Prof. Dr. Markus Schott Binnenmarkt Schweiz (Art. 95 Abs. 2 BV) Freier Zugang zum Markt (Art. 2 BGBM) Anerkennung von Fähigkeitsausweisen (Art. 4 BGBM) Öffentliche Beschaffungen (Art. 5 BGBM) Ausnahmen (Art. 3 BGBM) Gleichbehandlung/Nichtdiskriminierung Öffentliches Interesse Verhältnismässigkeit Folie 1
I. Begriff und Abgrenzungen Vergabe/öffentliche Beschaffung: 1. Entgeltlicher Erwerb 2. von Waren oder Dienstleistungen 3. durch eine Beschaffungsstelle (i.d.r. Gemeinwesen) 4. von Marktteilnehmern 5. gestützt auf einen privatrechtlichen Vertrag. Nicht: 1. Anstellung als Arbeitnehmer; 2. Konfiskation/Enteignung; 3. Konzessionierung. Folie 2
I. Begriff und Abgrenzungen Wirtschaftliche Bedeutung (2015): Gesamtvolumen aller Beschaffungen in der Schweiz: CHF 41 Mia. davon zentrale Bundesverwaltung: CHF 5,65 Mia. davon Kantone und Gemeinden: CHF 32 Mia. Anteil an Staatsausgaben: rund 25% Folie 3
II. Rechtsgrundlagen im Überblick Beschaffungen des Bund Kantonale Beschaffungen Völkerrecht WTO-Übereinkommen (GPA) Sektorielles Abkommen Schweiz-EG Bundesrecht BöB, VöB Spezialerlasse BGBM Interkantonales Recht - IVöB Kantonales Recht - Submissionsgesetze Submissionsverordnungen Folie 4
Art. 1 Zweck 1 Der Bund will mit diesem Gesetz: a. das Verfahren zur Vergabe von öffentlichen Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträgen regeln und transparent gestalten; b. den Wettbewerb unter den Anbietern und Anbieterinnen stärken; c. den wirtschaftlichen Einsatz der öffentlichen Mittel fördern. 2 Er will auch die Gleichbehandlung aller Anbieter und Anbieterinnen gewährleisten. Anwendungsbereich (Art. 2-7 BöB): 1. Erfasste Auftraggeberinnen (Art. 2 BöB); 2. Erfasste Anbieter (Art. 4 BöB); 3. Erfasste Auftragsarten (Art. 5 BöB); 3. Umfang des Auftrags: Erreichen der Schwellenwerte (Art. 6 und 7 BöB); ansonsten gelten nur die Art. 32-39 VöB; 4. Ausnahme (Art. 3 BöB): insbes. Rüstungsbeschaffungen. Folie 5
Verfahrensgrundsätze (Art. 8 BöB): 1. Gleichbehandlung der inländischen und der ausländischen Anbieter und Anbieterinnen; 2. Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen und der Arbeitsbedingungen am Ort der Leistung; 3. Gleichbehandlung von Frau und Mann in Bezug auf die Lohngleichheit; 4. Vertraulichkeit. Folie 6
Verfahrensarten: 1. Offenes Verfahren: öffentliche Ausschreibung (www.simap.ch), offener Anbieterkreis (Art. 14 BöB); 2. Selektives Verfahren: öffentliche Ausschreibung, Präqualifikationsverfahren, (Art. 15 BöB); 3. Einladungsverfahren: direkte Einladung mehrerer (i.d.r. mind. 3) Anbieter durch Vergabestelle, nur ausserhalb des Anwendungsbereichs des BöB (Art. 35 VöB); 4. Freihändiges Verfahren: keine öffentliche Ausschreibung, direkter Vertragsschluss (Art. 16 BöB, Art. 13 und 36 VöB), insbesondere: Ausschreibung war erfolglos; es kommt nur ein Anbieter in Frage; besondere Dringlichkeit; Beschaffung an Warenbörsen oder bei Liquidationsverkäufen. Folie 7
