Predigt über Lk 12,35-40 München, den Altjahresabend:

Transkript

1 Predigt über Lk 12,35-40 München, den Altjahresabend: Wieder stehen wir an dem Abend eines vergangenen Jahres, liebe Gemeinde. Auch dieses Jahr hatte seine Höhen und seine Tiefen, wir alle haben Momente des Glücks und der Enttäuschung erlebt und vor allem immer wieder Zeiten, in denen es schlicht weiterging. Chancen haben sich eröffnet und ich habe sie genutzt. Manches habe ich erst im Nachhinein bemerkt, manches blieb ungenutzt, wurde vertan. Dinge sind geschehen, mit denen ich nicht gerechnet habe. Ich habe Überraschungen erlebt, die mich gefreut haben aber auch solche, die mich betrübt haben, vielleicht mir in das vor mir liegende Jahr hinein Sorgen bereiten. Oder es standen bei manchen große Entscheidungen an, einschneidende Ereignisse. Haben Dinge sich möglicherweise grundlegend geändert? Ist es geschehen, dass danach nichts mehr so war, wie davor? Bin ich abgewiesen worden oder haben sich bereichernde neue Kontakte ergeben? Was ist abgestorben, was zu neuem Leben erwacht? So sehr es sich lohnt an der Schwelle zu einem neuen Jahr innezuhalten, dem nachzuspüren was war und was sein wird man kann sich darin auch verlieren, verfangen. Manchmal glaube ich, je älter man wird, um so größer diese Gefahr.

2 2 Man wird gewissermaßen zum Sklaven der Vergangenheit. Und es gehört gewiss zu einer ausgewogenen, zu einer verantwortlichen Erinnerungskultur, dass man das Maß hält zwischen gebotenem Bezug auf das, was war, und Offenheit für das, was sein wird oder sein kann. Anders wie gesagt besteht die Gefahr versklavt zu werden. Nicht nur, dass ich gewissermaßen aus dem Erinnern nicht mehr herauskomme. Dinge können passiert sein, die mich nicht mehr loslassen, obwohl losgelassen werden könnte was auch nicht, wie ich weiß, immer möglich ist. Und es kann außerdem auch geschehen, dass mich das Viele, das war, ermüdet. Jetzt reicht es! Ich bin müde, ich mag nicht mehr. Fast buchstäblich will man sich zusammenrollen lasst mich alle mal in Ruhe, ich bin jetzt mal weg, ich habe jetzt eine Auszeit, und zwar eine wohlverdiente, nach all dem was geschehen ist. Das ist jedenfalls auch eine Möglichkeit auf die Fülle der Ereignisse zu reagieren. Eine weitere Möglichkeit und die habe ich bereits gestreift besteht darin, dass man tut, was man sonst eben auch zu tun pflegt: weitermachen. Und so spulte auch das vergangene Jahr Ereignis um Ereignis ab, so plätscherten sie dahin die Tage, Wochen und Monate und jetzt sind wir hier, um ein weiteres Jahr in unserem Leben abzuschließen und auf ein neues zuzugehen. So geht das

3 3 Jahr um Jahr man fügt sich, wird abgestumpft, nimmt hin, so ist das eben in diesem Leben. Verfällt man in diesen Trott, erliegt man jener Monotonie, ermüdet und ermattet man derart, dann bleibt eine gewisse Aufmerksamkeit auf der Strecke. Ist doch ohnehin immer das gleiche und wenn nicht, ist das auch schon egal! Und schon entgehen einem nicht nur die kleinen und mitunter auch die großen Anlässe, die dem Leben Farbe und Würze verleihen können, man wird gewissermaßen stumpf und blind für das was dem eigenen Leben geschieht. Ich denke, dass der Predigttext für den heutigen Abend, für den Altjahresabend diesen Jahres genau in diese Situation hineinrufen will: Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun. Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen. Und wenn er kommt in der zweiten oder in der dritten Nachtwache und findet's so: selig sind sie. Das sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen. Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr's nicht meint.

4 4 Klar, dass mit dieser Sammlung von Sätzen oder Sprüchen, die es mit dem Kommen des Menschensohnes zu tun haben, zunächst ein ganz bestimmtes Ziel verfolgt wurde: Die ersten Christinnen und Christen sollten darauf eingeschworen werden, dass um im Bild zu bleiben das Reich Gottes völlig überraschend auf dieser Erde anbrechen wird. Es gibt Indizien dafür, dass Jesus selbst das so gesehen hat. Und es kommt daher nicht von ungefähr, dass in den ersten Jahrhunderten der jungen Religion diese so genannte Naherwartung seltsame Blüten trieb. So gab es im zweiten Jahrhundert eine Gruppierung, die rechnete aus, wann das Reich Gottes anbrechen würde, zog auf einen Berg und wartete. Das erinnert an Sekten unserer Tage, wie an die Zeugen Jehovas und die Siebentageadventisten. Wir alle wissen allerdings, dass bisher noch alle Rechnungen, wann sich denn das Ende der Welt ereignen würde, nicht aufgegangen sind. Ja wir ahnen - zusammen mit vielen anderen Menschen auch schon seit längerem dass dieses Bild vom anbrechenden Reich Gottes, vom Kommen des Menschensohnes etwas anderes bedeuten kann und muss als ein Datum, ab dem unsere Endlichkeit in die Ewigkeit aufgehoben wird. Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen!, das lässt sich in unserem Kontext auch so interpretieren: Werdet nicht müde, schlaft nicht ein! Ergebt euch nicht der Monotonie eines immer so weitermachen!

