Phraseologie in der Pressesprache (dargestellt an Texten aus DIE ZEIT und BILD )

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Transkript:

MASARYKOVA UNIVERZITA FILOZOFICKÁ FAKULTA ÚSTAV GERMANISTIKY, NORDISTIKY A NEDERLANDISTIKY Antonín Daniel Phraseologie in der Pressesprache (dargestellt an Texten aus DIE ZEIT und BILD ) Magisterská diplomová práce Vedoucí diplomové práce: PhDr. Jiřina Malá, CSc. Brno 2006

Prohlašuji, že jsem diplomovou práci vypracoval samostatně s využitím uvedených pramenů a literatury..... 2

An dieser Stelle möchte ich mich bei Frau PhDr. Jiřina Malá, CSc. für ihre wertvollen Ratschläge und Hinweise, mit denen sie mir bei der Ausarbeitung der vorliegenden Arbeit behilflich war, herzlich bedanken. 3

Inhaltsverzeichnis Einleitung 7 I Theoretischer Teil 8-44 1. Zur Terminologie 8-9 2. Merkmale der Phraseologismen 9 2.1. Polylexikalität 9 2.2. Festigkeit 10 2.3. Idiomatizität 10-11 2.3.1. Motiviertheit 11 2.4. Lexikalisierung und Reproduzierbarkeit 11-12 3. Klassifikation der Phraseologismen 12 3.1. Basisklassifikation 12-13 3.2. Syntaktische Klassifikation 13-14 3.3. Semantische Klassifikation 14-15 3.4. Struktursemantische Mischklassifikation 15 3.4.1. Phraseologische Ganzheiten 15-16 3.4.2. Phraseologische Verbindungen und bevorzugte Analysen 16 3.4.3. Modellbildungen 16-17 3.4.4. Zwillingsformeln 17 3.4.5. Komparative Phraseologismen 18-19 3.4.6. Streckformen des Verbs 19 3.4.7. Phraseologische Termini 20 3.4.8. Feste Phrasen 20 3.4.9. Sprichwörter und Gemeinplätze 20-21 3.5. Zwei Sonderfälle 22 3.5.1. Kinegramme 22 3.5.2. Geflügelte Worte 22-23 4. Varianten und Modifikationen 23 4.1. Zur phraseologischen Variation 24-25 4

4.2. Zur phraseologischen Modifikation 25-26 4.2.1. Lexikalische Substitution 27 4.2.2. Hinzufügung eines Adjektivs 27 4.2.3. Determinativkomposition 28 4.2.4. Hinzufügung eines Genitivattributs 28-29 4.2.5. Abtrennung 29 4.2.6. Verkürzungen 29 4.2.7. Koordinierung 30 4.2.8. Wechsel Affirmation Negation 30 4.2.9. Verweise im Kontext 31 4.2.10. Verletzung der semantischen Selektionsbedingungen 31-32 4.2.11. Häufung, Kontamination, Katachrese 32-33 4.2.12. Metasprachliche Kommentierung 33-34 5. Phraseologismen im Text 34-35 5.1. Phraseologie in der Presse 36-38 6. Journalistische Textsorten 38 6.1. Kontaktorientierte Texte 39 6.2. Informationsbetonte Texte 39-42 6.3. Meinungsbetonte Texte 42-44 II Praktischer Teil 44-72 1. Charakteristik der benutzten Zeitungen 44-46 1.1. DIE ZEIT 44-45 1.2. BILD 45-46 2. Zur Analyse der Artikel 47 2.1. DIE ZEIT, Nr. 2/2006 48-52 2.2. DIE ZEIT, Nr. 8/2006 53-57 2.3. DIE ZEIT, Nr. 11/2006 57-58 2.4. DIE ZEIT, Nr. 13/2006 58-61 2.5. BILD, 3.2.2006 61-63 2.6. BILD, 23.3.2006 63-66 2.7. BILD, 6.4.2006 66-68 2.8. BILD, 12.4.2006 68-71 2.9. BILD, 15.4.2006 71-72 5

3. Zusammenfassung 73-75 Quellen- und Literaturverzeichnis 76-77 Anhang Anhang A Anhang B 6

Einleitung Im Rahmen der vorliegenden Arbeit möchte ich mich mit dem Vergleich des Vorkommens von Phraseologismen in Artikeln aus den Zeitungen DIE ZEIT und BILD befassen. Ich kann so an meine Bakkalaureatsarbeit anknüpfen, in der ich mich auf verschiedene Typen von Phraseologismen in der Wochenzeitung DIE ZEIT konzentrierte. Die vorliegende Arbeit besteht aus einem theoretischen und einem praktischen Teil. Im theoretischen Teil werden zunächst Merkmale der Phraseologismen charakterisiert. Danach beschäftige ich mich mit verschiedenen Klassifikationen, aufgrund deren die Phraseologismen eingeteilt werden können. Im Hinblick darauf, dass phraseologische Wendungen in publizistischen Texten oft variiert oder modifiziert werden, widme ich mich ebenfalls diesen Aspekten der Phraseologie. Ausführlich werden vor allem die phraseologischen Modifikationen beschrieben, die ein höchst interessantes Phänomen darstellen. Es folgt ein Kapitel, in dem Funktionen von Phraseologismen im Text angedeutet werden. Am Ende des theoretischen Teils gebe ich einen kurzen Überblick von journalistischen Textsorten. Im praktischen Teil dieser Diplomarbeit wird zuerst eine kurze Charakteristik der benutzten Printmedien angeführt. Weiter erfolgt die eigene Analyse der ausgewählten Artikel, wobei die Phraseologismen mit Hilfe der Wörterbücher aufgesucht und klassifiziert werden. Zum Schluss möchte ich die Ergebnisse der Analyse zusammenfassen und das Vorkommen von Phraseologismen in zwei unterschiedlichen Zeitungen vergleichen. 7

I THEORETISCHER TEIL 1. Zur Terminologie Fast in jeder natürlichen Sprache kommen feste Wortverbindungen vor, die spezielle Bedeutungen haben und zu Bestandteilen des Wortschatzes wurden. Für diese sprachlichen Erscheinungen verwendet man verschiedene Termini wie z.b. Phraseologismen, Phraseolexeme, Redewendungen, Idiome, Wortgruppenlexeme. Gerade mit diesen vorgeformten Wendungen, die in der Sprache eher durch Mechanismen der Reproduktion als der Produktion zustandekommen, beschäftigt sich die Phraseologie. Den Begriff Phraseologie können wir doppeldeutig auffassen: erstens als relativ junge linguistische Teildisziplin und zweitens als Bestand von Phraseologismen in einer Sprache. Was die Etymologie der Ausdrücke Phraseologie, Phraseologismus u. ä. betrifft, gehen diese auf das griechisch-lateinische Wort phrasis - rednerischer Ausdruck zurück. Sehr verbreitet ist auch der Ausdruck Idiom, bzw. Idiomatik, Idiomatismus. In diesem Fall liegt das griechische Wort idióma - Eigentümlichkeit, Besonderheit zugrunde. Mit der erstgenannten Wortfamilie hat aber den gemeinsamen Ursprung auch das im 17. Jahrhundert aus dem Französischen entlehnte Phrase. Dieses Wort bezeichnete nicht nur den rednerischen Ausdruck, sondern auch eine inhaltsleere, nichtssagende Redensart. Der Ausdruck Phraseologismus wird in älteren Fremdwörterbüchern nur als inhaltleere Schönrednerei und Neigung dazu erläutert (Heyse 1906, 641); in neueren allerdings in unserem Sinne als feste Wortverbindung, Redewendung (Grosses Fremdwörterbuch 1979, 580) (zit. nach: Fleischer 1997, 2-3). Zu dem zweiten häufig verwendeten Terminus Idiom können wir sagen, dass er im Deutschen seit Ende des 17. Jhs. als eigentümliche Mundart erscheint. Im 18. Jh. kann man auf die heute ungebräuchliche Weiterbildung Idiotismus treffen, von Gottsched definiert als die unserer Sprache allein zuständigen Redensarten, die sich in keine andere Sprache von Wort zu Wort übersetzen lassen (Gottsched 1762, 538) (zit. nach: Fleischer 1997, 3). Zur weiteren Entwicklung der Terminologie kam es in der Hälfte des 20. Jhs. In Anlehnung an russ. idiomatičnost und engl. idiomaticity tauchte im Deutschen der Ausdruck Idiomatizität auf, der eine bestimmte Eigenschaft eines Teiles der festen Wendungen bezeichnet. 8

