Beurteilungsmodelle für die Strategieoptimierung. Seit Einführung der aktuellen DIN EN

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Transkript:

Bild 1 Die Instandhaltung der Entwässerungssysteme ist mit hohem finanziellem Mitteleinsatz verbunden. Dr.-Ing. Robert Stein; Prof. Dr. Martin Stachowske Beurteilungsmodelle für die Strategieoptimierung Teil 1: Entwicklung - und langfristiger Sanierungsund Investitionsstrategien für Entwässerungssysteme Seit Einführung der aktuellen DIN EN 752 /1/, des DWA-M 143-14 /2/ und des DWA-M 149-2 /3/ haben sich die Anforderungen an das Unterhaltsmanagement von Entwässerungssystemen erheblich verschärft. So fordert sowohl die DIN EN 752 als auch das DWA-M 143-14 eine diesbezügliche strategische und/oder betriebliche Planung mit den Zielstellungen der Vermeidung von Vermögensverzehr durch Erhalt des Substanzwertes sowie der Ermittlung des langfristigen Investitionsbedarfs zum Erreichen definierter Ziele. Einen ganz besonderen Stellenwert nehmen in diesem Zusammenhang die Bewertung der baulichen Substanz und die zu erwartende Restnutzungsdauer von Haltungen und Schächten (nachfolgend Objekte genannt) ein. Begründet wird dies im DWA- M 143-14 damit, dass die historisch durch Ausbauschübe geprägte Netzstruktur mit Perioden unterschiedlicher Verlege- und Materialqualitäten in der Zukunft starke Schwankungen des erforderlichen Reinvestitionsbedarfs (bzw. Sanierungsbedarfs) erwarten lässt, wenn diese nicht durch eine vorausschauende Planung verstetigt werden. Daher empfiehlt das DWA-M 143-14 die langfristige Substanzwertentwicklung eines Netzes, basierend auf seinem heutigen bzw. geplanten Investitionsverhalten, zu prüfen, um Defizite frühzeitig zu erkennen und ggf. frühzeitig Korrekturen durchzuführen. Durch eine solche Herangehensweise kann der Netzbetreiber die notwendigen Nachweise erbringen, dass er im langfristigen Kontext (Generationenvertrag) die ihm obliegenden Aufgaben erfüllt. Die Basis für die Entwicklung eines Unterhaltsmanagements bilden Beurteilungsmodelle. Unter einem Beurteilungsmodell versteht das DWA-M 149-3 /4/ ein Vorgehensschema zur Erzeugung einer Sanierungsbedarfsliste (Bedarfsliste) für ein Entwässerungssystem auf Grundlage der Daten der baulichen/betrieblichen Zustandsuntersuchung und etwaiger Randbedingungen. Alle Modelle dienen als Hilfs für eine ingenieurmäßige Beurteilung des baulichen und betrieblichen Zustandes und basieren auf den Arbeitsschritten Zustandsklassifizierung, -bewertung und -beurteilung. Unter der Voraussetzung, dass die optische Inspektion und die Zustandsbeurteilung in einem angemessenen, möglichst engen zeitlichen Zusammenhang stehen, ist die nach DWA /4/ und Isybau /5/ erte Bedarfsliste hinreichend, um kurzfristige Sanierungsentscheidungen und insbesondere Sofortmaßnahmen abzuleiten. Für die Entwicklung effizienter - und langfristiger Sanierungs- und Investitionsstrategien für Entwässerungssysteme genügt diese Art der Zustandsklassifizierung nicht, da sie zum Einen die zukünftig eintretenden Netzzustands- und -substanzentwicklungen nicht abbildet. Zum anderen wird die Schadensklasse im Wesentlichen ausschließlich aufgrund von Schadenart und -ausmaß festgelegt, d. h. sie beschreibt nur einen lokal begrenzten Objektzustand. Ein weiteres Defizit der Standardbeurteilungs- 35

