in den Principia Mathematica ist die so genannte Typentheorie, die alle zulässigen Mengen hierarchisch ordnet. 7

Zur Typentheorie In der Typentheorie geht man zunächst von einem gegebenen Individuenbereich aus, dessen Elemente ( Individuen ) alles keine Mengen sind. Die unterste Stufe von Mengen in der Typenhierarchie sind die Typ-1-Mengen, welche sich nur aus Individuen zusammensetzen. Als nächstes kommen die Typ-2-Mengen, welche Individuen und Typ-1-Mengen als Elemente haben dürfen. Allgemein dürfen Typ-n-Mengen nur Objekte von geringerem Typ enthalten (Individuen gelten als Objekte von Typ 0). Letztlich hat sich die Typentheorie als Grundlage der Mathematik nicht durchgesetzt. Zwei Gründe: Sie schränkt den Mengenbegriff zu stark an; viele harmlose Mengen lassen sich darin nicht bilden. Durch die Typen-Partitionierung von Mengen werden Beweise meist recht umständlich. 8

Historisches zur Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre Ernst Zermelo (1871-1953), deutscher Mathematiker, und Abraham Fraenkel (1891-1965), deutsch-israelischer Mathematiker. Zermelo publizierte 1908 einen Vorschlag für eine axiomatische Mengenlehre in Form von insgesamt 7 Axiomen (von denen im Laufe der Zeit eines in zwei Axiome aufgespaltet wurde), alle umgangssprachlich formuliert. Die daraus resultierende Mengenlehre heißt Zermelo-Mengenlehre und wurde 1929 von Thoralf Skolem formalisiert. Selbst die Zermelo-Mengenlehre ist noch zu konservativ (es lassen sich nicht alle Mengen bilden, die man gerne bilden möchte). Fraenkel, 1922: Ersetzungsaxiom hinzugefügt. Zermelo, 1930: Fundierungsaxiom hinzugefügt. 9

Historisches zur Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre cont. Insgesamt wurden also aus heutiger Sicht im Laufe der Zeit 8 + 2 = 10 Axiome für die Mengenlehre von Zermelo und Fraenkel vorgeschlagen. Unter den ursprünglichen Axiomen der Zermelo-Mengenlehre war auch das nicht ganz unumstrittene Auswahlaxiom, das heute nicht mehr zur Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre, ZF, gezählt wird. ZF besteht also aus 9 Axiomen, die im Folgenden in umgangssprachlicher Formulierung aufgelistet werden, und ZFC, die Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre mit Auswahlaxiom ergibt sich aus ZF durch Hinzunahme des Auswahlaxioms. Wir merken an, dass in den von Zermelo und Fraenkel vorgeschlagenen Theorien das Universum, also die Grundgesamtheit aller betrachteten Objekte, nur aus Mengen besteht. Insbesondere sind auch die Elemente einer Menge immer selbst Mengen. 10

Axiome von ZF Axiom 1.5.1 (Extensionalitätsaxiom, ursprünglich Axiom der Bestimmtheit, Zermelo, 1908) Zwei Mengen sind genau dann gleich, wenn sie die gleichen Elemente enthalten. Die Information, welche Objekte (d.h., Mengen) eine Menge als Elemente enthält, genügt also, um die Menge als Objekt des Universums eindeutig zu identifizieren. Damit wird die Gleichheit von Mengen auf die Element-Relation zurückgeführt: Für Mengen M und N gilt M = N genau dann, wenn für alle (Mengen) x gilt: x M genau dann, wenn x N. 11

