WS 09 Curriculumentwicklung im Spannungsfeld von Bildungspolitik und Unterrichtsgestaltung Abstracts Hochleitner, Thomas: LehrplanPLUS: Eckpunkte und Umsetzung des neuen bayerischen Lehrplanmodells am Beispiel der Wirtschaftsschule Erstmals entstanden in Bayern die Lehrpläne aller allgemeinbildendenden Schulen, der Wirtschaftsschule und der Beruflichen Oberschule in einem von Beginn an abgestimmten Zeitfenster, unter Nutzung eines gemeinsamen Lehrplanmodells und auf der Basis einer über die Schularten hinweg konsensualen Lehrplanphilosophie. Die zentralen Eckpunkte des Großprojekts LehrplanPLUS lassen sich wie folgt zusammenfassen: - Betonung eines ganzheitlichen Bildungsverständnisses - schulartübergreifende Strukutur - Förderung des Kompetenzerwerbs und durchgehende Betonung der Kompetenzorientierung - Vernetzung der fachlichen mit den schulart- und fächerübergreifenden Bildungs- und Erziehungszielen und den Alltagskompetenzen - direkter Zugriff auf Materialien, Aufgaben und Medien im Servicebereich In der Wirtschaftsschule wurde LehrplanPLUS im Schuljahr 2014/15 mit der 7. Jahrgangsstufe eingeführt. Zeitgleich wurde die Wirtschaftsschule im Rahmen eines seit 2010 angestoßenen Reformprozesses mit dem Ziel neu strukturiert, die Schülerinnen und Schüler noch praxisnäher auszubilden und sie verstärkt zu einem Denken in Zusammenhängen und Wirkungsbeziehungen zu befähigen. Damit soll gewährleistet werden, dass die Wirtschaftsschule auch in Zukunft sowohl auf eine Berufsausbildung schwerpunktmäßig im Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung als auch auf den Besuch der Beruflichen Oberschule erfolgreich vorbereitet. Im Rahmen dieser Neuausrichtung wurde die traditionelle Fächereinteilung in der Wirtschaftsschule aufgebrochen, bisher separate Fächer zum Teil vereint und neue Kombifächer wurden gebildet. Der Wirtschaftsbereich wurde in seinem Grundkonzept an modernen betrieblichen Prozessen ausgerichtet. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Fach Übungsunternehmen als Profilfach der Wirtschaftsschule. Im Übungsunternehmen werden die zuvor im Fach Betriebswirtschaftliche Steuerung und Kontrolle erworbenen Kompetenzen phasenversetzt aufgegriffen und vertieft. Die Schülerinnen und Schüler agieren in ihrer Rolle als prozess- und projektorientierte Mitarbeiterin bzw. Mitarbeiter in ihrem Übungsunternehmen. Dort bewältigen sie - ausgelöst durch verschiedene Marktsituationen - betriebliche Aufgabenstellungen, die sich aus dem Geschäftsbetrieb ergeben. Sie planen ihre Arbeitsschritte und treffen eigenverantwortlich Entscheidungen für das Übungsunternehmen. Die Schülerinnen und Schüler kontrollieren, bewerten und reflektieren regelmäßig ihre eigenen Arbeitsergebnisse ebenso wie die im Übungsunternehmen ablaufenden betriebswirtschaftlichen Prozesse.
