Eine bewährte Methode
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- Lioba Frei
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1 Fokusthema Alterszahnheilkunde Totale Ober- und Unterkieferversorgung nach Gutowski Eine bewährte Methode Ein Beitrag von Dr. Wolfgang Boisserée, Dr. Julia Läkamp und Manfred Läkamp Eine funktionell und ästhetisch befriedigende Totalprothesenversorgung erfordert profundes zahnärztliches und zahntechnisches Wissen und Können. Zahnarzt und Zahntechniker müssen als Team dasselbe Konzept anwenden. Gutowski bezeichnet sein Konzept zur Totalprothetik als sein Lebenswerk [1]. Innerhalb seiner intensiven Seminartätigkeit über nahezu 50 Jahre hatte die Totalprothetik stets einen besonderen Stellenwert in seinem Kursspektrum. Über viele Jahre hat er seine Methode in einem praktischen neuntägigen Team-Arbeitskurs, dem legendären Blut und Tränen-Kurs, vermittelt. Insofern konnte Gutowski, wie vielleicht kein anderer Referent, die Totalprothetik vor allem im deutschen Sprachraum prägen und damit ein durchgängiges, kontinuierlich weiterentwickeltes und letztlich eigenständiges Konzept etablieren. Indizes: Ästhetik-Phonetik-Schablone, Eckzahnführung, Funktionsabformung, Gutowski, Remontage, Totalprothese Fragen zum Behandlungskonzept Was unterscheidet die Gutowski- Methode von anderen totalprothetischen Konzepten? Eignet sich das Verfahren auch in Verbindung mit digitaler Technologie/ Datenerfassung? Dr. Wolfgang Boisserée: Die erreichbare Lagestabilität und das Saugvermögen der Prothesen rekrutieren sich aus der sorgfältigen Prothesenlagerabformung, der Kieferrelationsbestimmung mit saugenden Registrierbehelfen und der präzisen Überführung der Ästhetik-Phonetik-Schablonen in die Aufstellung. Abgerundet wird das funktionelle Ergebnis durch eine balancefreie Front-Eckzahnführung und das konsequente Remontageverfahren. Selbstverständlich können die Funktionsmodelle gescannt und mittels der Kieferrelationsbehelfe in den digitalen Artikulator eingestellt werden. Die zusätzlich gematchten Ästhetik-Phonetik-Schablonen können die Aufstellung vorgeben. Voraussetzung ist eine entsprechende Software. Falls notwendig, könnten die fertigen Prothesen anschließend im Artikulator konventionell remontiert werden. 326 teamwork 5/2018
2 Das Totalprothesenkonzept nach Gutowski bietet dem zahnärztlich-zahntechnischen Behandlungsteam ein logisches und in sich stimmiges Verfahren, das jedoch Übung und Erfahrung benötigt. Der hohe Aufwand wird bei sorgfältiger Umsetzung mit einem programmierten funktionellen und ästhetischen Behandlungserfolg belohnt. Charakteristika des Konzepts sind: 1. Die Erfassung des Prothesenlagers durch zwei aufeinanderfolgende Funktionsabformungen 2. Die Kieferrelationsbestimmung mit saugenden Registrierbehelfen und im Artikulator vorbereiteten Kunststoffwällen 3. Die Ästhetik-Phonetik-Schablonen, ebenfalls mit Kunststoffwällen, zur präzisen funktionellen und ästhetischen Vorwegnahme der Zahnaufstellung 4. Die Rehabilitation der Okklusion nur bis zum ersten Molaren und mit einer balancefreien Front-Eckzahnführung 5. Die Remontage der fertigen Prothesen im Artikulator 6. Die konsequente Nachsorge Das spezielle totalprothetische Vorgehen nach Gutowski soll an einem Patientenbeispiel dargestellt und die Charakteristika der Methode sollen hervorgehoben werden. Die aufgeführten Schritte beziehen sich auf die von Gutowski exakt beschriebenen Anleitungen [2]. Auch die Autoren 1a & b Ober- und Unterkiefer-Erstabformung mit den halbindividualisierten Gutowski-Löffeln des Buchs Funktionelle Implantologie [3] stellen das zahnärztliche und zahntechnische Vorgehen einer totalprothetischen Ober- und