Ambulant vor stationär in Großbritannien Dr Martin Zinkler, Regensburg 25.9.09
Ambulant vor Stationär - Übersicht Versorgungselemente Versorgungspfade Versorgungsprinzipien, Rahmenvorgaben CMHT gemeindepsychiatrisches Team Care Coordinator Ambulante Spezialteams Herausforderungen und Chancen Fallbeispiele
Versorgungselemente GP Early Intervention CMHT Home Treatment Station Assertive Outreach Rehabilitation Psychotherapie
Versorgungspfade Hausarztsystem: GP überweist an die psychiatrischen Dienste, mit Ausnahmen Gatekeeping: Aufnahme auf Station nur nach Untersuchung durch das Home Treatment Team
Versorgungselemente - CPA GP CMHT Home Treatment Station Assertive Outreach Rehabilitation Early Intervention Psychotherapie
Care Programme Approach CPA Jeder Patient hat einen Care Coordinator (Pfadfinder) Jeder Patient hat einen Behandlungsplan Jeder Patient hat einen Krisenplan Jeder Patient hat ein Risikoprofil Jeder Behandlungsplan wird regelmäßig erneuert
CMHT - Community Mental Health Team erste Anlaufstelle, mit oder ohne Überweisung psychiatrische Untersuchung, Hausbesuch, psychosozialer Bedarf, Medikation, Krisenintervention Weiterüberweisung zur Tagesstätte, Ambulanz, Klinik, Tagesklinik, Suchtberatung, Rechtsberatung, Wohnungsamt... Weitervermittlung zum Spezialteam: AOT, EIP, HTT
CMHT - Community Mental Health Team Einzugsbereich 80.000 Einwohner 18-65 Jahre 2 Fachärzte 2 Assistenzärzte (in Ausbildung) 4 Sozialarbeiter 4 Krankenschwestern/pfleger 1 Ergotherapie, 1 Psychologin, 1 Manager, 2 Verwaltungsangestellte Budget: 1.0-1.1 Mio Euro/Jahr
CMHT - Community Mental Health Team stationäre Versorgung Einzugsbereich 80.000 Einwohner 18-65 Jahre 15 Betten 2 Assistenzärzte, 13 Pflege, 1 Ergotherapie, 0.5 Psychologie Fachärzte und Sozialarbeiter arbeiten ambulant und stationär Mittlere Aufenthaltsdauer 22 Tage Einweisung nur mit Zustimmung des Türstehers (gatekeeper) Home Treatment
Care Coordinator Zentraler Ansprechpartner für den Patienten Jeder Patient hat einen Cc Ein Vollzeit-Cc hat 25 Patienten Cc sieht seine Patienten mindestens alle 4 Wochen, entweder zu Hause oder beim Team
Care Coordinator - Aufgaben Psychiatrische Erstuntersuchung, Bedarfserhebung und Behandlungsplan Weiterüberweisung zur Psychotherapie, Tagesstätte, Ergotherapie, Berufsberatung Finanzen und Wohnung Beratung und Krisenintervention Regelmäßiger Kontakt Regelmäßiger psychischer Befund Kontrolle der Medikamenteneinnahme Überweisung zum Home Treatment (Krankenhaus)
AOT Assertive Outreach Team Spezialteam für sog Drehtürpatienten : in der Regel Doppeldiagnosen, häufige Unterbringungen, forensische Vorgeschichte und häufiges Absetzen von Psychopharmaka hohe Behandlungsintensität mit mehrmals wöchentlichem Kontakt, auch am Wochenende, supervidierte Medikamenteneinnahme, Drogentests geringe Fallzahlen pro Mitarbeiter (8-12), Kontakt oft über Jahre
EiP Early Intervention in Psychosis Spezialteam für psychotische Ersterkrankungen Schwerpunkte: Psychotherapie (Kognitive Verhaltenstherapie oder Familientherapie) Arbeits-/Ausbildungsberatung/vermittlung/unterstützung niedrig dosierte Medikation örtlich und personell vom Psychiatriebetrieb getrennt um Stigmatisierung zu vermeiden intensiver Kontakt über 1-2 Jahre
