Europäische (Über-)Regulierung von Rechnungslegung, Abschlussprüfung und Corporate Governance? Antrittsvorlesung Lüneburg, den 28.11.2014 Univ.-Prof. Dr. Patrick Velte Professur für Accounting & Auditing
Agenda 1. Einführung 2. Unternehmenspublizität 2.1. EU-Rechnungslegungsrichtlinie und Verhältnis zu den IFRS 2.2. (Integrierte) Nachhaltigkeitsberichterstattung 3. Unabhängigkeit des Abschlussprüfers 3.1. Begrenzung von kombinierter Prüfung und Beratung 3.2. Externe Rotation 4. Professionalisierung des Aufsichtsrats 4.1. Prüfungsausschüsse 4.2. Gender Diversity 5. Fazit 1
1. Einführung EU-Regulierungsbestrebungen als Reaktion auf die Finanzkrise 2008/09 Ziel: Stärkung der Qualität von Rechnungslegung, Abschlussprüfung und Corporate Governance in den EU-Mitgliedstaaten Jahr EU-Verlautbarungen 2010 Grünbuch: Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik Grünbuch: Weiteres Vorgehen im Bereich der Abschlussprüfung 2011 Grünbuch: Europäischer Corporate Governance-Rahmen 2012 Aktionsplan: Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance Richtlinie 2013/34/EU über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte [ ] (sog. EU-Rechnungslegungsrichtlinie) 2013 Richtlinie zur Gewährleistung einer ausgewogenen Vertretung von Frauen und Männern unter den nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften [ ] (noch keine Zustimmung durch Ministerrat) 2
1. Einführung Jahr 2014 EU-Verlautbarungen Richtlinie 2014/56/EU zur Änderung der Achten EG-Richtlinie über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen (sog. EU-Abschlussprüfer-Richtlinie) Verordnung (EU) 537/2014 über spezifische Anforderungen an die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse [ ] (sog. EU-Abschlussprüfer-Verordnung) Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Einbeziehung der Aktionäre [ ] (sog. EU-Aktionärsrechte-Richtlinie) Richtlinie 2014/95/EU zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen [ ] Empfehlung 2014/208/EU zur Qualität der Berichterstattung über die Unternehmensführung ( Comply or Explain ) 3
Agenda 1. Einführung 2. Unternehmenspublizität 2.1. EU-Rechnungslegungsrichtlinie und Verhältnis zu den IFRS 2.2. (Integrierte) Nachhaltigkeitsberichterstattung 3. Unabhängigkeit des Abschlussprüfers 3.1. Begrenzung von kombinierter Prüfung und Beratung 3.2. Externe Rotation 4. Professionalisierung des Aufsichtsrats 4.1. Prüfungsausschüsse 4.2. Gender Diversity 5. Fazit 4
2.1. EU-Rechnungslegungsrichtlinie und Verhältnis zu den IFRS Richtlinie 2013/34/EU als Ersatz der 4. und 7. EG-Richtlinie keine Übernahme der IFRS for Small and Medium-Sized Entities (SMEs) alternative (IFRS-)Bewertungskonzeptionen (erfolgsneutrale Neubewertung und erfolgswirksame Bewertung zum (höheren) beizulegenden Zeitwert) versus Bewahrung des Vorsichts- und Gläubigerschutzprinzips Neujustierung bei den Grundsätzen der Rechnungslegung (Substance over Form, Materiality) als Annäherung an die IFRS gleichzeitig Absage an den Impairment Only Approach beim derivativen Goodwill Fazit: inhomogenes Prinzipiensystem sowie Verletzung der Vergleichbarkeit durch 119 (!) Wahlrechte und massive Regelungslücken, z.b. zum Leasing und Hedging 5
Agenda 1. Einführung 2. Unternehmenspublizität 2.1. EU-Rechnungslegungsrichtlinie und Verhältnis zu den IFRS 2.2. (Integrierte) Nachhaltigkeitsberichterstattung 3. Unabhängigkeit des Abschlussprüfers 3.1. Begrenzung von kombinierter Prüfung und Beratung 3.2. Externe Rotation 4. Professionalisierung des Aufsichtsrats 4.1. Prüfungsausschüsse 4.2. Gender Diversity 5. Fazit 6
2.2. (Integrierte) Nachhaltigkeitsberichterstattung Shareholder- versus Stakeholder Value-Politik Gleichwertige Berichterstattung über ökonomische, ökologische und soziale Ziele (Corporate Social Responsibility (CSR)) wichtige Leitlinien: Global Reporting Initiative (GRI) und Deutscher Nachhaltigkeitskodex (DNK) jüngste EU-Änderung: Ausweitung des Lageberichts um nichtfinanzielle Erklärung (Umwelt-, Sozial- sowie Arbeitnehmerbelange, Achtung der Menschenrechte sowie Bekämpfung von Bestechung und Korruption); Mitgliedstaatenwahlrecht für befreienden Nachhaltigkeitsbericht Erweiterung zum integrierten Bericht nach dem Framework des International Integrated Reporting Council (IIRC) Verknüpfung von Finanz- und Nachhaltigkeitsbericht mit strategischausgerichtetem und Stakeholder-orientiertem Fokus 7