Die Bewältigung komplexer betrieblicher Handlungssituationen erfordert eine enge Verknüpfung von Kompetenzen aus verschiedenen Fächern: Die im Fach Informationsverarbeitung erworbenen Kompetenzen müssen beispielsweise bei der Gestaltung und Versendung von Werbeflyern oder bei der Erstellung von Geschäftspräsentationen angewandt werden. Eine enge Verzahnung besteht auch mit den allgemeinbildenden Fächern. Das Fach Deutsch vermittelt notwendige Kompetenzen im sprachlichen und kommunikativen Bereich, die bei der schriftlichen und mündlichen Kommunikation mit Geschäftspartnerinnen und Geschäftspartnern und den anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern genutzt werden. Im Fach Englisch wird die sprachliche Grundlage für den simulierten Handel mit dem EU-Ausland gelegt. Und bei der Kalkulation ihrer Verkaufspreise können die Schülerinnen und Schüler zum Beispiel auf Kompetenzen aus dem Fach Mathematik zurückgreifen. Das Projekt LehrplanPlus schafft die Rahmenbedingungen, zunehmend fächerzentriertes Denken zu überwinden, Kompetenzen zu vernetzen und Schülerinnen und Schüler auf diese Weise beim situativen Lernen und Problemlösen zu unterstützen. Dies ermöglicht der Wirtschaftsschule auch zukünftig, die Schülerinnen und Schüler in ihrer Handlungsfähigkeit im Berufsleben, Privatleben und in der Gesellschaft zu fördern. Lützenkirchen, Martin: Lehrpläne und ihre systematische Vernetzung am Beispiel der Berufsfachschule I - Pädagogisches Landesinstitut Rheinland-Pfalz Seit ca. 15 Jahren werden die Lehrpläne für die rheinland-pfälzischen berufsbildenden Schulen unter Federführung des Pädagogischen Landesinstituts Rheinland-Pfalz (PL) kompetenzorientiert entwickelt - inzwischen teilweise bereits in der zweiten Generation. Daneben werden aber auch andere Entwicklungslinien in der Curriculumentwicklung verfolgt, die durchaus ein Spannungsfeld darstellen. Am Beispiel der im Sommer 2014 in Kraft getretene Lehrpläne für die Berufsfachschule I und II werden diese Entwicklungslinien aufgezeigt, Schwierigkeiten und Grenzen benannt und Lösungsansätze skizziert. Die Berufsfachschule I verfolgt dabei in Rheinland-Pfalz das spezifische Ziel, eine fachrichtungsbezogene, berufliche Grundbildung zu vermitteln und dazu berufsbezogene und allgemeine Grundkompetenzen zu fördern und die Lernenden beim Erkennen und Stärken individueller Fähigkeiten und Fertigkeiten zu unterstützen. Im Anschluss an die Berufsfachschule I besteht in der Berufsfachschule II die Möglichkeit, den qualifizierten Sekundarabschluss I zu erwerben. Sie verbindet berufsübergreifende Lerninhalte mit berufsbezogenen Projekten aus den einzelnen Fachrichtungen und fördert die berufliche Handlungskompetenz der Schülerinnen und Schüler durch Erfahrungs- und Lernsituationen, die den individuellen Lernprozess unterstützen. Wesentliche von der Bildungspolitik vorgegebene, aber zum Teil konkurrierende Ziele bei der Lehrplanentwicklung sind dabei insbesondere: 1. Die einheitliche kompetenzorientierte Darstellung aller Lehrpläne für die berufsbildenden Schulen unabhängig von Fach oder Bildungsgang, die sich möglichst an den aus der KMK- Rahmenlehrplanarbeit bekannten Standards orientiert.
2. Die Ermöglichung fach- bzw. fachrichtungsspezifischer Besonderheiten in den Lehrplänen bei großer Gestaltungsautonomie der Lehrplankommissionen. 3. Die systematische Vernetzung der Lehrpläne in den berufsübergreifenden Fächern über verschiedene Fachrichtungen, Bildungsgänge und Niveaustufen hinweg von der Berufsreife bis zur allgemeinen Hochschulreife (Lernbausteinkonzept). 4. Die Vermeidung von ungewollten Dopplungen in den individuellen Bildungsbiografien über verschiedene Bildungsgänge hinweg. 