Autismus-Spektrumstörungen - Diagnostik, Differentialdiagnostik und Therapie*



Ähnliche Dokumente
AUTISMUS Erscheinungsformen, Ursachen, Hilfen

Frühtherapie. für Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen

Frühtherapie. für autistische Kinder. Eine Information für Sozialpädiatrische Zentren, Gesundheitsämter, Kinderärzte und Frühförderstellen

Eigene MC-Fragen Klassifikationssysteme und Diagnostik

Sprachverständnisstörung und / oder Autismus

Zur Früherkennung von Störungen aus dem autistischen Spektrum. Dr. phil. Maria Schubert Dipl.-Psych. Leiterin der Autismusambulanz Region Rostock

ICD-10 und MAS. Dr. med. Jürg Unger-Köppel Chefarzt KJPD Aargau September Seite 1

Prügelknabe oder Angstbeißer Zu- Mutungen!?

Palliativtherapie durch den Hausarzt

Differentialdiagnosen/Komorbidität Fallvignetten Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie

Klassifikation SES. Psychische Auffälligkeiten bei sprachentwicklungsgestörten Kindern. Klassifikation SES. Klassifikation SES.

Fachtagung Wittlich Sucht und Elternschaft Brigitte Münzel, Fortbildung Supervision Coaching

(Früher: Psychopathologie des Kindes- und Jugendalters )

Können oder Wollen? Was ist Mutismus?(ICD10, DSM 5) Impulsvortrag Fachtag Mutismus. Reden ist Silber Schweigen ist doof

Bipolar oder nicht bipolar?

Teil I Grundlagen der Klinischen Psychologie

High-Functioning Autismus/Asperger-Syndrom

Depressive Patienten in der stationären Entwöhnungsbehandlung

Integritätsentschädigung gemäss UVG

Enuresis und Enkopresis. Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter

Inhaltsverzeichnis. Vorwort zur deutschen Ausgabe... Geleitwort... Vorwort... XVII

Downloadmaterial. Barbara Tschirren Pascale Hächler Martine Mambourg

Psychotherapeutische Leistungen

Leichte kognitive Beeinträchtigung, Demenz und Depression Leichte kognitive Beeinträchtigung, Demenz und Depression

Workshop Erkennen von Förder-, Versorgungs- und Gedeihstörungen bei Säuglingen und Kleinkindern. Entwicklungsstörungen im Säuglingsund Kleinkindalter

Erschwerte Bedingungen für das Lernen, angemessene Verhalten und die Entwicklung von Sprache

KOMPASS - Kompetenztraining für Jugendliche mit Autismus- Spektrum-Störungen

Geklagte kognitive Beeinträchtigungen bei Depressionen

Früherkennung autistischer Störungen. PD Dr. M. Noterdaeme

Die große Wertestudie 2011

Psychosen. By Kevin und Oliver

Bereich Akutpsychiatrie. Frühe Psychosen Station Früherkennungs-Sprechstunde

Nachgefragt! - Welche Perspektive haben Menschen nach einem schweren Schlaganfall?

PSYCHOTISCHE STÖRUNGEN FRÜH ERKENNEN. Prof. Dr. med. Anita Riecher-Rössler Zentrum für Gender Research und Früherkennung Kornhausgasse 7

SELBSTBESTIMMT LEBEN MIT DEMENZ Informationen und Hilfestellungen für Betroffene und Angehörige.

Workshop 16. Autismus und ADHS Basiswissen Unterschiede und Gemeinsamkeiten Fallvignetten. Jan Hendrik Puls, Kiel

Inhalt. A Grundlagen 1. 1 Grundlagen der Neuro- Psychosomatik Neuro-Psychosomatik: Geschichte und klinische Konzepte 3

Genetik und Entwicklung: Das Fragile-x-Syndrom. Urs Hunziker NGW, 9. Januar 2015

ADHS. Was ist mit unseren Kindern los? VHS Herne, 05. Mai 2011 Dipl.-Psych. Sebastian Bartoschek

2.Symposium für Erzieher/innen und Lehrer/innen Psychologische Tests

Dr.-Elisabeth-Bamberger-Schule Förderzentrum, Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung Ohmstraße 12, Karlsfeld

