Demenz und Behinderung: Medizinische Aspekte. Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe 18. September 2013
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1 Demenz und Behinderung: Medizinische Aspekte Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe 18. September 2013
2 Themen Definition Demenz Demenz bei DownSyndrom Demenz und andere Behinderungen Diagnostik Therapie Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 2
3 Demenz nach DSM-IV Sprache Gedächtnis Praxis Erkennen Exekutiv funktionen soziale Kompetenz obligat >1 Bereich obligat Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 3
4 Demenz: Facts etwa 8% aller über 60Jährigen sind betroffen anteilig 70% Alzheimer-Demenz exponentieller Anstieg von Prävalenz und Inzidenz mit dem Alter Vielfältige Risikofaktoren, die miteinander interagieren, sind bekannt, die Ursachen sind weiter unklar 60% werden ambulant von Partnern / Familie versorgt mehr als 50% aller Bewohner von Pflegeheimen Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 4
5 KRITERIEN FÜR EINE DEMENZ VOM ALZHEIMER TYP NACH DSM-IV UND ICD-10 (GEKÜRZT): Vorliegen einer Demenz schleichender Beginn mit progredienter Verschlechterung Die kognitiven Einbußen können nicht zurückgeführt werden auf: andere Erkrankungen des Zentralnervensystems, die fortschreitende Defizite in Gedächtnis und Kognition verursachen (z.b. zerebrovaskuläre Erkrankungen, subdurale Hämatome, Hirntumoren, Normaldruckhydrozephalus) systemische Erkrankungen, die eine Demenz verursachen können (z. B. Hypothyreose, Neurolues, HIV-Infektion) substanzinduzierte Erkrankungen bei Erkrankungsbeginn: vor dem 65. Lebensjahr: präseniler Beginn nach dem 65. Lebensjahr: seniler Beginn Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 5
6 1907: Alois Alzheimer beschrieb klinische Zeichen und neuropathologische Befunde Cortical atrophy Amyloid plaques Activated microglia Enlarged ventricles Neurofibrillary tangles Astrogliosis Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 6
7 Risikofaktoren der AD Alter positive Familienanamnese genetische Faktoren: Chromosomen 1, 12, 14, 19, 21 Apolipoprotein E-e4 Präsenilin-1,-2.. geringerer Kopfumfang Schädel-Hirn-Traumen mit Bewußtlosigkeit Depressionen psychosoziale und motorische Inaktivität Schwerhörigkeit Bildung (< 6 Jahre) Rauchen, kein und viel Alkohol Ernährung: cholesterinreich, Mangel an Antioxidantien Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 7
8 Schwerhörigkeit und Kognition Das Nicht-Sehen trennt von der Welt, das Nicht- Hören von den Menschen: Soziale Isolation, geringere Stimulation (sozial, kognitiv) und geringeres subjektives Kontrollerleben erhöhen das Risiko für eine Demenz Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 8
9 Schwerhörigkeit und Demenzrisiko Prospektive Studie: Baltimore Longitudinal Study of Aging N=639 Kontrolle von Alter, Rasse, Bildung Geschlecht, Diabetes mell., Rauchen, Hypertonie Dosisabhängige Risikoerhöhung von 1.89 für milde bis auf 4.94 für schwere Hörstörungen Lin FR et al.: Arch Neurol 2011; 68: Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 9
10 Demenz und Down-Syndrom Alle Betroffenen haben bis zum 40. Lebensjahr neuropathologisch die Zeichen der Alzheimer- Demenz. Durchschnittliches Erkrankungsalter 55.4 (SD=7.1). Durchschnittliche Erkrankungsdauer 7 Jahre. Häufige epileptische Anfälle befördern Demenzentwicklung. McCarron et al.: J Intell Disabil Res 2013 Lott IT et al.: J Alzheimers Dis 2012; 29: Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 10
11 Demenz und andere Behinderungen N=281 geistig Behinderte ohne Down-Syndrom im Alter von über 60 Jahren Demenz war 2-3fach häufiger im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Der Unterschied war umso grösser, je jünger die Vergleichsgruppen waren Strydom A et al.: Psychol Med 2009; 39(1): Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 11
12 Prädiktoren der AD: neuropsychologische Untersuchungen: (verbales) episodisches Langzeitgedächtnis Wortfindung und Wortflüssigkeit Abstraktionsfähigkeit visuo-konstruktorische Kompetenz Einschätzung der Betreuer laborchemische Marker im Liquor: tau-protein erhöht A-beta-1-42 erniedrigt hirnmorphologische Veränderungen: Atrophie von Hippocampus, entorhinalem Kortex temporoparietale Minderung von Hirndurchblutung und/oder Glukosemetabolismus Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 12
