Örtliche Hinweise zum SGB II zu 22 Abs. 8 SGB II: Übernahme von Schulden Stand:04/2013 Das BSG hat in seinem Grundsatzurteil vom 09.02.2010 aus Art.1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verbrieften Sozialstaatsprinzip das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürden Existenzminimums abgeleitet 1. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf deckt. Grundsätzliches 22 SGB II gewährt außerhalb des pauschalierten Regelbedarfes ( 20 Abs. 1 SGB II) Leistungen für Unterkunft und Heizung. Absatz 8 dieser Vorschrift regelt in diesem Zusammenhang die Übernahme von Schulden, sofern Alg II für Bedarfe nach 22 erbracht werden und soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Schulden im Sinne dieser Vorschrift sind zunächst lediglich die offengebliebenen Verbindlichkeiten der Leistungsberechtigten, die sich auf Leistungen für Unterkunft und Heizung beziehen 2, also alle Verbindlichkeiten des Leistungsberechtigten aus dem Mietverhältnis sowie aus dem Verhältnis zum Heizenergieträger, die diese im konkreten Einzelfall zur Kündigung berechtigen. Eine Wohnungslosigkeit droht, sobald eine akute Kündigungslage nach 543 Abs. 2 BGB vorliegt, der Vermieter also über ein Kündigungsrecht wegen Mietrückstand verfügt und die Kündigung zumindest angedroht hat. 22 Abs. 8 S 1 SGB II setzt voraus, dass Alg II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird. Angesichts des einheitlichen Charakters von Alg II und Sozialgeld ist diese Regelung nur vor dem Hintergrund der Tilgungsreihenfolge in 19 Abs. 3 SGB II zu verstehen, d.h., es muss rechnerisch ein zumindest anteiliger Betrag für Bedarfe nach 22 SGB II erbracht werden. Ausgeschlossen ist 22 Abs. 8 SGB II somit aber in sog. Minderbemitteltenfällen, d.h., bei Personen, die nicht im laufenden Leistungsbezug stehen. Diesem Personenkreis ist grundsätzlich das SGB XII eröffnet. Die Bearbeitung dieser Anträge obliegt der Obdachlosenfachstelle, Betroffene sind daher an das Wohnungsförderungsamt zu verweisen. Die Entscheidungsgrundlage dort basiert auf dem SGB XII in Verbindung mit der Obdachlosenkonzeption der Stadt Hamm. a) Unterkunftskosten 1 BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 9. Februar 2010, Az. 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 2 Sauer in: Sauer (Hrsg.), Kommentar zum SGB II, 2011, 22 Rn.133 Seite 1 von 6
Im Sinne der Förderung der Eigenverantwortung sollte der/die Leistungsberechtigte zunächst angehalten werden, eine einvernehmliche Lösung direkt mit dem Vermieter zu suchen Die Übernahme von Mietrückständen ist nur möglich, wenn der Vermieter bei einer Begleichung bereit ist, das Mietverhältnis fortzusetzen und die Unterkunftskosten für die zu erhaltende Wohnung angemessen sind Entscheidungshilfen für die Übernahme von Mietrückständen nach 22 Abs. 8 Die/der Leistungsberechtigte verfügt nicht über geschütztes Vermögen nach 12 II Nr. 1 SGB II, mit dem er die Rückstände begleichen könnte. Beachte: Ein Verweis auf das Vermögen der Kinder unterhalb des Freibetrages nach 12 Abs. 2 Nr. 1 a oder der Anschaffungsfreibetrag von 750,- je Person ist nicht zulässig Die Übernahme muss zur Sicherung der Unterkunft im Sinne von 543 BGB notwendig sein. Die Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Verlust der Wohnung droht. Bei geringeren Rückständen sind/ist die/der Leistungsberechtigte auf eine Ratenvereinbarung mit dem Vermieter zu verweisen. Die Kündigung wird nach 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB unwirksam, wenn der Rückstand innerhalb von 2 Monaten nach Rechtshängigkeit (= Eingang der Räumungsklage beim Gericht) gezahlt wird oder sich der SGB II-Träger innerhalb dieser Frist gegenüber dem Vermieter schriftlich dazu bereit erklärt hat. In Wiederholungsfällen wirkt diese Schutzvorschrift nicht mehr. Hier muss der Vermieter ausdrücklich bereit sein, das