2.2. (Integrierte) Nachhaltigkeitsberichterstattung Verlässlichkeit von (integrierten) Nachhaltigkeitsberichten? EU-Mitgliedstaatenwahlrecht zur Überprüfung durch einen unabhängigen Erbringer von Dienstleistungen Einfluss der Corporate Governance auf die Qualität des CSR Reportings als jüngerer Schwerpunkt der empirischen Forschung häufig positiver Einfluss von Gender Diversity im Board auf die Berichtsqualität, ansonsten stark heterogene Studienergebnisse und Forschungslücke für das Dualsystem Zwischenfazit: EU-Maßnahmen wenig ausgereift 8
Agenda 1. Einführung 2. Unternehmenspublizität 2.1. EU-Rechnungslegungsrichtlinie und Verhältnis zu den IFRS 2.2. (Integrierte) Nachhaltigkeitsberichterstattung 3. Unabhängigkeit des Abschlussprüfers 3.1. Begrenzung von kombinierter Prüfung und Beratung 3.2. Externe Rotation 4. Professionalisierung des Aufsichtsrats 4.1. Prüfungsausschüsse 4.2. Gender Diversity 5. Fazit 9
3.1. Begrenzung von kombinierter Prüfung und Beratung Richtlinie zur Änderung der Achten EG-Richtlinie über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen + Verordnung über spezifische Anforderungen an die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse Chancen und Risiken einer parallelen Prüfungs- und Beratungstätigkeit beim Mandanten (insb. Steuerberatung) intendierte Stärkung der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers durch konkrete Ausschlussleistungen ( Black List ) Mitgliedstaatenwahlrecht, bestimme Steuerberatungs- und Bewertungsleistungen parallel zur Abschlussprüfung zu tolerieren Billigung durch Aufsichtsrat bzw. Prüfungsausschuss und Erstellung von Leitlinien zur Durchführung von Nichtprüfungsleistungen 10
3.1. Begrenzung von kombinierter Prüfung und Beratung Begrenzung der Gesamthonorare für Nichtprüfungsleistungen im Vergleich zu den Prüfungshonoraren und des mandantenspezifischen Honorars keine Pure Audit Firms trotz hoher Anbieterkonzentration am europäischen Prüfungsmarkt (Oligopol durch Big Four ) Einfluss einer kombinierten Prüfung und Beratung auf die Prüfungsqualität als Schwerpunkt der empirischen Prüfungsforschung heterogene Untersuchungsergebnisse und begrenzte Aussagekraft der Studien durch Surrogate der Rechnungslegungs- und Prüfungsqualität Fazit: maßvoller regulatorischer EU-Eingriff durch Mitgliedstaatenwahlrechte, aber Vergleichbarkeitsdefizite 11
Agenda 1. Einführung 2. Unternehmenspublizität 2.1. EU-Rechnungslegungsrichtlinie und Verhältnis zu den IFRS 2.2. (Integrierte) Nachhaltigkeitsberichterstattung 3. Unabhängigkeit des Abschlussprüfers 3.1. Begrenzung von kombinierter Prüfung und Beratung 3.2. Externe Rotation 4. Professionalisierung des Aufsichtsrats 4.1. Prüfungsausschüsse 4.2. Gender Diversity 5. Fazit 12
3.2. Externe Rotation Wechsel des verantwortlichen Prüfungspartners = interne Rotation; Austausch der gesamten Prüfungsgesellschaft = externe Rotation Ergänzung der internen Rotation (nach 7 Jahren mit Cooling Off von 3 Jahren) um externe Rotation (nach grds. 10 Jahren mit Cooling Off von 4 Jahren) Mitgliedstaatenwahlrecht zur Verlängerung der Wechselfrist bei öffentlicher Ausschreibung (maximal 20 Jahre) oder bei Joint Audits (maximal 24 Jahre) keine obligatorischen Gemeinschaftsprüfungen keine gesicherten Nachweise über positive Wirkung von Joint Audits auf die Prüfungsqualität durch die Prüfungsforschung externe Rotation führt empirisch mehrheitlich zu sinkender Prüfungsqualität Zwischenfazit: EU-Einführung der externen Rotation kontraproduktiv 13
