Ernährung ist nicht alles
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- Ina Auttenberg
- vor 5 Jahren
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1 LEIBNIZ KRIEG BIODIVERSITÄT UND KONFLIKTE 10 3/2015
2 Ernährung ist nicht alles Mischkost, Fleisch oder doch lieber Veganer werden? Tilman Grune vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) erklärt, warum es gar nicht so leicht ist, die Frage nach der richtigen Ernährung zu beantworten. In Wohlstandsländern wie Deutschland fragen sich viele Menschen, wie man sich gesund ernährt auch weil wir die Qual der Wahl haben. Was antworten Sie? Ein Wissenschaftler bei der mikroskopischen Analyse von Leberzellen. Fotos: TTstudio/fotolia;; Till Budde/DIfE Ich kann die Antwort ganz kurz machen: gesunde Mischkost. Doch es ist mir zugleich wichtig zu betonen, dass wir am DIfE ernährungswissenschaftliche Forschung betreiben. Die Richtlinien und Empfehlungen, die sich daraus für eine gesunde Ernährung ergeben, stellen andere auf. Die stützen sich aber zuweilen auf Ihre wissenschaftlichen Ergebnisse. Was weiß man über die Zusammenhänge von Ernährung und Gesundheit? Wir wissen, dass es ursächliche Zusammenhänge zwischen beiden gibt. Die Nahrung, die wir zu uns nehmen, nimmt Einfluss auf den Stoffwechsel und kann ihn günstig oder ungünstig verändern. Inzwischen ist erwiesen, dass wir durch unsere Essensgewohnheiten Grundlagen für Erkrankungen wie Diabetes vom Typ 2 oder Herz-Kreislauf- Erkrankungen legen und unser Risiko für einige Formen von Krebs erhöhen können. Das DIfE hat etwa im Rahmen der europäischen Langzeiternährungsstudie EPIC zu diesem Wissen beigetra- gen. Allerdings geht es nie um die Ernährung allein, sondern um den gesamten Lebensstil. Welche Rolle spielen in diesem Geschehen die Gene? Ohne Zweifel gibt es bestimmte genetische Risikomuster, die dazu führen, dass Menschen mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit schlank bleiben, dick werden oder auch erkranken. Ein klassisches Beispiel sind die sogenannten schlechten Futterverwerter : Menschen, die viel essen, ohne dabei zuzunehmen. Die Kilokalorien, die täglich verbrannt werden, können von Person zu Person tatsächlich recht unterschiedlich sein. Es gibt Umstände, die kann man nicht ändern, das heißt allerdings nicht, dass man ihnen schutzlos ausgeliefert wäre. Die spannende Frage ist ja, inwieweit Risikogene zusammen mit einem bestimmten Lebensstil wirklich zum Risiko werden. Nicht umsonst ist das Thema Personalisierte Ernährung derzeit sehr en vogue. In der Forschung sind wir allerdings längst noch nicht so weit, hier Empfehlungen geben zu können. Schließlich spielen Dutzende, wahrscheinlich sogar Hunderte von Einflussfaktoren eine Rolle. Über einen möglichen Einflussfaktor wird in letzter Zeit viel diskutiert: die Zusammensetzung der Bakterien im Darm. Ja, das Thema Mikrobiom ist derzeit auch in den Medien sehr präsent, das ist sicher mehr als eine vorübergehende Modeerscheinung. Wir glauben, dass die Mikroorganismen des Darms die Verwertung von Nahrungsmitteln erheblich beeinflusst. Es hat 3/
