Konzept. Geschlechtssensible Pädagogik. erstellt von. DSP Esther Themel und Antonia Nieberle M.A.

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Transkript:

Konzept Geschlechtssensible Pädagogik erstellt von DSP Esther Themel und Antonia Nieberle M.A. August 2016 1

Inhalt Einleitung... 3 Begriffsklärung... 3 Geschlechtssensible Pädagogik Umsetzung in der stationären Jugendwohlfahrt... 4 Auseinandersetzung mit theoretischen Grundlagen... 4 Sensibilisierung von Beobachtung und Wahrnehmung... 5 Gleichstellung beginnt bei den PädagogInnen... 5 Beobachtungen der Gruppe... 7 Bereitschaft zur Veränderung... 9 Gleichbehandlung (un)möglich?... 10 Interaktion... 10 (Haus-) Arbeit und Berufsorientierung... 12 Geschlechterorienterung der Pädagoginnen... 14 2

EINLEITUNG Geschlechtssensible Pädagogik geht davon aus, dass die Geschlechtszugehörigkeit einer Person einer der wichtigsten Einflussfaktoren im Leben eines Menschen ist. Neben anderen Aspekten (z.b. ethnische Zugehörigkeit, Religion, sexuelle Orientierung) bestimmt die Kategorie Geschlecht Möglichkeiten und Chancen in vielen Bereichen des Lebens. Das Ziel geschlechtssensibler Pädagogik ist es, Mädchen wie Jungen zu ermöglichen, ein großes Spektrum an Interessen, Fähigkeiten und Verhaltensweisen zu entwickeln, das nicht durch geschlechtsspezifische Einschränkungen begrenzt wird. PädagogInnen müssen Kinder und Jugendliche darin unterstützen, alle Potenziale ihrer Persönlichkeit zu entwickeln, die sie zu kompetenten, fürsorglichen, sich-selbst-bewussten Erwachsenen werden lassen. BEGRIFFSKLÄRUNG Gender ist ein in den 1980er Jahren geprägter Begriff und weist eine hohe Relevanz für die pädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auf. Im Gegensatz zum biologischen Geschlechtsbegriff (Sex) beschreibt dieser die soziale und gesellschaftliche Seite des Geschlechts. Das Geschlecht hat eine soziale Dimension, deren Bedeutung in alltäglichen Handlungsprozessen hergestellt wird. Doing Gender ist ein Analyseansatz der Gender Studies, welcher Geschlecht (Gender) als ein Produkt performativer Tätigkeiten auffasst, und setzt sich damit von der Vorstellung des Geschlechts als einer starren Eigenschaft ab. Das Besondere am Konzept des Doing Gender ist der Ansatz, den eigenen Anteil an der Herstellung von Geschlechtlichkeit zu betonen. Gender gilt größtenteils nicht länger als eine interne Eigenschaft einer Person, wie das in Sozialisationstheorien der Fall ist, vielmehr wird der Blick auf Interaktionen gelenkt, in denen Gender dargestellt und wahrgenommen wird. 3