Agenda 1. Einführung 2. Unternehmenspublizität 2.1. EU-Rechnungslegungsrichtlinie und Verhältnis zu den IFRS 2.2. (Integrierte) Nachhaltigkeitsberichterstattung 3. Unabhängigkeit des Abschlussprüfers 3.1. Begrenzung von kombinierter Prüfung und Beratung 3.2. Externe Rotation 4. Professionalisierung des Aufsichtsrats 4.1. Prüfungsausschüsse 4.2. Gender Diversity 5. Fazit 14
4.1. Prüfungsausschüsse Board- versus Dualsysteme (Konvergenz?) Implementierung von Prüfungsausschüssen mit unabhängigen Finanzexperten zur Stärkung der Qualität der Corporate Governance keine generelle Implementierungspflicht in der EU (Mitgliedstaatenwahlrecht) Beibehaltung der Mindestanzahl von einem Financial Expert aber: mehrheitlich unabhängige Mitglieder im Prüfungsausschuss (inklusive des Vorsitzenden); Exit-Lösung durch Mitgliedstaatenwahlrecht häufig positiver Einfluss von unabhängigen Finanzexperten im Prüfungsausschuss auf die Qualität der Rechnungslegung und Abschlussprüfung in Board-Systemen Zwischenfazit: diskussionswürdige Kompromisslösung nach der EU-Reform 15
Agenda 1. Einführung 2. Unternehmenspublizität 2.1. EU-Rechnungslegungsrichtlinie und Verhältnis zu den IFRS 2.2. (Integrierte) Nachhaltigkeitsberichterstattung 3. Unabhängigkeit des Abschlussprüfers 3.1. Begrenzung von kombinierter Prüfung und Beratung 3.2. Externe Rotation 4. Professionalisierung des Aufsichtsrats 4.1. Prüfungsausschüsse 4.2. Gender Diversity 5. Fazit 16
4.2. Gender Diversity Vielfalt (Diversity) hinsichtlich Geschlecht, Alter, Internationalität, beruflicher Hintergrund usw. bei der Besetzung von Vorstand und Aufsichtsrat Beschluss des EU-Parlaments zur Einführung einer Frauenquote von 40% im Aufsichtsrat bei Unternehmen des öffentlichen Interesses (bis 2020); Zustimmung durch Ministerrat noch nicht erfolgt Änderung der EU-Rechnungslegungsrichtlinie (2014): Ausweitung der Erklärung zur Unternehmensführung um Beschreibung der Diversitätsstrategie (z.b. Alter, Geschlecht sowie Bildungs- und Berufshintergrund) Quotengesetz in Deutschland (voraussichtliche Verabschiedung im Kabinett am 11.12.2014): Frauenquote von 30% im Aufsichtsrat ab 2016 bei börsennotierten und voll mitbestimmten Unternehmen (ca. 100) + börsennotierte oder mitbestimmte Unternehmen (ca. 3.500) sollen ab 2015 eigene verbindliche Quoten für Aufsichtsrat, Vorstand und die oberen Managementebenen festlegen 17
4.2. Gender Diversity Gender Diversity als beliebter Untersuchungsgegenstand der empirischen Corporate Governance-Forschung Heterogenität der Ergebnisse hinsichtlich des Einflusses auf die Unternehmensperformance und begrenzte Aussagekraft der Studien Dualsystem in der Gender Diversity-Forschung unterrepräsentiert Zwischenfazit: Kontroverse aus ökonomischer Sicht zur optimalen Frauenquote 18
Agenda 1. Einführung 2. Unternehmenspublizität 2.1. EU-Rechnungslegungsrichtlinie und Verhältnis zu den IFRS 2.2. (Integrierte) Nachhaltigkeitsberichterstattung 3. Unabhängigkeit des Abschlussprüfers 3.1. Begrenzung von kombinierter Prüfung und Beratung 3.2. Externe Rotation 4. Professionalisierung des Aufsichtsrats 4.1. Prüfungsausschüsse 4.2. Gender Diversity 5. Fazit 19
5. Fazit EU-Reformeifer in den Bereichen Rechnungslegung, Abschlussprüfung und Corporate Governance als Glücksfall für die (empirische) Forschung Diskussion: Wird sich das kontinentaleuropäisch geprägte EU-Rechnungslegungsrecht gegenüber den informationsbetonten IFRS behaupten können? Ist eine Harmonisierung durch Mitgliedstaatenwahlrechte möglich? Wird der Lagebericht zum (integrierten) Nachhaltigkeitsbericht mutieren? Werden sich Prüfungsqualität und Anbieterkonzentration durch die Begrenzung von Prüfung und Beratung und die externe Pflichtrotation signifikant ändern? Wird der Aufsichtsrat durch restriktivere Anforderungsprofile [unabhängige Finanzexperten, (Gender) Diversity] de facto besser überwachen? 20
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Ich freue mich auf den Austausch mit Ihnen! Univ.-Prof. Dr. Patrick Velte Professur für Accounting & Auditing Leuphana Universität Lüneburg Institut für Bank-, Finanz- und Rechnungswesen Scharnhorststraße 1 21335 Lüneburg mail: velte@leuphana.de