I. Faktoren erweiterter Sicherheit. Aufstieg und Niedergang des Islamischen Staats. Ausgabe 2/2015) 2. Regionalanalyse
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- Emil Lange
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1 I. Faktoren erweiterter Sicherheit 2. Regionalanalyse Stephan Rosiny Aufstieg und Niedergang des Islamischen Staats Im Frühsommer 2014 stieß die jihadistische Miliz Islamischer Staat im Irak und in Scham (Großsyrien) (ISIS), aus Syrien kommend, in den Nachbarstaat Irak vor und eroberte innerhalb weniger Tage große Teile des Landes. Am 29. Juni 2014 rief sie ein Kalifat und einen Islamischen Staat aus. Die Namensänderung von ISIS hin zu der Islamische Staat (IS) drückt den universalen Machtanspruch der Organisation aus, von diesem Territorium aus eine islamische Weltherrschaft zu errichten. (Reader Sicherheitspolitik Ausgabe 2/2015) Der militärische Vorstoß des IS auf Bagdad und Erbil, das brutale Vorgehen gegen religiöse Minderheiten und die Drohung, weitere Staaten anzugreifen, riefen zugleich umfangreiche Gegenwehr auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene hervor. Ein internationales Bündnis kam im August 2014 der irakischen Regierung und der kurdischen Autonomieregierung zu Hilfe. Unter Führung der USA finden seitdem Luftschläge gegen IS-Ziele im Irak und in Syrien statt. Beide Regierungen erhalten zudem umfangreiche Waffenlieferungen, auch aus Deutschland. Das selbsternannte Kalifat hält sich dennoch erstaunlich zäh und hat mit seinem religiösen Anspruch tausende neue Kämpfer angelockt. Seit Ende 2014 zeigt der IS allerdings auch Zeichen der Schwäche: bereits eroberte Territorien gehen verloren, Kämpfer desertieren und Einnahmen etwa aus dem Ölgeschäft nehmen ab. Es ist deshalb wohl keine Frage des Ob, sondern des Wann der IS seinen Territorialstaat verlieren wird. Die Gruppierung hat sich mit ihrem brutalen Vorgehen und ihrem religiösen Alleinvertretungsanspruch mächtige Feinde geschaffen. Der IS kann jedoch nicht allein mit militärischen Mitteln besiegt werden, und seine Zerschlagung als Territorialstaat dürfte auch nicht das Ende des Jihadismus als besonders radikale und gewaltbereite Ideologie bedeuten. Es bedarf vielmehr einer umfassenden Strategie, um die strukturellen Ursachen der Radikalisierung in der Region zu beseitigen, die politische Instrumentalisierung des Jihadismus durch verschiedene Regierungen zu beenden und auch das Umfeld und die Sympathisanten der Jihadisten in 1
2 Lösungsanstrengungen einzubinden, um zu verhindern, dass sie sonst als Terroristen weiter morden werden. Salafismus und Jihadismus: eine begriffliche Klärung In den Medien werden die Begriffe Salafismus und Jihadismus häufig unklar verwendet, was auch damit zu tun hat, dass die Grenzen zwischen ihnen fließend sind. Salafismus im weitesten Sinne bezeichnet islamische Denker und Bewegungen, die den ursprünglichen Islam Muhammads und seiner frühen Gemeinde (as-salaf as-salih, die aufrechten Altvorderen) zum Vorbild haben. Dies kann, wie im Reformislam des 19. Jahrhunderts, durchaus fortschrittlich verstanden werden, indem vergleichbar mit der Reformation im Christentum überkommene, abergläubische Vorstellungen und Praktiken überwunden und etablierte Autoritäten hinterfragt werden. Im engeren Sinne versteht man unter Salafismus heute jedoch eine fundamentalistische Deutung des Islam, die eine buchstabengetreue Befolgung der authentischen Regeln des Islam verlangt, ohne diese zeitgemäß zu deuten. Diese Strömung im zeitgenössischen Islam ist in der Regel sehr intolerant gegenüber anderen Islam-Interpretationen, die sie für Abweichungen vom wahren Islam oder sogar für Apostasie (Glaubensabfall) erklären. Dieser Salafismus stützt sich maßgeblich auf den Theologen Muhammad Ibn Abd al- Wahhab, der im 18. Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel wirkte. Mit Bezugnahme auf ihn wird die Richtung auch abfällig als Wahhabismus bezeichnet. Seine Lehren bestimmen seitdem das staatliche Islamverständnis von Saudi-Arabien, genießen aber auch hohes Ansehen in Katar und einigen anderen Golfmonarchien. Demonstration von Jesiden Der Krieg in Syrien und im Irak strahlt bis nach Deutschland aus. Jesiden, Eziden, Aleviten und Kurden haben im August 2014 in Hannover gegen die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS), demonstriert. Foto: Bernd Schwabe/ Wikimedia Commons Jihadisten sind eine politisch radikalisierte Ausprägung des Salafismus. Sie verstehen unter Jihad, das wörtlich Anstrengung bedeutet und im Islam sehr unterschiedliche, auch friedliche Formen annehmen kann, vorwiegend den bewaffneten Kampf im Sinne 2
3 eines heiligen Kriegs. Dieser kann sich gegen die Besatzung islamischen Territoriums, gegen unislamische Herrscher oder gegen die Ungläubigen richten. Immer wird der Gegensatz aber religiös gedeutet und der bewaffnete Kampf als religiöse Pflicht interpretiert. Jihadisten sehen sich als avantgardistischer Teil eines globalen, ja kosmischen Kampfes zwischen Gut und Böse, Glauben und Unglauben, der sich heute in seiner entscheidenden Phase befinde. Salafisten des Mainstream sind zurückhaltender in ihrer Zeitdiagnose eines unmittelbar bevorstehenden Zeitenendes, gemäßigter in ihren Methoden und graduell toleranter Andersgläubigen gegenüber. Salafisten und Jihadisten bilden eine Untergruppierung des politischen Islam oder Islamismus. Längst nicht alle Islamisten sind aber Salafisten oder Jihadisten. Jihadismus und die regionale (Un)Ordnung des Nahen und Mittleren Ostens Die Ursprünge der meisten jihadistischen Bewegungen, so auch des IS, reichen in den Afghanistankrieg von 1979 bis 1989 zurück. Damals kämpften die Mujahedin (heute würden wir sagen: Jihadisten) gegen die kommunistische Regierung und die sowjetische Besatzung des Landes. Saudi-Arabien unterstützte sie darin finanziell, personell und ideologisch, Pakistan logistisch und mit Training, und die USA mit Waffen und Nachrichtentechnik. Im Kalten Krieg hielt der gemeinsame Feind des Kommunismus diese unheilige Allianz zusammen. Zahlreiche arabische Freiwillige aus Ägypten, Saudi-Arabien, Syrien und vielen anderen arabischen Staaten schlossen sich diesem Jihad an. Viele von ihnen gingen dort durch die Trainingslager der 1987 gegründeten Organisation al-qaida, die der saudische Staatsbürger Usama bin Ladin zu einer Basis des weltweiten Jihads entwickelte. Eher als Nachzügler kam 1989 auch Abu Mus ab az-zarqawi nach Afghanistan, ein vom drogenkonsumierenden Kleinkriminellen zum streng gläubigen Salafismus konvertierter Kämpfer aus Jordanien, der später den Vorläufer von IS gründen sollte. Viele dieser arabischen Afghanen kehrten nach dem Abzug der Sowjettruppen und dem Sieg über den Kommunismus in ihre Heimatländer zurück, wobei ihre Kampferfahrung und die in Afghanistan geknüpften Netzwerke zu ihren wesentlichen Ressourcen wurden. Einige begannen in den 1990er Jahren Aufstände gegen ihre eigenen gottlosen Regime; so etwa in Algerien und in Ägypten. Andere zogen als Jihad- Vagabunden an weitere Kriegsschauplätze, etwa nach Tschetschenien, Kaschmir oder Bosnien, seit 2003 vermehrt in den Irak, und seit 2011 nach Syrien. Ihre wichtigste Bastion jedoch blieb bis zum Sturz der Taliban 2001 Afghanistan. Nach der 3
