Chronisch entzündliche Darmerkrankun gen bei Kindern und Jugendlichen: Was ist los im entzündeten Darm? Prof. Dr. med. Rolf Behrens Unter chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) versteht man den Morbus Crohn (MC), die Colitis ulcerosa (Cu) und die Dickdarmentzündung, bei der nicht exakt zwischen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa unterschieden werden kann (IC). Obwohl alle drei Krankheiten unter dem Begriff der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen zusammengefasst werden, unterscheiden sie sich doch in verschiedenen Punkten. Morbus Crohn Der Morbus Crohn erhielt seinen Namen nach dem Beschreiber B. C. Crohn, einem Arzt in New York, der vor über 70 Jahren erstmals eine Entzündung im Übergang von Dünn- zu Dickdarm beschrieben hat. Daraus entstand die Bezeichnung Ileitis terminalis Crohn. In der Zwischenzeit weiß man aber, dass der Morbus Crohn den gesamten Magendarmtrakt von den Lippen bis zum After befallen kann. Daher wurde die alte Bezeichnung Ileitis terminalis ersetzt durch den Namen Morbus Crohn (Morbus, lat. für Krankheit). In diesem Zusammenhang muss das oben genannte Thema erweitert werden, da der Morbus Crohn eben nicht nur den Darm, sondern auch den übrigen Verdauungstrakt betreffen kann. Eine weitere Besonderheit des Morbus Crohn besteht darin, dass zwischen entzündeten Anteilen des Verdauungstrakts auch gesunde Bereiche liegen können, man spricht von einem diskontinuierlichen Befall. 10
Die Entzündung kann die Innenschicht (Schleimhaut) des Darmes bzw. des ober en Magendarmtrakts befallen, sich aber auch auf die ganze Wand ausdehnen (transmurale Entzündung) und diese sogar vollständig durchdringen. Daraus entstehen die bekannten Fisteln, in deren Folge sich häufig auch Abszesse bilden. Zusätzlich kann die Entzündung in der Darmwand selbst stärker ausgeprägt sein als in der Schleimhaut (dysproportionierte Entzündung). Dies ist hinsichtlich der Unterscheidung zur Colitis von Bedeutung (s.u.). Grundsätzlich werden Entzündungen vom Körper in der Form repariert, dass das kranke Gewebe abgebaut wird. So können Defekte in der Schleimhaut entstehen, die je nach Ausdehnung in die Tiefe der Darmwand als Erosion oder Aphthe (oberflächlich) oder als Geschwür (Ulkus, in die Tiefe reichend) bezeichnet werden. Wenn im Extremfall ein Ulkus die ganze Wanddicke betrifft, kommt es zu einem Darmdurchbruch (Perforation). Dies ist allerdings nur selten der Fall. In der eigenen Erfahrung mit zirka 400 Crohn-Patienten haben wir dies in fast 30 Jahren bislang nur einmal beobachten müssen. Während die Aphthen kreisrund sind (wir alle kennen dies aus der Mundhöhle, wo sie auch ohne Crohn auftreten und sehr schmerzhaft sein können), gibt es bei den Geschwüren sehr unterschiedliche Ausprägungen. Man spricht unter anderem von bizarren oder Landkarten-artigen Geschwüren (Ulcera, siehe Abb. 1), tief ausgestanzten Ulcera (Abb. 2), streifenförmigen Ulcera (Schneck enspurulcera, Abb. 3) oder scharf eingeschnittenen Ulcera (fissura le Ulcera, Abb. 4). Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und die undifferenzierte Colitis werden unter dem Begriff der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) zusammengefasst, sie unterscheiden sie sich aber in verschiedenen Punkten (wie Symptome, Befallsmuster), die in diesem Beitrag erläutert werden. Grundsätzlich äußern sich CED im Magendarmtrakt bei erwachsenen und pädiatrischen Patienten in gleicher Weise. Wesentliche Unterschiede bestehen jedoch darin, dass die Krankheitsaktivität bei Kindern und Jugendlichen in der Regel deutlich ausgeprägter und die Ausdehnung des Befalls größer ist. Hinzu kommen spezifisch pädiatrische Besonderheiten wie die Mitbetreuung der Familie, die vor allem mit dem Crohn verbundenen Wachstums störungen usw. 11
