Vernetzte Verkehrswelt

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Transkript:

Vernetzte Verkehrswelt Wie digitale Lösungen unsere Mobilität verändern

Mobilität Mobilitätsverhalten Intermodalität besser verstehen Analyse komplexer Mobilitätsmuster mittels smartphonebasiertem GPS-Tracking Intermodalität, Multimodalität, GPS-Tracking, Erhebungsmethoden Kaum ein Strategiepapier im Verkehrsbereich kommt heute ohne ein klares Bekenntnis zur Förderung von Multi- und Intermodalität aus. Insbesondere Intermodalität ist bisher jedoch nur in Ansätzen verstanden. Es fehlten bisher geeignete Erhebungsmethoden, mit denen die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel auf einem Weg exakt erfasst werden kann. Neue digitale und GPS-basierte Erhebungsmethoden lösen dieses Problem. Im Beitrag werden Ergebnisse aus dem Projekt multimo präsentiert, in dem mehr als 1100 Personen über einen Zeitraum von jeweils zwei Wochen ihr Verkehrsverhalten mittels GPS-Tracking bzw. Online-Wegetagebuch aufzeichneten. Autoren: Robert Schönduwe, Marc Schelewsky, Lena Damrau, Robert Follmer Die Vernetzung der Verkehrsmittel soll in Zukunft dafür sorgen, dass Menschen schneller, stressfreier und ökologischer ans Ziel gelangen. Insbesondere in Agglomerationen bekommt der private PKW zunehmend Konkurrenz durch alternative Angebote und neue Mobilitätsdienstleistungen. Nachdem jahrzehntelang versucht wurde, mit neuen Straßen der Blechlawine Herr zu werden, sollen nun Pedelec und Carsharing in Kombination mit Bus und Bahn die Lösung für städtische Verkehrsprobleme herbeiführen. Auch nachfrageseitig sind erste Anzeichen für einen Bewusstseinswandel zu beobachten: Die Liebe zum Automobil scheint zu erkalten [1]. Der private PKW wird zum Opfer seines eigenen Erfolgs. Einst als Vehikel des freien Individuums in pluralisierten Gesellschaften verehrt, wird der PKW in Städten immer häufiger ausgebremst und ist oftmals für die Bewältigung Multimodalität In jeder Situation das passende Verkehrsmittel Bild 1: Intermodalität als Teilmenge von Multimodalität des komplexen Alltags postmoderner Netzbürger nicht mehr die beste Wahl. Während der PKW-Nutzer noch auf Parkplatzsuche ist, navigieren die Innovatoren mit ihren Smartphones scheinbar mühelos durch die mobile Angebotsvielfalt der Städte so die Theorie. Eine Vielzahl digitaler Helfer vereinfacht Zugang, Buchung und Abrechnung von Mobilitätsdienstleistungen und ermöglicht so es, in jeder Situation das jeweils passende Verkehrsmittel zu nutzen. Diese Vision einer effizient organisierten, inter- und multimodalen Verkehrswelt ist mittlerweile gleichermaßen fester Bestandteil der Strategiepapiere von Kommunen [2], ÖV-Anbietern [3], Automobilherstellern [4] und Interessensverbänden [5]. Definition von Inter- und Multimodalität Auch in der Verkehrsforschung wird dem Trend zur Inter- und Multimodalität immer Intermodalität Die effiziente Reisekette stärkere Beachtung geschenkt. Dabei wird deutlich, dass noch einige Hürden zu überwinden sind, um die Vision der neuen Verkehrswelt Wirklichkeit werden zu lassen. Bereits hinsichtlich der Definition von Inter- und Multimodalität besteht Uneinigkeit. Multimodalität beschreibt die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel innerhalb eines Zeitraums, wobei meist eine Woche betrachtet wird (vgl. Bild 1). Soweit besteht Konsens. Welche Verkehrsmittel