4 Zerstörung ihrer Trainingslager und Bastionen im Afghanistankrieg von 2001 entwickelte sich al-qaida zu einem eher losen Netzwerk, das mehr einem Franchise- Unternehmen glich. Zarqawi unterhielt seinerzeit nur lose Kontakte zu Usama bin Ladin, als er 2002 in die kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak weiterzog. Dennoch diente er US-Außenminister Colin Powell in seiner Rede vor dem VN-Sicherheitsrat am 5. Februar 2003 als Personifizierung einer mutmaßlichen organisatorischen Verbindung zwischen al-qaida und Saddam Hussein und diese als Rechtfertigung für die anschließende Invasion in den Irak. Powell hob den zuvor eher unbekannten Warlord in den Rang des wichtigsten Jihad-Anführers im Irak, obwohl dieser seinerzeit weder ein Teil von al-qaida war noch Kontakte zu Saddam Hussein unterhielt. Seine Kampfgruppe, die mehrfach ihren Namen und ihre Zusammensetzung wechselte, schloss sich erst 2004 al-qaida an und nannte sich dann al-qaida im Zweistromland oder al-qaida im Irak (AQI). Moschee in Fallujah Foto: Ryan M. Blaich, U.S. Marine Corps/Wikimedia Commons Saudi-Arabien, einer der engsten Verbündeten der USA, hatte eigentlich weit mehr mit den Anschlägen von 9/11 zu tun als Saddam Hussein, da 16 der 19 Attentäter saudische Staatsbürger waren und die Ideologie des Jihadismus maßgeblich vom Salafismus, dem offiziellen Islamverständnis der Monarchie, geprägt ist. Saudi-Arabien betreibt seit den 1960er Jahren eine weltweite Werbemission für den wahhabitischen Salafismus mit Koranschulen und Kulturinstituten, die es seit den rasant steigenden Einnahmen aus dem Öl-Geschäft der 1970er Jahre weiter ausbaute. Zunächst richtete sich die saudische Mission gegen den säkularen Arabischen Nationalismus des damaligen ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser sowie die Expansion des Kommunismus; seit 1979 zudem gegen den Export der schiitisch geprägten Islamischen Revolution Irans. Diese Missionstätigkeit erklärt die rasante weltweite Ausbreitung des Salafismus. Seine textfundamentalistische Deutung des Islam und seine xenophobe Einstellung anderen 4
5 Richtungen im Islam, insbesondere den Schiiten und dem Sufismus (Mystik), und anderen Religionen gegenüber, machen ihn zu einer Bedrohung für multiethnische und multikonfessionelle Gesellschaften wie Indonesien, Malaysia, Pakistan, Libanon, Syrien, Irak, Bahrain, Ägypten und viele weitere asiatische, arabische und afrikanische Gesellschaften. Da die Mission mit Bildungsangeboten und sozialkaritativer Hilfe einhergeht, können sich die betroffenen ärmeren Länder kaum der finanzstarken Hilfe verwehren. Salafistisches Satelliten-TV aus den Golfstaaten und das Internet tun das übrige, den Salafismus zu bewerben und seine globale Vernetzung zu fördern. Mittlerweile sind von dieser Missionstätigkeit geprägte salafistische Milieus in vielen Ländern zu einem Rekrutierungsfeld für jihadistische Bewegungen geworden, die sich sogar gegen ihre einstigen Finanziers wenden, weil sie die Golfmonarchien für nicht islamisch genug halten. Der Sunna-Schia-Gegensatz als regionalpolitischer Marker Die Stärkung des Schia-feindlichen Salafismus hatte ein weiteres Ziel: Das (sunnitische) wahhabitische saudische Königshaus und der (schiitische) Iran stehen sich seit der Islamischen Revolution in Iran von 1979 in einem bis heute andauernden Machtkampf gegenüber, der stark konfessionalistische Züge trägt. Beide sehen sich als regionale Führungsmächte, legitimieren