3 also auch Einfluss auf Prozesse wie die Entstehung von Übergewicht und damit einhergehenden Krankheiten oder auch auf Defizite an Mikronährstoffen. Dazu kommt noch, dass die Zusammensetzung der Darmbakterien auch die Funktion von Genen beeinflusst. Leider wissen wir über diese Zusammenhänge aber noch zu wenig. Im menschlichen Darm lebt eine Vielzahl verschiedener Bakterienstämme. Ihre Zusammensetzung ist individuell verschieden und wird auch durch die Ernährung beeinflusst, denn die Mikrobiota ist nicht so stabil wie die Gene. Weltweit wird derzeit der Einfluss bestimmter Klassen von Darmbakterien auf bestimmte Erkrankungen untersucht. Wird es künftig nur noch Empfehlungen zur individuellen Ernährung geben? Risikofaktor Übergewicht Wir werden dem wahrscheinlich näher kommen. Ich glaube aber nicht, dass in naher Zukunft wirklich personalisierte Empfehlungen für eine gesunde Ernährung realistisch sein werden. Bei den Nahrungsmittelunverträglichkeiten ist das anders. Aber da sind die Betroffenen meist selbst die Experten: Sie wissen, welche Lebensmittel sie besser nicht zu sich nehmen, etwa bei einer Laktose-Intoleranz. Als Ernährungswissenschaftler versuchen wir vorrangig, Grundlagen für Empfehlungen zu legen, die dann weitgehend für die gesamte Bevölkerung gelten. Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich von der Nationalen Kohorte, einer Langzeit-Erhebung, an der sich das DIfE beteiligt? Das ist wirklich ein großes, auch in seiner Komplexität weltweit ziemlich einmaliges Unterfangen, von dem wir uns viel versprechen: Menschen werden im gesamten Land rekrutiert. Im südlichen Berlin und Brandenburg sind es Das DIfE bringt seine Erfahrungen aus der EPIC-Kohorte ein, es koordiniert die Ernährungsund Bewegungsanalysen. Unter anderem erheben wir die Ernährungsgewohnheiten und das Bewegungsverhalten, es gibt Blutproben und körperliche Untersuchungen, die Teilnehmer werden nach vier bis fünf Jahren zu einer zweiten Untersuchung eingeladen. Wir versprechen uns von der Nationalen Kohorte vor allem Aussagen über das Zusammenwirken von Bewegung, Ernährung und Gesundheit. Dabei müssen wir allerdings langfristig denken, in Jahrzehnten und nicht in Wahlperioden. Auch wir Wissenschaftler müssen dafür über unseren Schatten springen, weil Leibniz-Forschungsverbund Lebensmittel & Ernährung Im Leibniz-Forschungsverbund Nachhaltige Lebensmittelproduktion und gesunde Ernährung kooperieren 14 Leibniz-Einrichtungen verschiedener Disziplinen, um auf dem Gebiet der beiden gesellschaftlichen Herausforderungen nachhaltige Lebensmittelproduktion und gesunde Ernährung in der notwendigen wissenschaftlichen Breite neue Erkenntnisse, aber auch Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, die gebündelt an Öffentlichkeit, Politik und Medien vermittelt werden /2015
4 LEIBNIZ LICHT Fotos: DPA; IAMO; Till Budde/DIfE wir möglichweise die Früchte unserer Arbeit nicht selbst ernten werden. Welche Konsequenzen können Behörden und Gesetzgeber schon heute aus den Erkenntnissen der Ernährungsforschung ziehen? Es muss gewährleistet sein, dass sich jeder in Deutschland gesund ernähren kann. Ernährungswissenschaftler, Gesetzgeber und Hersteller sind deshalb in der Pflicht, verständliche und vollständige Informationen über Lebensmittel sicherzustellen. Dazu kommt die Verantwortung für eine Versorgung der Bevölkerung mit Nährstoffen wie etwa dem Spurenelement Jod, das Nahrungsmitteln zugesetzt wird. Bei Vitamin D, mit dem in den USA die Milch angereichert wird, ist es dagegen schwer, ein vernünftiges Maß zu finden. Schließlich konsumieren einige Bürger davon bis zu drei Liter pro Tag, andere gar nichts. Wir müssen, wenn es um die Gesamtbevölkerung geht, immer zugleich die Unter- und die Überversorgung im Blick haben. Neben der Frage der Supplementierung wird derzeit auch die nach Steuern für bestimmte ungesunde Lebensmittel gestellt. Bei Steuern für Zucker und Fett wäre ich sehr vorsichtig. Das Beispiel Dänemark zeigt, dass sie nicht sehr wirkungsvoll sind, dort wurden sie ja inzwischen auch wieder zurückgenommen. Dazu kommt aber eine grundsätzlichere Erwägung: Wir können nicht pauschal