Prüfungsschwerpunkte Zwischenprüfung Verhaltenstherapie

Psychosoziales Funktionsniveau und Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen mit Frühkindlichem Autismus und Asperger-Syndrom

Herzlich willkommen zur Parallelsession. «Borderline» Die Balance halten im Umgang mit Grenzsituationen. Direktion Pflege, MTD, soziale Arbeit

Kompetenzinventar im Prozess der Berufswegeplanung Teilhabe am Arbeitsleben für junge Menschen mit einer Behinderung am allgemeinen Arbeitsmarkt

3.7.5 Epilepsie und andere Anfallserkrankungen, nichtepileptische Störungen des Bewusstseins

Kognitive Kerndefizite bei Autismus- Spektrum-Störungen (ASS)

Kindervorsorgeuntersuchungen

Inhaltsverzeichnis. 1.1 Psychiatrische Klassifikation Häufigkeit Ätiologie... 5

Lernstörungen. Lernstörungen. Lese- Rechtschreibstörung Definition. Umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten

Tiefgreifende frühkindliche Ent w ckl ickl ngsstör ngen

Verhaltens- und Entwicklungsstörungen des Kindes im Überblick

Fragebogen für Eltern

Inhaltsverzeichnis. Inhaltsverzeichnis

Psychosen und psychoseähnliche Störungen

Persönlichkeitsstörungen

Borderline Persönlichkeitsstörungen. Sonnenberg Klinik

Block 8 Mentale Retardierung (Oligophrenie):

Symptome, Ursachen, Behandlungskonzepte

Masterschwerpunkt Klinische Psychologie, Psychotherapie und Gesundheit der Friedrich- Schiller- Universität Jena

Stammzellentherapien

KJPPP Behandlung der agersucht

Für Menschen in einer psychischen Krise in der zweiten Lebenshälfte. Alterspsychiatrie (U3) Psychiatrie

Diagnostik. Beratung. Therapie. Prävention

Eltern von Leselernern Informiertheit, Förderung, Konflikte. A. Schabmann & B. M. Schmidt Universität Wien

Übersicht Verständnisfragen

Erkennen von Anhaltspunkten psychischer Erkrankung in der Elternschaft

Mit Karate und Fußball gegen ADHS: welche Sportart ist die richtige?

für den Studiengang Psychologie der Technischen Universität Braunschweig

Kognitiv-psychoedukative Therapie zur Bewältigung von Depressionen

Demenz: Kognitives Screeningund Behandlung. Prof. Dr. phil Helmut Hildebrandt Klinikum Bremen-Ost, Neurologie Universität Oldenburg, Psychologie

Alzheimer Demenz. Demenz - Definition. - Neueste Forschungsergebnisse - Neuropathologie der Demenz n=1050. Alzheimer Krankheit: Neuropathologie

Henne oder Ei. - süchtige Depressive. 25 Jahre Haus Remscheid

Patienteninformationsbroschüre Valproat

Care Management. UPP und südhang. Thomas Krebs Stv. Chefarzt Kompetenzzentrum für Mensch und Sucht. Seite 1 03/09/15

Finanzierung von UK-Beratungsleistung durch die gesetzliche Krankenversicherung

Diagnostik Kinder und Jugendliche im Bezirk Schwaben Stand April Kleinkinder Kinder/Jugendliche. vorhanden

Recht - kurz gefasst

Kornelia Trübenbach-Slaby

Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die Instrumente von DISYPS-II:

Anke Rohde. Neugeborenentötung durch die Mutter wirken Babyklappen und Anonyme Geburt präventiv?

Medizinische Rehabilitation bei Epilepsie

Strukturierte curriculare Fortbildung Medizinische Betreuung von Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung

Asperger-Syndrom. Entwicklung vom Säuglingsbis zum Schulalter. Falldarstellung. Mag. Karin Moro / Institut Hartheim

3.1 Das kognitive Modell Annahmen Der Zusammenhang zwischen Verhalten und automatischen Gedanken 51

Psychiatrische Bildgebung: mehr als Ausschlussdiagnostik?