ihre Herrschaft auf unterschiedliche Weise islamisch und beziehen regional und global meist konträre politische Positionen. Diese Konkurrenz stülpte sich vielen Konflikten im Nahen Osten über und prägt als Sunna-Schia- Gegensatz maßgeblich die öffentliche Wahrnehmung der regionalen Allianzbildung. Während Saudi-Arabien den Status Quo der ölreichen Monarchien verteidigt und sich politisch und militärisch im Lager des Westens verortet, versteht sich Iran als Speerspitze einer Achse des Widerstands gegen die US-amerikanische Dominanz im Nahen Osten und den Staat Israel. Iran unterstützt deshalb die schiitisch-libanesische Hizb Allah in ihrem Islamischen Widerstand gegen Israel ebenso wie die sunnitische palästinensische Hamas. Zudem hatte Iran noch in den 1980er Jahren offen den Sturz der konservativen, prowestlichen Regime in der Region propagiert. Obwohl Teheran den versuchten Revolutionsexport Anfang der 1990er Jahre offiziell einstellte, misstrauen die sunnitischen Herrscher Iran und mobilisieren gegen diese Bedrohung auch mit antischiitischen und antipersischen Ressentiments. Der jordanische König Abdallah II brachte die Furcht in einem Interview in der Washington Post vom in die Formel des Schiitischen Halbmonds, der von Iran ausgehend die Schiiten im Irak, das (alawitisch)schiitisch dominierte syrische Regime und die libanesische Hizb Allah, aber auch die (eigentlich sunnitische) Hamas umfasse und das sunnitisch arabische Kernland 5
6 bedrohe. Der damalige ägyptische Präsident Hosni Mubarak äußerte sich im April 2005 ähnlich, indem er den arabischen Schiiten unterstellte, sie seien primär Iran gegenüber loyal, und nicht ihren arabischen Heimatländern. Beide Politiker bedienten sich Luftschläge von Saudi Arabien, gängiger Klischees: Schiiten seien keine echten Muslime, sondern Agenten fremder den Emiraten und der US-Air Mächte und eine Bedrohung für die sunnitischen Force Araber. gegen von IS kontrollierte Ölraffinerien in Eben dieses Feindbild machen sich auch salafistische Syrien. und jihadistische Gruppen im irakischen und syrischen Bürgerkrieg zunutze. Sie sehen sich in ihrem Kampf gegen die Quelle: apostatischen, schiitisch dominierten Regime Syriens und des Irak als die Verteidiger des wahren, d.h. sunnitischen Islams. Abu Mus ab az-zarqawi und die irakische al-qaida machten den Hass auf Schiiten zum Markenzeichen ihrer Verschwörungsideologie, nach der Schiiten, und nicht die westlichen Besatzungstruppen, die wahren Feinde der (sunnitischen) Muslime seien. Sie gingen damit selbst der Qaida-Zentrale zu weit. Usama bin Ladin und sein Stellvertreter Aiman az-zawahiri ermahnten Zarqawi vergeblich, er solle anstelle der irakischen Schiiten die US-amerikanische Besatzungsmacht bekämpfen. Der Aufstieg des Islamischen Staats und die Ausrufung des Kalifats Zarqawi, der sich mit seiner selbst gegen sunnitische Zivilisten rücksichtslosen Gewaltstrategie zunehmend isolierte, starb am 7.Juni 2006 bei einem Luftschlag der US- Armee im Irak und wird seitdem von seinen Anhängern als Märtyrer und als Imam verehrt. Auch sein Nachfolger, Abu Umar al-baghdadi, fiel am 18.April 2010 einer gemeinsamen amerikanisch-irakischen Militäroperation zum Opfer. Den Aufstieg des Islamischen Staats hat dies indes nicht aufhalten können. 6