ROHRE & KANÄLE Instandhaltung Zustandsklasse (Sanierungsdringlichkeit) Maßstab für die gegenwärtige Funktionserfüllung Sanierungspriorität Berücksichtigung des größten Einzelschadens Substanzklasse (Sanierungsaufwand) Maßstab für die verbleibende Funktionserfüllung Abnutzungsvorrat/technische Restnutzungsdauer und Sanierungsart Berücksichtigung von Schadensschwere, Schadensausmaß und Schadensverteilung Bilder 2a/b Gegenüberstellung von Zustandsund Substanzbewertung (Haltung) /6, 19/ modelle ergibt sich durch die Verwendung diskreter (starrer) Klassen, die zu grob, zu undifferenziert und mit Unschärfen behaftet sind. Darüber hinaus finden wichtige systemische und/oder lokale Randbedingungen sowie die bauliche Substanz eines Objektes als Kriterium für den Abnutzungsvorrat und für die Abschätzung der Restnutzungsdauer keine Berücksichtigung. In Folge führt dies zwangsläufig zu einer Fehleinschätzung des Sanierungs- und Finanzbedarfs. Erweiterte Beurteilungsmodelle Die oben angeführten Nachteile der Standardbeurteilungsmodelle zu eliminieren und damit eine Grundlage für eine bis langfristige Sanierungsplanung zu schaffen, ist die Zielstellung der erweiterten Beurteilungsmodelle, z. B. /6, 7, 8/. Sie basieren auf der Kenntnis der Zusammenhänge zwischen Gesamtschadensbild und der daraus abzuleitenden Versagenswahrscheinlichkeit des Objektes (Haltung, Schacht) und der aus der Beurteilung aller Objekte ableitbaren aktuellen Zuverlässigkeit des gesamten Entwässerungssystems. Darüber hinaus ermöglichen sie durch entsprechende statistische Alterungsmodelle die Prognose der zukünftigen baulichen Zustands- und Substanzentwicklung sowohl der Objekte als auch in der Folge die wahrscheinliche zukünftige Netzentwicklung und damit die Beurteilung der zukünftigen Zuverlässigkeit von Entwässerungssystemen. Nachfolgend werden die Komponenten eines Alterungsmodells beispielhaft am Strategieentwicklungs- und -analysemodell STATUSKanal /6/ vorgestellt, das in einer Vielzahl von Entwässerungsnetzen der Bundesrepublik Deutschland, darunter die Städte Bremen, Düsseldorf und Stuttgart sehr erfolgreich eingesetzt wurde. Abgrenzung zwischen Zustands- und Substanzklasse Da bei den Standardbeurteilungsmodellen nach DWA /4/ und Isybau /5/ die Zustandsklasse einer Haltung als Maßstab für die Sanierungspriorität, im Wesentlichen durch die Schadensklasse des schwersten Einzelschadens bestimmt wird, kann aus dieser Klassifizierung nicht abgeleitet werden, wie groß das Schadensausmaß und die Schadensstreuung innerhalb der Haltung und daraus resultierend der verbleibende Abnutzungsvorrat der gesamten Haltung ist /9/. Um eine möglichst realistische Bewertung des baulichen Haltungszustandes und des noch vorhandenen Abnutzungsvorrates der Haltung als Grundlage für ein effizientes Unterhaltsmanagement zu erhalten, ist ein erweitertes Beurteilungsmodell erforderlich, das neben dem Haltungszustand (Zustandsklasse) als Maß der gegenwärtigen Funktionserfüllung (Sanierungspriorität) Bild 3 Parameterfeld für die Ermittlung des Sicherheitsbeiwertes eines Betonrohres KW DN 400 mit Längsrissen in Abhängigkeit von Rissbreite und Überdeckungshöhe /6, 19/ 36 7 8/2014

Bild 4 Vorgehensweise bei der stufenlosen Klassifizierung von Einzelschäden mit Fuzzy-Logik /19/ Bitte vormerken: Termine für die Wasserbranche 18. 19. September 25. Magdeburger Abwassertage Themen: Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie, Phosphatelimination, Spurenstoffe, energetische Optimierung, Regenwasserbehandlung www.hach-lange.de 29. 30. September DWA-Bundestagung Baden-Baden Gesunde Lebensräume erhalten und gestalten www.dwa.de 29. 