DemTect. Vorgehen. Beurteilung. 58 DemTect

FRAGEBOGEN MBAS. Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom. Inge Kamp-Becker & Helmut Remschmidt

ADHS Versorgung gvon Kindern und Erwachsenen. Hanna Christiansen

Wohnort der Kinder (oder eines der Kinder)

Präsentation vom im Rahmen der Fachberatertagung der Unfallkasse NRW in Haltern.

Demenz Gestern heute morgen? G. Gatterer Geriatriezentrum am Wienerwald Abteilung für Psychosoziale Rehabilitation

Probleme beim Arbeiten mit Variablen, Termen und Gleichungen

INHALT DANKSAGUNGEN INHALT. Über dieses Buch ALLGEMEINE FRAGEN. Was ist eine Depression? Welche Symptome treten bei einer Depression auf?

Vergütung. Grundsätzliche Regelungen zur Vergütung

Achtsamkeitsbasierte Rückfallprophylaxe bei Depressionen

Welche Richtlinien gibt es für die Diagnostik einer Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)?

Martin-Luther-Haus. Stationäres Angebot erzieherischer Hilfen für Kinder und Jugendliche mit:

Transkript:

Autismus-Spektrumstörungen - Diagnostik, Differentialdiagnostik und Therapie* Helmut Remschmidt 1. Autismus-Spektrumstörungen und tiefgreifende Entwicklungsstörungen 2. Frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom) 3. Asperger-Syndrom 4. Diagnostik von Autismus-Spektrumstörungen 5. Zum Verständnis von Autismus-Spektrumstörungen 6. Interventionsmöglichkeiten und Verlauf * Mainz, 10. März 2009 Prof. Dr. Dr. Helmut Remschmidt, Klinik f. Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Marburg (remschm@med.uni-marburg.de)

Tiefgreifende Entwicklungsstörungen Klassifikation F 84.0 F 84.1 F 84.2 F 84.3 F 84.4 F 84.5 Frühkindlicher Autismus Atypischer Autismus Rett-Syndrom Desintegrative Störungen des Kindesalters HKS mit Intelligenzminderung/ Bewegungsstereotypien Asperger-Syndrom

ICD-10 : Tiefgreifende Entwicklungsstörungen Rett Andere Frühkindlicher Autismus Asperger Desintegrativ Atypischer Autismus Hyperaktiv Unspezifisch

Autistisches Kontinuum Rett Atypischer Autismus leicht bis mäßig ausgeprägter Autismus Desintegrative Störung Kanner Asperger ( "High Functioning Autismus )

Autismus-Spektrumstörungen - Diagnostik, Differentialdiagnostik und Therapie 1. Autismus-Spektrumstörungen und tiefgreifende Entwicklungsstörungen 2. Frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom) 3. Asperger-Syndrom 4. Diagnostik von Autismus-Spektrumstörungen 5. Zum Verständnis von Autismus-Spektrumstörungen 6. Interventionsmöglichkeiten und Verlauf

Frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom) Charakteristische Symptomatik (Übereinstimmung von ICD-10 und DSM-IV): 1. Qualitative Beeinträchtigung wechselseitiger sozialer Aktionen 2. Qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation 3. Eingeschränkte Interessen und stereotype Verhaltensmuster 4. Beginn vor dem 3. Lebensjahr

Autismus-Spektrumstörungen - Diagnostik, Differentialdiagnostik und Therapie 1. Autismus-Spektrumstörungen und tiefgreifende Entwicklungsstörungen 2. Frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom) 3. Asperger-Syndrom 4. Diagnostik von Autismus-Spektrumstörungen 5. Zum Verständnis von Autismus-Spektrumstörungen 6. Interventionsmöglichkeiten und Verlauf

Asperger-Syndrom und High Functioning Autismus Historische Anmerkungen: 1926 Ssucharewa, G.E.: Die schizoiden Psychopathen im Kindesalter 6 Jungen 1943 Kanner, L.: Autistic disturbances of affective contact 11 Kinder 1944 Asperger, H.: Die autistischen Psychopathen im Kindesalter 4 Kinder 1963 van Krevelen, D.A.: Early infantile autism and autistic psychopathy 1971 van Krevelen, D.A.: Early infantile autism and autistic psychopathy 1981 Wing, L.: Asperger s syndrome: A clinical account Triade: Soziale Behinderung, Defizite in der Kommunikation und in der Phantasietätigkeit 34 Fälle 1992 ICD-10 (WHO): Einbeziehung des A.S. in das ICD- Klassifikationssystem 1994 DSM-IV (APA): Einbeziehung des A.S. in das DSM- Klassifikationssystem