7 Bereits am 15.Oktober 2006 hatte der irakische al-qaida-ableger die Gründung eines Islamischen Staates Irak (ISI) verkündet und damit den Anspruch erhoben, als kämpfende Avantgarde den Grundstein für ein wieder zu errichtendes islamisches Weltreich zu legen. Bis Sommer 2014 blieb dieser Staat allerdings ephemer, auch wenn er bereits eigene Ministerien und eine Regierung besaß. Abu Bakr al-baghdadi, seit 2010 neuer Anführer des ISI, änderte die bisherige Strategie, indem er gezielt ehemalige baathistische Kader aus dem Sicherheitsapparat des Regimes von Saddam Hussein rekrutierte. Diese Irakisierung der ISI-Führungsriege förderte in zweierlei Hinsicht dessen weiteren Aufstieg: Zum einen konnte sich ISI fortan auf persönliche Netzwerke, militärische Erfahrung, Waffenbestände und kontrabandistische Infrastruktur des ehemaligen irakischen Regimes stützen. So übernahm er etwa Schmuggelpfade für Ölverkäufe, die zu Zeiten des Wirtschaftsboykotts gegen den Irak etabliert worden waren. Zum anderen erhielt die Gruppierung dadurch einen patriotischen Anstrich und sah sich nicht länger dem Verdacht ausgesetzt, durch al- Qaida und ausländische Anführer ferngesteuert zu sein. Ausgerechnet der Arabische Frühling, der 2011 große Hoffnungen auf ein Ende der autoritären Herrschaft und eine Demokratisierung im Nahen Osten geweckt hatte, führte in einigen Staaten zum Wiedererstarken des Jihadismus. Die Vorstellung der Jihadisten, dass die ungläubigen arabischen Regime nur durch gewaltsamen Jihad gestürzt werden könnten, schien durch die Massenproteste und den Wahlsieg gemäßigt islamistischer Parteien in Ägypten, Tunesien und Marokko zunächst widerlegt zu sein. Doch schon bald stellte sich die Hoffnung auf einen friedlichen Systemwandel als utopisch heraus. Im Jemen zerfiel der Staat zwischen verschiedenen Gewaltakteuren. In Bahrein schlug das Königshaus mit Unterstützung Saudi-Arabiens eine von der schiitischen Bevölkerungsmehrheit getragene Protestbewegung gewaltsam nieder. In Ägypten putschte das Militär gegen den gewählten Präsidenten der Muslimbruderschaft, Muhammad Mursi. In Syrien glitt der anfangs noch weitgehend gewaltfreie Protest gegen das Regime von Baschar al-assad angesichts massiver Repression immer mehr in einen konfessionellen Bürgerkrieg ab. Da das Regime von schiitischen Alawiten dominiert ist und die Rebellen überwiegend sunnitische Araber sind, entwickelte sich Syrien zur Kampfarena eines Stellvertreterkriegs zwischen Iran und schiitischen Milizen aus dem Libanon und Irak, die zu Baschar al-assad halten, und den sunnitischen Regionalmächten, vor allem Saudi-Arabien, Katar und Türkei, die verschiedene Milizen der Aufständischen unterstützen, darunter auch salafistische und jihadistische. Auch im Irak forcierte sich der konfessionalistische Gegensatz: 7
8 Überwiegend sunnitische Araber in den westlichen Provinzen protestierten seit 2011 Militärische Ausrüstungsgüter, gegen den von Schiiten dominierten Saat und seine Sicherheitsorgane. Sie warfen Waffen und Munition sind auf Premierminister Nuri al-maliki eine Diskriminierung dem Flughafen der Sunniten Erbil/Irak und einen autoritären eingetroffen. Sie sind bestimmt Führungsstil vor. Der reagierte mit teils massiver Repression. für die kurdische Peschmerga- Armee. Foto: Bundeswehr/Sebastian Wilke Syrien und der Irak boten deshalb ideale Voraussetzungen für ein Erstarken des Jihadismus: Im Irak hatte schon Zarqawi den Konfessionshass gegen die schiitische Bevölkerungsmehrheit geschürt, um ISI als Schutzmacht der arabischen Sunniten zu präsentieren. Nun stellte sich ISI erneut als Beschützer der Sunniten dar und beteiligte sich an bewaffneten Aufständen. Am 21.Juli 2013 stürmten ISI-Kämpfer die Gefängnisse von Abu Ghraib und al-taji und verhalfen rund 600 gefangenen Jihadisten zur Flucht. Bereits Ende 2011 hatte Abu Bakr al-baghdadi zudem seine syrischen