Unterkieferversorgung nach dieser Systematik im Detail Schritt für Schritt dar. 1. Vermessung der alten Prothesen, Ist-Werte, Soll-Werte Zu Behandlungsbeginn steht neben der Anamnese, einer Röntgenkontrolle und einem Funktionsscreening die funktionelle und ästhetische Prüfung der vorhandenen Prothesen im Mittelpunkt, die gemeinsam mit dem Patienten durchgeführt wird. In diesem Zusammenhang werden die alten Prothesen mit der speziellen Gutowski- Meyding-Schieblehre vermessen und deren vertikale und horizontale Dimensionen als Ist-Werte in einem Prothesenmessblatt erfasst. Im gleichen Zuge werden die notwendigen Korrekturen und Veränderungen der vorhandenen Situation als erste Orientierung direkt am Patienten ermittelt und als Soll-Werte den Ist-Werten auf einem Prothesenmessblatt gegenübergestellt. Diese Soll-Werte (unter 4.b beschrieben) dienen als erste Orientierung der en Ausrichtung der Bisswälle auf den Abformlöffeln und deren Weiterführung in Registrier- und Ästhetik-Phonetik-Schablonen. 2. Erfassung des anatomischen Prothesenlagers durch zwei aufeinanderfolgende Funktionsabformungen a) Die funktionelle Erstabformung Die erste Abformung wird bereits als Funktionsabformung mit den halbindividuellen Löffeln nach Gutowski (George Dental) durchgeführt (Abb. 1a und b), um in Dimension und Randgestaltung möglichst Therapieschritte und involvierte Teammitglieder Planung Anamnese, funktionelle und ästhetische Analyse und Planung Behandlungsstart ZA Vermessung der alten Prothesen, 1. Funktionsabformung / ZT Modell- und Löffelherstellung 2 4 Tage ZA 2. Funktionsabformung / ZT Modell- und Registrierschablonenherstellung 2 4 Tage ZA 1. arbiträre Kieferrelationsbestimmung / ZT Artikulator-Montage, Ausrichtung der Kunststoffwälle / ZA 2. Kieferrelationsbestimmung / ZT Artikulator-Montage, Umarbeitung der Behelfe in Ästhetik-Phonetik-Schablonen 2 4 Tage ZA Ästhetik-Phonetik-Analyse und Idealisierung der Wälle nach ästhetischen und funktionellen Kriterien / ZT Übertragung der Wälle in Silikonformteile, Aufstellung der Zähne 2 4 Tage Kontrolle und ggf. erneute Remontage ZA Gesamtanprobe / ZT ggf. Korrekturen, evtl. erneute Anprobe / ZT Fertigstellung der Prothesen Eingliederung, 1. Remontage 2 4 Tage 2 4 Wochen teamwork 5/
3 ideale individuelle Funktionsabformlöffel zu erhalten. In den Formen ähneln sie den Schreinemakers-Löffeln, sind jedoch aus Hartkunststoff und ohne Griff, sodass man sie bei Bedarf leicht subtraktiv oder additiv anpassen kann. Nach Auswahl der richtigen Größe werden die Löffel für die Erstabformung mit haselnussgroßen Stopps so weit von der Schleimhaut abgehoben, dass sie die bewegliche Schleimhaut nicht irritieren und gleichzeitig sicher platziert werden können. Die Abformung des Prothesenlagers erfolgt mit einem relativ festen und knetbaren Weichsilikon (Detaseal Funktion A Silikon Knetmasse, Detax). Eine Überextension wird durch kräftige aktive und passive Funktionsbewegungen vermieden. Zu kurze Areale werden durch Nachlegen von Material verlängert und abschließend wird die Randstärke mit Skalpell oder Diamantfräse so weit reduziert, dass die Abformungen bereits einen gewissen Saugeffekt aufweisen, sich bei Funktionsbewegungen des Patienten jedoch nicht abheben. Für die Feinabformung des Prothesenlagers verwendet Gutowski ein dünnfließendes Silikon (R-SI-Line Light, R dental) Im Anschluss erfolgt die A-Linien- Abdämmung durch Abformung mit Aluminiumwachs, um das Prothesenventil nach dorsal abzudichten (siehe Abb. 1a). b) Herstellung der Funktionslöffel Zur Sicherung der Funktionsränder werden diese mit Knetsilikon dargestellt und die Abformungen mit Abformgips ausgegossen. Es wird bewusst ein weicher Gips verwendet, damit