berücksichtigt werden, wie Fußwege zu handhaben sind und ob der gewählte Zeitraum angemessen ist, sind hingegen Fragen, die derzeit noch diskutiert werden. Zwar existieren zahlreiche Kennzahlen, die es erlauben, multimodales Verkehrsverhalten zu quantifizieren und damit eine Vergleichbarkeit herzustellen, diese werden jedoch nur eher selten angewandt (für einen Überblick siehe [6]). Zudem plädieren insbesondere Kommunen für eine Erweiterung des Blickwinkels. Für Städte ist nicht nur die individuelle Perspektive des Verkehrsverhaltens relevant, sondern auch die Bewertung des Verkehrssystems hinsichtlich multimodaler Möglichkeiten vor Ort. Geeignete Indikatoren für eine derartige Bewertung städtischer Verkehrssysteme fehlen bisher. Intermodalität wird als Teilmenge der Multimodalität betrachtet und beschreibt die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel auf einem Weg (vgl. Bild 1). Auch Intermodalität wird, über diesen Minimalkonsens hinaus, unterschiedlich definiert. 50 Internationales Verkehrswesen (68) 1 2016

Mobilitätsverhalten Mobilität Kennzeichnet ein Umstieg vom Bus zur S- Bahn bereits einen intermodalen Weg? Werden Fußwege berücksichtigt? Ist eine Mindestanzahl genutzter Verkehrsmitteln notwendig, um einen Weg als intermodal bezeichnen zu können? Diese und weitere Fragen werden derzeit noch diskutiert. Vom Wege- zum Etappenkonzept Da eine einheitliche Definition von Interund Multimodalität bisher fehlt, verwundert es nicht, dass auch die Datenlage derzeit noch eingeschränkt ist. Sowohl die genutzten Kenngrößen als auch die Erhebungsinstrumente erfassen das individuelle Verkehrsverhalten nicht im benötigten Detailgrad. Während zur Erfassung multimodalen Verkehrshandelns vor allem Längsschnittdaten mit Angaben zum individuellen Verkehrshandeln über einen längeren Zeitraum (beispielsweise zwei Wochen) notwendig wären, ist zur Analyse von Intermodalität vor allem eine exakte Aufzeichnung aller genutzten Verkehrsmittel erforderlich. Wichtigste Basisgröße zur Beschreibung des Verkehrsgeschehens ist nach wie vor das Wegekonzept. Dieses geht auf das KONTIV-Design zurück, das in den 1970er- Jahren entwickelt wurde und vorwiegend Orientierungsgrößen zur verkehrsplanerischen Bewältigung der Massenmotorisierung liefern sollte. Aussagen zur Intermodalität können mit dem Wegekonzept nicht getroffen werden. Es fehlen Informationen zu Umstiegen und der Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel auf einem Weg. Die Notwendigkeit einer möglichst genauen Erfassung des individuellen Verkehrshandelns wird weitgehend anerkannt, allein der Aufwand zur Erhebung dieser Etappeninformationen erschien bisher zu hoch. So heißt es beispielsweise in einer Methodenstudie, die im Vorfeld der MiD 1 2002 durchgeführt wurde: Die Erhebung detaillierter Informationen zu jeder Wegeetappe würde den Umfang jedes Instrumentariums für eine bundesweite Erhebung sprengen und darüber hinaus bei den Befragten zu Akzeptanzproblemen führen ([7], S. 17). Sowohl in der MiD als auch in der SrV 2 wurde letztlich ein Mittelweg gewählt, um den Aufwand für die Befragten gering zu halten und gleichzeitig möglichst vollständige Informationen zu erheben. Die Befragten wurden gebeten, für jeden Weg alle Verkehrsmittel sowie die Reihenfolge der genutzten Verkehrsmittel anzugeben. Zusätzlich wurde in der SrV gefragt, mit welchem Verkehrsmittel der längste Streckenabschnitt zurückgelegt wurde. Damit liegen zumindest Angaben zur Verkehrsmittelwahl vor, räumliche und zeitliche Informationen sind Vorteile Nachteile Etappen Umsteigebeziehungen werden erfasst Zu- und Abgangswege zu ÖV-Haltestellen werden erfasst Hohe räumliche Genauigkeit: Erfassung aller, auch kurzer, Ortsveränderungen und Verkehrsmittelnutzungen bei GPS-Tracking Hohe zeitliche Genauigkeit: erlaubt beispielsweise die Analyse von Wartezeiten Erlaubt genaue Analyse gegenwärtig wichtiger Entwicklungen wie Inter- und Multimodalität Bei Verwendung von Mobilitätstagebüchern: Erhöhter Erhebungsaufwand Aggregation zu Wegen ist technisch möglich, Konsistenz von Zeitreihendaten muss hinsichtlich möglicher Verzerrungen überprüft werden jedoch nicht vorhanden. Veröffentlichte Kennzahlen großer Verkehrserhebungen wie der MiD berücksichtigen diese Angaben jedoch nicht und beziehen sich fast ausschließlich auf Hauptverkehrsmittel. Zukünftig werden die Anforderungen an den Detailgrad der erhobenen Daten ansteigen. Die Weiterentwicklung von Verkehrsmodellen und Änderungen des Angebots und der Nachfrage nach Verkehrsdienstleistungen machen diese Entwicklung erforderlich. Für viele Fragestellungen sind Etappenkonzepte unverzichtbar, entsprechend wird in vielen Ländern angestrebt, den Informationsgewinn zu steigern und dabei den Befragungsaufwand gering zu halten. Im Schweizer Mikrozensus Verkehr wird beispielsweise seit 1994 ein Etappenkonzept angewandt und somit sehr genaue Daten zu den genutzten Verkehrsmitteln erhoben [8]. Insgesamt gilt jedoch auch international, dass Wegeinformationen relativ einheitlich erhoben werden, bei Etappeninformationen ein Standard jedoch noch fehlt. Es lässt sich somit festhalten, dass Etappenund Wegekonzepte zwar mit je eigenen Vorund Nachteilen verbunden sind, es jedoch zunehmend wichtig wird, Informationen zum Verkehrshandeln in hohem Detailgrad zu erheben (vgl. Tabelle 1). Die technischen Voraussetzungen dafür sind gegeben, wie die folgenden Erfahrungen aus dem Projekt multimo zeigen. Wege Tabelle 1: Vor- und Nachteile von Wege- und Etappenkonzepten Hinreichender Input für aggregierte Verkehrsmodelle und zur Erstellung von Quell-Ziel-Matrizen Hohe Vergleichbarkeit durch konsistente Zeitreihen Hohe internationale Vergleichbarkeit Aktuelle Fragestellungen zur Entwicklung des Verkehrsverhaltens können nicht beantwortet werden Verlust an räumlichen Informationen Verlust an zeitlichen Informationen Mangelhafter Detailgrad für disaggregierte Verkehrsmodelle Das Projekt multimo Im Folgenden werden Ergebnisse aus dem Projekt multimo (www.multimo.mobi) vorgestellt. Im Mittelpunkt des Projekts stand die Analyse des Zusammenspiels neuer Verkehrsangebote wie etwa Carsharing und Fahrradverleihsysteme mit den bewährten Angeboten des öffentlichen Verkehrs. Das Projekt wurde von infas und InnoZ in Kooperation mit den Verkehrsunternehmen und -verbünden BVG, VBB, VBN, DVB, GVH, KVB, VRS, LVB, SSB, MVV, HVV, RMV, VRR sowie dem VdV Verband Deutscher Verkehrsunternehmen und der Porsche AG durchgeführt. Im Fokus standen Kundenbedürfnisse und Erwartungen an die neuen Angebote sowie die Erprobung neuer Erhebungsmethoden. Die Erhebung wurde im Mai 2015 durchgeführt. Die Teilnehmer wurden durch die Projektbeteiligten mittels Hinweisen auf Webseiten, in Publikationen der Verkehrsunternehmen und über