Axiome von ZF cont. Axiom 1.5.2 (Axiom der leeren Menge, Zermelo, 1908) Es gibt eine leere Menge, also eine Menge, welche keine Elemente enthält. Man beachte, dass es nach dem Extensionalitätsaxiom auch nur höchstens eine solche Menge gibt. Wir können also von der leeren Menge, bezeichnet mit, sprechen. Das Axiom der leeren Menge ist ein Teil des von Zermelo urspünglich formulierten Axioms der Elementarmenge. Der zweite Teil dieses Axioms ist das, was man heute als Paarmengenaxiom bezeichnet, siehe Axiom 1.5.3. Axiom 1.5.2 ist redundant, d.h., es folgt aus den anderen ZF-Axiomen (siehe etwa das Unendlichkeitsaxiom, Axiom 1.5.6) und könnte somit auch weggelassen werden. 12

Axiome von ZF cont. Axiom 1.5.3 (Paarmengen-Axiom, Zermelo, 1908) Für alle (Mengen) a und b gilt: Es gibt eine Menge, welche a und b als Elemente enthält, und sonst keine anderen Elemente. Die (nach Axiom 1.5.1 eindeutig bestimmte) Menge, von der in Axiom 1.5.3 die Rede ist, wird auch als Paarmenge zu a und b bezeichnet, notiert {a, b}. Im Fall a = b spricht man auch vom Singleton zu a und schreibt statt {a, a} kürzer {a}. Entsprechend gilt auch: Sind a 1,..., a n beliebige Mengen, so gibt es eine Menge, welche diese und nur diese als Elemente enthält, notiert {a 1,..., a n }. Das ist aber in dieser Allgemeinheit kein Axiom mehr, sondern bereits ein (einfacher) Satz, der aus den Axiomen abgeleitet werden kann (sh. die Übungen). 13

Axiome von ZF cont. Axiom 1.5.4 (Vereinigungs-Axiom, Zermelo, 1908) Zu jeder Menge M existiert die so genannte Vereinigung über M, notiert M. Das ist die Menge, welche exakt aus den Elementen von Elementen von M besteht. Beispiel: Die Vereinigung über {a, b}, also {a, b}, besteht gerade aus den Elementen von a und den Elementen von b. Sie wird auch als Vereinigung von a und b bezeichnet und a b notiert. 14

Axiome von ZF cont. Axiom 1.5.5 (Aussonderungs-Axiom, Zermelo, 1908) Es sei Φ(x) eine Formel der Mengenlehre in einer freien Variablen x. Dann gilt: Zu jeder Menge M gibt es eine Menge, welche gerade aus jenen Elementen von M besteht, die, in Φ(x) eingesetzt, eine wahre Aussage ergeben. Hier kommen ein paar Begriffe vor, die erst später genauer definiert werden. Grob gesagt: Φ(x) drückt eine formal definierte Eigenschaft von Mengen aus. Nachdem man für die freie Variable x eine Menge eingesetzt hat, wird sie zu einer konkreten Aussage, die im Mengenuniversum wahr oder falsch ist. Die Menge, deren Existenz in Axiom 1.5.5 behauptet wird, wird normalerweise so notiert: {x M Φ(x)}. 15

Axiome von ZF cont. Axiom 1.5.6 (Unendlichkeits-Axiom, Zermelo, 1908) Es gibt eine Menge, welche eine (die) leere Menge als Element enthält sowie mit jedem ihrer Elemente a auch die Menge {a}. Jede Menge, welche die Eigenschaften aus Axiom 1.5.6 erfüllt, muss also als Element haben, und damit auch { }, und damit auch {{ }}, und so weiter. Es ist somit intuitiv klar, dass jede solche Menge unendlich sein muss (man beachte allerdings, dass wir erst einmal definieren müssten, was das überhaupt heißt). In der modernen Mengenlehre wird aus praktischen Gründen meist eine leicht modifizierte Version dieses Axioms verwendet. 16

Axiome von ZF cont. Axiom 1.5.7 (Potenzmengen-Axiom, Zermelo, 1908) Zu jeder Menge M gibt es eine Menge, deren Elemente gerade die Teilmengen von M sind, also jene N, sodass jedes Element von N auch ein Element von M ist. Die Menge aus Axiom 1.5.7 ist natürlich gerade die Potenzmenge von M, notiert P(M). 17