Unter dem Einfluß fremder Sprachen entstanden auch die deutschen Ausdrücke Redensart und Redewendung. 2. Merkmale der Phraseologismen Die Phraseologismen zeichnen sich durch bestimmte Eigenschaften aus, die sie von freien Wortverbindungen und Sätzen unterscheiden. Zu den Grundeigenschaften dieser festen Wendungen gehören Polylexikalität und Festigkeit. Wenn die Wortverbindungen diese Merkmale aufweisen, kann man von Phraseologie im weiteren Sinne sprechen. Falls noch die dritte wesentliche Eigenschaft Idiomatizität hinzukommt, lässt es sich von Phraseologie im engeren Sinne sprechen (vgl. Burger 1998, 14-15). Als weitere Merkmale können wir Lexikalisierung und Reproduzierbarkeit erwähnen. 2.1. Polylexikalität Dieses Merkmal bedeutet, dass die Phraseologismen zwei und mehrere Wörter umfassen. Eine obere Grenze der Wortmenge wird nicht definiert, da die maximale Ausdehnung eines Phraseologismus üblicherweise nicht lexikalisch, sondern syntaktisch festgelegt ist: der Satz gilt als die obere Grenze phraseologischer Wortverbindungen (Burger 1998, 15). Es gibt selbstverständlich Grenzfälle und Ausnahmen. Wir können z.b. die sogenannten Sagwörter (oder Wellerismen ) anführen. Bei diesen werden Sprichwörter oder sprichwortartige Ausdrücke in dem Sinne erweitert, dass eine Situation angegeben wird, in der jemand den Ausdruck sagt. Diese Verbindung wirkt dann sehr überraschend und witzig (z. B. Was sich liebt, das neckt sich, sagte die Katze und fraß die Maus; Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, sagte der Ochse, als er gebraten wurde). 9

2.2. Festigkeit Die Festigkeit kann man definieren als Eigenschaft der Phraseologismen, stabile Wortverbindungen aufzuweisen. Die Phraseologismen sind als Einheiten gespeichert, sie können als ganze abgerufen und produziert werden. So wie man ein Wort kennt, kennt man einen Phraseologismus. Im Gegensatz zu den Wörtern verhalten sich aber die Phraseologismen in mancher Hinsicht wie normale syntaktische Gebilde. Ein Wort kann man nur als Ganzes deklinieren oder konjugieren oder im Satz in eine andere Position bringen, bei Phraseologismen aber können die Komponenten dekliniert, konjugiert, umgestellt werden (Burger 1998, 17). Es ist zu sagen, dass absolute lexikalische Festigkeit nur bei wenigen phraseologischen Wortverbindungen erscheint. Zu solchen Phraseologismen gehören vor allem diejenigen mit unikalen Komponenten, was Wörter sind, die sonst im Wortschatz nicht vorkommen (z. B. gang und gäbe, klipp und klar, Maulaffen feilhalten). 1 Dann auch hochgradig idiomatische Phraseologismen (z. B. ins Gras beißen). In den meisten Fällen ist jedoch eine Ersetzung der Komponenten möglich. Dann handelt es sich um Variationen und Modifikationen (siehe unten Kap. 4). 2.3. Idiomatizität Die Interpretation des Begriffs Idiomatizität ist in der Forschung unterschiedlich. Vor allem umfasst er die spezifisch semantischen Besonderheiten, die viele Phraseologismen von freien Wortverbindungen abheben. Für die phraseologischen Verbindungen, die den Bereich der Idiome bilden, ist kennzeichnend, dass ihre Bedeutung nicht oder nur teilweise aus den Einzelbedeutungen ihrer Bestandteile erschlossen werden kann. In diesem Zusammenhang sprechen wir über die phraseologische und wörtliche Bedeutung. Bei einigen Ausdrücken sind wörtliche und phraseologische Bedeutung identisch. Zum Beispiel bei sich die Zähne putzen ist ganz klar, was dieser Ausdruck heißen soll. 1 Für weitere Beispiele siehe Fleischer (1997, 37-40). 10

Dagegen bei dem Satz Warum soll ich schlafende Hunde wecken? sind zwei Interpretationen möglich. Die wörtliche und dann die phraseologische, die den Unwillen darstellt, jemanden, der einschreiten würde, auf etw. aufmerksam zu machen.. Je stärker die Diskrepanz zwischen diesen beiden Bedeutungsebenen ist, umso stärker idiomatisch ist der Phraseologismus (Burger 1998, 31). Die Idiomatizität entsteht oft auf dem Wege der Metaphorisierung, wobei der Metaphorisierungsprozess durchsichtig (Dampf ablassen - seine Wut abreagieren) oder undurchsichtig (in die Binsen gehen verschwinden, unbrauchbar werden) sein kann. 2.3.1. Motiviertheit Mit diesem Kriterium hängt der Grad der Idiomatizität eng zusammen. Es geht um die Frage, inwieweit die Gesamtbedeutung eines Phraseologismus aus der Bedeutung der Einzelelemente verstehbar ist. Nach Burger/Buhofer/Sialm (1982, 4) gibt es motivierte, teilmotivierte und unmotivierte Phraseologismen. Diesen entsprechen grosso modo nichtidiomatische, teilidiomatische und vollidiomatische Phraseme. Wenn die Gesamtbedeutung aus der Bedeutung der Komponenten voll verstehbar ist, sind die phraseologischen Wendungen motiviert. Als Beispiel kann man den Ausdruck an der Spitze liegen anführen. Falls die Gesamtbedeutung nicht aus der Bedeutung der Elemente verstehbar ist, handelt es sich um unmotivierte Phraseologismen. Zu diesen würde z. B. die Wendung einen Narren an jmdm. gefressen haben gehören, die eine große Zuneigung zu jemandem ausdrückt. Der Grad der Idiomatizität verhält sich somit umgekehrt proportional zum Grad der Motiviertheit: Je schwächer motiviert eine Wortkette ist, umso stärker idiomatisch ist sie (Burger 1973, 26). 2.4. Lexikalisierung und Reproduzierbarkeit Diese Eigenschaften bedeuten im Grunde, dass die Phraseologismen im Prozeß der Rede nicht jedesmal neu gebildet, sondern als lexikalische Einheiten reproduziert werden. Damit nähern sie sich gerade den Wörtern, deshalb werden sie auch als Paralexeme oder Wortgruppenlexeme bezeichnet. Aber nicht nur lexikalische Einheiten im engeren Sinn werden reproduziert. Es gibt Satzstücke und Satzkomplexe, die in der Kommunikation immer in derselben Form benutzt 11