Social Media frei rekrutiert. Entsprechend handelt es sich nicht um ein repräsentatives Sample. Insgesamt zeichneten 1152 Personen ihre Mobilitätsmuster über einen Zeitraum von mindestens zehn Tagen auf. Die Mehrheit der Teilnehmer ist zwischen 18 und 60 Jahre alt. Jüngere und ältere Menschen sind unterrepräsentiert. Männer sind mit einem Anteil von 63% im Vergleich zum Anteil in der Gesamtbevölkerung von 49 % überrepräsentiert. Die Teilnehmer sind zu einem hohen Anteil vollzeiterwerbstätig (60 %) und haben ein Studium abgeschlossen (51 %). Sie beurteilen zudem die eigene wirtschaftliche Situation überwiegend als gut bzw. sehr gut und leben sehr häufig in autolosen Haushalten. GPS-Tracking und Online- Wegetagebücher Die Teilnehmer der Studie wurden gebeten, ihr Mobilitätsverhalten über einen Zeitraum von 14 Tagen aufzuzeichnen. Dabei konnten sie freiwillig zwischen zwei Erhebungsinstrumenten wählen: Smartphone- Apps (ios und Android) und Online-Wegetagebücher. Zum Einsatz kam die App mo- Internationales Verkehrswesen (68) 1 2016 51

Mobilität Mobilitätsverhalten Bild 3: Anteil intermodaler Wege (n = 1152 Personen) Bild 2: Smartphonebasiertes GPS-Tracking mit der App modalyzer dalyzer (www.modalyzer.com) (vgl. Bild 2). Diese zeichnet nicht nur genaue räumliche und zeitliche Etappeninformationen auf, sondern erkennt auch automatisch die genutzten Verkehrsmittel. Dies ermöglicht eine weitgehend passive Aufzeichnung aller Bewegungen der Studienteilnehmer. Online-Wegetagebücher bieten hingegen vor allem den Vorteil, dass zusätzliche Informationen zu den Wegen erfasst werden können. So wurde beispielsweise erhoben, ob es sich bei den berichteten Wegen um Routinewege handelte und ob Auskunftsdienste genutzt wurden. Prinzipiell können Zusatzinformationen auch in der App erhoben werden, dies würde jedoch dem angestrebten passiven Charakter der Datenerhebung widersprechen. Für die Nutzung der App entschieden sich 686 Personen. 978 Teilnehmer wählten die Online-Wegetagebücher. In der Auswertung wurden nur Teilnehmer berücksichtigt, die an mindestens 10 Tagen Angaben zu ihrer Mobilität machten. Insgesamt waren dies 475 (App) bzw. 677 (Online-Wegetagebuch) Personen. Neben der Aufzeichnung der Wege wurden von allen Teilnehmern weitere Angaben mittels einer Online-Befragung erhoben. Intermodalität im Alltag Im Projekt multimo wurde Intermodalität folgendermaßen definiert: Ein intermodaler Weg ist dadurch gekennzeichnet, dass mindestens zwei Etappen innerhalb eines Weges mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt wurden. Fußwege werden nur gezählt, wenn der längste Teilabschnitt des Weges ein Fußweg ist. Umstiege innerhalb des ÖPNV werden nicht als Wechsel von Verkehrsmitteln betrachtet. Intermodalität spielt im Alltag bisher nur eine untergeordnete Rolle. Aufgrund des Samplings war davon auszugehen, dass ÖV-Kunden und Personen, die eine hohe Affinität für Mobilitätsdienstleistungen zeigen, in der multimo-stichprobe überrepräsentiert sind. Selbst in dieser selektiv ausgewählten Stichprobe ist der Anteil intermodaler Wege vergleichsweise gering. Nur bei 8,5 % der ca. 47 000 Wege wurden unterschiedliche Verkehrsmittel genutzt. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer ist nur (sehr) selten intermodal unterwegs. Wie Bild 3 zeigt, haben 381 Teilnehmer im Zeitraum von mindestens 10 Tagen auf keinem ihrer Wege Verkehrsmittel kombiniert. 