Axiome von ZF cont. Axiom 1.5.8 (Ersetzungs-Axiom, Fraenkel, 1922) Es sei Φ(x, y) eine Formel der Mengenlehre in zwei freien Variablen x und y. Ist dann M eine Menge, und gibt es zu jedem x M genau ein y, sodass Φ(x, y) gilt, so gibt es eine Menge, deren Elemente gerade jene zu den einzelnen x M passenden y sind. Die Intuition dahinter ist die: Φ(x, y) definiert auf M eine Funktion f, nämlich jene, welche x M auf das passende y abbildet. Axiom 1.5.8 stellt dann sicher, dass das Bild dieser Funktion als Menge existiert. 18

Axiome von ZF cont. Axiom 1.5.9 (Fundierungs-Axiom, Zermelo, 1930) Jede nichtleere Menge besitzt ein zu ihr disjunktes Element. Etwas formaler: Ist x, so gibt es ein y x, sodass kein z y auch ein Element von x ist. Im Gegensatz zu den anderen angeführten Axiomen mutet Axiom 1.5.9 Menschen, die zum ersten Mal damit konfrontiert werden, meist befremdlich an. Mit dem Axiom möchte man verhindern, dass es unendliche absteigende Ketten von Mengen gibt, also so etwas wie x 0 x 1 x 2. Wir werden später sehen, dass dies sogar äquivalent zu Axiom 1.5.9 ist. Es erfordert aber etwas Arbeit, erst einmal zu definieren, was eine unendliche absteigende Kette überhaupt ist; die obige Formulierung kommt ohne viel Vorarbeit aus. 19

Das Auswahlaxiom Axiom 1.5.10 (Auswahl-Axiom, Zermelo, 1908) Es sei M eine Menge, deren Elemente paarweise disjunkt und nichtleer sind. Dann gibt es eine Auswahlmenge zu M, d.h., eine Teilmenge von M, welche mit jedem Element von M genau ein Element gemeinsam hat. Folgende Menge ist z.b. eine Auswahlmenge zu {{1, 2, 3}, {π}, { 2, 25, 3}}: {2, π, 2}. Sie wählt also sozusagen aus jeder der Mengen genau ein Element aus. Das Auswahl-Axiom erlaubt uns, beliebig (auch unendlich) viele willkürliche Wahlen auf einmal zu treffen, durch Fixierung einer Auswahlmenge. Es ist nicht ganz unumstritten. Zwar ist es für viele als wichtig angesehene Konstruktionen unabdingbar, doch hat es auch einige skurrile Konsequenzen (mehr dazu später). 20

Abschließende Bemerkungen zur Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre Die Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre mit Auswahlaxiom wird heute von den meisten MathematikerInnen als formales Fundament der Mathematik angesehen. In diesem Sinne spielt sich die gesamte Mathematik in ihr ab, und die Arbeit eines/r MathematikerIn besteht darin, aufbauend auf den Axiomen und bereits daraus abgeleiteten Sätzen weitere Sätze abzuleiten. Es gibt allerdings (neben der Typenhierarchie) auch modernere Alternativen, wie zum Beispiel die Kategorientheorie, die aber sehr abstrakt ist. Das Ziel von Zermelo und Fraenkel war es ja, ein sicheres Fundament zu schaffen, in dem man keine Widersprüche mehr ableiten kann. Ist ihnen das gelungen? 21

Abschließende Bemerkungen zur Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre cont. Bis heute hat niemand einen Widerspruch aus den Axiomen von Zermelo und Fraenkel ableiten können, was aber natürlich nicht heißt, dass es keinen gibt. Es folgt aus dem zweiten Gödelschen Unvollständigkeitssatz, dass wir auch nie wissen werden, ob die Axiome widersprüchlich sind oder nicht (sofern sie es nicht sind, denn ansonsten ist es natürlich prinzipiell möglich, den Beweis eines Widerspruches zu finden). Mehr dazu in der nächsten Vorlesungs-Einheit. 22