werden, die jedoch nur für eine bestimmte Gruppe von Leuten verstehbar sein können. Es fehlt hier die Tendenz zur Speicherung dieser Wendungen. 3. Klassifikation der Phraseologismen In den Anfängen der Phraseologieforschung entstand eine ganze Reihe von Klassifikationen der Phraseologismen, was auch mit der Verwendung der verschiedenen Termini verbunden war. Diese Uneinigkeit, die zum vielbeklagten Begriffschaos führte, wurde nur teilweise beseitigt. Burger (1998, 33) konstatiert zwar, dass, was die Klassifikationskriterien anbelangt, heutzutage weitgehende Übereinstimmung existiert und die hauptsächlichen Klassen im Großen und Ganzen gleich definiert werden, doch kann man nicht sagen, dass es nur eine, allgemein anerkannte Terminologie (bzw. Klassifikation) gibt. Zu den bedeutendsten Forschern, die eigenes Klassifikationssystem auf dem Gebiete der Phraseologie entwickelten, zählen wir E. Agricola, I.I. Černyševa, U. Fix, A. Rothkegel, H. Burger u. a. 2 Meistens wird von Phraseologen eine Kombination von syntaktischen, semantischen und pragmatischen Kriterien verwendet. W. Fleischer, der auch zu diesen Sprachwissenschaftlern gehört, erklärt das Problem der Klassifikation, wenn er auf die Tatsache hinweist, dass den Phraseologismen ein eigenes System von Strukturtypen und Bildungselementen fehlt, wie es die Wortbildung kennt, und dass die für Wörter anwendbaren Klassifikationskriterien nicht voll auf die Phraseologismen übertragbar sind (vgl. Fleischer 1997, 110). 3.1. Basisklassifikation H. Burger (1998, 36) verwendet für die Gliederung des Gesamtbereichs der Phraseologie das Kriterium der Zeichenfunktion, die die Phraseologismen in der Kommunikation haben. Er teilt sie in diese Gruppen ein: a) Referentielle Phraseologismen, die sich auf Objekte, Vorgänge oder Sachverhalte der Wirklichkeit beziehen; z. B.: Schwarzes Gold ( damit sind Kohle oder Erdöl gemeint), jmdn. übers Ohr hauen ( jmdn. betrügen), Morgenstund hat Gold im Mund ( wer früh mit der Arbeit anfängt, erreicht viel) u.v.a. 2 Näher dazu z. B. Fleischer (1997, 111-122) und Burger/Buhofer/Sialm (1982, 20-30). 12

b) Strukturelle Phraseologismen, die nur eine Funktion innerhalb der Sprache haben, nämlich die Funktion, (grammatische) Relationen herzustellen: in Bezug auf, sowohl- als auch. c) Kommunikative Phraseologismen, die bestimmte Funktionen bei der Herstellung, Definition, dem Vollzug und der Beendigung kommunikativer Handlungen haben: Grüß Gott, auf Wiedersehen, meiner Meinung nach, soviel ich weiß, nicht wahr? Für diese Gruppe benutzt man auch den Terminus Routineformel. 3.2. Syntaktische Klassifikation Was die Rolle der Phraseologismen im Satz betrifft, sind diese Gruppen zu unterscheiden: 1) Es gibt Phraseologismen, die kleiner als ein Satzglied sind. Dies trifft gerade für die strukturellen Phraseologismen zu, die die Funktion von Präpositionen ( im Laufe, ohne zu), Konjunktionen ( um zu, wenn auch) oder Adjektiven ( gang und gäbe allgemein üblich) haben können. 2) Die zweite Gruppe bilden die satzgliedwertigen Phraseologismen, die einem oder mehreren Satzgliedern entsprechen. Sie können die Funktion des Subjekts, Objekts oder Attributs erfüllen ( ein armer Teufel ein Bettler, ein armseliger Mensch; Haus und Hof jmds. gesamter Besitz; die Schwarze Kunst die Magie, manchmal auch das Buchdruckerwesen). In diesem Fall heißen sie nominale Phraseologismen. Erfüllen sie die Satzgliedfunktion eines Adverbiales ( auf jeden Fall, unter der Hand heimlich), nennen wir sie adverbiale Phraseologismen. Der Phraseologismus kann auch in der Rolle eines Prädikats sein ( leer ausgehen nichts bekommen). Alle Phraseologismen, die ein Verb enthalten, werden verbale Phraseologismen genannt. 3) Phraseologismen, die sogar einem Satz oder einer noch größeren Einheit entsprechen, bezeichnet man als satzwertige oder textwertige Phraseologismen. Innerhalb dieser Gruppe lässt sich eine Gliederung nach syntaktischen und textlinguistischen Kriterien vornehmen. 13

a) Es geht um die Phraseologismen, die zwar als abgeschlossener Satz auftreten, aber durch ein bestimmtes Element (meistens durch ein entsprechendes Pronomen) an den Kontext angeschlossen sind ( Da liegt der Hase im Pfeffer hier ist die Ursache der Schwierigkeit; Damit lockt man keinen Hund hinter dem Ofen hervor damit kann man niemandes Interesse erregen). Solche phraseologische Wendungen nennen wir feste Phrasen. b) Anders verhalten sich Sprichwörter ( Lügen haben kurze Beine; Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.) und Gemeinplätze ( Was sein muss, muss sein; Man lebt nur einmal). Sie müssen durch kein lexikalisches Element mit dem Kontext verknüpft werden. 3.3. Semantische Klassifikation Wenn man die Phraseologie in einen engeren und einen weiteren Bereich gliedern will, so geschieht dies in der Regel mittels des Kriteriums der semantischen Idiomatizität. Dabei rechnet man sowohl die idiomatischen wie die teilidiomatischen Phraseologismen zum engeren Bereich der Phraseologie, während nichtidiomatische feste Wortverbindungen dem weiteren Bereich zugewiesen werden (Burger 1998, 32). Es lassen sich also drei hauptsächliche Typen nach dem Grad der Idiomatizität (bzw. der Motiviertheit) unterscheiden: 1) Idiome (bzw. vollidiomatische Phraseologismen), bei denen der Zusammenhang zwischen der wörtlichen und phraseologischen Bedeutung sehr klein ist ( ins Fettnäpfchen treten jmds. Unwillen erregen, mit jmdm. ein Hühnchen zu rupfen haben jmdn. wegen etwas zur Rechenschaft ziehen). 2) Teilidiome, deren Gesamtbedeutung aus der lexikalischen Bedeutung der einzelnen Elemente teilweise erklärt werden kann ( einen Streit vom Zaun brechen einen Streit beginnen, provozieren; um den Schatten eines Esels streiten sich um eine geringfügige Angelegenheit streiten; eine Schraube ohne Ende eine Angelegenheit, die zu keinem Abschluss kommt). 3) Bei den nichtidiomatischen Phraseologismen existiert eine ganze Reihe von Termini. Fleischer (1997, 58) nennt diese Gruppe Nominationsstereotype, Burger (1998, 38, 50) schlägt vor, den Terminus Kollokation für den ganzen Bereich der nicht- bzw. 14