Mietverhältnis fortzusetzen. Im Falle einer Übernahme von Rückständen ist dem Vermieter zur Wahrung der Frist oder zur Vermeidung weiterer Kosten immer eine Zusage zur Rückstandsübernahme zuzusenden Die Übernahme muss gerechtfertigt sein. Ablehnungsgründe können dabei sein: die/der Leistungsberechtigte hat die Miete bewusst im Vertrauen darauf nicht gezahlt, dass diese später doch vom Leistungsträger wenn auch darlehensweise übernommen würde (plausible Gründe für den entstandenen Rückstand fehlen) es kommt wiederholt zu Rückständen die/der Leistungsberechtigte ist nicht bereit, die Mietzahlung zukünftig direkt durch das KJC oder eine andere Stelle (z.b. Abtretung aus ALG I oder Rente) oder durch Kontoverwaltung vornehmen zu lassen die Unterkunft kann trotz Übernahme der Mietschulden nicht gehalten werden, z.b. weil zusätzlich andere Kündigungsgründe (mietwidriges Verhalten) hinzukommen die Mietschulden sind unverhältnismäßig hoch und es ist ein anderes alternatives Wohnungsangebot vorhanden Seite 2 von 6
Bei Übernahme von Mietrückständen erfolgt eine direkte Überweisung des Unterkunftskostenanspruches an den Vermieter 3. Mitteilungen des Amtsgerichts gem. 22 Abs. 9 SGB II (Räumungsklagen) werden zunächst an das StA 64 gesandt. Bis auf weiteres erhält SGL Team 21 von dort eine entsprechende Mitteilung und leitet die Information weiter an den zuständigen SGL oder Vertreter. StA 64 ist zeitnah/kurzfristig davon in Kenntnis zu setzen, ob sich die/der Betroffene im SGB II- Leistungsbezug befindet oder nicht. Bei a) (Heizkostenrückstand) ist zunächst zu prüfen, inwieweit die Forderung für einen zurückliegenden Zeitraum im Rahmen einer Heizkostenabrechnung gemindert werden kann. Bei Rückständen oder erfolgter Sperrung zu b) und/oder c) akzeptieren die Stadtwerke Ratenvereinbarungen, wenn die Rückstände innerhalb von 24 Monaten getilgt werden können. Sofern ein Kunde wegen dieser Rückstände vorspricht, ist durch die Transfersachbearbeitung anhand der persönlichen und wirtschaftlichen Situation zu prüfen, welche Ratenzahlungen möglich sind. Diese Vereinbarung wird in der Abtretungserklärung Stadtwerke festgehalten. Der Kunde erhält eine Ausfertigung der Erklärung zur Vorlage beim Energieversorger. Mitteilungen des Amtsgerichts b) Heizkosten c) Strom/Haushaltsenergie Generelle Voraussetzung für die Anwendung der Sonderregelung ist die zukünftige termingerechte Zahlung der monatlichen Abschläge. Die Ratenvereinbarung wird bei Nichtzahlung einer Rate oder eines laufenden Abschlages hinfällig. 3 22 Abs. 7 S. 2 und 3 SGB II Seite 3 von 6
Soweit es sich um Rückstände aus einem Stromlieferungsvertrag handelt, findet 22 Abs. 8 SGB II unmittelbar keine Anwendung, da Kosten für die Haushaltsenergie gemäß 20 Abs. 1 SGB II bereits in den Regelbedarfen enthalten sind und von diesen bestritten werden müssen, es sei denn, die Kosten für Strom sind aufzuwenden, um die Unterkunft zu beheizen. Keine Ratenvereinbarung mit Versorger möglich Bei angemessenen Unterkunftskosten und nicht verfügbaren (Schon)Vermögens gilt bei Stromschulden: Handelt es sich um bloße Stromrückstände, ist 24 Abs. 1 SGB II zu prüfen. Danach kann im Einzelfall ein Darlehen gemäß 42 a SGB II gewährt werden, wenn ein vom Regelbedarf umfasster und nach den Umständen unabweisbarer 4 Bedarf nicht gedeckt werden kann. Lieferung (noch) nicht eingestellt Ist der Leistungsberechtigte von der Stromversorgung ausgeschlossen, so ist eine Anwendung des 22 Abs. 8 SGB II geboten 5. Danach können im Rahmen des Ermessens auch Schulden als Darlehen nach 42 a SGB II übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Lieferung eingestellt Das Ermessen ist gemäß Satz 2 dann im Sinne einer positiven Übernahmeentscheidung gebunden, wenn die Schuldenübernahme gerechtfertigt und notwendig ist, um eine drohende Wohnungslosigkeit 6 zu vermeiden. 4 Für die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes der Unabweisbarkeit des Bedarfs ist einerseits 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II heranzuziehen, wenn ein Bedarf unabweisbar ist, sofern er insbesondere nicht durch Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des/r Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Andererseits ist ein Bedarf unabweisbar im Sinne von 24 Abs.1 Satz 1 SGB II, wenn er zur Sicherung des Existenzminimums unverzichtbar ist oder eine erhebliche Beeinträchtigung desselben vorliegt. 5 Vgl. Sauer, in: Sauer (Hrsg.), Kommentar zum SGB II, 2011, 24, Rn.4; LSG BRB, Beschluss vom 23.9.2011, Az. L 14 AS 1533/11 B ER; LSG RPF, Beschluss vom 27.12.2010, Az. L 3 AS 557/10 B ER 6 Ein Fall drohender Wohnungslosigkeit im Sinne der genannten Vorschrift liegt bei Stromschulden aber nicht gerade vor, da das Mietverhältnis durch die Unterbrechung der Stromversorgung nicht beeinträchtigt wird. Auch wenn die regelmäßige Versorgung eines Haushaltes mit Haushaltsenergie nach den hiesigen Lebensverhältnissen zum sozialrechtlich anerkannten Mindeststandard gehört, führt die Sperrung der Stromversorgung nicht zur faktischen Unbewohnbarkeit der Wohnung und damit zu einem Zustand, der dem Verlust der Wohnung gleichkommt. Seite 4 von 6
Wenn keine Wohnungslosigkeit droht, handelt es sich allenfalls um eine mit der Sicherung der Unterkunft vergleichbaren Notlage 7. Bei der Ermessensentscheidung sind wegen des geltenden Nachranggrundsatzes alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen 8, so etwa Ermessen die Höhe des Rückstandes die Ursachen, die zum Rückstand geführt haben die Zusammensetzung des von einer Einstellung der Energieversorgung betroffenen Personenkreises (insbes. Kleinkinder, Lebensalter, körperliche Einschränkungen/ Behinderungen Zumutbarkeit anderweitiger Energieversorgung einmaliger oder wiederholter Rückstand; ggf. diesbezüglich gezeigtes Verhalten Bemühungen, das Verbrauchsverhalten anzupassen sonstiger erkennbarer Selbsthilfewille Auch in Darlehensfällen hat die/der Leistungsberechtigte eine Wiederanschlussgebühr vorab selbst aufzubringen. Ggf. erforderliche Kosten für den Wiedereinbau eines Zählers sind an die Stadtwerke zu entrichten. Zusätzlich ist in diesen Fällen ein Fachunternehmen zu beauftragen, das die Anlage abnehmen muss. Diese Aufwendungen können, sofern es den/dem Leistungsberechtigten nicht anders möglich ist, ebenfalls darlehensweise übernommen werden. Eine Aufrechnung erfolgt in diesen Fällen gleichzeitig mit den zu zahlenden Raten an die Stadtwerke Sonstiges Beantragung eines Tarifzuschusses beim Sozialamt SG 50-500-3 (Ansprechpartner: Herr Kaßner, 17-6686) für Haushalte mit mindestens 3 minderjährigen oder in Schuloder Berufsausbildungen befindlichen Kindern. Der Zuschuss für drei bzw. vier Kinder beträgt zurzeit monatlich 9,25, also 111,00 im Jahr; für fünf bzw. sechs Kinder monatlich 12,30, also 147,60 im Jahr sowie mit mehr als sechs Kinder monatlich 15,35, das entspricht jährlich 184,20. Möglichkeiten der Selbsthilfe bzw. Reduzierung der Forderung 7 SG Lüneburg, Beschluss vom 29.6.2011, Az. S 45 AS 257/11; LSG BRB, Beschluss vom 8.8.2011, Az. L 5 AS 1097/11 B ER; LSG NRW, Beschluss vom 12.12.2008, Az. L 7 B 384/08 8 Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Übernahme von Schulden nicht den Sinn hat, den Leistungsberechtigten von der Verantwortlichkeit für sein eigenes Handeln freizustellen. Seite 5 von 6
Das Sozialamt gewährt diese Leistung einkommensabhängig auf Grundlage städtischer Richtlinien Einsatz des nach 12 Abs.2 Nr. 1 oder 4 SGB II geschützten Grundvermögens oder des Freibetrages für notwendigen Anschaffungen i.h.v. 750,- je Person Fertigung einer Heizkostenabrechnung zur Prüfung, ob ein Teil des Rückstandes auf übernahmefähige Heizkosten entfällt, die aus der letzten Jahresrechnung resultieren Seite 6 von 6