Diagnostische Kriterien bzw. Leitlinien für das Asperger-Syndrom nach ICD-10 1. Fehlen einer Sprachentwicklungsverzögerung oder einer Verzögerung der kognitiven Entwicklung. Die Diagnose erfordert, daß einzelne Worte im 2. Lebensjahr oder früher benutzt werden. 2. Qualitative Beeinträchtigungen der gegenseitigen sozialen Interaktionen (entsprechend den Kriterien des frühkindlichen Autismus) 3. Ungewöhnliche und sehr ausgeprägte umschriebene Interessen (ausgestanzte Sonderinteressen) und stereotype Verhaltensmuster 4. Die Störung ist nicht einer anderen tiefgreifenden Entwicklungsstörung zuzuordnen.

Symptomatik des Asperger-Syndroms (Asperger, H.: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten, 117, 76-136, 1944) Körperliches und Ausdruckserscheinungen Vermeidung von Blickkontakt, arme Mimik und Gestik, unnatürliche Sprachäußerungen, ungeschickte Motorik Autistische Intelligenz Wie von innen her abgelenkt, besonders schöpferisches Verhältnis zur Sprache, Wortneubildungen Verhalten in der Gemeinschaft Einengung der Beziehungen zur Umwelt, autistische Bosheitsakte, negativistische Reaktionen Trieb- und Gefühlsleben Unterschiedliches Sexualverhalten, egozentrisches Verhalten, kein Gefühl für persönliche Distanz Genetik Die Störung ist konstitutionell verankert und darum vererbbar Soziale Kontakte und Verlauf Verlauf stark abhängig von der Intelligenz

Thomas: Asperger Syndrom I 4/1984 Geburt nach komplikationslosem Schwangerschaftsverlauf, erstes und einziges Kind seiner Eltern 4/1985 12 Mon. Früher Sprachbeginn, gewählte Ausdrucksweise, rasch großer und origineller Wortschatz 1988 4 J. Jactatio, ausgeprägte motorische Ungeschicklichkeit KiGa: spielt alleine, gestelzte Sprache, hält mit 5 J. einen Vortrag über Umweltschutz und hat diesbezüglich umfassende Kenntnisse 8/1990 6;3 J. Einschulung, hypermotorisch, hält keine Regeln ein, Leistungen sehr gut, besonders in Mathematik 8/1994 10;3 J. Gymnasium, Einzelgängertum, gewählte Sprache, wird extrem gehänselt, kann sich nicht wehren, Ängste und Schulverweigerung 6/1997 13;2 J. Erste Behandlung in KJP-Klinik mit anschließendem Besuch einer Heimschule Diagnose: Asperger-Syndrom, Ängste, Zwänge, Spezialinteressen (Computer)

Thomas: Asperger Syndrom II 8/1999 15;4 J. Gesamtschule mit spezieller pädagogischer Betreuung (bis zu 9 Stunden im Unterricht), Ausschulung zum Ende des Schuljahres 2000 wird von der Schule beschlossen 1999, 2000 Unverständnis für die Bedürfnisse anderer, inadäquates Sozialverhalten, aggressives Verhalten, extreme Zwänge, Perfektionismus, Umkehr des Tag-Nacht-Rhythmus, ausgeprägte Schlafstörungen, tätliche Auseinandersetzungen zuhause 2/2000 15;10 J. Erste Aunfnahme in unserer Klinik (IQ = 126), mehrdimensionaler TH-Ansatz, Risperdal, 2 mg tgl. 12/2000 16;10 J. Zweite Aufnahme in unserer Klinik zur Krisenintervention aus Internatsschule wg. akitiert-ängstlichem Verhalten, Wutausbrüchen, Schlafstörungen und Auseinandersetzungen mit den Mitschülern 12/2000 16;10 J. Rückkehr in die Internatsschule (10. Kl. Gymnasium) mit kontinuierlicher ärztlicher Betreuung, Zyprexa 2-5 mg tgl. 5/2005 21 J. Studium der Anglistik