schwachidiomatischen Phraseologismen zu verwenden. Zu den Kollokationen gehören z. B.: ( sich die Zähne putzen, hin und her, neuer Kurs, öffentliche Meinung). Burger/Buhofer/Sialm (1982, 23-28) benutzen, was die semantische Klassifikation betrifft, eher das Kriterium der Motiviertheit (siehe oben Kap. 2.3.1.), wobei bei den motivierten Phraseologismen zwei Gruppen zu unterscheiden sind: a) direkt motivierte Phraseologismen (z. B. Dank sagen) und b) metaphorisch motivierte Phraseologismen, bei denen die phraseologische Bedeutung nur dann von den wörtlichen Bedeutungen ihrer Elemente abgeleitet werden kann, wenn sie als eine summative Bedeutung im bildlichen oder übertragenen Sinn verstanden wird (z. B. etwas auf die lange Bank schieben etw. Unangenehmes aufschieben, hinauszögern). 3.4. Struktursemantische Mischklassifikation Für die Untersuchung von Phraseologismen scheint es günstig, eine Mischklassifikation zu verwenden, wobei mehrere Kriterien eingesetzt werden. Man kann in Anlehnung an Burger/Buhofer/Sialm (1982, 30-31) folgende Klassen unterscheiden: 1) Phraseologische Ganzheiten 2) Phraseologische Verbindungen und bevorzugte Analysen 3) Modellbildungen 4) Zwillingsformeln ( Paarformeln ) 5) Komparative Phraseologismen ( Phraseologische Vergleiche) 6) Streckformen des Verbs 7) Phraseologische Termini 8) Feste Phrasen 9) Sprichwörter und Gemeinplätze 3.4.1. Phraseologische Ganzheiten Diese Klasse steht im Mittelpunkt des Interesses der Phraseologie. Hierunter fallen sowohl unmotivierte als auch metaphorisch motivierte Phraseologismen. Charakteristisch für diesen Typ ist, dass die Gesamtbedeutung dieser Wortverbindungen nicht aus der Amalgamierung der (freien oder phraseologischen) Bedeutungen der einzelnen Komponenten resultiert. (Burger/Buhofer/Sialm 1982, 31). 15

Beispiele dafür sind: unter dem Pantoffel stehen als Ehemann von seiner Frau beherrscht werden, jmdn. über den Löffel barbieren jmdn. in plumper Form betrügen, jmdn. ins Herz treffen jmdn. mit etwas zutiefst verletzen. 3.4.2. Phraseologische Verbindungen und bevorzugte Analysen Unter dem Begriff phraseologische Verbindungen sind solche Wendungen zu verstehen, deren Bedeutung aus den phraseologischen bzw. wörtlichen Bedeutungen der Komponenten zusammengesetzt ist. Typische Beispiele wären: blinder Passagier oder kalter Krieg. Die Beziehung zwischen den Komponenten lässt sich auch so beschreiben: Eine nach den üblichen Verwendungen nicht vorhersagbare Bedeutung eines Monems wird durch die Verbindung mit genau einem anderen Monem selektiert, das seinerseits eine auch sonst übliche Bedeutung aufweist. (Burger 1973, 14). Eine weitere Art der Wortverbindungen stellen die bevorzugten Analysen 3 dar. Es geht um Phraseologismen, die keine Idiomatizität aufweisen und deren Stabilität weniger (oder gar nicht) in lexikalisch-semantischen Austausch- und syntaktisch-strukturellen Abwandlungsbeschränkungen besteht, deren Komponenten einander aber doch in höherem Maße determinieren als dies bei völlig freien Wortverbindungen der Fall ist. (Fleischer 1997, 58). Ein treffendes Beispiel, das schon genannt wurde, ist die Zähne putzen. Obwohl man auch andere Verben (die Zähne reinigen /waschen...) benutzen könnte, präferiert man genau die eine Kombination mit putzen. 3.4.3. Modellbildungen Phraseologismen dieser Klasse sind nach einem Strukturschema gebildet, dem sowohl konstante als auch unterschiedliche semantische Interpretationen zugeordnet sein können. Die lexikalische Besetzung der syntaktischen Positionen ist (mehr oder weniger) frei. Beispiele für die konstante semantische Interpretation sind: Glas um Glas, Stein um Stein. Diese Verbindungen sind nach dem Modell X um X gebildet, das wir als ein X nach dem anderen interpretieren können. 3 Hier kann man auch den Terminus Kollokationen verwenden. 16

Dann ist z. B. auch das Modell von X zu X möglich. In diesem Fall handelt es sich um unterschiedliche semantische Interpretationen je nach lexikalischer Besetzung: von Stadt zu Stadt in steter Fortbewegung, von Mann zu Mann ohne Beschönigung, offen und ehrlich. 3.4.4. Zwillingsformeln Wir verwenden den Terminus Zwillingsformel für das engl. binomial bzw. für verschiedene in der deutschen Sprachwissenschaft vorkommende Ausdrücke wie Paarformeln, sprichwörtliche Formeln, phraseologische Wortpaare usw. Es kommen zwei Typen von Zwillingsformeln in Frage: 1) Zwei (nur selten drei) 4 verschiedene Wörter der gleichen Wortart sind durch eine Konjunktion (meist und, auch weder...noch, oder) oder Präposition (in) verknüpft. Die Reihenfolge dieser Wörter ist entweder völlig festgelegt oder es besteht mindestens eine Bevorzugung einer Reihenfolge ( Handel und Wandel Wirtschaft und Verkehr, weder Fisch noch Fleisch nichts Halbes und nichts Ganzes sein, frank und frei unverblümt, offen, heimlich, still und leise völlig unbemerkt). 2) In diesem Fall sind zwei gleiche Wörter durch eine Konjunktion oder Präposition verbunden ( Kopf an Kopf auf gleicher Höhe, Schulter an Schulter ganz dicht stehen/ zusammen kämpfen, Hand in Hand gemeinschaftlich). Die Zwillingsformeln bilden eine markante Gruppe von Phraseologismen, die sich auch durch spezifische stilistische Merkmale auszeichnen: hauptsächlich durch den Stabreim (klipp und klar unmissverständlich, klar und deutlich, mit Stumpf und Stiel völlig, ganz und gar, in Bausch und Bogen insgesamt, ohne das Einzelne zu berücksichtigen) aber auch durch Binnen- oder Endreim ( mit Hangen und Bangen mit großer Angst, mit Rat und Tat tatkräftig) und durch partielle Wiederholung ( auf Gnade und Ungnade bedingungslos, verraten und verkauft völlig preisgegeben). 4 Es gibt auch Vierlingsformeln, die aber im Deutschen nur in kleiner Zahl vorkommen: z. B. frisch, from, fröhlich, frei 17

3.4.5. Komparative Phraseologismen Die komparativen Phraseologismen werden zunächst durch eine besondere semantische Beziehung konstituiert. Sie werden als Vergleich an ein freies Element des Satzes fest angeschlossen. (Fleischer 1997, 103). Bei den phraseologischen Vergleichen ist eine dreiteilige Struktur (comparandum, comparatum, tertium comparationis) zu beobachten. Sie können nicht-, teil- oder vollidiomatisch sein, je nachdem wie durchsichtig der Vergleich ist. Nichtidiomatisch ist z. B. die Wendung flink wie ein Wiesel, schwach idiomatisch Geld wie Heu haben (sehr reich sein). Als Teilidiome sind z. B. schimpfen wie ein Rohrspatz (heftig, aufgebracht schimpfen) oder dumm wie Bohnenstroh (sehr dumm sein) zu betrachten. Der Phraseologismus sich freuen wie ein Schneekönig (sich sehr freuen) gilt als vollidiomatisch. Dieser Ausdruck gehört zu phraseologischen Vergleichen, bei denen das comparatum (hier ein Schneekönig ) spielerisch, in manchmal bizarrer Phantastik erfunden wird.(vgl. Burger 1973, 49). Weitere Beispiele dazu: frieren wie ein Zauberer sehr frieren, wie zehn nackte Neger / wie eine Tüte Mücken/Bienen / wie eine offene Brause / wie zehn Sack Seife angeben sehr prahlen. Bei diesen Wendungen besteht die Funktion des Vergleichs in einer (hyperbolischen) Verstärkung des Verbs. Je absurder die lexikalische Besetzung ist, desto drastischer wirkt sie als Verstärkung. In zahlreichen Beispielen verstärkt aber der Vergleich das Verb (bzw. Adjektiv) nicht. Komparative Phraseologismen können in der Funktion einer indirekten Verneinung gebraucht werden: Er schwimmt wie eine bleierne Ente - schwimmt nicht; Er versteht soviel davon, wie der Hahn vom Eierlegen - versteht nichts davon. (Fleischer 1997, 106). Interessant sind die Phraseologismen dieser Gruppe auch im Zusammenhang mit dem unterschiedlichen kulturgeschichtlichen Hintergrund ihrer Entstehung. In verschiedenen Sprachen werden oft dieselben Eigenschaften den diversen Objekten zugeschrieben, was deutlich auf die spezifische kultursprachliche Entwicklung hindeutet. Im Deutschen ist z. B. die Stärke mit einem Tier verbunden, während im Französischen mit einem Volksangehörigen: stark wie ein Bär / fort comme un Turc (vgl. Burger/Buhofer/Sialm 1982, 36). Im Tschechischen schreibt man die Eigenschaft der Stärke auch einem Tier zu, allerdings einem anderen: silný jako lev. Deswegen sind die 18

