Was erzählen Klinikgebäude?

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1 Was erzählen Klinikgebäude? Psychisch Kranke im Spiegel der Gesellschaft Facetten einer bedarfsgerechten Versorgung Vollversammlung des Bayerischen Bezirketags IBB Hotel Passau City Centre 06. Juli 2018 Prof. Dr. med. Wolfgang Schreiber, M.A. Bezirksklinikum Mainkofen

2 Worum geht es mir mit diesem Vortrag? Anhand typischer Gebäude ausgewählter, psychiatrischer Kliniken in Bayern den Zeitgeist der Behandlung psychisch Kranker im Spiegel der Gesellschaft zu verdeutlichen. Gebäude werden so zu Reflexen der öffentlichen Wahrnehmung psychisch Kranker. 2

3 Agenda: Der Beginn der modernen Psychiatrie 1. Pinel und der Beginn der modernen Psychiatrie (ca. 1800) 3

4 Der Beginn der modernen Psychiatrie: Pinel und die Folgen I Charles Louis Müller (* 1815, 1892): Pinel fait enlever les fers aux aliénés de Bicêtre. 4 Hall de réception de l'académie Nationale de Médecine, Paris (ca )

5 Der Beginn der modernen Psychiatrie: Pinel und die Folgen II Joseph Nicolas Robert-FleuryJoseph Nicolas Robert-Fleury (* 1797, 1890): Pinel, médecin en chef de la Salpêtrière, délivrant les aliénés de leurs chaînes. 5 Hôpital de la Salpêtrière, Paris (1886)

6 Der Beginn der modernen Psychiatrie: Pinel und die Folgen III Francisco José de Goya y Lucientes (* 1746, 1828): 6 Casa de locos. Museo de la Real Academia de Bellas Artes de San Fernando, Madrid (1812/19)

7 Der Beginn der modernen Psychiatrie: Pinel und die Folgen IV Francisco José de Goya y Lucientes (* 1746, 1828): Casa de locos I-IV. 7 Museo de la Real Academia de Bellas Artes de San Fernando, Madrid (o.j.)

8 Agenda: Nutzung vorhandener Gemeinschaftsräume 1. Pinel und der Beginn der modernen Psychiatrie (ca. 1800) 2. Nutzung vorhandener Gemeinschaftsräume (ca bis 1850) 8

9 Nutzung vorhandener Gemeinschaftsräume I Genutzt wurden vor allem Klöster und Schlösser, aber auch so genannte Siechenhäuser. Damit konnten anderweitig nicht (mehr) nutzbare Gebäude einer neuen Verwendung zugeführt werden. Diese Räumlichkeiten waren logistisch und infrastrukturell darauf ausgerichtet, eine Vielzahl von Menschen über lange Zeit hinweg zu beherbergen, zu versorgen und wenn nötig zu überwachen. Gleichzeitig fanden hier viele Menschen eine neue Beschäftigung in festen Arbeitsverhältnissen. 9

10 Nutzung vorhandener Gemeinschaftsräume II (Kloster Irsee) Bereits 1832 hatte sich im heutigen Sitz des Bildungswerks des Bayerischen Bezirketags in Kloster Irsee (1182 gegründet) die Vorgängerinstitution des Bezirks Schwaben für die Errichtung einer Kreis-Irrenanstalt Irsee entschlossen, die 1849 für etwa achtzig Patienten in den umgestalteten Klostergebäuden eröffnet wurde. Psychisch Kranke sollten nicht nur verwahrt, sondern nach medizinischen Gesichtspunkten versorgt, Zwangsmaßnahmen auf das Notwendigste beschränkt werden. Arbeit wurde als Therapie verstanden, wofür die Anlage des ehemaligen Klosters mit Gärten und 10 Werkstätten gute Möglichkeiten bot.

11 Nutzung vorhandener Gemeinschaftsräume III (Schloss Werneck) Die heutige Schlossanlage wurde in den Jahren 1733 bis 1745 durch Balthasar Neumann als Sommerresidenz erbaut. Ihr war eine große barocke Parkanlage angegliedert. Eröffnung der Heil- und Pflegeanstalt Werneck unter ihrem ersten Direktor, Bernhard von Gudden am 01. Oktober

12 Agenda: Der Sicherheitsgedanke bestimmt die Klinikarchitektur 1. Pinel und der Beginn der modernen Psychiatrie (ca. 1800) 2. Nutzung vorhandener Gemeinschaftsräume (ca bis 1850) 3. Der Sicherheitsgedanke bestimmt die Klinikarchitektur (ca bis 1900) 12

13 Der Sicherheitsgedanke bestimmt die Klinikarchitektur I Die Gebäude sollten vor allem Schutz nach außen bieten, entsprechend finden sie später Verwendung als Gefängnisse oder Kasernen. Sie werden gerne auf dem platten Land errichtet, vorgeblich um die gute Landluft zur Gesundung der Kranken zu nutzen, de facto aber, um die (städtische) Bevölkerung zu schützen. Der Pinel sche Gedanke des no restraint geht zunehmend verloren. Vielmehr kommen dem Wärter als heimlichem Herrscher der Klinik mehr und mehr fast polizeiliche Exekutivfunktionen zu. 13

14 Der Sicherheitsgedanke bestimmt die Klinikarchitektur II Das Vorbild: Der Narrenturm wurde 1784 unter Kaiser Joseph II. im Gelände des Alten Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien gebaut. Es handelte sich um einen fünfstöckigen Rundbau mit 28 Räumen pro Etage und schmalen Fenstern und einen in Nord-Süd-Richtung ausgerichteten Mitteltrakt. Insgesamt gab es für die Insassen 139 Einzelzellen. Jede Zelle misst etwa 13 Quadratmeter und ist vom runden Gang aus zu betreten. Im Mitteltrakt waren die Wärter untergebracht. 14

15 Der Sicherheitsgedanke bestimmt die Klinikarchitektur III Seit 1867 niederbayerische Kreisirrenanstalt. Ab 1933/34 heimlich, weil laut des 1919 unterzeichneten Friedensvertrags von Versailles untersagt, Wehrmachtskaserne und (ab 1941) zusätzlich Unteroffiziers-Vorschule kurzzeitig Unterkunft u.a. für zahlreiche osteuropäische Flüchtlinge und für jüdische Überlebende der KZ. 15

16 Agenda: Die Heil- und Pflegeanstalt als schützendes und geschütztes Dorf 1. Pinel und der Beginn der modernen Psychiatrie (ca. 1800) 2. Nutzung vorhandener Gemeinschaftsräume (ca bis 1850) 3. Der Sicherheitsgedanke bestimmt die Klinikarchitektur (ca bis 1900) 4. Die Heil- und Pflegeanstalt als schützendes und geschütztes Dorf (bis 1914) 16

17 Die Heil- und Pflegeanstalt als schützendes und geschütztes Dorf I Die Einrichtung integriert Wohngebäude (Pavillonbaustil), Arbeitsplätze (Felder, Wälder, Manufakturen) und Erholungsräume (Kirche, Festsaal, Parkanlagen) innerhalb einer dorfähnlichen Anlage. Die Heil- und Pflegeanstalt wird so zu einem zugleich schützenden und geschützten Dorf, das der Insasse nach seiner Aufnahme erst wieder auf der Bahre verlässt. Entsprechend werden die Patienten mit den Annehmlichkeiten versorgt, die auch der bäuerlichen Umgebung zur Verfügung stehen. 17

18 Die Heil- und Pflegeanstalt als schützendes und geschütztes Dorf II Das Bezirksklinikum Mainkofen feierte 2011 sein 100-jähriges Bestehen. Der Wandel, den die medizinische Fachklinik seither genommen hat, wird auch in der wechselnden Namensgebung der Einrichtung deutlich: Irrenanstalt, Heil- und Pflegeanstalt, Nervenkrankenhaus, Bezirkskrankenhaus und heute Bezirksklinikum bzw. Fachklinik für Psychiatrie Psychotherapie und Psychosomatik, Forensische Psychiatrie, Neurologie und Neurologische Frührehabilitation. 18

