Verfolgung von Privatklagedelikten durch die Polizei und die Staatsanwaltschaft in Nordrhein- Westfalen von Direktor des Amtsgerichts a. D. Erhard Väth, Bundesvorsitzender des BDS Wie bereits unter der Überschrift»Zum Jahreswechsel«, Seiten 1 ff. dieses Heftes zum Teil angesprochen, ist die Polizei auf Grund des Erlasses des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen vom 07.04.2003-42.2-6533 - in diesem Lande nunmehr strikt gehalten, bei Kenntnis von strafbaren Handlungen auch aus dem Privatklagebereich, also aus der sachlichen Zuständigkeit der Schiedsfrauen und Schiedsmänner, in jedem Fall eine Anzeige aufzunehmen und diese an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten, wenn der einzelne Polizeibeamte kein Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung im Amt mit dem dazugehörigen Disziplinarverfahren gewärtigen will.- Bereits die Diskussion weit vor der Begebung dieses Erlasses hatte bei den Schiedspersonen in NRW zu einem fatalen Rückgang ihrer Inanspruchnahme in Strafsachen geführt, teilweise sogar bis zu einem völligen Ausfall in diesem Tätigkeitsbereich. Die Schiedsfrauen und Schiedsmänner in NRW haben sich in der Politik und in den Medien sofort in sehr eindrucksvoller Weise gewehrt und der Landesvorsitzende NRW im BDS, Herr Günter Thum und ich hatten bereits am 21.02. 2003 ein sehr eingehendes diesbezügliches Gespräch mit dem neu ernannten Justizminister für NRW, Herrn Gerhards. Zahlreich weitere Gespräche z. B. mit Herrn Innenminister Dr. Behrens sowie weiteren führenden Persönlichkeiten von Polizei und Staatsanwaltschaften sind im Hintergrund gelaufen. Diese für die vorgerichtliche Streitschlichtung durch Schiedsfrauen und Schiedsmänner insgesamt kontraproduktive Entwicklung in NRW hat unter dem 23.10. 2003 zu einem Schreiben von mir an den Herrn Innenminister Dr. Behrens geführt, das die tatsächliche und rechtliche Problematik schlaglichtartig erhellen soll und die zur Zeit gegebenen schnellen Lösungsmöglichkeiten aufzeigt; dieses Schreiben soll daher zur eingehenden Information der Schiedsfrauen und Schiedsmänner über die Fülle der Argumente im Anschluss wiedergegeben werden: Schreiben des BDS - Der Bundesvorsitzende - an den Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Dr. Behrens, in Düsseldorf vom 23.10.2003 Nachdruck und Vervielfältigung Seite 1/6
Betrifft: Verfolgung von Privatklagedelikten; hier: Aufnahme von Strafanzeigen. Bezug: a) Dortiger Erlass vom 07.04.2003-42.2-6533 -; b) Ihr Gespräch mit dem Landesvorsitzenden Nordrhein-Westfalen im Bund Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen, Herrn Günter Thum, vom 29.09.2003; c) Dortige Antwort vom 09.08.1994 - VI - D 1-6533 / 2706 - auf unser Schreiben vom 29.06.1994 - Vä/Ba -. Anlagen: a) Dortiges Schreiben vom 09.08.1994 - VI - D 1-6533 / 2706 -, b) Unser Schreiben vom 29.06.1994 - Vä/Ba - in Kopie Sehr verehrter Herr Minister Dr. Behrens! Wie Ihnen bereits hinreichend bekannt ist, hat der Erlass Ihres Hauses vom 07.04.2003-42.2-6533 - an die Polizeibehörden und Polizeieinrichtungen Ihres Geschäftsbereichs nicht nur eine außerordentliche Betroffenheit der Schiedsfrauen und Schiedsmänner bis hin in die Medien hervorgerufen, sondern auch entgegen dem Schreiben Ihres Hauses vom 09.08.1994 - VI - D 1-6533/2706 - zu einer massiven rechtlichen und tatsächlichen Beeinträchtigung der Zuständigkeit der Schiedspersonen in NRW in Strafsachen geführt. Nahezu schlagartig ging die Inanspruchnahme der Schiedsämter in Strafsachen in weiten Bereichen Nordrhein-Westfalens eklatant zurück, zum Teil sogar bis auf Null. Mit ursächlich für diesen Totalausfall scheint auch eine Erscheinung innerhalb der Staatsanwaltschaften zu sein, nämlich dass die strikte Pflicht der Polizei zur Anzeigenaufnahme dort zu einem erhöhten Geschäftsanfall führt, der bei der bekannten Überlastung der Staatsanwaltschaften bei einer Verneinung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung mit - richtig oder falsch - einer weniger arbeitsaufwendigen Einstellung nach 153 StPO anstatt mit einer Verweisung auf den Privatklageweg und damit auf die Schiedsämter begegnet wird. Dadurch ist dann dem Verletzten, dem Opfer, eine straf-rechtliche Reaktion auf die Verletzung, und zwar auch über die Schiedsfrauen und Schiedsmänner, überhaupt genommen. Das könnte sogar in den Fällen noch greifen, in denen der Verletzte sich Ihrem Rat in der Presse entsprechend mit seinem strafrechtlichen Begehren unter anderem zunächst an das Schiedsamt wendet und mehr oder weniger gleichzeitig den nach 77 b des Strafgesetzbuches erforderlichen Strafantrag bei der Polizei stellt, die diesen dann ja wie eine Anzeige behandeln könnte, nach Ihrem Erlass sogar behandeln müsste. Nachdruck und Vervielfältigung Seite 2/6