13 Screening für Demenzen Elemente (verzögertes) Erinnern Sprachliche Funktionen Wortflüssigkeit Benennungsaufgaben Leistungsgeschwindigkeit Arbeitsgedächtnis Visuokonstruktion Etablierte Tests Mini-Mental-Status-Test (MMSE) Uhrentest DemTECT TFDD (Test zur Früherkennung von Demenzen und Abgrenzung zur Depression) Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 13
14 Screeningmethode für VaD Wegen der Heterogenität gibt es kein einheitliches Muster der VaD Deshalb ist eine (umfassende) Untersuchung multipler Domänen indiziert. Screenings sollten wenig Sprachabhängigkeit sein und exekutive Funktionen prüfen, z.b. MOCA Hachinski V et al.: Stroke 2006; 37: Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 14
15 Weitere Diagnostik Anamnese und Fremdanamnese Medikamente? Depression? Labor Liquor cererbrospinalis Bildgebende Verfahren Verlaufsuntersuchung Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 15
16 Hippocampusatrophie und Läsionen der weißen Substanz bei Demenz Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 16
17 Liquor-Proteine A-β 1-42 ist bei AD um ca. 50% reduziert, eine befriedigende Erklärung steht aus P-tau 181P ist bei AD mehrfach erhöht Kombiniert haben beide Werte einen hohen prädiktiven Wert bei MCI A-β 1-42 steht in Beziehung zum häufigsten ZNS-Peptid A-β x-42 bzw. A-β weshalb ein Quotient zu bevorzugen ist. Lewczuk et al. 2007, Wiltfang et al Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 17
18 Diagnostische Modifikationen bei Down- Syndrom Beobachtung durch Betreuer und Verlaufsbeobachtung ist noch wichtiger. Übliche Methoden sind gut einsetzbar. Biologische Verfahren sind wichtiger. Beginn regelmässiger Screenings etwa ab Alter 35J! Nieuwenhuis-Mark RE: Res Dev Disabil 2009; 30: Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 18
19 Begriffe Störendes / gestörtes / problematisches Verhalten Nicht-kognitive Störungen Behavioural and psychological symptoms in dementia (BPSD) Herausforderndes Verhalten Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 19
20 Häufigkeit von BPSD Hyperaktivität: 70.0% Agitation, Euphorie, Enthemmung, 60.0% Reizbarkeit, Bewegungsunruhe 50.0% Psychose: 40.0% Wahn, Halluzinationen, 30.0% Bewegungsunruhe, nächtliche 20.0% Störungen 10.0% Affektiv: Depression, Angst Apathie: Apathie, Essstörung, verringerte Bewegung 0.0% Hyperaktivität Psychose Affektiv Apathie Aalten et al.: Dement Geriatr Cogn Disord 2008; 25: 1-8
21 Konsequenzen von BPSD Erhöhte Morbidität, reduziertes Funktionsniveau Verminderte Lebensqualität (Betroffene, Betreuungspersonen) Übermedikation, Fixierung Versorgungsprobleme (frühere Heimaufnahme, Fehlen eines geeigneten Umfelds, lange Hospitalisierung) Hauptgrund für Hospitalisierung des Patienten Höhere Kosten (z.b. Yaffe NEJM 2007) Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 21
22 Beachte bei Behinderten und nicht behinderten Demenzkranken Körperliche Funktionsstörungen werden oft nicht erkannt und nicht behandelt. Die (psychische) Gesundheit der Betreuer wirkt auf das Verhalten der Demenzkranken ein. Medikamente können die Gefahr für ein Delir erhöhen Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 22
23 Delirfördernde Pharmaka (nach Turnheim 1998, Burkhardt et al Arzneistoff/-klasse Abschätzung des Risikos Analgetika Hohes Risiko bei Opiaten, mittleres Risiko bei NSAR (> Indometacin), niedriges Risiko bei Paracetamol Anticholinergika: Atropin, Scopalamin Antidepressiva Benzodiazepine Digitalisglykoside H 2 -Blocker Kortikosteroide Lithium Neuroleptika Sehr hohes Risiko, insbesondere bei Patienten mit Demenz Hohes Risiko für TZA, insbesondere für Amitriptylin Mittleres Risiko für alle Benzodiazepine Mittleres Risiko, auch bei therapeutischem Serumspiegel Mittleres Risiko, insbesondere bei Cimetidin Niedriges Risiko, cave bei hoher Dosierung Bei Hochbetagten trotz therapeutischer Serumspiegel Hohes Risiko bei Phenothiazinen (z.b. Thioridazin, Perazin, Perphenazin, Fluphenazin), wahrscheinlich niedriges Risiko unter atypischen Neuroleptika Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 23
24 Behandlung der Demenz Antidementiva, wo indiziert Andere Psychopharmaka nur mit strenger Nutzen-Risiko-Überprüfung Sorge für die körperliche Gesundheit Bewegung, Flüssigkeit... Angemessener Umgang und Umgebung Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 24