unter sich gehende und bruchgefährdete Kieferkammbereiche beim en Abziehen des individuellen Löffels herausbrechen können. Diese Areale können markiert und im Löffel gezielt entlastet werden, um eine Bruchgefahr für das definitive Funktionsmodell zu vermeiden. Die Funktionslöffel werden aus einem Kaltpolymerisat (Formatray, Kerr) hergestellt. Sie reichen in beiden Kiefern bis in die Tiefe der Umschlagfalte. Im Oberkiefer umfasst der Löffel nach dorsal die A-Linie und ist im Bereich der Tuberwangentaschen stärker repräsentiert. Der Unterkieferlöffel füllt lingual den Sublingualraum bis in den Bereich der Prämolaren aus, verläuft maximal 2 bis 3 mm unterhalb der Linea mylohyoidea und umfasst nach dorsal die Tubercula retromolaria bis in den Bereich der beweglichen Schleimhaut. Abschließend erhalten die Löffel Wälle aus lichthärtendem Kunststoff in den Dimensionen der eingangs ermittelten Soll-Messwerte (Abb. 2). Die Wälle dienen jedoch zunächst nur als Haltegriff. c) Funktionelle Zweitabformung Nach Überprüfung (Abb. 3a und b) und gegebenenfalls Korrektur der Randbereiche werden die Löffel zunächst mit vier bis fünf etwa erbsengroßen Stopps aus lichthärtendem Kunststoff, die im Bereich der Kieferkämme auf die Löffelunterseite aufgebracht werden, um circa 1 mm angehoben. Auf diese Weise erreicht man einen verbesserten Saugeffekt der Prothese, wenn nach Abformung der Randbereiche die Stopps, vor der abschließenden Feinabformung der gesamten Schleimhaut, entfernt werden. Bei Belastung lagern sich die Randbereiche dann tiefer in das Gewebe ein und sorgen für einen verstärkten Ventilabschluss. Die Abformung der Funktionsränder erfolgt mit GC Bite Compound (GC Germany), das in der Gasflamme erhitzt und sektionsweise auf die Randbereiche des Löffels aufgetragen wird. Vor dem Einsetzen in den Mund temperiert man das Material im Wasserbad auf 57 und führt während des Aushärtens wiederum aktive und passive Funktionsbewegungen zur Vermeidung von Überextension durch. Nun können die Stopps entfernt werden. Bei erneuter Anprobe sollen die Löffel schon eine gute Saugkraft aufweisen. In gleicher Weise wie bei der Erstabformung wird nach Aufbringen eines Silikon adhäsivs die Feinabformung des Prothesenlagers mit R-SI-Line Light (R-dental) durchgeführt und abschließend im Oberkiefer die A-Linie mit Aluminiumwachs abgedämmt. d) Herstellung der Funktionsmodelle Mit dem SAM-Sockelverfahren werden die Funktionsmodelle unter präziser Erfassung der vollständigen Funktionsränder aus Superhartgips (Velmix Stone weiß, Kerr) mit Magnetsplitsockeln hergestellt. 02 3a 3b 2 Übertragung der Sollmesswerte auf den Kunststoffwall des individuellen Oberkieferlöffels. Der Wall dient während der Funktionsabformung nur als Griff. 3a & b Überprüfung der individuellen Löffel im Ober- und Unterkiefer. Die Randbereiche sollen das gesamte Prothesenlager umfassen, jedoch nicht überextendiert sein. In der Regel haben die Abformlöffel bereits einen Saugeffekt und werden bei Funktionsbewegungen nicht abgehoben. 328 teamwork 5/2018
4 4a 4b 4a & b Umarbeitung der Funktionslöffel in Registrierbehelfe durch Unterfütterung, hier mit Coltex medium (Coltène) (a), und Ausarbeitung der Randbereiche mit einer Diamantfräse (b) 5 Symmetrisch ausgerichteter anatomischer Transferbogen (SAM-System). Der Patient hält die Ohroliven seitengleich in den äußeren Gehörgängen, während die Bissgabel mit Watterollen durch die untere Schablone fixiert wird Kieferrelationsbestimmung mit saugenden Schablonen und ausgerichteten Kunststoffbisswällen a) Registrierschablonen Zur Weiterverwendung als Registrierschablonen entfernt man von den Abformlöffeln jegliche Abformmasse und unterfüttert die Löffel auf den gewässerten Modellen mit einem mittelfesten Silikon (Abb. 4a). Ein Silikonadhäsiv sichert den festen Verbund. Nach dem Ausarbeiten der Überschüsse (Abb. 4b) erhält man sehr gut sitzende und saugende Registrierbehelfe, sofern die Funk tionsabformung erfolgreich war. Der Oberkieferwall bleibt zunächst unverändert, der Unterkieferwall wird für die Kieferrelationsbestimmung dachfirstförmig zurückgeschliffen. Außerdem erhält die Unterkieferschablone an den Außenseiten der Regionen von 33 bis 36 und 43 bis 46 sogenannte Fingerbänke aus lichthärtendem Kunststoff für die sichere Fixierung der Schablone bei der Registrierung. b) Einstellung des Oberkiefermodells nach anatomischer Gesichtsbogenübertragung Die Modellmontage erfolgt bei Gutowski vorzugsweise mit dem SAM-System. Für die arbiträre Gesichtsbogenübertragung fixiert der Patient die mit Registriersilikon belegte Bissgabel mit der unteren gegen die obere Schablone. Zur ästhetischen Orientierung sollte auch bei einer Gesichtsasymmetrie die horizontal ausgerichtete Bipupillarstange parallel zur Bipupillarlinie des Patienten verlaufen und der Transferbogen symmetrisch zur Gesichtsmitte ausgerichtet sein (Abb. 5). c) Montage des Oberkiefermodells Das Kupplungsteil des Transferbogens kann nun direkt in den mit einem Übertragungsteil und Montageplatte vorbereiteten SAM 3 Artikulator eingebracht werden. Vor der Montage mit Abformgips muss die Bissgabel unterstützt werden, um das hohe Gewicht von Schablone und Modell auszugleichen. teamwork 5/
5 d) Provisorische Kieferrelationsbestimmung Um ein langwieriges Korrigieren der Kunststoffwälle am Patienten zu vermeiden, wird die Kieferrelationsbestimmung zweizeitig durchgeführt. Mit einem Registriersilikon (Metal Bite, R-dental) erfolgt eine Erstzentrik und anschließende Montage des Unterkiefermodells in den Artikulator, sodass Schablonen und Wälle zueinander idealisiert werden können (Abb. 6). Insbesondere wird die Vertikaldistanz gemäß den Messungen der Sollwerte mit der Gutowski-Meyding- Schieblehre nachkorrigiert. e) Definitive Kieferrelationsbestimmung Die definitive Kieferrelationsbestimmung wird am aufrecht sitzenden Patienten durchgeführt. Mit der Gasflamme erhitztes GC Bite Compound (GC Germany) wird auf den Oberkieferbisswall aufgebracht, im Wasserbad bei 57 temperiert, mit Mikrofilm (Kerr) isoliert, die Schablone in den Mund eingesetzt und zur Etablierung des Saugeffekts gegen den Gaumen gedrückt. Der Unterkiefer-Registrierbehelf wird intraoral mit den Zeigefingern auf den Fingerbänken und extraoral mit den Daumen an den horizontalen Unterkieferästen fixiert (Abb. 7a). Es wird eine für den Patienten in aufrechter Körperhaltung reproduzierbare physiologische Kieferrelation ermittelt, die der Patient ohne Manipulation des Behandlers zwanglos selbst einnehmen kann. Gutowski nennt diese Position physiologische RKP [4]. Nach wiederholter Durchführung und Überprüfung sollte das GC Bite Compound nicht bis auf die Schablone durchgedrückt sein (Abb. 7b), um eine Verschiebung der Schablone zu vermeiden. Die Registrierung kann abschließend mit Luxabite (DMG) verfeinert und verschlüsselt werden. f) Unterkiefer-Modellmontage, Magnetsplitcast-Kontrolle Die korrekte Artikulatormontage ist von ebenso grundlegender Bedeutung für das okklusale Resultat wie die sorgfältige Kiefer relationsbestimmung. Deshalb werden Modelle und Schablonen vor dem Einartikulieren genauestens auf richtigen Sitz überprüft und störende Modellbe- 06 7a 7b 6 Für die definitive Registrierung vorbereitete Schablonen im Artikulator, eingestellt nach provisorischer Kieferrelationsbestimmung 7a & b Bei der definitiven Kieferrelationsbestimmung wird die Unterkieferschablone beidseitig fixiert. Der Patient schließt in das temperierte GC Compound (GC Germany), das auf den Oberkieferwall aufgebracht ist (a). Nach dem Aushärten schneidet man das Material zurück (b). Der Registriervorgang kann überprüft und wiederholt werden. reiche gewissenhaft entfernt, bis eine korrekte Zuordnung von Modellen und Schablonen gewährleistet ist, und diese anschließend sicher verschlüsselt. Nach der Montage ist eine Splitcast- Kontrolle unerlässlich, um die korrekte Modellzuordnung zu verifizieren. Da sich selbst kleine Fehler im weiteren Verlauf potenzieren, sollte auch bei kleinsten Diskrepanzen die Montage des Unterkiefermodells erneut durchgeführt werden. Durch eine erneute Registrierung kann die definitive Kieferrelationsbestimmung noch einmal überprüft werden. g) Artikulatorprogrammierung Erfolgt keine individuelle Registrierung der Gelenkbahn durch ein Protrusionsregistrat, wird diese am Artikulator bei älteren Patienten auf 25 und bei jüngeren Patienten auf 30 eingestellt. Grundsätzlich wird der grüne Bennett-Einsatz mit 0,5 mm Immediate Side Shift bei einem Bennet-Winkel von 10 verwendet. 330 teamwork 5/2018
6 8a 8b 8a bis c Ausrichtung der Kunststoffbisswälle nach funktionellen, ästhetischen und phonetischen Kriterien 4. Die Erfassung der individuellen Ästhetik und Phonetik zur Vorwegnahme der Zahnaufstellung a) Ästhetik-Phonetik-Schablonen Die Registrierbehelfe werden umgearbeitet und als sogenannte Ästhetik- Phonetik-Schablonen weiterverwendet. Der hervorragende Sitz der Schablonen mit Bisswällen aus zahnfarbenem Kunststoff ermöglicht im weiteren Arbeitsschritt eine sehr gute Simulation der zukünftigen Prothesen, die zusammen mit dem Patienten abgestimmt werden kann. Zunächst werden die Bisswälle entsprechend den eingangs ermittelten Soll- Werten (siehe unter 1.) mithilfe der Gutowski-Meyding-Schieblehre nachjustiert. Der Unterkieferwall erhält seine ursprüngliche Form zurück und die Zahnbögen werden in Form der Front- und Seitenzahngebiete dimensioniert. Nach vestibulär unterstützt der Oberkieferwall die Weichteile harmonisch und führt zu einem gleichmäßigen Lippen- und Wangenverlauf (Abb. 8a). Das Lippenrot muss ebenfalls gut unterstützt werden, wobei der sagittale Abstand von der Papilla inzisiva zu den oberen Schneidezahnkanten bei eugnather Verzahnung im Mittel 7 bis 8 mm beträgt. Bei Frauen sind die Inzisalkanten der mittleren Schneidezähne bei hängender Oberlippe im Allgemeinen 1 bis 2 mm sichtbar, während sie bei Männern in der Regel gerade hinter der Lippenkante verschwinden. Bei F-Lauten liegen die Schneidezahnkanten am Übergang von nassem zu trockenem Lippenrot, sodass auf diese Weise Länge und Position der oberen Schneidezähne kontrolliert werden können. Der bukkale Korridor ist für das Lachen gleichmäßig und ausreichend gefüllt darzustellen. Der untere Zahnbogen soll der Zunge genügend Platz geben. Für die weiterführende zahntechnische Arbeit markiert man auf dem Oberkieferwall die Mittellinie (Abb. 8c), die Lachlinie und gegebenenfalls auch die Nasenbasisbreite. c) Zungenraumabformung Abschließend wird der Lingualraum der unteren Schablone mit dünn aufgetragenem Silikon unter Funktionsbewegungen der Zunge individualisiert. b) In die weitere Ausformung der Bisswälle einfließende Parameter Die Vertikaldistanz wird mit Sprechproben überprüft. Im Normalfall sollte sie bei S-Lauten 2 bis 3 mm weder unter- noch überschreiten. Die Kauebene verläuft idealerweise auf Höhe des Zungenäquators, damit der Patient den Speisebolus beim Essen auf die Seitenzahnkauflächen transportieren kann. Von ventral gesehen ist die Kauebene parallel zur Bipupillarlinie auszurichten (Abb. 8b). 8c teamwork 5/