Auch die Beschwerden sind von der Ausdehnung der Veränderungen abhängig. Während Erosionen nur Schmerzen verursachen, können Geschwüre darüberhinaus auch zu Blutungen führen, da sie die Wandschicht unterhalb der Schleimhaut befallen, in der die Blutgefäße verlaufen. Schleimbeimengungen zum Stuhlgang sind dagegen eine allgemeine Reaktion der Schleimhaut auf die Entzündung. Bei einer anderen Form der Reparatur von Entzündungen wird das kranke Gewebe abgebaut und durch Bindegewebe ersetzt. So entstehen Narben. Durch deren Neigung, sich zusammenzuziehen, können bei ringförmigen Narben (wie dies im Magendarmtrakt der Fall ist) entsprech ende Engstellen (Stenosen) entstehen. Auch dies ist eine Besonderheit gegenüber der Colitis (s.u.). Subjektiv verspüren die Patienten bei Narben eher krampfartige Bauchschmerzen, wobei die sonst üblichen Entzündungszeichen im Blut häufig fehlen. Bei der feingeweblichen (histologischen) Untersuchung von Gewebsproben kennen wir ebenfalls mehrere, Morbus Crohn-typische Veränderungen wie fissurale Ulcera, fokale, diskontinuierliche oder dysproportionierte Entzündungen (s.o.) und vor allem die - nahezu die Diagnose beweisenden - Epitheloidzellgranulome. Letztere finden sich allerdings in den ersten Krankheitsjahren nur bei der Hälfte der Patienten. Das Befallsmuster des Crohn unterscheidet sich von dem bei der Colitis ulcerosa und der undifferenzierten Colitis (s.u.). Ein Viertel der Patienten hat ausschließlich eine Erkrankung des Dickdarmes (dies betrifft vor allem Patienten im Vorschulalter), während über 2 /3 einen Befall von Dünn- und Dickdarm aufweisen (davon 12 Prozent mit Beteiligung von Lippe, Mundhöhle, Speiseröhre, Magen oder Zwölffingerdarm). Nahezu jeder 10. Patient hat einen alleinigen Befall des Dünndarmes. Häufig finden sich am After Anhängsel (sogenannte Marisken, Abb. 5). Abb. 5: Große reizlose Mariske bei einer 10-jährigen MC-Patientin. Abb. 1: Bizarre oder landkartenartige Geschwüre. Abb. 2: Tief aus gestanzte Ulcera. Abb. 3: Streifenförmige Ulcera (Schneckenspurulcera). Abb. 4: Scharf eingeschnittene Ulcera (fissurale Ulcera). 12
Die Verteilung des Crohn im Magendarmtrakt beeinflusst auch die Beschwerden. Bei Dickdarmbefall kommt es vorwiegend zu Durchfällen mit oder ohne Blut, bei alleinigem Dünndarmbefall stehen Gewichtsverlust durch Malnutrition (mangelhafte Aufnahme der Nahrungsbestandteile) und Wachstumsstörungen im Vordergrund. Bauchschmerzen treten unabhängig vom Befall fast immer auf. Da die Entzündung die Darmwand nicht durchwandert, kommen Fisteln und Stenosen bei Colitis ulcerosa ebenfalls nur ausnahmsweise vor. Obwohl die Entzündung unmittelbar oberhalb des Afters auftritt, sind auch Marisken die große Ausnahme. Colitis indeterminata Colitis ulcerosa Der Name Colitis ulcerosa bedeutet wörtlich übersetzt