30. September wat 2014 Karlsruhe www.wat-dvgw.de 9. Oktober 89. Siedlungswasserwirtschaftliches Kolloquium Stuttgart Energiepotenziale kommunaler Kläranlagen erkennen, nutzen und kritisch bewerten www.iswa.uni-stuttgart.de 18. 19. November acqua alta Essen Kongress für Hochwasserschutz, Klimafolgen und Katastrophenmanagement, mit begleitender Ausstellung www.acqua-alta.de auch die Haltungssubstanz (Substanzklasse) als Maß der noch innewohnenden Funktionserfüllung (Abnutzungsvorrat) berücksichtigt /10/. Die Zustandsklasse einer Haltung wird ähnlich wie bei den Standardbeurteilungsmodellen, durch den größten Einzelschaden innerhalb der Haltung bestimmt. Die Ermittlung der Substanz(klasse) sollte die Schadensschwere, das Schadensausmaß und die Schadensverteilung innerhalb einer Haltung berücksichtigen (Bilder 2a und 2 b). Damit gibt die Substanzklasse Aufschluss über die noch erreichbare technische Restnutzungsdauer und die Art und den Umfang einer erforderlichen Sanierung, d. h. wie ökonomisch sinnvoll eine Reparatur, Renovierung oder Erneuerung im Hinblick auf die noch zu erwartende Restnutzungsdauer des untersuchten Objektes ist. Die Substanzklasse liefert damit den wesentlichen Parameter für die Erfassung des noch vorhandenen Vermögenswertes und ist zur Beurteilung des Alterungsverhaltens unverzichtbar /10/. Stufenlose Schadensklassifizierung Wie eingangs erläutert, reicht für und langfristige Sanierungsentscheidungen die Qualität der Schadensklassifizierung auf Basis der Standardbeurteilungsmodelle nicht aus. So ist es bei diesen z. B. völlig unerheblich, welche Nennweite oder welche statische Beanspruchung (z. B. Tiefenlage) die betrachtete Haltung aufweist. Die Schadensklasse wird in der Regel ausschließlich aufgrund von Schadensart und -ausmaß festgelegt. Einzig der Rohrwerkstoff sowie Informationen zur Undichtigkeit werden unter Umständen bei der Schadensklassifizierung berücksichtigt. Eine Schadensklassifizierung, die vornehmlich nur die Schadenscharakteristika (Schadensart und -ausmaß) berücksichtigt, ist aber zu unscharf, um ausreichend genau Aussagen über die Versagenswahrscheinlichkeit eines Netzobjektes zu liefern. Daher ist eine ingenieurmäßige Herangehensweise gefordert, die die Randbedingungen für eine statisch angenäherte Ermittlung der Resttragfähigkeit vornehmlich statisch geschädigter Rohre nutzt. Das geschädigte statische System (Rohr + Boden + Schaden) ist unter Variation mindestens von Rohrnennweite, Rohrwerkstoff, Wanddicke und Überdeckungshöhe zu betrachten. Die Schadensklasse ist somit unter Berücksichtigung des Einflusses des Schadensausmaßes und der Randbedingungen auf die Versagenswahrscheinlichkeit des statischen Systems zu bestimmen. Sie sollte auf der Grundlage der Einhaltung der Sicherheitsbeiwerte nach den geltenden Regeln der Technik, z. B. bei der Rohrstatik ATV-DVWK-A 127 /11/ und der probabilistische Sicherheitstheorie basieren /12, 13, 14, 15, 16/. In Bild 3 ist beispielhaft ein Parameterfeld für eine ingenieurmäßige Berücksichtigung der Randbedingung Überdeckungshöhe für ein Betonrohr vom Typ KW DN 400 mit dem Schaden Längsriss dargestellt. Das Bild veranschaulicht die Standsicherheit, charakterisiert durch den Sicherheitsbeiwert Y, in Abhängigkeit von Überdeckungshöhe und Schadensausmaß (Quantifizierung der Rissbreite). Diese Parameterfelder sind in /6/ für alle relevanten Rohrtypen und Nennweiten hinterlegt, so dass sich für diese Einzelschäden eine präzisere, am Standsicher- heitsbeiwert orientierte Schadensklassifizierung ergibt. Die bei den Standardbeurteilungsmodellen verwendeten diskreten Zustandsklassen RECHERCHE in wwt-fachartikeln mit mehr unter wwt-online.de 37