Autismus-Spektrumstörungen - Diagnostik, Differentialdiagnostik und Therapie 1. Autismus-Spektrumstörungen und tiefgreifende Entwicklungsstörungen 2. Frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom) 3. Asperger-Syndrom 4. Diagnostik von Autismus-Spektrumstörungen 5. Zum Verständnis von Autismus-Spektrumstörungen 6. Interventionsmöglichkeiten und Verlauf

Sechs Schritte zur Diagnose und Differenzialdiagnose autistischer Störungen I 1. Verdacht 2. Screening 3. Umfassende Abklärung Eltern Familienmitglieder Freunde Betreuungspersonen Beobachtung Checklisten Skalen Videoaufnahmen Familienvideos Diagnose klinischer Syndrome Komorbidität Neurobiologische Untersuchungen Psychologische Untersuchungen Bildgebende Verfahren Untersuchungen zum Umfeld

Sechs Schritte zur Diagnose und Differenzialdiagnose autistischer Störungen II 4. Differenzialdiagnose 5. Multiaxiale Diagnose 6. Behandlungsindikation Tiefgreifende Entwicklungsstörung Umschriebene Entwicklungsstörungen Andere psychopathologische Störungen Somatische Begleiterkrankungen Klinisch-psychiatrisches Syndrom Umschriebene Entwicklungsstörungen Intelligenzniveau Körperliche Symptomatik Abnorme psychosoziale Umstände Globalbeurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus Psychoedukation Verhaltenstherapie Medikation

Diagnostik autistischer Störungen 1. Vorgeschichte: Sehr hilfreich sind Videoaufnahmen aus den ersten drei Lebensjahren 2. Beobachtungsmethoden: Klinische Beobachtungen Von speziellen Instrumenten gestützte Beobachtungen Videoaufzeichnungen als wichtiges Hilfsmittel 3. Interviews (mit Eltern und Patienten) Autismus-spezifische Interviews Interviews mit dem Fokus auf Begleiterkrankungen 4. Zusätzliche Laboruntersuchungen EEG Laboruntersuchungen Bildgebende Verfahren (CT, MRT, PET) 5. Tests und neuropsychologische Untersuchungen 6. Experimentelle Untersuchungen

Einige Instrumente zur Diagnostik autistischer Störungen Autism Diagnostic Interview (in seiner revidierten Form) (ADI-R) (Lord et al., 1994) Autism Diagnostic Observation Schedule (ADOS) (Lord et al., 1989) Autism Diagnostic Observation Schedule-Generic (ADOS-G) (Lord et al., 1997) Childhood Autism Rating Scale (CARS) (Schopler et al., 1980) Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom (MBAS) (Kamp-Becker & Remschmidt, 2006)

Charakteristische Intelligenzprofile autistischer Probanden (Rühl et al., 1995)

Vergleich charakteristischer Merkmale tiefgreifender Entwicklungsstörungen I Autismus Atypischer Autismus Asperger-Syndrom Alter bei Erstmanifestation Geschlechterverhältnis (m/w) < 3 J. > 3 J. > 3 J. 3 : 1 3 : 1 8 : 1 Symptomatologie Qual. Beeinträchtigung d. soz. Interaktion Qual. Beeinträchtigung d. Kommunikation Repet. / stereotyp. Verhaltensweisen keine vollständige Symptomatik Beeinträchtigung d. soz. Interaktion Stereotyp. Verhaltensweisen und Interessen keine Sprachentwicklungsverzögerung Sprachentwicklungsverzögerung Keine kognitiven Beeinträchtigungen Kein symbolisches Spiel Kognitive Funktionen Meist beeinträchtigt, aber stabil Häufig geistige Behinderung Nicht beeinträchtigt, aber spezifische Besonderheiten

Vergleich charakteristischer Merkmale tiefgreifender Entwicklungsstörungen II Autismus Atypischer Autismus Asperger-Syndrom Epileptische Anfälle Ätiologie Verlauf In 25% bis zur Adoleszenz Möglicherweise genetisch bedingt Stetig, stabil keine psychotischen Episoden Ø Seltene psychotische Episoden