Denn die Stellung eines Strafantrages»nur zur Fristwahrung«ist jetzt nur noch bei den Amtsgerichten möglich. Bei dieser insgesamt zumindest unglücklichen Situation ist es daher besonders dankenswert, sehr verehrter Herr Minister, dass Sie ein zeitnahes Gespräch mit Ihnen zu dieser Thematik angeboten und mich über Herrn Thum gebeten haben, Ihnen einen Brief mit unseren Argumenten und Vorstellungen im Vorfeld dieses Gesprächs zuzusenden, das hiermit geschehen soll. Was unsere Argumente und Vorstellungen anbelangt, darf ich zunächst auf unser als Anlage beigefügtes Schreiben vom 29.06.1994 an Herrn Innenminister Dr. Schnoor verweisen, das eine zumindest ähnliche Problematik zum Gegenstand hatte und dazu führte, dass die Polizeibeamten in NRW bei Privatklagedelikten zumindest noch auf die Schiedsfrauen und Schiedsmänner sowie deren Zuständigkeit hinweisen durften und eine Anzeigenaufnahme nur dann erforderlich wurde, wenn der Anzeigenerstatter auf einer solchen bestand. Unsere damaligen Vorstellungen und Anregungen bestehen im Anschluss an Ihren Bezugserlass vom 07.04.2003-42.2-6533 - natürlich fort, weil nicht nur wir in dem Erlass im Gegensatz zu dem Sinn der Vorschriften der 376 und 377 der Strafprozessordnung - der Verletzte selbst soll und kann in diesen Fällen sein Recht suchen - eine Überdehnung des Legalitätsprinzips sehen sehr zum Nachteil der bereits ohnehin überlasteten Polizei und Justiz sowie zum Nachteil des Bürgers, des Täters sowie des Opfers selbst, denen so die Möglichkeit der anerkannt auf Dauer befriedigenderen Selbstregulierung der Angelegenheit mit einem Vergleich vor der Schiedsfrau oder dem Schiedsmann genommen wird. Die Schiedspersonen wären aber auch in diesem Bereich im Bundesdurchschnitt in 51,2% der Fälle erfolgreich und damit effizient konfliktlösend tätig. Nun zur Lösung des Problems: Schnelle Hilfe könnte zum Beispiel in einer zumindest temporären Aussetzung des dortigen Erlasses vom 07.04.2003-42.2-6533 - bestehen bis zur Änderung der hier fraglichen Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren - RiStBV -, die ich in einem Gespräch mit der Bundesjustizministerin, Frau Zypries, am 16.06.2003 bereits angesprochen und angeregt habe. Nachdruck und Vervielfältigung Seite 3/6
Eine solche Verfahrensweise stellte zumindest eine weitere Rechtfertigung für solche Polizeibeamte dar, die nochmals zu Unrecht mit einem Ermittlungsverfahren - und auch Disziplinarverfahren - nach 258 a des Strafgesetzbuches überzogen werden sollten, die im Rahmen eines Antragdeliktes der Privatklagezuständigkeit mit deutlich erkennbar fehlendem öffentlichen Interesse an einer Strafverfolgung den Antragsteller auf das Schiedsamt hingewiesen haben und dieser daher auf einer Anzeigenaufnahme nicht bestand oder sogar eine solche ausdrücklich nicht wünschte. Denn es sollte nicht verkannt werden, dass nach der Struktur und der Stellung der Privatklagedelikte in der Strafprozessordnung dort ein Stück Opportunitätsprinzip zu Gunsten des Verletzten vorherrscht, was dazu führt, dass die Staatsanwaltschaft bei fehlendem Strafantrag des Verletzten sogar das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejahen muss, bevor das Legalitätsprinzip greift (vgl. 376, 377 der Strafprozessordnung, 230, 303 c Strafgesetzbuch). Beim Hausfriedensbruch nach 123 StGB ist ohne Strafantrag des Verletzten sogar keinerlei Strafverfolgung möglich, und im Falle der Beleidigung zum Beispiel kann die Tat überhaupt nicht von Amts wegen verfolgt werden, wenn der Verletzte widerspricht ( 194 Absatz 1 Satz 3 Strafgesetzbuch). Der Verletzte soll danach selbst entscheiden, ob und auf welchem Wege er die erlittene Verletzung verfolgt, ob überhaupt oder im Wege des viel besprochenen»täter-opfer-ausgleichs«vor der Schiedsperson, also auf dem Wege der bereits vom Gesetzgeber vorgegebenen Entkriminalisierung dieses Deliktbereiches. Dem widersprechend wegen Strafvereitelung im Amt fälschlich eingeleitete Ermittlungsverfahren