Kämpfer in ihr Heimatland zurück entsandt und Abu Muhammad al-jaulani zu ihrem Befehlshaber bestimmt. Die Nusra-Front, wie sich der neue syrische Zweig von al-qaida fortan nannte, entwickelte sich schnell zur eigenständigen Bewegung, deren Verbindung zu al-qaida und Herkunft aus dem ISI seinerzeit noch nicht bekannt gegeben wurde. Mit einigen spektakulären Bombenanschlägen und Selbstmordattentaten gelang es ihr, die militärische Übermacht zugunsten des Regimes zu reduzieren. Salafistische und jihadistische Milizen erhielten in Syrien wegen solcher Erfolge und aufgrund ihrer finanziellen und militärischen Unterstützung aus den Golfstaaten immer mehr Zulauf. Der syrische Jihad lockte zudem ausländische Kämpfer an, deren Zahl heute auf geschätzt wird; stammen allein aus Europa. Für sie ist Syrien nur ein Baustein eines umfangreichen religiösen Heilsnarratives. Denn in Scham (Großsyrien), das die heutigen Länder Syrien, Libanon, Jordanien, Palästina/Israel und Teile der Türkei umfasst, soll die endzeitliche Schlacht zwischen Gläubigen und Ungläubigen beginnen, und von hier aus soll der Eroberungszug zur islamischen Weltherrschaft einsetzen. 8
9 Dabei ist zu wissen, dass Jerusalem als drittheiligste Stadt im Islam und Damaskus als ehemalige Hauptstadt des Kalifats ( ) wichtige Bezugspunkte für Muslime sind. Diese Attraktivität der syrischen Jihad-Arena wollte Abu Bakr al-baghdadi verstärkt für sein eigenes Image nutzen. Im Frühjahr 2013 schickte er seine Kämpfer nach Syrien und gab den Zusammenschluss von ISI mit der Nusra-Front, also eigentlich der Wiedervereinigung des irakischen mit dem syrischen Zweig von al-qaida, zum Islamischen Staat im Irak und in Scham (ISIS) bekannt. Al-Jaulani, Emir der Nusra-Front, und Aiman az-zawahiri, Oberhaupt von al-qaida, lehnten dies umgehend ab und verlangten den Abzug von Baghdadis Truppe nach Irak. Es kam zum Bruch der beiden Lager, der im Februar 2014 sogar im Ausschluss von ISIS aus al-qaida gipfelte, und zu heftigen Kämpfen zwischen den Rivalen führte, dem bereits tausende Menschen zum Opfer fielen. Mit seinem Überraschungsangriff auf den Irak, der Eroberung von Mosul und Tikrit Anfang Juni und der Ausrufung des Kalifats am 29. Juni 2014 trat Baghdadi in dem Machtkampf quasi die Flucht nach vorn an. Indem er sich zum Kalifen erklären ließ, beansprucht er die oberste religiöse und politische Autorität über alle Muslime und verlangt deren Unterwerfung. Die Ausrufung des Kalifats im Verständnis von Kalif Ibrahim, wie er sich mittlerweile nennt, ist quasi eine Lizenz zum Töten, da jeder Ungehorsame zugleich ein Glaubensabtrünniger ist, der getötet werden darf. Gestärkt mit von der irakischen Armee erbeuteten Waffen und der religiösen Autorität des Kalifentitels, zogen die Kämpfer des IS im Juli 2014 erneut nach Syrien und eroberten auch dort große Territorien hinzu, vorwiegend indem man anderen Islamisten ihre Pfründe entriss. Ende 2014 kontrollierte der IS in Syrien und im Irak ein Territorium von der Größe Großbritanniens. Der Niedergang des Kalifats und die Anschläge von Paris Der Islamische Staat gleicht einer apokalyptischen Endzeitsekte. Er versteht sich als Avantgarde eines heiligen Kriegs (Jihad) gegen die abtrünnigen Schiiten, die ungehorsamen Sunniten, die christlichen Kreuzritter, die Juden und die Ungläubigen anderer Religionen, dessen Ausgang der Sieg der aufrechten Gläubigen von Gott bereits versprochen sei. Solange dieses Erfolgsnarrativ durch neue Eroberungen und Beutezüge bestätigt wurde, stärkte es den Kampfgeist und lockte neue Anhänger an. Allerdings geriet die erfolgreiche Offensive mittlerweile ins Stocken und kehrt sich ins Gegenteil um. 9