phraseologischen Vergleiche sehr aufschlussreich für solche Fachgebiete wie kontrastive Linguistik oder Ethnologie. 3.4.6. Streckformen des Verbs Streckformen des Verbs (auch nur Streckformen oder Funktionsverbgefüge ) stellen innerhalb der verbalen Phraseologismen eine wichtige Untergruppe dar. H. Burger (1973, 40) spricht von Streckformen im engeren und weiteren Sinne. Streckformen im engeren Sinne sind durch vier Kriterien definierbar: 1. Die Kette hat die Struktur Verb + Nominalphrase oder Verb + Präpositionalphrase 2. Es gibt ein einfaches Verb, das als ( ungefähres ) Synonym der Kette gelten kann (in aktiver oder passiver Form). 3. Dieses Verb gehört zur gleichen Wurzel wie das Substantiv der Streckform; diese (etymologische) Beziehung muss synchron bewusst sein. 4. Das Substantiv der Kette ist ein Verbal - Abstraktum, das auch in freier Verwendung vorkommt. Den oben genannten Bedingungen genügen diese Beispiele: Streckform einen Vorschlag machen zum Ausdruck kommen zum Abschluss bringen eine Anerkennung finden einfaches Verb vorschlagen ausgedrückt werden schließen anerkannt werden Phraseologismen wie zum Vorschein kommen oder Gas geben erfüllen hingegen diese Kriterien nicht. Man rechnet sie zu Streckformen im weiteren Sinne. Unter diesem Begriff sind solche Ketten zu verstehen, deren Substantiv kein Nomen actionis (Verbalsubstantiv) ist oder deren Verb merkliche Bedeutungsunterschiede gegenüber dem konstruktionsexternen Gebrauch aufweist.(vgl. Fleischer 1997, 137). Viele Streckformen im weiteren Sinne sind idiomatisch ( Gas geben schneller fahren). Die Streckformen im engeren Sinne sind nur phraseologisch, weil ihre Gesamtbedeutung kompositionell zustandekommt. 19

3.4.7. Phraseologische Termini In dieser Klasse können wir vorwiegend nominale Phraseologismen finden. Die Einbeziehung der phraseologischen Termini in die Phraseologie ist problematisch, sie werden von zahlreichen Forschern aus diesem Bereich ausgeschlossen. Das Besondere dieser Gruppe von Ausdrücken besteht darin, dass sie genauso funktionieren wie jeder (Wort-) Terminus. Das heißt, sie sind in ihrer Bedeutung strikt festgelegt ( normiert ), und diese Festlegung gilt primär nur innerhalb des fachlichen Subsystems der Sprache. (Burger 1998, 47). Phraseologische Termini bezeichnen Individuen, Institutionen, Gegenstände oder Sachverhalte: Das Rote Kreuz, gleichschenkliges Dreieck, rechtliches Gehör. 3.4.8. Feste Phrasen Es handelt sich um satzwertige Phraseologismen, die sich auf die Situation oder den vorhergehenden Gesprächsbeitrag des Gesprächspartners beziehen (vgl. Kap.3.2.). Als Beispiele könnte man anführen: Das ist das Ei des Kolumbus eine überraschend einfache Lösung, Da beißt die Maus keinen Faden ab dagegen ist nichts zu machen, Das schlägt dem Fass den Boden aus jetzt ist es genug, das ist der Gipfel der Frechheit. 3.4.9. Sprichwörter und Gemeinplätze Es gibt eine ganze Reihe von Definitionen, die den Begriff das Sprichwort erklären: Die Sprichwörter sind feste Satzkonstruktionen mit lehrhafter Tendenz (Seiler 1922, 2), die sich auf das praktische Leben (Peukes 1977, 11) bezieht. (Fleischer 1997, 76). Sprichwörter sind allgemeine Aussagen oder Urteile, mit denen eine gegebene Situation erklärt, eingeordnet, beurteilt wird. Der Sprechende beruft sich dabei auf die Volksweisheit, d. h. auf die allgemeine Erfahrung, die diese Sätze geprägt hat. (Burger 1973, 54). Die Erforschung des Sprichworts hat eine lange Tradition und im Zusammenhang mit der Phraseologieforschung spielt sie eine bedeutende Rolle. Die Wissenschaft, die sich mit Sprichwörtern befasst, heißt Parömiologie. Sprichwörter werden häufig als selbständige Mikrotexte aufgefasst, die eine deutliche stilistische Wirkung haben. Meistens kennzeichnen sie sich durch poetische Mittel 20

wie Rhythmus, Parallelismus, Stabreim oder Endreim z. B. Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen; Aller Anfang ist schwer; Einmal ist keinmal; Ohne Fleiß kein Preis. Auch diese Phraseologismen lassen sich in Gruppen einteilen (vgl. Burger 1973, 55): 1) Sprichwörter, deren Bedeutung sich aus den Komponenten direkt ergibt, wobei metaphorische Elemente enthalten sein können ( Wer wagt, gewinnt; Lügen haben kurze Beine). 2) Sprichwörter, bei denen die gemeinte allgemeine Bedeutung durch ein Bild vermittelt wird (Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist man darf unter günstigen Umständen nicht versäumen, seine Chance zu nutzen; Der Krug geht so lange zum Brunnen/zu Wasser, bis er bricht fragwürdiges Tun scheitert eines Tages). Für den heutigen Sprichwortgebrauch ist charakteristisch, dass Sprichwörter, besonders in den Medien oder in der Werbung, reich variiert und modifiziert werden. Oft wirken sie somit scherzhaft, ironisch, schlagfertig ( Überstund hat Geld im Mund statt Morgenstund hat Gold im Mund ; Wer Geld sät, soll Kapital ernten statt Wer Wind sät, wird Sturm ernten ). 5 Den Sprichwörtern eng verwandt sind die Gemeinplätze, die keine Volksweisheiten, sondern Selbstverständlichkeiten formulieren. Es fehlt ihnen auch die Poetik der Sprichwörter. Bei diesem Typ könnte man ebenfalls zwei Untergruppen definieren (vgl. Burger/Buhofer/Sialm 1982, 40): 1) Quasi-Tautologien : Was man hat, das hat man; Was zuviel ist, ist zuviel; 2) Truismen, die etwas aussagen, was evident ist: Wir sind alle nur Menschen; Man lebt nur einmal. Sprichwörter und Gemeinplätze lassen sich auch als topische Formeln zusammenfassen. 5 Näher dazu Burger (1998, 117). 21