HTT Home Treatment Team Spezialteam zur ambulanten Behandlung als Alternative zur stationären Behandlung intensiver Kontakt zu Hause bis zu mehrmals täglich, auch abends, nachts und am Wochenende enger Kontakt zur Notaufnahme um Notfalleinweisungen und Polizeieinweisunen zu vermeiden Behandlungsdauer 1-8 Wochen Schwerpunkte: häufiger Kontakt, Unterstützung der Familie, supervidierte Medikamenteneinnahme, Psychoedukation
Herausforderungen und Chancen Wohnungsknappheit: B&B, Housing Associations, Betreutes Wohnen Dokumentation: umfangreich, umständlich und zeitaufwendig, Care Coordinators verbringen 20-30% ihrer AZ mit Patienten Reinstitutionalisierung: Community care has failed (forensische Untersuchungen, Risikoeinschätzung, betreutes Wohnen) Alternativen zur stationären Behandlung: Home Treatment, Tagklinik, KrisenWG
Jason 34 Jahre, arbeitslos, schreibt Gedichte, schwer übergewichtig, lebt alleine, seit 6 Monaten stationär untergebracht; wiederholte Unterbringungen aufgrund Auseinandersetzungen mit seinen Nachbaren. Jason glaubt felsenfest daß er von seinen Nachbaren vergiftet und radioaktiv verstrahlt wird, daß die Nachbarn in seine Wohnung einbrechen und Essen stehlen. Sein Verfolgungswahn verschwindet unter Medikation zwar nicht wird aber umsoviel geringer, dass er seinen Nachbaren wenigstens nicht mitten in der Nacht die Tür eintritt um sie auf frischer Tat zu ertappen. Nach der Entlassung hat er immer wieder den Kontakt zum CMHT abgebrochen, die Medikamente abgesetzt und die Auseinandersetzungen mit seinen Nachbarn verschärft. Jetzt wird AOT die ambulante Weiterbehandlung übernehmen. AOT Mitarbeiter besuchen ihn noch während der Krankenhausbehandlung 2 mal die Woche auf der Station um eine Beziehung herzustellen.
Afia 42 Jahre, verheiratet, 4 Kinder (12-18J), war in den letzten 10 Jahren 15 mal stationär, meistens mit Unterbringung, immer dann wenn sie die ganze Nacht unterwegs war, wütend auf Mann und Kinder und viel Geld ausgegeben hat. Nach der Krankenhausbehandlung wird sie dann depressiv, leidet unter Antriebslosigkeit, ständigen Kopf- und Gliederschmerzen und Schlaflosigkeit. Dann setzt sie die Medikamente ab und wird wenig später wieder manisch (rapid cycling). Seit einem Jahr nun bringt ihr Mann sie nicht mehr zur Notaufnahme sondern ruft das HTT wenn er nicht mehr weiter weiß. Täglicher Kontakt mit dem HTT für 2-3 Wochen reichen in der Regel um die Situation wieder zu beruhigen, die Behandlung wird dann vom CMHT fortgeführt (mit Terminen alle 14 Tage). HTT war in den letzten 12 Monaten für insgesamt 8 Wochen (in 3 Behandlungsepisoden) involviert. Krankenhausaufnahme war nicht mehr erforderlich.
Surinder Kommt mit 33 Jahren aus Indien nach England, findet keine Arbeit, lernt wenig Englisch, hat keinen Anschluss zur Familie, lebt auf der Straße, trinkt, hat epileptische Anfälle und Wahnvorstellungen, ist unterernährt und verwahrlost. Mehrmalige Aufnahmen in der Psychiatrie von 1996-99, kommt im Sommer 2000 in Adult Placement mit indischer Gastfamilie (gleiche Muttersprache): Alkohol reduziert, regelmäßige Med.einnahme, fast anfallsfrei, keine psychotischen Symptome; nimmt telefonischen Kontakt mit Herkunftsfamilie auf. Keine weiteren psychiatrischen KH-Aufenthalte. S stirbt im Sommer 2008 an akutem Herzversagen.