7 9a 9b 9a & b Mit einem abnehmbaren lingualen und labialen Silikonschlüssel werden die Dimensionen der Ästhetik-Phonetik-Schablonen erfasst und geben die Zahnaufstellung präzise vor. 5. Zahnaufstellung, Anprobe, Überführung der Prothese in Kunststoff, Remontage a) Erfassung der Ästhetik-Phonetik- Schablonen Die Ästhetik-Phonetik-Schablonen geben die Zahnaufstellung nun präzise vor. Mit Übertragungsschlüsseln aus Knetsilikon werden die gewonnenen Dimensionen konserviert (Abb. 9a). Ein lingualer Silikonschlüssel füllt den Zungenraum aus und endet vertikal exakt auf der Wall ebene (Abb. 9b). Er repräsentiert die linguale Begrenzung der Aufstellung und das Niveau der Kauebene. Ein labialer Schlüssel umfasst die vestibuläre Fläche des Unterkieferwalls und gleichzeitig den Zahnbogenverlauf des oberen Walls. Der Schlüssel wird nach dem Aushärten auf das Niveau des oberen Zahnbogens zurückgeschnitten und mit wasserfestem Filzschreiber die Mittellinie markiert. Der Schlüssel repräsentiert Position und Inzisalkantenverlauf der oberen Schneidezähne sowie die Dimensionen der oberen und unteren Zahnbögen. Die Schlüssel können abgenommen und nach Entfernung der Kunststoffwälle sicher auf dem Unterkiefermodell reponiert werden. b) Zahnauswahl und Aufstellung Die Zahnauswahl richtet sich nach dem Konstitutionstyp des Patienten, den Messwerten der Nasenbasisbreite, dem Aussehen in der Vergangenheit (Porträtaufnahmen) und den speziellen Wünschen des Patienten. Gutowski bevorzugt Keramikzähne in der Front und möglichst auch im Seitenzahnbereich. Aufgrund der wesentlichen Vorteile gegenüber vollbalancierten Prothesen [5,6] werden die Zähne mit einer Front- und gegebenenfalls Prämolarenführung aufgestellt, die, wie beim natürlichen Gebiss, in statischer Okklusion gleichzeitige und gleichmäßige Kontakte der Seitenzähne aufweist und in Dynamik zu einer Disklusion der Mediotrusionsseite führt. Bei der Aufstellung beginnt man mit den Zähnen 11 und 21 an der Mittellinie. Dem folgen alle oberen Frontzähne in präziser Orientierung zum Silikonschlüssel (Abb. 10a). Dann werden die unteren Frontzähne aufgestellt (Abb. 10b). Die Ausrichtung der Seitenzähne orientiert sich am tiefsten Punkt des posterioren Unterkiefer-Kammverlaufs, der aus Gründen der Stabilität dem unteren ersten Molaren, der größten Kaueinheit, zugeordnet wird [7] (Abb. 10c). Poste- rior davon steigt der Unterkieferkamm zum Trigonum retromolare an. Aufgrund der Annäherung der Kieferkämme entsteht dort ein anteriorisierender und destabilisierender Kraftvektor [8], weshalb in der Regel kein zweiter Molar aufgestellt wird. In der Praxis werden die Zahngrößen nach diesem Aspekt ausgewählt und zunächst die Oberkieferseitenzähne jeweils bis zu den ersten Oberkiefermolaren aufgestellt. Dann platziert man den ersten Unterkiefermolaren ideal zum ersten Oberkiefermolaren, der exakt in Höhe der Kauebene stehen soll. Abschließend werden die unteren Prämolaren aufgestellt und je nach Frontzahnstellung in der Breite angepasst. Die sagittale und die transversale Kompensationskurve werden wenig ausgeprägt, um eine gute Disklusion der Seitenzähne bei dynamischen Bewegungen zu ermöglichen. c) Wachsanprobe und Muskel-Wangen-Abformung Die Aufstellung wird nach den ästhetischen Erfordernissen ausmodelliert (Abb. 10d) und sorgfältig, unter Einbeziehung der Patientenmeinung, nach funktionellen und ästhetischen Krite rien 332 teamwork 5/2018