5 5 Nein! Bleibt wach! Bleibt aufmerksam! Macht um Himmels Willen keinen Redaktionsschluss mit euch und eurem Leben! Lasst euch aber auch nicht in Beschlag nehmen durch das, was war! Werdet nicht Sklaven der Vergangenheit! Und auch das: Lasst euch nicht vorschnell verblüffen! Haltet die Augen auf! Großartiges will und großartiges wird geschehen: Jesus Christus, Gott wird in euer Leben kommen! Liebe Gemeinde, so waren diese Sätze damals gemeint und so sind sie heute gemeint. Gott kommt in unsere Leben und wir rechnen so gar nicht damit. Gott kommt in unser Leben und wir merken es nicht. Gott kommt in unser Leben und uns ist jedes Sensorium dafür verloren gegangen. Gott kommt in unser Leben und wir ermatten, ermüden oder denken, es gehe ohnehin nur so weiter, wie es immer weitergegangen ist. Davon erzählen auch Geschichten aus der Bibel. Kennen Sie die Geschichte von dem Regierungsbeamten Wirtschafts- oder Finanzminister aus Zentralafrika. Er reist nach Jerusalem, weil er auf der Suche nach letzter Wahrheit, nach Sinn, nach letztem, unbedingten Sinn ist. Doch er findet nichts. Vor seiner Rückfahrt kauft er eine der Schriften, die dort in Jerusalem verkauft werden. Doch er versteht diese Schrift nicht. Da steigt ein Fremder in seinen Wagen und erklärt ihm, was da steht. Plötzlich begegnet diesem Regierungsbeamten der lebendige Gott

6 6 selbst. Und er zog seine Straße fröhlich!, so heißt es lapidar in der Erzählung. Oder nach der Katastrophe am Kreuz: Zwei gehen nachhause, alles aus, alles vorbei. Ein Fremder gesellt sich zu ihnen. Doch sie merken nicht, dass es Jesus ist. Gott kommt in ihr Leben und sie merken es nicht. Maria steht am Grab und weint. Sie hat abgeschlossen mit dem Leben. Da tritt ihr Jesus gegenüber, doch sie merkt nicht dass das Jesus ist. Gott tritt in das Leben von Menschen, aber sie merken es nicht. Liebe Gemeinde, Sie alle kennen die vielen Erzählungen, in denen davon berichtet wird, dass Menschen auf Gott warten. Während diesem Warten geschieht etwas ganz menschliches, etwas, dass die Wartenden mit einbezieht. Dann warten sie weiter. Und plötzlich wird uns klar gemacht, dass es bei dem, was unbemerkt geschehen war, Gott dabei war. Diese Erzählungen gibt es in zahlreichen Varianten. Ihr Recht haben diese Erzählungen darin, dass Gott sich ereignet und wir davon nichts bemerken. Zumindest dann nichts bemerken, wenn es geschieht. In wenigen Fällen können wir im Nachhinein möglicherweise dann doch eine Verbindung herstellen: Hier war mehr im Spiel als ich zunächst annahm, hier ist etwas geschehen, was mich wirklich in Tiefen geführt hat, was mich wirklich bereichert hat. Rechnet damit! Bleibt wach! Bleibt aufmerksam! Macht nicht Redaktionsschluss mit eurem

7 7 Leben!, so ruft uns der Predigttext am Abend eines vergangenen Jahres und vor dem Beginn eines neuen Jahres zu. Und schließlich ist damit ja eine ungeheure Zusage verbunden: Denn Gott kommt in unser Leben, so heißt es, um uns zu dienen. Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen, so steht es bei Lukas. Keiner und keine von uns weiß letztlich auf was er oder sie zugeht im vor uns liegenden Jahr. Da ist es wirklich wertvoll und gut, wenn mir zugesagt wird: Ich werde für dich da sein, was auch immer geschehen mag. Ja, ich will dir dienen daher bist du getröstet und geborgen, was auch immer geschehen mag, auch in dem vor Dir liegenden Jahr. Oder wie es in dem Gedicht aus China heißt: Ich sagte zu dem Engel Der an der Pforte des neuen Jahres stand: Gib mir ein Licht, damit ich sicheren Fußes der Ungewissheit entgegen gehen kann! Aber er antwortete: Geh nur hin in die Dunkelheit Und lege deine Hand in die Hand Gottes! Das ist besser als ein Licht Und sicherer als ein bekannter Weg!

8 8 Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn.