Handlungsansätze und Herausforderungen Tagung vom 19. November 2015 Möglichkeiten und Grenzen kindes- und erwachsenenschutzrechtlicher Interventionen und n einer KESB in Fällen von häuslicher Gewalt Beat Reichlin, Rechtsanwalt Stellvertretender Generalsekretär KOKES Dozent und Projektleiter Hochschule Luzern Soziale Arbeit Kontakt: beat.reichlin@kokes.ch 2 3 19. November 2015, Bern 1
Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) 4 Fachbehörde Die Erwachsenenschutzbehörde ist eine Fachbehörde. Sie wird von den Kantonen bestimmt (Art. 440 Abs. 1 ZGB). Der KESB sind neu insgesamt 110 Aufgaben zugewiesen, nämlich 64 aus dem Bereich des Erwachsenenschutzes und 46 aus jenem des Kindesschutzes. Erweiterung der Aufgabenbereiche in quantitativer Hinsicht sowie Erhöhung der Anforderungen an die KESB in qualitativer Hinsicht. 5 KESB im Kanton Zürich Kantonale Umsetzungen: AG Aus 220 kommunalen Vormundschaftsbehörden wurden 11 KESB gebildet und in die Bezirksgericht integriert: Abteilung Familiengericht Fachrichter/in: Soziale Arbeit Psychologie etc. 19. November 2015, Bern 2
KESB im Kanton Zürich Kantonale Umsetzungen: BE Aus 320 kommunalen Vormundschaftsbehörden wurden :: 11 regionale KESB 1 Burgerliche KESB Kantonales Modell KESB im Kanton Zürich Kantonale Umsetzungen: ZH Aus 171 kommunalen Vormundschaftsbehörden wurden 13 KESB: 1 KESB (Stadt Zürich) weiterhin kommunal 1 KESB bezirksübergreifend 2 Bezirke in je 2 Kreise eingeteilt 7 KESB entsprechen den Bezirken Winterthur/Andelfingen 185'885 E Bülach Nord 62'129 E Dielsdorf 81'317 E Bülach Süd 71'656 E Pfäffikon Dietikon 56'396 E 82'012 E Zürich Dübendorf 376'008 E 50'305 E Uster 71'424 E - [(Inter-)kommunales Behördenmodell (Trägerschaft bei den Gemeinden)] Affoltern a.a. 48'908 E Meilen 97'537 E Hinwil 89'349 E Horgen 117'198 E Aufgaben der KESB Anordnung, Änderung und Aufhebung von behördlichen n (Verfahrensleitung, Abklärungen, Beschlussfassung); Mitwirkung bei ausgewählten Rechtsgeschäften im Rahmen behördlicher n (Verfahrensleitung, Abklärungen, Beschlussfassung); Aufsichts-, Steuerungs- und Qualitätssicherungsfunktionen in Bezug auf die Mandatsführung (Genehmigung Rechenschafts- und Schlussberichte); Nicht massnahmengebundene Aufgaben (Wirkungsentfaltung der Vorsorgeaufträge; inzidente Zustimmungen); Aufsichts-/Interventionsfunktionen in Bezug auf privatautonome Bereiche (Vorsorgeauftrag, Patientenverfügung, Vertretungsbefugnisse der Ehegatten und eingetragenen Partner/-innen, Vertretung bei medizinischen n, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Urteilsunfähigen in Wohn- und Pflegeeinrichtungen); Überführung alt-rechtlicher Erwachsenenschutzmassnahmen in n des aktuellen Rechts (bis 31. Dezember 2015); Managementaufgaben (Vernetzung einzelner Akteure, etc.). 19. November 2015, Bern 3
Akteure im Kindes- und Erwachsenenschutz Aufsicht Rechtsmittelinstanz Gemeinde Gefährdungsmeldung KESB Gesellschaft Medien Öffentlicher Sozialdienst Beiständin, Beistand Politik Soziales Umfeld Medizinische Dienste / Privater Sozialdienst Zusammenarbeit Schulen / Institutionen Christoph Häfeli in AJP 2014 S. 1592 ff., Darstellung ergänzt durch Beat Reichlin 11 12 19. November 2015, Bern 4
Häusliche Gewalt: Definition «Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Begriff häusliche Gewalt alle Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer oder wirtschaftlicher Gewalt, die innerhalb der Familie oder des Haushalts oder zwischen früheren oder derzeitigen Eheleuten oder Partnerinnen beziehungsweise Partnern vorkommen, unabhängig davon, ob der Täter beziehungsweise die Täterin denselben Wohnsitz wie das Opfer hat oder hatte.» Europarat (2011). Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, Art. 3b (Istanbul Konvention). 