8 10a 10b 10a bis d Stadien der Zahnaufstellung mit anteriorer Führung. Die Seitenzahnaufstellung orientiert sich am tiefsten Punkt des posterioren Kieferkammverlaufs, der dem ersten Unterkiefermolaren zugeordnet wird. Aus Stabilisierungsgründen wird in der Regel auf den zweiten Molaren verzichtet. 10c 10d überprüft. Nach Abschluss aller noch notwendigen Korrekturen und Freigabe durch den Patienten werden in derselben Sitzung durch eine sogenannte Muskel- Wangen-Abformung die posterioren Außenbereiche der Ober- und Unterkieferprothesen mit dünn aufgetragenem Silikon unter aktiven und passiven Funktionsbewegungen individualisiert. Diese Bereiche werden vor der Umsetzung in Kunststoff kaum verändert und reduzieren im en Gebrauch die Retention von Speisen. Eine weitere Besonderheit der Systematik nach Gutowski besteht darin, den Bereich des Torus palatinus im Fertigungsprozess nicht auszu blocken, sondern nach Eingliederung am Patienten bei Notwendigkeit individuell zu entlasten. d) Prothesenanfertigung Die Prothesen werden mit einem PMMA- Kaltpolymerisat (Futura Gen, Schütz Dental, Rosbach) in einem Injektionsverfahren (Unipress System, Schütz Dental) nach Vorschrift in Kunststoff umgesetzt. Das Methacrylat ist nach 20 Minuten auspolymerisiert, sodass die Prothesen bereits nach 30 Minuten ausgebettet und ausgearbeitet werden können. Trotz des guten Abschneidens dieses Verfahrens bei der Polymerisationsschrumpfung [9] ist eine okklusale Nachjustierung unerlässlich, um die polymerisationsbedingten Veränderungen in der Verzahnung zu korrigieren. Formveränderung durch Wasser einlagerung wird Rechnung getragen, indem die Prothesen bis zur Eingliederung in Wasser gelagert werden. e) Remontage und Eingliederung Anstatt des sonst üblichen Reokkludierens wird im Gutowski-Verfahren eine Remontage mit erneuter Kieferrelationsbestimmung und erneuter Artikulatormontage der ausgearbeiteten Prothesen noch vor der Eingliederung durchgeführt. Die Unterkieferprothese erhält dafür an den Außenseiten zur sicheren Fixierung die schon oben beschriebenen Fingerbänke. Wie bei der Zentriknahme mit Schablonen wird erhitztes und im Wasserbad auf 57 temperiertes GC Bite Compound verwendet, diesmal jedoch auf die Kauflächen aller unteren Seitenzähne aufgetragen und unter sicherer Fixierung der Unterkieferprothese die Kieferrelationsbestimmung durchgeführt (Abb. 11). Nach dem Abkühlen schneidet man die teamwork 5/
9 11 12a 11 Bei der Remontage wird die Unterkieferprothese mit den Fingerbänken fixiert, während der Patient in das temperierte Registriermaterial okkludiert. 12a & b Durch Markierung der Höckerspitzen kann die Verzahnung beim Einschleifen optimiert werden. 13a & c Die fertig ausgearbeiteten Ober- und Unterkieferprothesen auf den Modellen und eingegliedert, in der ästhetischen Wirkung am Patienten 12b Impressionen zurück, kontrolliert und wiederholt den Vorgang, bis Impressionen nur im Registriermaterial zu verzeichnen sind. Die Prothesen werden auf zuvor gefertigte Remontagemodelle geklebt, zueinander in Relation gebracht, verschlüsselt und gelenkbezüglich in den Artikulator montiert. Nach stimmiger Magnetsplit- Kontrolle kann eine erneute Registrierung zur Überprüfung der ersten Zentriknahme durchgeführt werden. Die okklusionskorrigierenden Maßnahmen beginnen mit einer Höcker-Fossa- Analyse (Abb. 12a), die dazu dient, die statische Okklusion unter Intensivierung der Verzahnung zu korrigieren (Abb. 12b). Beim anschließenden Einschleifen der dynamischen Okklusion wird die Protrusion mit einer Neigung von 10 und die Laterotrusion mit einer Neigung von 35 in Bezug auf die Inzisaltellerebene eingestellt. Somit stellen die zentrischen Stopps die tiefste Vertikalposition dar, in der die Prothesen gleichmäßig auf das Prothesenlager zur Ausprägung des Saugeffekts gepresst werden. In der Dynamik kommt es zur sofortigen Disklusion der Mediotrusionsseite. Nach Fertigstellung und Eingliederung (Abb. 13a bis c) benötigen Totalprothesenpatienten im Verlauf der ersten Tage und Wochen eine besonders intensive Betreuung. Druckstellen sind meist auf geringe okklusale Abweichungen infolge von Einlagerungsprozessen zurückzuführen, die primär mit erneuter Remontage korrigiert werden sollten, da das einfache Wegschleifen von Druckstellen unnötigerweise Prothesenventile öffnen kann. Fazit Das Totalprothesenkonzept nach Gutowski vereint bewährte Verfahren zu einem in sich stimmigen System und kann sicherlich als ein Goldstandard in der Behandlung von Totalprothesenträgern bezeichnet werden. Trotz Gutowskis präziser Arbeitsanweisungen bedarf es jedoch regelmäßiger Übung und großer Erfahrung, um im individuellen Patientenfall, vor allem bei reduziertem anatomischem Angebot oder bei reduzierter Adaptationsfähigkeit, ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erreichen. Zum Glück können heute in vielen schwierigen Situationen Implantate zur Unterstützung der Totalprothesen herangezogen werden. Ein wesentliches Problem im Fertigungsprozess von Totalprothesen bleiben die materialbedingten Dimensionsveränderungen, die sich am gravierendsten auf die Prothesenbasis und die okklusale Gestaltung der fertigen Versorgung auswirken und aufwendig kompensiert werden müssen. Insofern kann man gespannt sein, wie neue Technologien der CAD/CAM-Ära und zukünftige formstabile Materialien die Totalprothetik verändern und hoffentlich bereichern werden. Literaturverzeichnis unter teamwork 5/2018
10 13a 13b 13c Fotos aus Funktionelle Implantologie, Quintessenz Verlag 2016 teamwork 5/
11 Der Autor Dr. Wolfgang Boisserée Dr. Wolfgang Boisserée ist ausgebildeter Zahntechniker und absolvierte sein Studium der Zahnheilkunde von 1980 bis 1985 an der Georg-August- Universität Göttingen erfolgte die Niederlassung in eigener Praxis. Seit Beginn der zahnärztlichen Tätigkeit betreibt er intensive Fortbildung im In- und Ausland mit den Schwerpunkten zahnärztliche Funktionslehre, Zusammenhänge zwischen dem kraniomandibulären System und Strukturen des Gesamtkörpers sowie funktionsgerechte Prothetik. In diesem Zusammenhang erfolgten umfangreiche Weiterbildungen in den Bereichen Manuelle Medizin und Osteopathie. Er ist Gründungsmitglied und Vorsitzender des Arbeitskreises Zahn und Mensch Internationales Forum für innovative Zahnheilkunde und hat diverse Beiträge zu Themen der Funktionslehre und funktionsgerechter Prothetik veröffentlicht erfolgte die Buchveröffentlichung Kraniomandibuläres und Muskuloskelettales System im Quintessenz Verlag, zusammen mit Dr. Werner Schupp. Seit 2012 ist Dr. Boisserée Spezialist für Funktionsdiagnostik und Therapie (DGFDT), seit 2013 Lehrbeauftragter an der Medizinischen Universität Innsbruck und seit 2014 Master of Dental Science für Craniomandibuläre und Muskuloskelettale Medizin. Zudem referierte er in verschiedenen Ländern Europas, in Japan, in China und in Russland. Kontakt Dr. Wolfgang Boisserée Heidelweg 4, Köln Fon mail@dr-boisseree.de Produktliste PRODUKT PRODUKTNAME FIRMA Abformung Funktionsabformung halbindividuelle Löffel nach Gutowski George Dental Abformung Prothesenlager Detaseal Funktion A Silikon Knetmasse Detax Feinabformung/Prothesenlager R-SI-Line Light R-dental Abformung Funktionsränder GC Bite Compound GC Germany Funktionsmodelle Funktionslöffel Formatray Kerr Funktionsmodelle Velmix Stone weiß Kerr Kieferrelationsbestimmung Erste Zentrik Registriersilikon Metal Bite R-dental Finale Zentrik GC Bite Compound GC Germany Luxabite DMG Prothesenanfertigung Injektionsverfahren Unipress System Schütz Dental PMMA-Kaltpolymerisat Futura Gen Schütz Dental 336 teamwork 5/2018
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