3.5. Zwei Sonderfälle Nach Burger/Buhofer/Sialm (1982, 42) gibt es zwei Typen von Phraseologismen, die nicht voll unter die Kriterien ihrer struktursemantischen Mischklassifikation fallen. Es geht um die Klasse der Kinegramme und die Klasse der geflügelten Worte. 3.5.1. Kinegramme Diese Gruppe von Phraseologismen weist besondere semantische Eigenschaften auf. Nach Burger (1998, 44) wird mit Kinegrammen konventionalisiertes nonverbales Verhalten sprachlich gefasst und kodiert. Er definiert diese phraseologischen Wendungen wie folgt: Bei diesen Ausdrücken geht es einerseits um eine Gebärde (also um nonverbales Verhalten, das real ausgeführt werden kann), andererseits ihre sprachliche Kodierung. Das heißt, man führt eine nonverbale Handlung aus und gibt damit (gleichzeitig) etwas zu verstehen. Im Phraseologismus sind beide Ebenen des Zu-verstehen-Gebens zugleich kodiert. (Burger 1998, 61). Es existieren zwei Gruppen von Kinegrammen: 1) In diese Gruppe fallen echte Kinegramme. Das nonverbale Verhalten, das sie ausdrücken, kann faktisch ausgeführt werden: die Achseln zucken mit einem Hochziehen der Schultern zu verstehen geben, dass man etwas nicht weiß, die Stirn runzeln (über etw.) etw. beanstanden. 2) Bei Pseudo-Kinegrammen wird das bezeichnete nonverbale Verhalten heute nicht mehr praktiziert oder ist nur symbolisch gemeint: die Hände über dem Kopf zusammenschlagen entsetzt sein, sich die Haare raufen völlig verzweifelt sein. 3.5.2. Geflügelte Worte Der Terminus Geflügelte Worte stammt aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zum erstenmal wurde er im Zusammenhang mit der berühmten Sammlung von Georg Büchmann ( Geflügelte Worte. Der Citatenschatz des Deutschen Volkes, erste Auflage 1864) angewendet. In der 18. Auflage (1895) wird der Begriff folgendermaßen bestimmt: Ein landläufiges Citat, d.h. ein geflügeltes Wort, ist ein in weiteren Kreisen des Vaterlandes dauerndangeführter Ausspruch, Ausdruck oder Name, gleichviel welcher 22

Sprache, dessen historischer Urheber, oder dessen literarischer Ursprung nachweisbar ist (Fleischer 1997, 14). Früher wurde also der Bereich dieser Klasse auf literarisch belegbare Ausdrücke beschränkt, was heutzutage nicht mehr aktuell sein muss, da auch verschiedene Ausdrücke aus Filmen oder der Werbung als Geflügelte Worte gelten können. Kennzeichnend für die Verwendung dieser heutigen Geflügelten Worte ist, dass sie nicht nur ungenau zitiert werden, sondern häufig stark abgewandelt. Burger/Buhofer/Sialm (1982, 46-48) führen dazu mehrere anschauliche Beispiele an: z. B. der Filmtitel Scheidung auf Italienisch und seine Modifikationen Scheidung auf Vatikanisch, auf berlinisch, auf französisch oder Manche mögen s heiß und aus diesem berühmten Filmtitel gebildeter Werbeslogan Manche mögen s weiß (Quark-Rezepte) u. a. Geflügelte Worte stammen aus verschiedenen Quellen, z. B. aus der Bibel (feurige Kohlen auf jmds. Haupt sammeln jmdn. durch eine gute Tat beschämen, Sodom und Gomorrha ein Ort, ein Ereignis höchster Verderbtheit und Unmoral), aus antiken Werken ( zwischen Scylla und Charybdis nach Homer - zwischen zwei großen Gefahren; auf des Messers Schneide stehen nach Homer - in einer sehr knappen Entscheidung so oder so ausgehen können), aus weltbekannten Dramen ( Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage nach Shakespeare) usw. Aus geflügelten Worten können sich auch Sprichwörter entwickeln ( Wir leben nicht, um zu essen; wir essen, um zu leben nach Sokrates, Das Hemd ist näher als der Rock nach Plautus, Wer zuerst kommt, mahlt zuerst nach Eike von Repgow, Sachsenspiegel). 6 4. Varianten und Modifikationen Einen sehr interessanten stilistischen Aspekt der Phraseologie stellen phraseologische Variationen und Modifikationen dar. Diese Erscheinungen hängen mit der Festigkeit (bzw. Variabilität) der phraseologischen Wendungen zusammen (vgl. Kap. 2.2.). Da ich mich in der vorliegenden Arbeit mit der Phraseologie in der Pressesprache beschäftige, sind für mich diese Varianten und Abwandlungen von großem Interesse. Gerade in Massenmedien spielen nämlich vor allem die phraseologischen Modifikationen eine wichtige Rolle. 6 Weitere Beispiele dazu führt Fleischer an (1997, 80). 23

4.1. Zur phraseologischen Variation Unter diesem Begriff versteht man usuelle, lexikographisch allerdings nicht immer konsequent kodifizierte Varianten von Phraseologismen (vgl. Fleischer 1997, 263). In Anlehnung an Fleischer (1997, 206-207) sind die Variationen in dreierlei Hinsicht möglich: 1) Die erste Möglichkeit stellen phraseologische (Struktur-) Variante dar. Die Variationen dieser Art bestehen in der morphologischen und teilweise auch syntaktischen Veränderung einzelner Komponenten. Sie verändern weder die Bedeutung noch die stilistische Markiertheit der Konstruktion. Diese Veränderungen beziehen sich z. B. auf: den Numerus (sein Herz in die Hand / in beide Hände nehmen; jmdn., etw. aus dem Auge / aus den Augen verlieren) die Rektion (mit den Achseln / die Achseln zucken) den Gebrauch von Artikeln u. ä. determinierenden Elementen (das / sein Herz auf der Zunge tragen) das Diminutivum (jmdm. kein Haar / Härchen krümmen) die Art der Negation (jmdm. keinen / nicht den Bissen Brot gönnen) die Lautstruktur (etw. ist gehupft / gehüpft wie gesprungen) den fakultativen Charakter gewisser, zum Komponentenbestand des Phraseologismus gehörender Elemente (sich etw. an den [fünf] Fingern abzählen können) 2) Die zweite Möglichkeit beruht auf einem Austausch einzelner lexikalischer Komponenten des Phraseologismus. So entstehen in der Regel entweder phraseologische Synonyme (in der Klemme / Patsche / Tinte sitzen in Schwierigkeiten sein; jmdn. auf den Arm / die Schippe nehmen über jmdn., etw. spotten; böhmische / arabische / spanische Dörfer unverständliche Dinge) oder phraseologische Antonyme (mit dem / gegen den Strom schwimmen die Meinung der Mehrheit (nicht) vertreten; der Himmel / die Hölle auf Erden; das Heft in die Hand nehmen / das Heft aus der Hand geben die Leitung von etw. übernehmen (abgeben). In diesen Fällen handelt es sich also auch um Differenzierungen in der Bedeutung, der Konnotation, bzw. in anderer Hinsicht. 24