19 Die Heil- und Pflegeanstalt als schützendes und geschütztes Dorf III Die Oberbayerische Kreisirrenanstalt Eglfing hatte Platz für etwa 1200 Kranke, auf einer Fläche von 100 ha mit 60 Gebäuden, 30 Pavillons und 46 Krankenstationen, dazu zahlreiche Dienstwohnungen und -häuser. Die Klinik wurde 1905 offiziell eröffnet. Bereits 1909 war die Pflegeanstalt Eglfing mit 1350 Betten voll belegt und nicht mehr erweiterungsfähig, so dass 1912 auf dem unmittelbar angrenzenden Gelände die Oberbayerische Kreisirrenanstalt Haar mit etwa 900 Betten eröffnet wurde wurden beide Anstalten zur Oberbayerischen Kreis-Heil- und Pflegeanstalt zusammengelegt. 19

20 Agenda: Einzug einer neuen Transparenz und Sachlichkeit 1. Pinel und der Beginn der modernen Psychiatrie (ca. 1800) 2. Nutzung vorhandener Gemeinschafts-räume (ca bis 1850) 3. Der Sicherheitsgedanke bestimmt die Klinikarchitektur (ca bis 1900) 4. Die Heil- und Pflegeanstalt als schützendes und geschütztes Dorf (bis 1914) 5. Einzug einer neuen Transparenz und Sachlichkeit (ab ca bis heute) 20

21 Einzug einer neuen Transparenz und Sachlichkeit I In der Nachkriegszeit geht es vor allem darum, die Psychiatrie und ihre Patienten zu entstigmatisieren. Die Architekten versuchen diese Entstigmatisierung dadurch zu gewährleisten, dass sie die Bauten der Umgebung anpassen, dass sie viel Glas und zum Teil auch organische Materialen (Holz) verwenden, um in ihrem Baustil jeglichen Anstaltscharakter zu vermeiden. Oftmals wirken die heutigen Gebäude allerdings wie Bürobauten, werden so verwechselbar und vergessen bei aller gebotenen Funktionalität den Patienten mit seinen Bedürfnissen nach Geborgenheit und Schutz. 21

22 Einzug einer neuen Transparenz und Sachlichkeit II Die kbo-lech-mangfall-klinik Garmisch-Partenkirchen wurde 2000 eröffnet und hält 90 Betten, 20 tagesklinische Plätze, eine Psychiatrische Institutsambulanz und ein neurophysiologisches Labor vor und übernimmt den neurologischen und psychiatrischen Konsiliardienst. Durch die räumliche Anbindung an das Klinikum Garmisch-Partenkirchen kooperiert es fachübergreifend mit allen Abteilungen, 22

23 Einzug einer neuen Transparenz und Sachlichkeit III Das Bezirkskrankenhaus Kempten liegt direkt in der Stadtmitte als gemeindenahes Versorgungszentrum bei psychischen Erkrankungen. Die Fachklinik umfasst 120 stationäre Betten, 35 teilstationäre Plätze und eine Institutsambulanz. In allen Bereichen ist eine störungsspezifische stationäre, tagesklinische oder ambulante Behandlung möglich. 23

24 Einzug einer neuen Transparenz und Sachlichkeit IV Das Bezirkskrankenhaus Donauwörth, Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Donau-Ries Klinik, ist seit dem 1. Januar 2016 selbstständig unter dem Dach der Bezirkskliniken Schwaben in Betrieb. Die Klinik besteht aus zwei Stationen (hiervon eine fakultativ beschützend) mit insgesamt 40 Betten, einer Tagesklinik mit 16 Behandlungsplätzen, einer Home Treatment Einheit und der Institutsambulanz. 24

25 Einzug einer neuen Transparenz und Sachlichkeit V Das BKH Passau beherbergt als Außenstelle des Bezirksklinikums Mainkofen bzw. des BKH Landshut die Fachklinik für Erwachsenenpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik mit 60 Betten und 30 tagesklinischen Behandlungsplätzen sowie die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik mit einer Tagesklinik mit 18 Plätzen und einer Schule für Kranke. 25

26 Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 26