sagen, dass Zucker oder Fett schädlich sind. Ich könnte mir kaum ein Lebensmittel ausdenken, dass man in angemessenen Mengen nicht konsumieren sollte ganz im Unterschied zum Tabak. Aus diesem Grund finde ich auch ein Ampelsystem schwierig. Derzeit wird auch viel über den Einfluss unserer Ernährungsgewohnheiten auf die Umwelt diskutiert. Das Thema Nachhaltigkeit wird schon seit einigen Jahren intensiv diskutiert. Es ist aber nur die eine Seite der Medaille. Nehmen wir etwa die Versorgung der Menschen mit Eiweiß: Fleisch ist aus ökologischer Sicht nicht die beste Lösung, pflanzliche Proteinquellen sind aber ernährungsphysiologisch oft nicht so wertvoll. Wir arbeiten daran, die Ernährungsphysiologie mit in die Bewertung einzubeziehen und einen Mittelweg zu finden. Die Wertskalen, die sich daraus ergeben, können unter Umständen regional sehr unterschied- Stoffwechseluntersuchung von Studienteilnehmern in der Abteilung klinische Ernährung des DIfE. 3/
5 Untersuchung der körperlichen Belastbarkeit mit einem Fahrrad-Ergometer im Rahmen der Nationalen Kohorte. lich ausfallen. So steht in Kalifornien nicht das CO₂, sondern der Wasserverbrauch im Fokus. Die Zusammenarbeit zwischen Agrarwissenschaftlern, Ökonomen und Ernährungswissenschaftlern, wie wir sie im Leibniz-Forschungsverbund Nachhaltige Lebensmittelproduktion und gesunde Ernährung praktizieren, und der Versuch, einen gemeinsamen Nenner zu finden, haben in meinen Augen einen ganz besonderen Charme. Weil wir gerade von ökologischen Gesichtspunkten und vom Fleischkonsum gesprochen haben: Was halten Sie von vegetarischer und veganer Ernährung? Gegen eine ovo-lacto-vegetarische Ernährungsweise gibt es keine fachlichen Bedenken. Die vegane Ernährung, die oft aus ökologischen und ethischen Gesichtspunkten gewählt wird, wird dagegen von vielen Kollegen und auch von mir als problematisch angesehen. Man darf nicht vergessen, dass Fleisch, Eier und Milchprodukte große Mengen an Nährstoffen und Vitaminen enthalten. Wer völlig auf tierische Produkte verzichtet, muss einige von ihnen eigens einnehmen. Diese Notwendigkeit des Supplementierens ist vielen Veganern auch bewusst. Hat man als Direktor des DIfE eigentlich beim Essen eine persönliche Vorbildfunktion? Natürlich versucht man das. Und ich werde ja auch manchmal am Buffet darauf angesprochen, was ich mir selbst auf den Teller lege. Man wird notgedrungen als Spezialist wahrgenommen, schließlich konzentriert Tilman Grune ist seit Juni 2014 Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam- Rehbrücke und Inhaber des Lehrstuhls für Molekulare Toxikologie an der Universität Potsdam. Grune studierte medizinische Biochemie in Moskau, promovierte 1992 an der Berliner Humboldt-Universität und hatte zuletzt Lehrstühle an den Universitäten Hohenheim und Jena inne. sich jede Wissenschaft auf ein Feld. Letztendlich sollte man aber bedenken, dass zu einem gesunden Lebensstil nicht nur eine ausgewogene Ernährung mit vergleichsweise viel Gemüse, Obst, Vollkornprodukten und wenig Fleisch gehört. Auch andere Lebensstilfaktoren wie Alkoholtrinken, Rauchen und Bewegung spielen eine Rolle. Die Potsdamer EPIC-Studie hat ja gezeigt, dass eine Person, die niemals geraucht hat, nicht stark übergewichtig ist, pro Woche mehr als dreieinhalb Stunden körperlich aktiv ist und sich gesund ernährt, im Vergleich zu einer Person, die sich gegenteilig verhält, ein um 78 Prozent vermindertes Risiko für chronische Erkrankungen hat. INTERVIEW: ADELHEID MÜLLER-LISSNER Fotos: Till Budde/DIfE; Antje Lenz von Kolkow / Faceland Berlin 14 3/2015
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