3) Die dritte Möglichkeit liegt nach Fleischer (1997, 207) in der Erweiterung oder Reduktion des Komponentenbestandes eines Phraseologismus. Hier muss man jedoch darauf hinweisen, dass Fleischer nicht streng die Kategorien Variante und Modifikation unterscheidet, bzw. nicht den Terminus Modifikation für okkasionelle Abwandlungen der Phraseologismen verwendet. Die meisten von ihm angeführten Beispiele wären in Anlehnung an Burger/Buhofer/Sialm (1982, 68-90) als phraseologische Modifikationen anzusehen. 4.2. Zur phraseologischen Modifikation Den vermutlich interessantesten Verwendungsaspekt der Phraseologie in heutigen Texten stellen die Modifikationen dar. (Burger 1998, 150). Im Unterschied zu phraseologischen Variationen, bei denen es sich um mehr oder weniger übliche Varianten von Phraseologismen handelt, werden Modifikationen ad hoc gebildet. Dieses Phänomen lässt sich in hohem Maße in der Pressesprache finden. Nach Černyševa (Feste Wortkomplexe des Deutschen in Sprache und Rede. 1980, 101) treten in publizistischen Texten des Deutschen bis zu 30% aller verwendeten Phraseologismen als okkasionelle Modifikationen auf. (vgl. Wotjak 1992, 133). Wotjak spricht in diesem Zusammenhang über eine steigende Tendenz (35%) mit Unterschieden entsprechend dem Charakter der jeweiligen Quelle, z. B. in manchen satirischen Zeitschriften liegt die Zahl über 50%. Die Häufigkeit der Modifikationen hängt naturgemäß auch von der Textsorte ab. (vgl. Wotjak 1992, 133-134). Burger (1998, 154) löst die Frage der Grenzen der Modifikation. Einerseits geht es darum, ob Modifizierbarkeit eine Eigenschaft aller oder nur eines Teils der Phraseologismen ist. Nach Burger gibt es nur eine kleine Menge von Phraseologismen, die schwerlich modifiziert werden könnten. Dies betreffe Phraseologismen mit vorwiegend strukturellen Funktionen (vgl. Kap. 3.1.), also präpositionale und konjunktionale Phraseologismen wie auf Grund von, wenn auch u. ä. Nicht einmal diese Gruppe sei aber von der Modifikation grundsätzlich ausgeschlossen. Andererseits muss man abwägen, was für eine Veränderung des Phraseologismus noch sinnvoll wäre. Grundvoraussetzung jeder Modifikation ist es, dass der Leser oder Hörer den Phraseologismus immer noch als solchen erkennt. Dabei ist zu beachten, dass die Erkennbarkeit einer phraseologischen Wendung vom Textproduzenten anders eingeschätzt wird als vom Rezipienten. Diese Tatsache zeigte sich deutlich in der Werbung, wo 25

Phraseologismen oft stark modifiziert werden. Es wurden empirische Studien durchgeführt, die untersuchen sollten, inwieweit Versuchspersonen imstande sind, verschiedene Phraseologismen als solche und insbesondere ihre Modifikationen zu erkennen. Aus dieser Untersuchung ging hervor (leider für Werbetexter), dass Modifikationen, die durch Verweise im Kontext oder durch ihre verfremdete Form einen Überraschungseffekt verursachen und damit die Aufmerksamkeit der Leserschaft erringen sollen, erreichen ihre Adressaten zum größten Teil nicht. (vgl. Burger 1998, 154). Die phraseologischen Modifikationen können wieder vielfältig realisiert werden. Burger (1998, 150) unterscheidet grob zwei Gruppen von Modifikationen: 1) Die erste Gruppe stellen solche Modifikationen dar, die die äußere Form des Phraseologismus, d. h. seine lexikalische Besetzung und seine morphosyntaktische Struktur, verändern. Die formale Veränderung kann semantische Folgen haben. 2) In die zweite Gruppe fallen diejenigen, die nur auf die Bedeutung des Phraseologismus abzielen. Die äußere Form wird nicht sichtbar verändert. Aus dieser Einteilung ergeben sich mehrere Kombinationsmöglichkeiten, und zwar formale Modifikation ohne semantische Modifikation, formale Modifikation mit semantischer Modifikation und semantische Modifikation ohne formale Modifikation. Burger/Buhofer/Sialm (1982, 70-90) beschreiben ausführlich diese Arten der Modifikation: Lexikalische Substitution Hinzufügung eines Adjektivs Determinativkomposition Hinzufügung eines Genitivattributs Abtrennung Verkürzungen Koordinierung Wechsel Affirmation Negation Verweise im Kontext Verletzung der semantischen Selektionsbedingungen Häufung, Kontamination, Katachrese Metasprachliche Kommentierung 26

4.2.1. Lexikalische Substitution Dieser Typ der Modifikation entsteht, wenn eine Komponente eines Phraseologismus durch ein anderes Element ersetzt wird. Dabei ist die semantische Beziehung zwischen Ausgangswort und Ersatzwort wichtig. So eine Substitution, bei der neues und altes Element im gleichen semantischen Bereich liegen und als kontextuelle Synonyme fungieren können, hat kaum einen semantischen Effekt. Als Beispiel dieser schwachen Modifikation kann nach Burger/Buhofer/Sialm (1982, 70) folgender Ausschnitt dienen: Sie sprachen geläufig und mit erkünstelter Selbstverständlichkeit von musikalischen Linien, Farbenakkorden und ähnlichem und waren überall auf der Lauer nach der persönlichen Note...(Hesse, Camenzind, S. 66) (nach: auf der Lauer liegen in Erwartung von etw. bestimmte Vorgänge aufmerksam beobachten). In diesem Fall handelt es sich um einen Austausch des üblichen liegen gegen das semantisch leere sein, bzw. waren. Diese Veränderung kann jedoch als eine Variante dieses Phraseologismus betrachtet werden, weil die Verbindung auf der Lauer sein im Wörterbuch (obwohl mit der Angabe selten ) zu finden ist. Anders sieht es in diesem Beispiel aus: Ente gut, alles gut (aus der Fernsehwerbung für den WC-Reiniger, dessen Verpackung die Form einer Ente hat) (nach: Ende gut, alles gut). Hier können wir sowohl die formale als auch die semantische Modifikation sehen und durch diese Verbindung wurde ein wirksamer Überraschungseffekt erzielt. (vgl. Burger 1998, 152). 4.2.2. Hinzufügung eines Adjektivs Dieser Typ ist reich in literarischen, aber vor allem in journalistischen Texten vertreten. Das Adjektiv bezieht sich gewöhnlich auf die phraseologische Bedeutungsebene des Phraseolexems, wobei die PL-Aussage (PL = Phraseolexem) intensiviert oder textbildend weiter ausgebaut wird (Wotjak 1992, 142). Als treffende Beispiele könnte man folgende Modifikationen nennen: sollte der Film gewiss auch dem Sozialismus keine nostalgischen Tränen nachweinen. (FAZ 3.2.93, 30, zit. nach: Fleischer 1997, 208) (nach: jmdm. / einer Sache keine Träne nachweinen nicht nachtrauern); wie jeder weiß, der das eigene Leben und mithin das von anderen unter die mehr oder minder kritische Lupe nahm. (P. Edel, Wenn es ans Leben geht, Berlin 1979, 63, zit. nach: Fleischer 1997, 208) (nach: etw. unter die Lupe nehmen genau prüfen). 27

4.2.3. Determinativkomposition Bei diesem Verfahren wird einem wendungsinternen Nomen ein Kompositionselement hinzugefügt. Ähnlich wie im vorhergehenden Fall hängt es von der Semantik des modifizierenden Elementes (Substantiv, das ein Substantiv des Phraseolexems determiniert) ab, ob die Bedeutung der Wortverbindung ambiguiert wird oder nicht. (vgl. Burger/Buhofer/Sialm 1982, 75-76). Unter dem Begriff Ambiguierung versteht man solchen semantischen Effekt, bei dem neben der phraseologischen Bedeutung auch die wörtliche Bedeutung des Phraseologismus aktiviert wird. Dies ist nicht nur durch eine formale Veränderung möglich, sondern vor allem durch den Kontext, der die ambivalente Interpretation des Ausdrucks steuert. (vgl. Burger 1998, 152) Die Ambiguierung liegt nach Burger/Buhofer/Sialm (1982, 76) in diesem Beispiel vor: Erstaunlich war, dass der Igel während dieser Szene, die doch einige Zielsicherheit verlangte, seine Frau, die sich erhoben hatte und in der Nähe des Fensters einen Faden ins Nadelöhr einzufädeln versuchte, im Brillenauge behielt. (G. Grass, Die Blechtrommel, S.596) (nach: jmdn., etw. im Auge behalten jmdn. beobachten, etw. verfolgen). Weitere Beispiele, wo aber nur phraseologische Bedeutung der Wendung realisiert wird, wären: Aus Dresdens Baumschule geplaudert (ND, 1.11.1988, zit. nach: Wotjak 1992, 145) (nach: Aus der Schule plaudern interne Angelegenheiten Außenstehenden mitteilen; die Pistole auf die Wohlstandsbrust setzen (Burger/Buhofer/Sialm 1982, 76) (nach: jmdm. die Pistole auf die Brust setzen jmdn. ultimativ zu einer Entscheidung zwingen). 4.2.4. Hinzufügung eines Genitivattributs Diese Art der phraseologischen Modifikation kommt seltener vor als die vorhergehenden. Als Belege für diesen Modifikationstyp sind folgende Sätze anzuführen: Arbeiter gehen in Massen auf die Straßen, weil ihren Familien gnadenlos das Messer der Existenzvernichtung an die Kehle gesetzt wird. (LVZ 24.2.1988, zit. nach: Wotjak 1992, 144) (nach: jmdm. das Messer an die Kehle setzen durch Drohungen unter Druck setzen); Öl ins Feuer der Raubgold-Debatte gießen (Burger 1998, 151) (nach: Öl ins Feuer gießen einen Streit noch verschärfen); muss den christlichen Brotverteuerern die Maske der Volks- und Arbeiterfreundlichkeit vom Gesicht gerissen werden. (A. Bebel, in: Der 28

Parteitag in München, Neue Zeit 20, 1902, 2, 710, zit. nach: Fleischer 1997, 208) (nach: jmdm. die Maske vom Gesicht reißen jmdn. entlarven). 4.2.5. Abtrennung Zu Abtrennung kommt es, wenn ein Nominalteil einer Verbalphrase durch eine Relativsatzkonstruktion abgetrennt wird: Das bißchen Kopf, das sie noch haben, zerbrechen sie sich mit solchem Zeuge (G. C. Lichtenberg, Tag und Dämmerung, Leipzig 1941, 329, zit. nach: Fleischer 1997, 209) (nach: sich den Kopf zerbrechen angestrengt nachdenken). Nach Burger (1973, 84) komme die Abtrennung nur in stilistisch markierten Kontexten vor. Dazu muss man bemerken, dass die Elemente des Phraseologismus keinerlei Eigenbedeutung haben dürfen. Sonst wird nämlich die phraseologische Bedeutung zerstört (vgl. Burger/Buhofer/Sialm 1982, 76): * das Ohr, über das er mich gehauen hat (nach: jmdn. übers Ohr hauen jmdn. betrügen). 4.2.6. Verkürzungen Verkürzungen treten besonders in Textüberschriften und Schlagzeilen als Mittel der Modifikation auf. Die Reduktion befällt meistens die Verben der phraseologischen Wendungen, besonders wenn sie semantisch leer sind: Wasser auf die Mühlen der IRA (nach: Wasser auf jmds. Mühle sein jmdn. unterstützen, beflügeln); Brett vorm Kopf (nach: ein Brett vor dem Kopf haben begriffsstutzig sein); Währungsreform auf der langen Bank (nach: etw. auf die lange Bank schieben etw. nicht gleich erledigen). (vgl. Burger/Buhofer/Sialm 1982, 77). Der Leser wird durch die Ellipse in der Schlagzeile in zweifacher Weise zur Lektüre des Textes animiert: Erstens soll er das Rätsel lösen, wie der offensichtlich unvollständige Ausdruck zu vervollständigen ist die Auflösung findet sich in der Regel im Text -, und zweitens soll er im Text herausfinden, auf welchen konkreten Sachverhalt sich die phraseologische Formulierung bezieht. (Burger 1998, 152). Wir können auch auf die Kombination von Ellipse und Substitution treffen, wie Burger/Buhofer/Sialm (1982, 78) belegen: Vom Öl in die Traufe? (statt: vom Regen in die Traufe kommen aus einer unangenehmen Lage in eine andere geraten). 29

4.2.7. Koordinierung Bei diesem Typ handelt es sich um die Koordinierung partiell identischer Phraseologismen mit Tilgung (d.h. mit einmaliger Nennung) der identischen Elemente. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Phraseologismen werden ausgenutzt, um humoristische und ironische Wirkungen zu erzielen (vgl. Wotjak 1992, 154). Der beabsichtigte Effekt ist am ehesten komisch, wenn die formal identischen Elemente in ihren jeweiligen Verbindungen eine deutliche semantische Autonomie besitzen und eine jeweils abweichende Bedeutung haben.(vgl. Burger/Buhofer/Sialm 1982, 78). Folgende Beispiele demonstrieren diese Erscheinung sehr anschaulich: Er hat ein Auge auf Emma und die Flinte ins Korn geworfen (Burger 1973, 90) (nach: ein Auge auf jmdn., auf etw. werfen Gefallen an jmdm., an etw. finden + die Flinte ins Korn werfen eine Sache aufgeben). Die schwerste Kunst von allen: Dem Mann in die Arme fallen, und doch am Ende nicht in die Hände (Magazin 8/88, zit. nach: Wotjak 1992, 155) (nach: jmdm. in die Arme fallen jmdn. umarmen + jmdm. in die Hände fallen in jmds. Gewalt, Besitz geraten). 4.2.8. Wechsel Affirmation Negation Zu den okkasionellen Abwandlungen von Phraseologismen zählt auch der Typ, bei dem es zu einem Wechsel von Affirmation (d.h. von der positiven Aussageweise) zu Negation (zur negativen Aussageweise) und umgekehrt kommt. Dieser Wechsel bewirkt eine Art Widerlegung oder Entkräftung des Inhalts der phraseologischen Wendung (vgl. Burger/Buhofer/Sialm 1982, 79). Der Effekt dieses Verfahrens besteht primär in einem Widerruf der Bedeutung der Ausgangsverbindung. Dazu kann anschließend auch die Ambiguierung hinzukommen. Ebenfalls für diesen Modifikationstyp gibt es viele Belege: Die rund hundert Arbeiter, die von dieser scheinbaren Großzügigkeit überfallen werden, tun jedenfalls gut daran, diesem geschenkten Gaul sehr genau ins Maul zu schauen. (Abendschau des SWF vom 14.5.79, zit. nach: Burger/Buhofer/Sialm 1982, 79) (nach: einem geschenkten Gaul sieht/schaut/guckt man nicht ins Maul - an einem Geschenk soll man nicht herummäkeln); Übrigens werden wir mitunter auch vor unvollendete Tatsachen gestellt (Eule 38/88, zit. nach: Wotjak 1992, 152) (nach: jmdn. vor die vollendete Tatsache stellen jmdn. mit einem eigenmächtig geschaffenen Sachverhalt konfrontieren). 30