ROHRE & KANÄLE Instandhaltung Bild 5 Vergleich der Schadensklassen Arbeitshilfen Abwasser (oben) vs. STATUSKanal (unten) am Beispiel einer verschobenen Verbindung /6, 19/ alle Anforderungen 6,1 % 10,1 % 11,1 % 36,3 % 36,4 % 0 20 40 60 % Dichtheit (D) 3,5 % 8,2 % 9,5 % 16,2 % 100 62,6 % Haltungssubstanz (Abnutzungsvorrat) Standsicherheit (S) 4,5 % 9,7 % 16,1 % 15,4 % 54,3 % Betrieb (B) 0,4 % 4,3 % 18,1 % 15,5 % 61,7 % Bild 6 Beispiel für eine Substanzverteilung (AV = Abnutzungsvorrat) auf Basis der Schutzziele Standsicherheit, Dichtheit und Betriebssicherheit eines Entwässerungsnetzes /19/ (von 1 bis 5 bzw. 0 bis 5) reichen weder aus, um den Informationsgewinn aus der vorgestellten ingenieurmäßigen Herangehensweise bei der Schadensklassifizierung zu verarbeiten, noch um daraus valide Substanzklassen ern zu können. Hierfür ist eine Verstetigung von Schadens-, Zustandsund Substanzklassen z. B. mit Hilfe eines nachvollziehbaren mathematischen Modells z. B. auf Basis der Fuzzy-Theorie (Fuzzy- Logik) erforderlich. Einen Überblick über die Vorgehensweise bei der stufenlosen Klassifizierung von Einzelschäden mit Fuzzy-Logik vert Bild 4. Sie orientiert sich beispielhaft an den in den Arbeitshilfen Abwasser (Stand 2007) empfohlenen Schadensklassengrenzen der Einzelschäden, bildet diese aber unscharf, d. h. fuzzyfiziert ab. Ähnliche Ansätze sind für Entwässerungssysteme beispielsweise von Kleiner, Rajani, Sadiq /17, 18/ angewandt worden. Der Vorteil der Fuzzy-Logik gegenüber der klassischen Mathematik, in der ein Element in einer vorgegebenen Grundmenge entweder enthalten oder nicht enthalten ist (ja/nein, wahr/falsch usw.), besteht darin, dass ein Element in einer unscharfen Menge (engl.: fuzzyset ) auch ein wenig oder ein bisschen enthalten sein kann. Der Grad an Zugehörigkeit wird dabei durch eine Zugehörigkeitsfunktion beschrieben. Zur Verstetigung der rechteckförmigen Schadensklassenverläufe der Standardbeurteilungsmodelle werden in /6/ als Zugehörigkeitsfunktionen so genannte Spline- Funktionen verwendet, da sie für den stufenlosen Klassenwechsel besonders geeignet sind. Eine Gegenüberstellung der starren Schadensklassen nach ISYBAU mit den mit Hilfe der Spline-Funktion abgebildeten stufenlosen Schadensklassen enthält beispielhaft für den Schaden Verschobene Verbindung (BAJ A), siehe Bild 5. In der oberen Darstellung stellt die Abszissenachse die Skala des Schadensausmaßes und die Ordinatenachse den Zugehörigkeitsgrad dar, wobei innerhalb der Klassengrenzen jeweils eine Gleichverteilung mit der Zugehörigkeit 1 angenommen wird (Rechteckfunktion). Bis zum Erreichen des Grenzwertes bleibt der Schaden voll der jeweiligen Klasse zugehörig. Wird dieser überschritten, erfolgt ein abrupter Klassenwechsel um genau eine Klasse. Durch die Verwendung der Fuzzy-Logik (untere Darstellung) wird die Zugehörigkeit zu den Schadensklassen durch stufenlose Klassenübergänge gestaltet. Nur im Scheitel der jeweiligen Spline- Funktion gehört ein Schaden ausschließlich zu dieser Schadensklasse. Da die starren, ganzzahligen Klassen durch entsprechend stufenlose Klassen aufgelöst werden, lassen sich unplausible Klassenwechsel vermeiden, ohne das bisher prak- tizierte Konzept der fünf Klassen als sol- 38 7 8/2014