25 Transmitterveränderungen bei Alzheimer Demenz Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 25
26 Cholinesterasehemmer Plausibles Wirkprinzip Therapeutisches Potential bei cholinergen Defiziten: Alzheimer Demenz Vaskuläre Demenz Lewy Body Demenz Parkinson Demenz Bestuntersuchte Gruppe der Antidementiva Wirksamkeit auf Kognition und nicht-kognitive Symptome Die drei Substanzen sind unterschiedlich, und wer auf welches Präparat eher anspricht, ist unklar Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 26
27 Langes Ringen um angemessen aufbereitete Hersteller-Daten führt zu Neu-Bewertung von Memantin Nachdem der Hersteller des Alzheimer-Medikaments Memantin eine ergänzende Auswertung von Studiendaten vorgelegt hat, sieht das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zumindest für eine Therapiedauer von 6 Monaten Belege für einen Nutzen des Wirkstoffs bei der Kognition sowie Hinweise bei den alltagspraktischen Fähigkeiten. Damit ändern sich die Schlussfolgerungen der ersten IQWiG-Nutzenbewertung von Ob Memantin die Lebensqualität verbessert, ist nach wie vor unklar Ginkgo biloba bei Alzheimer Demenz: Studienlage uneinheitlich Bei hoher Dosierung können Patienten den Alltag besser bewältigen / Studien aus Osteuropa dominieren mit besonders positiven Effekten Patientinnen und Patienten mit Alzheimer Demenz können von ginkgohaltigen Präparaten profitieren, sofern sie diese in einer hohen Dosierung einnehmen. Für das Therapieziel "Aktivitäten des täglichen Lebens" ist das durch Studien belegt. Was kognitive Fähigkeiten, allgemeine psychopathologische Begleitsymptome sowie die Lebensqualität der betreuenden Angehörigen betrifft, gibt es zumindest Hinweise auf einen Nutzen. Allerdings gibt es auch Studien, in denen kein Nutzen durch Ginkgo nachweisbar war, so dass letztlich unklar bleibt, wie groß der Effekt ist. Zu diesem Ergebnis kommt der am 21. November veröffentlichte Abschlussbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 27
28 Antidementiva bei Down-Demenz Antidementivastudien lassen sich durchführen bei dieser Klientel! Keine Wirksamkeit von Memantin. Keine Wirksamkeit von Antioxidantien (900IU Vit.A, 200mg Vit. C und 600 mg Alpha-Liponsäure) über 2 Jahre, wurde jedoch gut vertragen. Donepezil (3mg/d) ist wirksam bei schwerer Demenz und wird gut vertragen. Kondoh K et al.: Int J Psychiatry Med 2011; 41: Lott IT et al.: Am J Med Genet A 2011; 155A: Hanney M et al.: Lancet 2012; 379(9815): Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 28
29 Nutzen Risiko von Langzeittherapie mit Neuroleptika? Studien zeigen einen signifikanten, mässigen Effekt auf BPSD bei Demenz. Dies gilt vor allem für die Behandlung von Aggressionen. Die Wirksamkeit konnte für Behandlungsdauern von 6-12 Wochen, weniger für längere Therapiedauern gezeigt werden. Anstieg von Nebenwirkungen, vor allem Sedierung, EPMS, Infektionen, kognitive Verschlechterung, zerebrovaskuläre Ereignisse (OR 2.5) Erhöhte Sterblichkeit Dennoch ist Langzeitbehandlung über mehrere Monate die Regel. In Pflegeheimen werden ca. 60% der Demenzkranken mit NL behandelt z.b. Ballard et al. 2009, Ballard & Howard 2006, Schneider et al Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 29
30 Algorithmus Möglichst genaue Symptombeschreibung: Zeitlicher Ablauf und Stabilität Zusammenhang zu Umgebungsfaktoren Kausale Massnahmen wo möglich Antidementive Therapie als Basistherapie überprüfen Zielsymptom definieren Indikation und Beginn einer spezifischen Pharmakotherapie Regelmässige Überprüfung bezüglich Nutzen-Risiko- Verhältnis, ggfs. Absetzen bzw. Umsetzen Absetz- bzw. Reduktionsversuch innerhalb der nächsten Wochen Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 30
31 Zusammenfassung Demenzen treten bei Behinderten häufiger und früher auf. Die Diagnostik ist grundsätzlich ähnlich wie bei Nicht- Behinderten, sollte jedoch einerseits die langfristige Beobachtung und die biologischen Verfahren stärker gewichten. Die medikamentöse Therapie stützt sich auf weniger Studien. Anfälle sollten bekämpft werden. Die körperliche Gesundheit sollte proaktiv gefördert werden Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 31
32 Ein wenig Eigenwerbung Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe: INSOS-Fachtagung Olten 32
33 MentAge GmbH Gerbergasse 16 Postfach CH-4001 Basel
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