13 Beziehungskonstellationen - Gewalt gegen Frau in Paarbeziehungen und Trennungssituationen; - Gewalt gegen Männer in Paarbeziehungen und Trennungssituationen; - Kinder als Mitbetroffene der Gewalt in Paarbeziehungen und Trennungssituationen; - Gewalt in jugendlichen Paarbeziehungen; - Gewalt zwischen Erwachsenen in anderen familiären Beziehung (z. B. im Rahmen von Zwangsheirat); - Gewalt gegen ältere Menschen im Familienverband; - Gewalt in Betagtenbeziehungen; - Gewalt von Eltern oder deren Partner/-innen gegen Kinder und Jugendliche; - Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in anderen familiären Beziehungen; - Gewalt von Kindern und Jugendlichen gegen Eltern; - Gewalt zwischen Geschwistern. (Quelle: Informationsblatt 1 S. 3, häusliche Gewalt, eidg. Büro für die Gleichstellung von Mann und Frau) 14 Gewaltmuster - Gewalt als spontanes Konfliktverhalten (auch situativ übergriffiges Konfliktverhalten) - Partner/-innen sehen sich grundsätzlich als ebenbürtig an. - Frauen wie Männer in ähnlichen Ausmass betroffen; sofern Verletzungen einbezogen werden, so sind Frauen deutlich mehr betroffen. - Gewalt als systematisches Gewalt- und Kontrollverhalten - Kontrollierende, entwürdigende und machtmissbrauchende Verhaltensweisen um die Beziehung und das Gegenüber zu dominieren. - Frauen sind deutlich mehr Opfer. (Quelle: Informationsblatt 1 S. 4, häusliche Gewalt, eidg. Büro für die Gleichstellung von Mann und Frau) 15 19. November 2015, Bern 5
16 17 Systematik des Erwachsenenschutzrechtes Die eigene Vorsorge und n von Gesetzes wegen (Art. 360-387 ZGB) die eigene Vorsorge n von Gesetzes wegen für Urteilsunfähige Die behördlichen n (Art. 388-439 ZGB) Allgemeine Grundsätze Die Beistandschaften Die fürsorgerische Unterbringung Organisation (Art. 440 456 ZGB) Behörden und örtliche Zuständigkeit Verfahren Verhältnis zu Dritten und Zusammenarbeitspflicht Verantwortlichkeit 19. November 2015, Bern 6
Systematik des Erwachsenenschutzrechtes Die eigene Vorsorge und n von Gesetzes wegen (Art. 360-387 ZGB) die eigene Vorsorge n von Gesetzes wegen für Urteilsunfähige Die fürsorgerische Unterbringung Die behördlichen n (Art. 388-439 ZGB) Allgemeine Grundsätze (Art. 388-391 ZGB) Die Beistandschaften Schwäche- Schutz- zustand bedürftigkeit Organisation (Ursache) (Art. 440 (Auswirkung) 456 ZGB) + Behörden und örtliche Zuständigkeit Verfahren Verhältnis zu Dritten und Zusammenarbeitspflicht - Geistige Verantwortlichkeit Behinderung Angelegenheiten nur - Psychische Störung - Ähnlicher Schwächezustand - Vorübergehend Urteilsunfähigkeit oder Abwesenheit teilweise oder gar nicht erledigen können keinen Stellvertreter bezeichnen können = behördliche - jeweils die «mildeste» - Umschreibung der Aufgabenbereiche (massgeschneidert): - Personensorge - Vermögenssorge - Rechtsverkehr Behördliche Erwachsenenschutzmassnahmen Schutzbedarf in einzelnen oder mehreren Aufgabenbereichen (Personensorge/Vermögenssorge/ Rechtsverkehr) oder für einzelne Rechtsgeschäfte und deshalb Unterstützung erfordert in Form von Infolge psychischer Störung, geistiger Behinderung oder Verwahrlosung entsteht ein Schutzbedarf, der eine stationäre Unterbringung erfordert, um zu begleiten vertreten mitwirken begleiten vertreten mitwirken Kombination von Begleit-, Vertretungs- und Mitwirkungsbeistandschaft möglich umfassende Beistandschaft behandeln und oder betreuen fürsorgerische Unterbringung Begleitbeistandschaft Vertretungsbeistandschaft Mitwirkungsbeistandschaft Behördliche Erwachsenenschutzmassnahmen Beziehungskonstellationen Schutzbedarf in einzelnen oder mehreren Aufgabenbereichen Gewalt gegen Frau in (Personensorge/Vermögenssorge/ Paarbeziehungen und Trennungssituationen; Schutzbedarf, der eine stationäre Rechtsverkehr) Gewalt gegen Männer oder für in Paarbeziehungen einzelne Rechtsgeschäfte und Trennungssituationen; und Unterbringung Kinder deshalb als Mitbetroffene Unterstützung der Gewalt erfordert in Paarbeziehungen in Form von und Trennungssituationen; erfordert, um zu Gewalt in jugendlichen Paarbeziehungen; begleiten Gewalt zwischen vertreten Erwachsenen mitwirken in anderen familiären begleiten Beziehung (z. B. behandeln im Rahmen von Zwangsheirat); vertreten und oder Gewalt gegen ältere Menschen im Familienverband; mitwirken betreuen Begleitbeistandschafbeistandschafbeistandschaft Vertretungs- Mitwirkungs- Gewalt in Betagtenbeziehungen; Gewalt von Eltern oder deren Partner/-innen gegen Kinder und Jugendliche; umfassende fürsorgerische Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in anderen familiären Beistandschaft Beziehungen; Unterbringung Gewalt von Kindern und Jugendlichen gegen Eltern; Kombination von Begleit-, Vertretungs- und Gewalt Mitwirkungsbeistandschaft zwischen Geschwistern. möglich 19. November 2015, Bern 7