Fall 2 Open Source Software (BGE 137 II 313): 1. Im Anwendungsbereich des BöB, insbesondere über den Schwellenwerten, kann auch gegen den freihändigen Zuschlag Beschwerde geführt werden. 2. Mit Beschwerde gegen die freihändige Auftragserteilung kann nur geltend gemacht werden, richtigerweise hätte nicht das freihändige Verfahren durchgeführt werden dürfen. 3. Es kann insbesondere nicht geltend gemacht werden, es hätte ein anderes Gut beschafft werden müssen. 4. Bei Berufung auf Art. 13 Bst. c VöB ist überprüfbar, ob die Umschreibung des Beschaffungsgegenstandes zu eng und damit unrechtmässig ist. 5. Der Beschwerdeführer muss eine konkrete Alternativlösung anbieten und deren Gleichwertigkeit dartun. Es genügt nicht, der Beschaffungsstelle vorzuwerfen, sie habe mögliche Alternativlösungen ungenügend abgeklärt. 6. Beschaffungsrecht dient nicht der Durchsetzung von Wettbewerbsrecht. Folie 8
Zuschlag: Art. 21 Zuschlagskriterien 1 Das wirtschaftlich günstigste Angebot erhält den Zuschlag. Es wird ermittelt, indem verschiedene Kriterien berücksichtigt werden, insbesondere Termin, Qualität, Preis, Wirtschaftlichkeit, Betriebskosten, Kundendienst, Zweckmässigkeit der Leistung, Ästhetik, Umweltverträglichkeit, technischer Wert, Ausbildung von Lernenden in der beruflichen Grundbildung. Dieses letzte Kriterium kann nur ausserhalb des Staatsvertragsbereichs berücksichtigt werden 2 Die Zuschlagskriterien sind in den Ausschreibungsunterlagen in der Reihenfolge ihrer Bedeutung aufzuführen. 3 Der Zuschlag für weitgehend standardisierte Güter kann auch ausschliesslich nach dem Kriterium des niedrigsten Preises erfolgen. Folie 9
BGE 138 I 143 "Public Voting": 1. Vergaberecht legt fest, dass das wirtschaftlich günstigste Angebot den Zuschlag erhalten muss und nennt verschiedene Zuschlagskriterien, insbesondere die Zweckmässigkeit. 2. Fraglich ist, ob Public Voting als Zuschlagskriterium zulässig ist, weil es der Bestimmung des wirtschaftlich günstigsten Angebotes dient. 3. Die vorgängige Erkundung des Volkswillens ist zweckmässig, weil so finanzielle Mittel für ein an der Urne erfolgversprechendes Projekt eingesetzt werden. 4. Es gehört zum Wesen der Demokratie, dass die Stimmberechtigten ihre Stimme frei und ohne Begründung abgeben. 5. Public Voting ist keine Volksabstimmung und erlaubt nur grobe Einschätzung der Akzeptanz. Es darf dem Kriterium deshalb nur ein relativ geringes Gewicht zukommen. Folie 10
Rechtsschutz: Rechtsmittel an das Bundesgericht Bundesgericht Beschwerde in öff.-recht. Angeleg. und/oder Verfassungsbeschwerde 2 Kanton Zürich: Verwaltungsgericht 2 und/oder 4 Entscheidende Behörde 1 1. Beschwerdeinstanz Bundesverwaltungsgericht Bundesbehörde 3 Kantonale Behörde 1: Art. 27 Abs. 1 BoeB 2: Art. 83 Bst. f Ziff. 1 und 2 BGG 3: Art. 9 Abs. 2 BGBM 4: Art. 113 ff. BGG Folie 11
Anfechtung und Vertragsschluss: Art. 22 Vertragsschluss 1 Der Vertrag mit dem Anbieter oder der Anbieterin darf nach dem Zuschlag abgeschlossen werden, es sei denn, das Bundesverwaltungsgericht habe einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung nach Artikel 28 Absatz 2 erteilt. 2 Ist ein Beschwerdeverfahren gegen die Zuschlagsverfügung hängig, so teilt die Auftraggeberin den Vertragsschluss umgehend dem Bundesverwaltungsgericht mit. Art. 28 Aufschiebende Wirkung 1 Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. 2 Das Bundesverwaltungsgericht kann die aufschiebende Wirkung auf Gesuch hin erteilen. Folie 12
Fall 3 Statistische Erhebungen (VPB 61, 1997, Nr. 24): 1. Beschwerde gegen Vergabeentscheide haben nur dann aufschiebende Wirkung, wenn das Bundesverwaltungsgericht diese auf Gesuch hin erteilt hat (Art. 28 Abs. 2 BöB). 2. Ein Vertrag mit einem Anbietern darf nach Zuschlagserteilung nur abgeschlossen werden, wenn innert Frist dagegen keine Beschwerde erhoben wurde oder die aufschiebende Wirkung nicht beantragt oder abgelehnt wurde. 3. Vorbehalten bleibt der Abschluss des Vertrages vor Ablauf der Beschwerdefrist bei ausserordentlicher Dringlichkeit. 4. Hier wurde der Vertrag bereits abgeschlossen. Gemäss Art. 32 Abs. 2 BöB kann das Bundesverwaltungsgericht nach Abschluss eines Submissionsvertrages nur feststellen, inwiefern die angefochtene Verfügung Bundesrecht verletzt. Folie 13
Anfechtung und Vertragsschluss: Änderung (Teilrevision) des BöB: Aufschiebende Wirkung von Beschwerden (Entwurf vom 19. Mai 2010, BBl 2010, 4051 ff., 4070) Art. 28 Aufschiebende Wirkung 1 Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde richtet sich nach Artikel 55 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren. 2 Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung, wenn das Interesse des Landes oder eines grossen Teils desselben den Bau eines öffentlichen Werkes oder die Erfüllung einer Bundesaufgabe, namentlich einer Aufgabe im sicherheits- oder rüstungspolitischen Bereich, innert einer Frist verlangt, welche aufgrund ihrer Dringlichkeit keinen Aufschub des Vertragsschlusses zulässt oder deren Aufschub einen unverhältnismässigen Verzögerungsschaden zur Folge hätte. 3 Die Beschwerdeinstanz darf in den Fällen nach Absatz 2 keine abweichenden Anordnungen treffen. 4 Der Bundesrat kann in einer Verordnung eine Liste der öffentlichen Werke und Bundesaufgaben führen, bei denen die Beschwerdeinstanz einzig feststellen kann, inwiefern der angefochtene Entscheid das anwendbare Recht verletzt. Folie 14
IV. Revision des Beschaffungsrechts (BöB/VöB und IVöB) Ausgangslage: revidiertes Government Procurement Agreement (revgpa) vom 30. März 2012 wird von der Schweiz ratifiziert, wenn Umsetzung im innerstaatlichen Recht vollzogen ist. Umsetzung durch aufeinander abgestimmte Totalrevisionen von BöB und IVöB Entwurf und Botschaft revböb und revvöb vom 15. Februar 2017: Unterstellung von Konzessionsvergaben und Aufgabenübertragungen Sanktionen bei schwerwiegender Verletzung der Bestimmung zur Bekämpfung der Korruption Publikationspflicht bei Verfahrensabbruch Rechtsschutz bereits ab Auftragswert von CHF 150'000 bei Lieferungen und Dienstleistungen bzw. CHF 2 Mio. bei Bauleistungen (aber nur Feststellung der Bundesrechtswidrigkeit) Adhäsionsweise Erledigung von Schadenersatzbegehren durch Beschwerdeinstanz Folie 15