Autismus-Spektrumstörungen - Diagnostik, Differentialdiagnostik und Therapie 1. Autismus-Spektrumstörungen und tiefgreifende Entwicklungsstörungen 2. Frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom) 3. Asperger-Syndrom 4. Diagnostik von Autismus-Spektrumstörungen 5. Zum Verständnis von Autismus-Spektrumstörungen 6. Interventionsmöglichkeiten und Verlauf

Kandidatengenregionen Autismus/ Asperger Syndrom Kopplungsbefunde Autism Spectrum Disorder Kopplungsbefunde Asperger Syndrom zytogenetische Befunde ASD zytogenetischer Befund Asperger Syndrom Metaanalysen bzw. kombinierte Analyse

Das Gehirn und die Zugangswege zur Objektivierung seiner Funktionen Klinische Neurologie Neuroanatomie/Histologie Neurophysiologie Neurochemie Bildgebung strukturell funktionell Neuropsychologie Intelligenz Aufmerksamkeit Gedächtnis Sprache/Kommunikation Exekutive Funktionen Theory of Mind Kohärenz

Kernspintomogramm bei der Gesichts- und Objekterkennung Gesicht Objekt Autismus KG1 KG1

Neuropsychologische Befunde bei autistischen Störungen Exekutive Funktionen: Schwierigkeiten bei allen Planungsprozessen, insbesondere zielgerecht und problemorientiert zu handeln Schwierigkeiten Strategien zur Problemlösung zu entwickeln (z.b. beim Turm von Hanoi) Schwierigkeiten bei der Umstellung von einem Lösungsweg auf den anderen (z.b. bei Labyrinthaufgaben) Perseveratorisches Verharren bei einer einmal eingeschlagenen Strategie Frage: Spezifität der Auffälligkeiten bezüglich der exekutiven Funktionen

Turm von Hanoi Instruktion: Du musst den Turm in der selben Reihenfolge auf der linken oder rechten Seite wieder aufbauen. Du darfst keine grössere Scheibe auf eine kleinere legen! Und du darfst natürlich immer nur eine Scheibe bewegen.

Neuropsychologische Befunde bei autistischen Störungen Theory of Mind: Eingeschränkte Fähigkeiten physikalische Vorgänge von psychischen Vorgängen zu unterscheiden Unzureichendes Verständnis für psychische Vorgänge Schwierigkeiten in der sprachlichen Bezeichnung psychischer Vorgänge Eingeschränkte Fähigkeit fiktive Spiele auszuführen Eingeschränkungen im Verständnis emotionaler und sozialer Situationen Eingeschränkte Fähigkeiten im Verständnis metaphorischer Bedeutungen (z.b. Ironie, Witze) Eingeschränkte Fähigkeit die Intentionen anderer Personen zu erkennen Eingeschränkte Fähigkeit zu unterscheiden ob Ereignisse zufällig eingetreten sind oder absichtlich herbeigeführt wurden

Mentalisieren - Theory of mind Erlaubt unmittelbares Verstehen des Verhaltens anderer Personen durch implizite Attribution von Gedanken, Wünschen,Gefühlen, Überzeugungen Kritisch für interpersönliche Interaktionen

Mentalisierungssystem des Gehirns Castelli 2000 Basal temporal Periamygdaloid Paracingulate sulcus STS-temporal-parietal junction

Versteckte Figur

Versteckte Figur

Schwache zentrale Kohärenz Vorteile im täglichen Leben Schnelles Finden von Objekten, Fehlern Gutes Korrekturenlesen Gutes wörtliches Behalten Objektiver Standpunkt Systematischer Erwerb von Fakten, Objekten

Schwache zentrale Kohärenz Nachteile im täglichen Leben Wenig Orientierung auf Sinnhaftigkeit Gedächtnis für Details kann zu gut sein! Unabhängigkeit vom Kontext kann zu weit gehen! Wenig Relativität: Schwarz-weiss-Malerei

Theoretische Konzepte und Hirnfunktion bei autistischen Störungen Theory of Mind Mentalisierungsschwäche Empathieschwäche Verständnisschwäche für Metaphorik (Ironie, Witze) Verständnisschwäche für soziale Situationen Mentalisierungssystem Exekutive Funktionen Defizit im Vorausplanen Defizit im zeitlichen Strukturieren Flexibilitätseinschränkung Initiierungsschwäche Zentrale Kohärenz Bruchstückhafte Inform.verarbeitung Detailorientierung Kontexterfassungsschwäche Sinnerfassungsschwäche? Frontales System