67,5 % der Teilnehmer haben maximal 10% intermodale Wege, d.h. es wurden maximal zwei intermodale Wege pro Woche zurückgelegt (in Bild 3 grau markiert). Es wird aber auch deutlich, dass ein kleiner Anteil der Befragten sehr häufig intermodal unterwegs ist, 19 Teilnehmer kombinierten sogar auf mehr als 50 % der Wege unterschiedliche Verkehrsmittel. Der öffentliche Verkehr ist Treiber der Intermodalität. Eine Betrachtung des Modal split in Abhängigkeit von der Intensität der Intermodalität zeigt, dass Personen mit einem hohen Anteil intermodaler Wege häufiger den ÖV nutzen und weniger Fußwege zurücklegen (vgl. Bild 4). Unklar ist, ob dies eine Wahlfreiheit der Nutzer widerspiegelt oder im ÖV schlicht häufiger die Notwendigkeit besteht, intermodal unterwegs zu sein. Die Darstellung des Modal split zeigt auch, dass Carsharing bisher nur eine sehr marginale Rolle einnimmt. Intermodalität bietet bisher vor allem Effizienzvorteile im Fernverkehr. Je höher der Anteil intermodaler Wege einer Person, desto größer sind die durchschnittlichen Distanzen, die diese Personen pro Tag zurücklegen (vgl. Bild 5). Offensichtlich gehört die Verknüpfung unterschiedlicher Verkehrsmittel im Fernverkehr bereits zum Bild 4: Intensität der Intermodalität und Modal split (n = 1.152 Personen) Bild 5: Intensität der Intermodalität und Distanzen (n = 1.152 Personen) 52 Internationales Verkehrswesen (68) 1 2016

Mobilitätsverhalten Mobilität Bild 6: Hot spots intermodaler Verkehrsmittelnutzung in als Beispiel für räumliche Auswertungen der Trackingdaten Alltag, auf kürzeren Strecken fehlen hingegen noch Möglichkeiten zur Kombination von Verkehrsmitteln auf einem Weg. Dieses Ergebnis zeigt aber auch, dass Intermodalität bisher nur auf bestimmten Wegen und für bestimmte Zielgruppen eine sinnvolle Alternative darstellt. Deshalb sind detaillierte Analysen individueller Mobilitätsmuster notwendig, um beispielsweise die Gestaltung intermodaler Auskunftsdienste zu verbessern. Falsch verbunden? Hürden für die Intermodalität im Alltag. In der begleitenden Online-Erhebung wurden die Teilnehmer gebeten, in offenen Fragen Angaben zu Problemen bei der Kombination von Verkehrsmitteln zu machen. Dabei zeigte sich, dass fehlende Schnittstellen und die Unzuverlässigkeit von Angeboten derzeit noch die größten Hürden darstellen. Mangelnde Zuverlässigkeit äußere sich beispielsweise darin, dass Carsharing-Fahrzeuge und Leihräder nicht wie erwartet zur Verfügung stehen oder Umsteigezeiten zwischen öffentlichen Verkehrsmitteln zu kurz sind und dies zu Reisezeitverlängerungen führt. Hinsichtlich der Schnittstellen wurde beispielsweise bemängelt, dass sichere Abstellmöglichkeiten für Fahrräder fehlen, die Kompatibilität zwischen Leihangeboten nicht gegeben und die Fahrradmitnahme in Bussen und Bahnen eingeschränkt ist. Fazit Neue Methoden der Datenerhebung und -analyse sind notwendig, um inter- und multimodales Verkehrsverhalten besser verstehen und somit zielgerichteter fördern zu können. Für eine Prognose des Markterfolgs intermodaler Mobilitätsdienstleistungen sind empirische Daten zur intermodalen Verkehrsmittelnutzung notwendig. Ein Methodenmix, wie im Projekt multimo angewandt, bietet dafür die besten Voraussetzungen. Folgende Handlungsempfehlungen lassen sich aus dem Projekt multimo ableiten. Es gilt erstens, die vorgestellten Erhebungsinstrumente