ches aufzugeben. Der Vorteil der stufenlosen Klassenübergänge wird unter anderem am Beispiel von Bedarfslisten deutlich, die je nach Netzlänge tausende Haltungen enthalten können. Gegenüber Bewertungssystemen mit starren Klassen ermöglicht der Einsatz der Fuzzy-Logik eine wesentlich stärkere Differenzierung innerhalb der Bedarfsliste. Projektbeispiele zeigen, dass die Anzahl unterschiedlicher Rangplätze innerhalb der Bedarfsliste zum Teil verzehnfacht werden kann und damit eine realitätsnähere Rangreihung der Sanierungsmaßnahmen möglich wird. Sie ermöglicht damit eine weitaus differenziertere Auflistung des baulichen/betrieblichen Sanierungsbedarfes und eine entsprechend abgestufte Umsetzung einschließlich der gemeldeten Sofortmaßnahmen. Auf Basis der Zugehörigkeitsfunktionen kann mit Hilfe von Klassifizierungsregeln (Inferenzmechanismus), die die Randbedingungen berücksichtigen (Bild 3), der Fuzzyvektor der Klassifizierung ert werden. Dieser wird s Defuzzifizierung in seine numerische Entsprechung als stufenloser Wert der Schadensklasse übertragen (Bild 4). Die Schadensklasse ist darüber hinaus gemäß DWA-149-3 getrennt jeweils den Schutzzielen/Anforderungen (Standsicherheit, Betriebssicherheit und Dichtheit) zu zuweisen. Ermittlung von Substanzklasse und Abnutzungsvorrat Auf Basis der so erten Schadensklassen für jeden Schaden in der Haltung erfolgt die Ermittlung der Substanzklasse pro Haltung. Bei /6/ wird dies z. B. durch eine transparente Verknüpfung der gewogenen Schadensschwere (GSS) mit dem Schadenskonzentrationswert (SKW) realisiert. Die gewogene Schadensschwere (GSS) gibt Aufschluss über die Schwere (Schadensklasse) und das Ausmaß (Schadenslänge) von Schäden innerhalb einer Haltung. Sie wird anhand des Schadensprofils ausschließlich aus den Anteilen der beschädigten Teilstücke einer Haltung berechnet. Der Schadenskonzentrationswert (SKW) gibt Aufschluss über die Verteilung der Schäden innerhalb einer Haltung unter Berücksichtigung ihrer Länge und Station, nicht aber über die Zustandsklasse. Zur Ermittlung des Schadenskonzentrationswertes werden aus dem Schadensprofil die Schadenslängen als Anteile an der Gesamtschadenslänge ert. Die Substanz wird auf diese Weise für jedes der Schutzziele (Standsicherheit, Betriebssicherheit und Dichtheit) ert. Durch Verknüpfung der Ergebnisse erhält man die Gesamtsubstanz. Die Ergebnisdarstellung ist dementsprechend jeweils viergeteilt (Bild 6). Aus der Verteilung der Gesamtsubstanz kann für den vorliegenden Anwendungsfall abgeleitet werden, dass bei ca. 6,1 % der Haltungslängen der Abnutzungsvorrat (AV) praktisch ist. Weitere ca. 10,1 % der Haltungslängen besitzen einen en Abnutzungsvorrat. Der überwiegende im betrachteten Entwässerungssystem befindet sich jedoch in einem unkritischen Substanzbereich. Die Anwendung dieser wesentlich differenzierteren und realistischeren Beurteilung von Haltungszustand und Haltungssubstanz reduziert das Risiko von Fehlentscheidungen im Rahmen der Sanierungsplanung signifikant und steigert die Maßnahmeneffizienz im Rahmen einer Sanierungsplanung bzw. eines ABK erheblich. KONTAKT S & P CONSULT GmbH Technologiequartier Dr.-Ing. Robert Stein Tel.: 0234/5167-110 Fax: 0234/5167-199 IWEB GmbH Prof. Dr. Martin Stachowske IWEB GmbH, Lehrbeauftragter für BWL an der RWTH Aachen Den Teil 2 des Beitrages lesen Sie in Ausgabe 11-12/2014. LITERATUR /1/ DIN EN 752: Entwässerungssysteme außerhalb von Gebäuden (4/2008) /2/ DWA-M 143: Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden Teil 14: Sanierungsstrategien (11/2005) /3/ DWA-M 149: Zustandserfassung und -beurteilung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden Teil 2: Kodiersystem für die optische