geschwürige Dickdarmentzündung (Colon = Dickdarm), wenngleich gerade bei Kindern und Jugendlichen Geschwüre oft (noch) fehlen. Es kommt zu einer gegenüber erwachsenen Patienten deutlich ausgedehnteren Entzündung (bei 75 Prozent ist der ganze bzw. der größte Teil des Dickdarms betroffen). Eine Beteiligung des oberen Verdauungstrakts kommt im Gegensatz zum Crohn nicht vor. Die Entzündung ist in aller Regel auf die Schleimhaut und die darunter liegende Wandschicht beschränkt. Sie beginnt immer im untersten Dickdarm (Rektum) und breitet sich kontinuierlich nach oben aus. Bluti ge Durchfälle in Verbindung mit Bauchschmerzen sind die Leitsymptome. Aufgrund der Beteiligung des unteren Dickdarmes äußern sich die Schmerzen oft vor, während und kurze Zeit nach der Darmentleerung und sind krampfartig (man spricht von Tenesmen ). Wachstumsstörungen oder Gewichtsverlust werden sehr viel seltener als bei Morbus Crohn beobachtet. All die genannten Unterschiede sind geeignet, Crohn und Colitis ulcerosa zu differenzieren. In einigen Fällen von reinem Dickdarmbefall ist dies dennoch nicht möglich, man spricht von undifferen zierter Colitis (Colitis indeter minata). Erst der weitere Verlauf der Erkrankung wird eine Zuordnung ermöglichen. Auf die Therapie der Colitis hat dies zunächst jedoch keinen Einfluss. Extraintestinale Manifestationen Unter extraintestinalen Manifestationen versteht man krankhafte Veränderungen außerhalb des Magendarmtrakts. Sie treten bei allen Formen chronisch entzündlicher Darmerkrankungen auf und betreffen vorwiegend Gelenke, Wirbelsäule (in Form von Gelenkschmerzen mit oder ohne Gelenkentzündung) und die Haut (in erster Linie als Erythema nodosum, einer Entzündung des Unterhautfettgewebes). Weitere und sehr vielfältige extraintestinale Manifestationen sind bekannt, bei Kindern und Jugendlichen mit CED aber sehr selten (Augen, Bauchspeicheldrüse, Gefäßsystem u.v.a.m.). 13
Prof.Dr. med. Rolf Behrens ist Oberarzt an der Klinik für Neugeborene, Kinder und Jugendliche am Klinikum Nürnberg Süd. Er ist einer der Sprecher des Beirats der DCCV für den Bereich Kinder-/Jugendmedizin. E-Mail: Rolf.Behrens@klinikum-nuernberg.de Fazit Zusammenfassend wird festgehalten, dass sich chronisch entzündliche Darmerkrankungen im Magendarmtrakt bei erwachsenen und pädiatrischen Patienten grundsätzlich in gleicher Weise äußern. Wesentliche Unterschiede bestehen jedoch darin, dass die Krankheitsaktivität bei Kindern und Jugendlichen in der Regel deutlich ausgeprägter und die Ausdehnung des Befalls größer ist. Hinzu kommen spezifisch pädiatrische Besonderheiten. Nicht nur der Patient muss behandelt, sondern oft auch die übrige Familie mit betreut werden. Ein großes Problem sind die vor allem mit dem Crohn verbundenen Wachstumsstörungen. Die Pubertät stellt eine der labilsten Phasen des ganzen Lebens dar, in der jede chronische Erkrankung zu einer zusätzlichen Beeinträchtigung führen kann. Schul- und Berufsausbildung sowie die Positionierung der eigenen Persönlichkeit in der Gesellschaft fallen naturgemäß ebenfalls in diesen Lebensabschnitt. Hierauf wird in den folgenden Beiträgen näher eingegangen. Einladung zum Themenchat Chatten Sie mit Prof. Dr. Rolf Behrens zum Thema: am Mittwoch, 29. September 2010, 17.00 bis 18.00Uhr Näheres unter www.dccv.de/br_2010-3 14