nach 258 a Strafgesetzbuch, die ja neben der nach hiesiger Auffassung nicht gegebenen Rechtswidrigkeit auch noch den Vorsatz des Polizeibeamten für eine Strafbarkeit voraussetzten, müssen daher zwangsläufig zur Einstellung führen, wie es ja auch letztendlich bereits geschehen ist. Der dortige Erlass stellt nur den sehr extremen Schutz der Polizeibeamten auch gegen eventuell fälschlich eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung im Amt dar, indem den Polizeibeamten im Privatklagebereich strikt aufgegeben wird, eben alle diesbezüglichen Erkenntnisse auch tatsächlich zur Anzeige zu bringen, um schon von daher überhaupt jeglichen Ansatz für solche Ermittlungsverfahren zu nehmen. Dies geht zwangsläufig - wie die Entwicklung auch zeigt - nur auf Kosten der vom Gesetzgeber im Privatklagebereich auch vorgesehenen vorgerichtlichen Streitschlichtung, die in 11 Ländern Deutschlands nur von den ca. 10.000 Schiedsfrauen und Schiedsmännern durchgeführt wird und durchgeführt werden soll ( 380 der Strafprozessordnung) sowie von den Friedensrichterinnen und Friedensrichtern in Sachsen. Nachdruck und Vervielfältigung Seite 4/6
Als weiterer Schritt wäre alsdann sehr schnell eine Änderung der RiStBV auf Bundesebene anzustreben. Wenn auch einige Länder Nummer 87 RiStBV sogar erlassmäßig bereits jetzt so handhaben, dass der Polizeibeamte vor Ort bei den antragsabhängigen Privatklagedelikten eine Anzeige nur aufzunehmen hat, wenn der Verletzte nach entsprechender Information bzw. entsprechendem Hinweis über die vorgerichtliche Streitbeilegung in diesem Bereich auf einer Anzeige besteht, so sollte doch der diesbezügliche Rechtszustand in den RiStBV vor 1977 wieder hergestellt werden. Denn bis Anfang 1977 durfte der einzelne Polizeibeamte nach der damals einschlägigen Nummer 77 der RiStBV im Rahmen der Privatklagedelikte nach 374 der Strafprozessordnung den Verletzten sogar zunächst auf den nach 380 StPO vorrangig durchzuführenden Sühneversuch verweisen, ihn also zunächst einmal zur Schiedsfrau, zum Schiedsmann schicken, wenn seitens der Polizei kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung des jeweils angesprochenen Privatklagedeliktes anzunehmen war. Eine Regelung, die einmal den Rechtsfrieden vor Ort und zum anderen auch die vor-gerichtliche Konfliktlösung durch Schiedsfrauen und Schiedsmänner in den in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Strafsachen noch besonders hat wirksam werden lassen, wie die damaligen Statistiken in diesem Zusammenhang auch belegen. Eine Änderung der Strafprozessordnung oder des Strafgesetzbuches in diesem Zusammenhang zur Lösung der bestehenden Problematik erscheint auch mir, wie Sie in der Sendung»Westpol«des WDR-Fernsehens bereits völlig zu Recht erklärt haben, zur Zeit politisch nicht durchsetzbar. Sie werden sicherlich verstehen, wenn ich mich im Rahmen dieses Schreibens nur auf die rechtlichen und tatsächlichen Kernargumente für eine Überprüfung der hier fraglichen, umstrittenen neuen Regelung Ihres Hauses beschränkt und versucht habe, zeitnahe Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen, denn eine schnelle Lösung ist für die Schiedspersonen in NRW gerade jetzt von besonderer Bedeutung, weil sie sich hinsichtlich ihrer obligatorischen Vorschaltung in Zivilsachen im Anschluss an den 15 a des Einführungsgesetzes zur Zivilprozessordnung bezüglich ihrer Effizienz zur Zeit in der Evaluation der Ruhr-Universität Bochum befinden und negative Rückschlüsse infolge des aktuellen schlagartigen Rückgangs ihrer Inanspruchnahme in Strafsachen, was auch Rückwirkungen auf den Anteil der»gemischten Sachen«, also der Kombination von Straf- und Zivilsachen hat, einfach nicht auszuschließen sind. Auch im Namen des Landesvorsitzenden Nordrhein-Westfalen im Bund Deutscher Nachdruck und Vervielfältigung Seite 5/6
Schiedsmänner und Schiedsfrauen, Herrn Günter Thum, darf ich daher um einen nahen Gesprächstermin nach Möglichkeit unter Zuziehung des Herrn Justizministers Gerhards bitten. Ich möchte es dabei Ihrer Entscheidung überlassen, ob Sie eine Kopie dieses Schreibens Herrn Justizminister Gerhards zu dessen rechtzeitiger Unterrichtung zukommen lassen wollen. Mit freundlichen Grüßen (Erhard Väth) Direktor des Amtsgerichts a. D. Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen e. V. - BDS - Nachdruck und Vervielfältigung Seite 6/6