weiter zu optimieren und neue, digitale Erhebungsmethoden zu nutzen [9]. Konkret ist derzeit der zu hohe Akkuverbrauch noch die größte Hürde für den Einsatz des GPS-Tracking. Technische Verbesserungen der Apps und neue Gerätegenerationen werden die Probleme aber in kurzer Zeit obsolet werden lassen. Ein Methodenmix, wie in multimo angewandt, wird mittelfristig die besten Ergebnisse liefern. Zweitens muss in der Verkehrsforschung ein noch breiterer Diskurs über die Möglichkeiten dieser neuen Erhebungsmethoden angestoßen werden. Dabei muss auch die Zweckmäßigkeit bisher verwendeter Basisgrößen für die Bewegung im Raum hinterfragt werden. Zudem ist eine erhöhte Methodenkompetenz für die Datenauswertung notwendig, die auch in der universitären Ausbildung Berücksichtigung finden muss. Drittens sollten die neuen empirischen Möglichkeiten genutzt werden, um das Verkehrsverhalten besser erklären und verstehen zu können (vgl. Bild 6). Der detaillierte Einblick in Mobilitätsmuster sollte darüber hinaus genutzt werden, um bestehende Angebote zu verbessern und neue Mobilitätsdienstleistungen, Tarifstrukturen und Preissysteme zu entwickeln. 1 MiD: repräsentative Erhebung zum Verkehrshandeln in Deutschland (Mobilität in Deutschland) 2 SrV: repräsentative Erhebung zum Verkehrshandeln in Städten (System repräsentativer Verkehrserhebungen) Literatur [1] Schönduwe, Robert; Benno Bock & Inga-Theres Deibel, 2012: Alles wie immer, nur irgendwie anders? Trends und Thesen zu veränderten Mobilitätsmustern junger Menschen.. (= InnoZ-Baustein, 10). [2] Sandrock, Michael & Gerd Riegelhuth (Hrsg.), 2014: Verkehrsmanagementzentralen in Kommunen. Eine vergleichende Darstellung. Wiesbaden. [3] Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), 2013: Der ÖPNV: Rückgrat und Motor eines zukunftsorientierten Mobilitätsverbundes. Positionspapier. Köln. [4] Roland Berger Strategy Consultants (Hrsg.), 2014: Shared mobility. How new businesses are rewriting the rules of the private transportation game. München. [5] Canzler, Weert & Andreas Knie, 2015: Die neue Verkehrswelt. Mobilität im Zeichen des Überflusses: schlau organisiert, effizient, bequem und nachhaltig unterwegs.. [6] Nobis, Claudia, 2014: Multimodale Vielfalt. Quantitative Analyse multimodalen Verkehrshandelns. Dissertation, Humboldt-Universität.. [7] Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) & Institut für angewandte Sozialwissenschaft (infas) (2001): KONTIV 2001 - Kontinuierliche Erhebung zum Verkehrsverhalten. Methodenstudie. Endbericht. Projektnummer 70.631/2000., Bonn. [8] Bundesamt für Statistik (Schweiz) & Bundesamt für Raumentwicklung (Schweiz) (2004): Mikrozensus zum Verkehrsverhalten 2005. Detailkonzept. Neuchâtel, Bern. [9] Schelewsky, Marc; Helga Jonuschat; Benno Bock & Korinna Stephan (Hrsg.), 2014: Smartphones unterstützen die Mobilitätsforschung. Neue Einblicke in das Mobilitätsverhalten durch Wege-Tracking. Wiesbaden. Robert Schönduwe, Dr. Senior Experte Digital Solutions, robert.schoenduwe@innoz.de Marc Schelewsky, Dipl.-Soz. Fachgebietsleiter Digital Solutions, marc.schelewsky@innoz.de Lena Damrau, Dipl.-Psych. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, lena.damrau@innoz.de Robert Follmer, Dipl.-Soz. Bereichsleiter, Infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH, Bonn r.follmer@infas.de Internationales Verkehrswesen (68) 1 2016 53