GESCHLECHTSSENSIBLE PÄDAGOGIK UMSETZUNG IN DER STATIONÄREN JUGENDWOHLFAHRT Mädchen und Jungen sollen nicht nach einem festgelegten Modell geformt werden. In der Auseinandersetzung mit theoretischen Grundlagen von geschlechtsspezifischen Sozialisationsprozessen müssen wir davon ausgehen, dass Mädchen und Jungen unterschiedliche Erfahrungen brauchen, um erweiterte Handlungsmöglichkeiten entwickeln zu können. PädagogInnen müssen mit geschlechtsspezifisch geschärftem Blick bisher nie hinterfragte Alltagsrealitäten ausleuchten. Es gilt, die Inhalte ihrer Arbeit in Bezug auf Mädchen und Jungen neu zu sehen. Voraussetzung dafür sind Analysekompetenz, Handlungskompetenz und die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Dazu brauchen sie: Auseinandersetzung mit theoretischen Grundlagen Sensibilisierung von Beobachtung und Wahrnehmung Bereitschaft zur Veränderung AUSEINANDERSETZUNG MIT THEORETISCHEN GRUNDLAGEN Eine intensive theoretische Auseinandersetzung mit dem Begriff Gender, sowie damit in Zusammenhang stehenden Sozialisationsprozessen, stellen die Grundbasis zur Durchführung einer geschlechtssensiblen Pädagogik dar. Ausgestattet mit den Theorien zur Geschlechtersozialisation und Geschlechterverhältnissen können PädagogInnen nun daran gehen, ihren Arbeitsalltag mit geschärftem Blick zu analysieren. Weiters ist eine stetige Bereitschaft zur Selbstreflexion nötig, um ein Bewusstsein über die eigenen Vorstellungen, Wirkungsweisen und persönlichen Sozialisationsprozessen zu schaffen. 4

SENSIBILISIERUNG VON BEOBACHTUNG UND WAHRNEHMUNG Mit der Genderperspektive zu arbeiten bedeutet, sich mit gesellschaftlichen Vorstellungen und pädagogischen Praktiken intensiv auseinanderzusetzen. Die Konstruktion von Geschlecht geschieht vor allem unbewusst und wird durch Verhaltensweisen, Normen und Einstellungen beeinflusst. Die Verantwortlichkeit für die Fähigkeiten und Rollen, die Mädchen und Jungen in Wohngemeinschaften erlernen können, liegt bei den PädagogInnen. GLEICHSTELLUNG BEGINNT BEI DEN PÄDAGOGINNEN Selbstbeobachtung ist Voraussetzung, um eigenen Bildern von Weiblichkeit und Männlichkeit auf die Spur zu kommen. Im Rahmen einer Reflexion von persönlichen Annahmen, Verhaltensweisen und Normen, stellen Sie sich folgende Fragen: Frauen- und Männerbilder Wie stelle ich mir eine typische Frau oder einen typischen Mann vor? In welchen Situationen fühle ich mich als Frau oder Mann wohl, und warum, glaube ich, ist das so? Würde ich mich als weiblich oder männlich bezeichnen und weshalb? Wie trete ich, bezogen auf mein Geschlecht, in der Wohngemeinschaft auf, gegenüber meinen KollegInnen, den Eltern und den Mädchen und Jungen? Was tue ich (als Frau, als Mann), wenn ich mitbekomme, dass Jungen Mädchen oder Kolleginnen mit sexuellen Sprüchen anmachen? 5

Ziele und Visionen in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse Was will ich für mein eigenes Leben erreichen bzw. verändern? Was möchte ich in meinem Beruf verändern bzw. erreichen, was für die Mädchen und Jungen in meiner Gruppe? Was soll sich gesellschaftspolitisch ändern? Was kann ich dazu beitragen? Eigene Prägung Welche Erfahrungen habe ich als Mädchen bzw. Junge gemacht? Welche Normen und Werte habe ich verinnerlicht? Übertrage ich unbewusst und ungewollt Aspekte meiner eigenen Erziehung und Sozialisation auf Mädchen bzw. Jungen in der Einrichtung? Welches sind Ihre Erwartungen in Hinblick auf Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen? Eigene Vorstellungen Welche Erwartungshaltungen gebe ich durch meine Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit an die Kinder und Jugendlichen weiter? Wo vergeschlechtliche ich Situationen oder Verhaltensweisen? Ist es mir egal, ob ich mit Mädchen oder Buben arbeite? 6

Eigenes Vorbild Welches Frauenbild/Männerbild verkörpere ich und gebe es als Vorbild an die Kinder und Jugendlichen der Wohngruppe weiter? Bei welchen Tätigkeiten können mich die Kinder beobachten? Wie löse ich Konflikte? Eigenes Sprachverhalten Verwende ich geschlechtergerechte Sprache oder die männliche Form als Norm und spreche Mädchen dadurch nicht an? BEOBACHTUNGEN DER GRUPPE Neben der Selbstbeobachtung, welche eine wichtige Grundvoraussetzung für eine geschlechtssensible Pädagogik darstellt, ist die Beobachtung der Kinder und Jugendlichen ein grundlegender Bestandteil der professionellen Arbeit von PädagogInnen. Wie viel Raum nehmen sich Mädchen/Jungen? Wer spricht viel und ausführlich? Wer hört und schaut gern und geduldig zu? Wer macht welche Tätigkeiten? Welche soziale Kompetenzen können bei Mädchen und bei Jungen festgestellt werden? 7

Wie selbständig sind Mädchen und Jungen beim erledigen von Alltagsaufgaben? Wer hilft anderen dabei? Wie reagieren Mädchen und Jungen in Konfliktsituationen? Wer zeigt sich wobei kompetent, wodurch? Wer traut sich was zu? Wer nicht? Wer steht in Teamsitzungen häufig im Mittelpunkt? Reden Pädagoginnen bzw. Pädagogen mit Mädchen anders als mit Jungen (Tonfall, Inhalt, Art)? Welches sind die eigenen Vorlieben der Pädagogin oder des Pädagogen in der sozialpädagogischen Arbeit? Freizeitaktivitäten vs. Wöchentlicher Zimmerputz mit KlientInnen? Reflexion von Alltagssituationen Wer trifft die Vorbereitungsarbeiten beim gemeinsamen Mittagessen Frauen/Männer Mädchen/Jungen? Wer kümmert sich um anfallende Reparaturen und kleine Instandsetzungen? Bei wem liegt die Verantwortlichkeit betreffend der Planung und Durchführung von Festen und Feiern innerhalb der Wohngemeinschaft? Wie lange dürfen Jugendliche ausgehen? Gibt es Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen? Sorge ich mich bei abgängigen Jugendlichen unterschiedlich? 8

Haltung der PädagogInnen bei Konflikten Wie geht es mir, wenn Kinder oder Jugendliche Konflikte austragen möchten? Kann ich das gut aushalten? Wie reagiere ich, wenn ich merke, dass Kinder oder Jugendliche einen Konflikt haben? Wie reagiere ich, wenn Jungen/Mädchen weinen? Wann kann ich das zulassen, wann nicht (z.b. bei körperlichen Verletzungen, bei seelischen Verletzungen,...)? Fällt es mir leichter, aggressive Verhaltensweisen bei Jungen zu tolerieren, als bei Mädchen? BEREITSCHAFT ZUR VERÄNDERUNG Kinder lernen vor allem durch die Modellfunktion der Erwachsenen, indem sie beobachten, welche Aufgaben Frauen bzw. Männer übernehmen, an welchen Orten sie sich aufhalten, wie sie sich bewegen, wie sie reden, wie sie miteinander kommunizieren, was sie von Mädchen bzw. von Jungen erwarten usw. Kinder und Jugendliche setzen sich dabei aktiv wenngleich nicht bewusst und insbesondere nicht reflektiert mit den sie umgebenden Geschlechterverhältnissen auseinander. Geschlechtssensible Pädagogik kann nur gelingen, wenn mehreres gleichberechtigt stattfindet: Reflexion und Veränderung von Einstellungen und des Verhaltens der Personen Veränderungen von Inhalten Veränderungen von Strukturen 9

GLEICHBEHANDLUNG (UN)MÖGLICH? Das Erkennen der aktiv handelnden eigenen Beteiligung von PädagogInnen ist eine der größten, aber notwendigsten Voraussetzungen für das Gelingen geschlechtssensibler Pädagogik. Hervorzuheben ist auch, dass das Wissen um eine unterschiedliche Haltung gegenüber Jungen und Mädchen nichts Defizitäres in der eigenen Professionalität darstellt. Es zeugt vielmehr von einem Bewusstsein der geschlechtsspezifischen eigenen Identität. Es kann helfen, im konkreten pädagogischen Alltag die Grenzen der eigenen Möglichkeiten zu kennen und Interventionen zu planen, die andere Haltungen und Identitäten ansprechen und beteiligen lassen. INTERAKTION Eines der größten Hindernisse für tatsächliche Gleichberechtigung von Jungen und Mädchen sind die unreflektierten alltäglichen Konstruktionen von sozialem Geschlecht durch Interaktionen von PädagogInnen und Mädchen und Jungen. Die folgende Aufzählung beinhaltet eine Checkliste für eine nicht-diskriminierende Sprache: Sprechen Sie wenn beide Geschlechter gemeint sind - von Mädchen und Jungen. Nennen Sie häufig die Mädchen an erster Stelle. Verwenden Sie weibliche Personenbezeichnungen: Pädagogin, Mitarbeiterin etc. Ersetzen Sie das geläufige Pronomen jeder, der durch alle, die, oder sagen Sie jede und jeder, geschlechtsneutral kann das Pronomen jeder nämlich nicht verwendet werden! Setzen Sie sich über festgeschriebene Grammatikregeln hinweg, denn es gibt keinen Grund, falsche, aber grammatikalisch richtig befundene Sätze endlos zu reproduzieren. 10

Es ist geschlechtslos. Von einem Mädchen als es zu sprechen, gilt als überholt. Achten Sie auf Konsequenz: statt: Mitarbeitergespräche Beurteilungsgespräch, Qualifikationsgespräch, Mitarbeiterinnen- und Mitarbeitergespräch, statt: Fußgänger- streifen Zebrastreifen Vermeiden Sie diskriminierende geschlechtlich konnotierte Bezeichnungen bzw. Aussagen (z.b. Heulsuse, Karrierefrau, Pantoffelheld) Verzichten Sie auf ausschließlich Jungen/Männer bezeichnende Worte (Mannschaft, Fahrgast, Weihnachtsmann). Verwenden Sie positive Identifikationsmöglichkeiten für Jungen und Mädchen (Torfrau, etc.) Vermeiden Sie sexistische Sprache. Beispiele: statt Hausfrauenpflicht: Hausarbeit; das schwache Geschlecht: das weibliche Geschlecht. Verwenden Sie die zahlreichen Möglichkeiten, geschlechtergerecht zu formulieren, indem Sie o weibliche und männliche Formen nennen (Wir suchen noch ein Mädchen oder einen Jungen für das Fußballturnier). o die Schrägstrichschreibung verwenden (unsere Schule esu hen Schüler/innen.). o das Binnen-I verwenden (Alle PädagogInnen treffen sich morgen ab 14 Uhr zu einer Planungssitzung.). 11

o geschlechtsneutrale Formulierungen verwenden (Die Zahl der Teilnehmenden ist im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, etc.) o auf Kongruenz achten (Die Gemeinde Wien ist die größte Trägerin von Kindertagesheimen, etc.). Weitere Vorschläge, um das Kommunikationsverhalten zwischen BetreuerInnen und Mädchen und Jungen zu analysieren: Wie spreche ich mit Mädchen und Jungen? Spreche ich mit Mädchen in einem anderen Tonfall als mit Jungen lieblich, eher sachlich? Wer spricht mehr und öfter? Jungen? Mädchen? Wessen Reden bekommen mehr Raum innerhalb der Gruppe? (HAUS-) ARBEIT UND BERUFSORIENTIERUNG Gerade am Beispiel der Hausarbeit zeigt sich die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern und deren ungleiche gesellschaftliche Bewertung. Soziale Kompetenzen, Fürsorge, Beziehungsarbeit, Sich-Kümmern um das Wohlergehen anderer, Kochen und Ernährung, etc.: all das sind Qualifikationen für Hausarbeit, welche die meisten Mädchen wie selbstverständlich erlernen sollen, Jungen jedoch weniger. Im Sinne einer Erziehung zur Gleichberechtigung müssen diese Fähigkeitsbereiche aufgewertet und auch Jungen das Einüben in diese Tätigkeiten ermöglicht und abverlangt werden. Der Arbeitsbegriff in seiner herkömmlichen Verständnisweise trägt dazu bei, Hierarchien zu erhalten. Die Einschränkung auf außerhäusliche Erwerbsarbeit soll im Bewusstsein der PädagogInnen und in der Bearbeitung mit den Kindern und Jugendlichen differenziert und ausgeweitet werden auf die vielfältigen Formen der gesellschaftlich notwendigen Arbeiten, wozu auch unbezahlte Versorgungs- und Beziehungsarbeit, ehrenamtliche Tätigkeiten usw. zählen. 12

Weiters ist festzustellen, dass Mädchen und Jungen oft kaum Vorstellungen von Berufen haben. Deshalb könnte der Einstieg ins Thema Arbeit und Beruf über das Arbeitsfeld Hausarbeit erfolgen. Schließlich ist diese allen Kindern und Jugendlichen mehr oder weniger aus eigenen Erfahrungen und eigenem Erleben vertraut. Darauf aufbauend können die bereits bestehenden beruflichen Vorbilder der Mädchen und Jungen mit neuen, auch untypischen Vorstellungen und Visionen erweitert werden. Leitfragen zum Thema Arbeit: Werden Mädchen ermuntert, verantwortliche Positionen zu übernehmen, werden sie bestärkt darin Entscheidungen zu treffen und ihre eigenen Interessen zu vertreten? Können Mädchen eine befriedigende Vorstellung als berufstätige Frau entwickeln? Wird Jungen die Verantwortung für Reproduktionsarbeit nahegebracht und werden ihnen die diesbezüglichen Kenntnisse und Fertigkeiten beigebracht? Werden Jungen in hauswirtschaftlichen Belangen gefördert? Wird Erziehung als Männer- und Frauenarbeit gesehen? Wird geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bewusst gemacht? Werden Mädchen und Jungen für eine ausgewogene Aufteilung beruflicher, familiärer und gesellschaftlicher Pflichten zwischen Männern und Frauen sensibilisiert? Langfristig kann sich die geschlechtsspezifisch geteilte Arbeitswelt nur verändern, wenn einerseits Mädchen ein erweitertes Berufswahlspektrum aktiv nützen, andererseits Jungen 13

bzw. Männer ihre Verantwortung für gesellschaftlich relevante Beziehungs-, Versorgungs- und Betreuungsarbeit wahrnehmen und übernehmen. GESCHLECHTERORIENTERUNG DER PÄDAGOGINNEN Betrachtet man all diese Aspekte unter dem Blickwinkel, dass für eine positive Entwicklung der Kinder und Jugendlichen eine gelingende Primärbeziehung von Nöten ist, taucht die Frage der Geschlechterorientierung der PädagogInnen auf. Vor allem in der stationären Jugendwohlfahrt von Kindern und Jugendlichen gilt es, Frauen und Männer gleichermaßen als Bezugspersonen zur Verfügung zu stellen. Vor allem für Jungen ist eine männliche Person, mit der sie sich identifizieren können, von großer Bedeutung für den Reifungsprozess. Für Mädchen hingegen stellen weibliche Bezugspersonen wichtige Vorbilder dar. Auftrag der stationären Einrichtungen für Kinder und Jugendliche ist es hier, geschlechtshomogene und gemischtgeschlechtliche Angebote zu entwickeln, die speziell auf die Problemlagen von Jungen und Mädchen ausgerichtet sind. Ebenfalls benötigen solche Einrichtungen Strukturen, die den Abbau von Geschlechterhierarchien und Rollentypisierungen fördern und zugleich die Gleichbehandlung der Geschlechter fokussiert. 14