5. Die Forcierung pädagogischer Innovationen (didaktisch und methodisch) durch die Lehrpläne bei gleichzeitiger Methodenneutralität. Drei Jahre nach dem Inkrafttreten der weiterentwickelten Lehrpläne für die Berufsfachschule I und II ist es nun möglich, die Ziele anhand konkreter, exemplarischer Erfahrungen in den Schulen zu überprüfen. Dazu wird berichtet, wie die konzeptionellen Veränderungen in einer berufsbildenden Schule umgesetzt werden, wie sich die (Zusammen)arbeit der Lehrkräfte verändert hat und wo das Spannungsfeld aus bildungspolitischen Zielvorstellungen und konkreter Unterrichtsgestaltung nur sukzessiv überbrückt werden kann. Abschließend wird ein Einblick gegeben, welche Veränderungen - gespeist aus den Erfahrungen der letzten Jahre - an kommenden Lehrplanprojekten aus Sicht des Pädagogischen Landesinstituts notwendig erscheinen. Dr. von Kleist, Sophia; Cleef, Maria: Umsetzung von Standards für das Berufskolleg in systemkoordinierte Curricula in Nordrhein- Westfalen Das Berufskolleg in Nordrhein-Westfalen (NRW) verfolgt als Ziel die Vermittlung einer umfassenden Handlungskompetenz und möchte den Schülerinnen und Schülern ein lebensbegleitendes Lernen eröffnen und darauf vorbereiten (in Anlehnung an 1 Abs. 1 APO-BK NRW). Die Vorbereitung auf die Bewährung in unterschiedlichen Anforderungs- und damit Lebenssituationen zeigt sich in dieser Schulform neben der Förderung personaler und gesellschaftlicher Kompetenzen in der Vermittlung von beruflicher Handlungskompetenz. Hervorzuheben ist, dass die Kompetenzentwicklung insgesamt eng an berufliche Anforderungs- und Problemstellungen geknüpft ist. Unter dem Dach der beruflichen Bildung ist diese verstärkte Ausrichtung an beruflichen Lebenssituationen eine logische Schlussfolgerung - weniger mit der Absicht einer Abgrenzung von der Allgemeinbildung, sondern vielmehr mit dem Fokus einer direkten beruflichen Ausrichtung nicht nur in Teilen (in berufsbezogenen Fächern, Lernfeldern etc.) sondern in Gänze, und damit unter Einbeziehung der berufsübergreifenden Fächer. Bei der Einzigartigkeit der Identifikation von Individuen in Deutschland mit dem erlernten Beruf ( Ich bin KFZ-Mechatroniker. ) und der Verknüpfung mit einer Profession ( Ich bin das, was ich gelernt habe und worin ich kompetent bin. ) scheint es eben die logische Schlussfolgerung, Lernen auch dementsprechend auszurichten. Das Berufskolleg verfolgt somit das Ziel der Integration in zukünftige Arbeit und damit in den Beruf. Bewusst ist in dieser Aussage die Anlehnung an das Thema der
Hochschultage Berufliche Bildung zu erkennen: Bilanz und Zukunftsperspektive der Integration durch Bildung, Arbeit und Beruf in der Region. Mit Bezug zur Curriculumentwicklung erläutert folgendes Beispiel auch das Verständnis der in NRW zugrunde liegenden Bildungspläne für das Berufskolleg: Wenn ich mich im Tätigkeitsfeld der Technik bewegen möchte, mit dem Ziel einen Beruf in diesem Fachbereich zu erlangen, dann sind alle dafür zu erwerbenden Kompetenzen (in verschiedensten Lernfeldern, Fächern, Bereichen) bestmöglich daran auszurichten. Genau dieser Gedanke spiegelt sich in der Reform der kompetenzorientierten Bildungspläne in NRW wider. Darüber hinaus gibt es jedoch eine weitere Dimension, die das Berufskolleg auszeichnet und die Einfluss auf die Curriculumentwicklung nimmt. Es ist das weitere Bildungsziel des Berufskollegs, dargestellt in Anlehnung an 1 Abs. 2 APO-BK NRW: Das Berufskolleg ermöglicht einzel- und doppelqualifizierende Abschlüsse. Neben dem Erwerb von beruflichen Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten ist es in einzelqualifizierenden Bildungsgängen möglich, allgemein bildende schulische Abschlüsse (vom Hauptschulabschluss der Klasse 9 bis zur allgemeinen Hochschulreife) zu erwerben. In doppelqualifizierenden Bildungsgängen können neben den allgemein bildenden schulischen Abschlüssen gleichzeitig diverse Berufsabschlüsse sowie Weiterbildungsabschlüsse erworben werden. Die Vielzahl der Bildungsabschlüsse erfordert eine Berücksichtigung unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade/ Komplexitätsgrade oder Niveaustufen. Die steigende Mobilität und der stärker werdende Wunsch, global zu (inter-)agieren und zu arbeiten entfachte den Wunsch nach einer zumindest europäischen Vergleichbarkeit von Bildungsabschlüssen. Um diese Vergleichbarkeit zu erleichtern, ist die Orientierung am Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR - www.deutscherqualifikationsrahmen.de) ein weiteres relevantes Gestaltungsmerkmal der neuen Curricula für das Berufskolleg in NRW. Die kompetenzorientierten Bildungspläne berücksichtigen in ihren niveauangepassten Formulierungen die Ausrichtung am DQR. Die Ziele des Berufskollegs in Nordrhein-Westfalen