22 23 Kindeswohl / Kindeswohlgefährdung Kindeswohl: Inbegriff der optimalen Entwicklung der affektiven, intellektuellen, körperlichen, psychischen, sozialen und rechtlichen Persönlichkeit des Kindes unter den gegebenen Umständen. Gefährdung des Kindeswohls: Gefährdung des Kindeswohls liegt vor, sobald nach den Umständen die ernstliche Möglichkeit einer Beeinträchtigung des affektiven, intellektuellen, körperlichen, psychischen, sozialen oder rechtlichen Wohls des Kindes vorauszusehen ist. (Ursachen unerheblich, Schuldfrage irrelevant) [vgl. dazu u.a. Cyril Hegnauer, Grundriss des Kindesrechts, 5. Aufl., Bern 1999, N 26.04 ff. ] 24 19. November 2015, Bern 8
Systematik zivilrechtl. Kindesschutzmassnahmen Zivilrechtliche Kindesschutzmassnahmen dürfen nur angeordnet werden, wenn die Eltern nicht von sich aus handeln oder freiwillig Hilfe annehmen (Subsidiarität). Schwächezustand (Ursache) + Schutzbedürftigkeit (Auswirkung) = behördliche Gefährdungslage / Indikation Eltern schaffen keine Abhilfe jeweils die «mildeste» Proportionalität/ Verhältnismässigkeit Die vorhandenen elterlichen Fähigkeiten ergänzen und nicht verdrängen (Komplementarität). Kindesschutz / Eingriffe in die elterliche Sorge (Art. 307 312 ZGB) Geeignete n (ZGB 307) Beistandschaft (ZGB 306, 308) Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts (ZGB 310) Entzug elterliche Sorge (ZGB 311/312) Stärke des Eingriffes 26 Kindesschutz / Eingriffe in die elterliche Sorge (Art. 307 312 ZGB) Beziehungskonstellationen Gewalt gegen Frau in Paarbeziehungen und Trennungssituationen; Entzug des Gewalt Geeignete gegen Männer in Paarbeziehungen und Aufenthalts- Trennungssituationen; Entzug Beistandschaft n Kinder als Mitbetroffene der Gewalt in Paarbeziehungen (ZGB 306, 308) bestimmungs- rechts (ZGB 311) und Trennungssituationen; elterliche Sorge Gewalt (ZGB 307) in jugendlichen Paarbeziehungen; Gewalt zwischen Erwachsenen in anderen familiären (ZGB Beziehung 310) (z. B. im Rahmen von Zwangsheirat); Gewalt gegen ältere Menschen im Familienverband; Gewalt in Betagtenbeziehungen; Stärke des Gewalt von Eltern oder deren Partner/-innen gegen Eingriffes Kinder und Jugendliche; Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in anderen familiären Beziehungen; Gewalt von Kindern und Jugendlichen gegen Eltern; Gewalt zwischen Geschwistern. 27 19. November 2015, Bern 9
Finanzierung Art. 276 Abs. 1 ZGB Eltern haben für den Unterhalt des Kindes aufzukommen, inbegriffen die Kosten von Erziehung, Ausbildung und Kindesschutzmassnahmen. 28 - Tätigkeitsfelder 29 - Tätigkeitsfelder 30 19. November 2015, Bern 10
Zusammenfassung Schwächezustand (Ursache) + Schutzbedürftigkeit (Auswirkung) = behördliche Gefährdungslage / Indikation Gefährdungslage kann nicht angemessen mit anderen Möglichkeiten behoben werden. jeweils die «mildeste» Abklärung als Interventionsmittel (Sachverhalts-Erstellung) - Entscheid 31 Zusammenfassung Schwächezustanbedürftigkeit Schutz- Kooperationswilligkeit / Kooperationsmöglichkeit (Ursache) (Auswirkung) = behördliche Dynamik von Beziehungskonstellationen Grundsatz der Subsidiarität Gefährdungslage Gefährdungslage jeweils die / Grundsatz Indikation der Komplementarität kann nicht «mildeste» angemessen mit anderen Grundsatz der Verhältnismässigkeit Möglichkeiten behoben werden. Vernetzung / Teil vom Ganzen + Abklärung als Interventionsmittel (Sachverhalts-Erstellung) - Entscheid 32 Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 33 19. November 2015, Bern 11