Elementare Funktionen Komplexe Funktionssysteme Theorien Sinnesfunktionen Kognitives Funktionssystem Exekutive Funktionen Wahrnehmung Aufmerksamkeit Affektives Funktionssystem Theory of Mind Gedächtnis Soziales Funktionssystem Zentrale Kohärenz Integrationsdefizit als Erklärungsversuch autistischer Störungen

Elementare Funktionen Komplexe Funktionssysteme Theorien Sinnesfunktionen Kognitives Funktionssystem Exekutive Funktionen Wahrnehmung Aufmerksamkeit Affektives Funktionssystem Theory of Mind Gedächtnis Soziales Funktionssystem Zentrale Kohärenz Integrationsdefizit als Erklärungsversuch autistischer Störungen

Autismus-Spektrumstörungen - Diagnostik, Differentialdiagnostik und Therapie 1. Autismus-Spektrumstörungen und tiefgreifende Entwicklungsstörungen 2. Frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom) 3. Asperger-Syndrom 4. Diagnostik von Autismus-Spektrumstörungen 5. Zum Verständnis von Autismus-Spektrumstörungen 6. Interventionsmöglichkeiten und Verlauf

Behandlungs- und Fördermethoden bei autistischen Störungen Zielsymptome Zielverhalten Behandlungs- und Fördermethoden Nonverbale Kommunikation Verbale Kommunikation Hyperaktivität/Selbststimulation Aggressivität, Wutausbrüche Selbstverletzendes Verhalten Stereotypien und Zwänge Angstzustände Isolation und Rückzug Depressive Störungen Schlafstörungen Frühförderung Verhaltenstherapie Körperbezogene Verfahren (Festhaltetherapie, FC, neurosensorische Verfahren) Pädagogische Programme Medikamentöse Therapie Ernährung/Diät/Vitamine Sport und Bewegung

Interventionsbedürftige Störungen bei Autismus Angst, Unruhe- und Erregungszustände Hartnäckige Schlafstörungen Aggressives Verhalten Hartnäckige Zwangssyndrome Selbstverletzungen Epileptische Anfälle Psychotische Zustandsbilder (Körperlich begründbare Psychosen)

Mögliche Ursachen krisenhafter Störungen bei autistischen Syndromen 1. Umwelt- und Umgebungsveränderungen 2. Kommunikative Mißverständnisse 3. Entwicklungs- und Reifungsphasen als Krisenmoment 4. Veränderungen in den Bedingungen und im Verlauf etwaiger Grundkrankheiten

Medikamentöse Behandlung autistischer Störungen nach Zielsymptomen Zielsymptome Aggressives Verhalten und selbstverletzendes Verhalten Medikation Atypische Neuroleptika Lithium Antikonvulsiva Clonidin Stereotypien, Rituale Hyperaktivität, impulsives Verhalten SSRI Atypische Neuroleptika Stimulanzien Atypische Neuroleptika Clonidin Naltrexon Angstzustände Depressionen Buspiron Atypische Neuroleptika Clonidin Antidepressiva vom Typ des SSRI

Zur Prognose autistischer Störungen: Summarische Ergebnisse Prognosekriterien: IQ, Sprachentwicklung ( Asperger-Syndrom: bessere Prognose) Pubertät: 20% haben Entwicklungsrückstände Weniger weibliche Patienten: ungünstigere Verläufe 25% der Patienten bekommen nach der Adoleszenz Epilepsien und Entwicklungsrückschritte Datenlage zum Verlauf im Erwachsenenalter spärlich, auch im Vergleich zur Phenylketonurie und zum Down-Syndrom Prävalenz: 0,1% (Gillberg & Wing) 66 000 Erwachsene mit Autismus in Deutschland

Spiegelneuronen- Aktivität während Beobachtung und Imitation von Emotionen bei Kindern mit ASS und einer Kontrollgruppe (Dapretto et al., 2006)

Aktivität der Spiegelneuronen ADOS: r = -0.70 (p < 0.02) ADI: r = -0.85 (p < 0.002) Ausmaß der sozialen Beeinträchtigung