spiegeln sich auch in der Struktur der Bildungspläne wider. Jeder kompetenzorientierte Bildungsplan ist an einem Fachbereich ausgerichtet (z. B. Wirtschaft und Verwaltung, Technik/Naturwissenschaften, Gestaltung,...) und durch berufliche Handlungsfelder und Arbeits- und Geschäftsprozesse des jeweiligen Fachbereichs beschrieben. an einem Niveau entsprechend des Bildungsgangs ausgerichtet (Ausbildungsvorbereitung, Berufsfachschule der Anlage B, Berufsfachschule der Anlage C...). Hier orientieren sich die Bildungsgänge an den Anforderungen des beruflichen, schulischen und/oder allgemein bildenden Abschlusses auf der Grundlage des DQR. Diese feinjustierte Entwicklung von kompetenzorientierten Bildungsplänen (vertiefend: von Kleist, 2015) führt zu einer Vielzahl von Bildungsplänen für die unterschiedlichen Bildungsgänge des Berufskollegs in Nordrhein-Westfalen. Ein Beispiel: Für den Bildungsgang Berufsfachschule, Anlage C, der zu beruflichen Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten und dem schulischen Teil der Fachhochschulreife führt, gibt es sieben Fachbereiche. Einer davon ist der Fachbereich Wirtschaft und Verwaltung, in dem 16 mögliche Unterrichtsfächer (Betriebswirtschaft mit Rechnungswesen, Informationswirtschaft, Volkswirtschaftslehre, aber auch Mathematik, Sport/Gesundheitsförderung, Politik/Gesellschaftslehre etc.) in
einzelnen Bildungsplänen konkretisiert werden. Diese Bildungspläne orientieren sich an der Niveaustufe 4 des Deutschen Qualifikationsrahmens. Sie führen in ihrer Gesamtheit und in enger Anknüpfung an die beruflichen Handlungsfelder zur umfassenden Handlungskompetenz für Absolventinnen und Absolventen dieses Bildungsgangs. Sie sind kompetenzorientiert formuliert und schildern in ihren Anforderungssituationen zu erreichende Lebenssituationen von Absolventinnen und Absolventen. Diese Anforderungssituationen sind konkretisiert in Zielformulierungen, welche den schrittweisen Kompetenzerwerb der Schülerinnen und Schüler fokussieren und beschreiben, was sie am Ende eines Tages, am Ende einer Unterrichtseinheit können sollen. (vgl. Buschfeld, Dilger, Göckede & Hille, 2013, :S. 8) Die konsequente Verzahnung der einzelnen Kompetenzen, die Überführung in Didaktische Jahresplanungen, über das einzelne Fach hinaus und mit Blick auf die umfassende Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler (vertiefend hierzu: Dilger, 2015, S.2ff.) im jeweiligen Bildungsgang das ist das Ziel des Berufskollegs. Damit ist die sukzessive Einführung der neuen kompetenzorientierten und systemkoordinierten Bildungspläne eine organisatorische, ressourcentechnische und strukturelle Herausforderung für jedes Berufskolleg und Bedarf neben der Zeit für die Umsetzung, Erprobung und Erfahrungssammlung auch weiterer Unterstützung. Auch Fragestellungen wie die der umfassenden Umsetzung kompetenzorientierter Lernerfolgsüberprüfung sind noch nicht abgeschlossen und bleiben relevant. Die Arbeit in der Qualitäts- und UnterstützungsAgentur - Landesinstitut für Schule (QUA-LiS NRW) setzt an dieser Stelle an und bietet neben der Curriculumentwicklung Unterstützungsmöglichkeiten für Lehrkräfte an Berufskollegs (vertiefend hierzu unter Berufbildung.NRW.de). Es ist ein weiter Weg bis alle Bildungsgänge am Berufskolleg in NRW flächendeckend kompetenzorientiert entwickelt sind und bis ein etablierter sowie erfahrener Umgang mit ebendiesen Bildungsplänen an Berufskollegs erfolgt. Jedoch, so zeigen es die ersten Erfahrungen es scheint der richtige Weg zu sein. Literatur: Buschfeld, D.; Dilger, B.; Göckede, B.; Hille, S. (2013): Hinweise zu den kompetenzorientierten Bildungsplänen NRW Eine Handreichung für die Moderatorenschulungen. Arbeitsbericht Köln. Dilger, B (2015): Kompetenzorientierung. Konsequenzen für die Unterrichtsgestaltung in curricularer, methodisch-didaktischer und prüfungsgestalterischer Hinsicht. Berufsbildung. Zeitschrift für Praxis und Theorie in Betrieb und Schule. Heft 155. von Kleist, Sophia (2015): Systemkoordinierte Curriculumentwicklung für das Berufskolleg in Nordrhein-Westfalen. Einblicke in die Entstehung von Lehrplänen. In: Euler, D.; Sloane, P.F.E. (Hrsg.) Wirtschaftspädagogisches Forum. Band 51. Detmold: Eusl-Verl. Ges.