Inspektion (Entwurf 01.2013) /4/ DWA-M 149: Zustandserfassung und -beurteilung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden Teil 3: Zustandsklassifizierung und -bewertung (11/2007) /5/ Bundeministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung/Bundeministerium für Verteidigung: Arbeitshilfen Abwasser, 2. Auflage mit der letzten Aktualisierung vom 15. Juni 2011 (Internet: http://www.arbeitshilfen-abwasser.de, aufgerufen 11.2013) /6/ Netzmangementsystem für die Entwicklung und Optimierung von Sanierungs- und Investitionsstrategien durch objektscharfe Prognose von Zustands- und Substanzentwicklung auf Basis individueller Strategievorgaben des Netzbetreibers, Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH, http://www.s-u-p-consult.de/bewerten-managen; 2014 /7/ Hochstrate, K.: Substanzwertorientierte Zustandsklassifizierung von Kanälen Das Bietigheimer Modell. In: Korrespondenz Abwasser Wasserwirtschaft, Abwasser, Abfall (46), S. 216 (2/1999) /8/ Software zur Analyse und Zustandsprognose von Infrastrukturelementen GOMPSOFT (Internet: http:// tu- dresden.de/die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet _bauingenieurwesen/isb/stbw/forschung/gompsoft, aufgerufen 13. 6. 2013) /9/ Stein, D.; Stein, R.: Instandhaltung von Kanalisationen, 4. Auflage, Prof.-Dr.-Ing. Stein & Partner, GmbH, Bochum, 2014 /10/ Stein, R.; Trujillo Alvarez, R.; Lipkow, A.: Optimierung des Kanalbetriebes auf Basis haltungsbezogener Substanzprognosen. In: Ernst & Sohn Special 3/04. Kanal- und Rohrleitungsbau Sanierung von Kanälen und Rohrleitungen. Berlin, (2004) /11/ ATV-DVWK-A 127: Statische Berechnung von Abwasserkanälen und leitungen (08.2000), 3. Auflage, korrigierter Nachdruck (4/2008) /12/ Stein, R.; Trujillo Alvarez, R.; Lipkow, A.: Optimierung des Kanalnetzbetriebes auf Basis haltungsbezogener Substanzprognosen. Veröffentlichung auf UNITRACC.de vom 11. 11. 2004 (Internet: http://www.unitracc.de/aktuelles/artikel/optimierung-des-kanalbetriebes-auf-basishaltungsbezogener-substanzprognosen/view, aufgerufen 11/2013) /13/ Stein, R.; Trujillo Alvarez, R.; Lipkow, A.: Infrastruktur erhalten mit immer weniger Geld. In: Abwassertechnische Vereinigung ATV (org.): 3. ATV-Sanierungstage (Feuchtwangen 2004) /14/ Stein, R.; Trujillo Alvarez, R: Strategieentwicklung zum Betrieb und Unterhalt von Entwässerungssystemen lassen sich die Aufgaben kostengünstig managen? In: Schriftenreihe des Instituts für Rohrleitungsbau Oldenburg, Band 28, Vulkan Verlag, Essen (2004) /15/ Stein, R.; Trujillo Alvarez, R.; Lipkow, A.: Optimierung des Kanalbetriebes auf Basis haltungsbezogener Substanzprognosen. In: Ernst & Sohn Special 3/04. Kanal- und Rohrleitungsbau Sanierung von Kanälen und Rohrleitungen. Berlin, (2004) /16/ Stein, R.; Trujillo Alvarez, R.; Ghaderi, S.: Inspektions- und Bestandsdaten von Entwässerungssystemen Qualitätssicherung durch analytische Plausibilitätsprüfungen. In: tis Tiefbau, Ingenieurbau, Straßenbau, Nr. 1-2, S. 32-35 (2005) /17/ Kleiner, Y.; Sadiq, R.; Rajani, B.: Modelling the deterioration of buried infrastructure as a fuzzymarkov Prozess. In: Journal of Water Supply and Research and Technology: Aqua, v.55 no. 2, S. 67-80 (3/2006) /18/ Kleiner, Y.; Sadiq, R.; Rajani, B: Sewerage infrastructure: fuzzy techniques to manage failures. In: Wastewater Reuse Risk Assessment, Decision Making and Environmental Security: NATO Security through Science Series, S. 241-252 (2007) /19/ Firmeninformation Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH 39