10 Vor der Presse Es scheint, als wenden sich die einstigen Erfolgsfaktoren Bundesverteidigungsministerin nun gegen den Islamischen Ursula von der Leyen und Staat: Ein Territorialstaat muss verwaltet, kontrolliert Bundesaußenminister und gegen Angriffe Frank- von außen verteidigt werden, was viele Ressourcen bindet. Walter Luftschläge Steinmeier einer informieren von den USA über deutsche angeführten Militärallianz und der iranischen Unterstützungsleistungen Luftwaffe, die wiedererstarkte für irakische den Irak im August Armee, irakisch-kurdische Peschmerga, syrisch-kurdische PYD-Kämpfer, sunnitische Stammesmilizen und vom Iran unterstützte schiitische Foto: Bundeswehr/ Milizen Bienert haben den Vormarsch des IS gestoppt und ihn bereits aus manchen Territorien zurückgedrängt. Da er nicht mehr expandieren kann, fehlen ihm Einnahmen aus Kriegsbeute, so dass er vermehrt Abgaben von der Bevölkerung erheben muss. Auch mit seinem Anspruch auf unbeschränkte Macht über alle Muslime dürfte sich der selbsternannte Kalif übernommen haben, denn bislang haben nur wenige sunnitische Gruppen ihm gegenüber den Treueeid, die so genannte bai`a, abgelegt. Im November 2014 erklärten zwar Gruppierungen aus Algerien, Ägypten, Libyen und Jemen ihren Beitritt zum Kalifat, doch ist fraglich, ob diese symbolischen Treuebekundungen den territorialen Niedergang aufhalten können. Am meisten dürfte sich al-qaida über die symbolträchtige Expansion ärgern, die sich nach wie vor mit dem IS in einem Machtkampf befindet. Es mag zynisch klingen, aber der Anschlag in Paris vom 7. Januar 2015 durch die Kouachi-Brüder auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo, zu der sich al-qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH) bekannte, hat vermutlich weniger mit der vermeintlichen Beleidigung des Propheten Muhammad durch die Cartoonisten als mit dem Kampf um den Führungsanspruch innerhalb der jihadistischen Szene zu tun. Angesichts der enormen weltweiten Aufmerksamkeit, die das Attentat erlangte, kann al-qaida es als Erfolg für sich verbuchen. Am 9. Januar verübte Amedy Coulibaly einen Anschlag auf ein koscheres Lebensmittelgeschäft in Paris und ermordete dabei vier Juden. Der Attentäter 10
11 kannte die Brüder Kouachi und will die Taten mit ihnen abgestimmt haben. Er bekannte sich allerdings zum IS, was angesichts der Konkurrenz der beiden jihadistischen Gruppierungen verwundert. Möglicherweise handelte er nicht im direkten Auftrag des Kalifen, da der Anschlag eher al-qaida nutzte. Kaum Aufmerksamkeit im Westen erzielten hingegen der am 7. Januar verübte Selbstmordanschlag von AQAH in Sanaa im Jemen, bei dem über 40 Muslime umkamen, und am 10. Januar zwei Selbstmordanschläge des syrischen al-qaida-ablegers, der Nusra-Front, in einem libanesischen Café, bei denen neun muslimische Zivilisten starben. Fazit Der irakische und syrische Bürgerkrieg haben sich mittlerweile von Stellvertreterkriegen sunnitischer und schiitischer Akteure um regionale Vormacht in einen Flächenbrand entwickelt. Salafistische und jihadistische Milizen wie der Islamische Staat stellen eine ernsthafte Gefahr für den Nahen Osten, aber auch für den Westen dar. Sie bedrohen mittlerweile selbst jene Staaten, die sie aus ideologischen, konfessionalistischen oder machttaktischen Überlegungen gefördert haben. An erster Stelle ist dies Saudi-Arabien, dessen Monarchie der IS unmittelbar herausfordert, indem er die Befreiung der Heiligen Stätten in Mekka und Medina propagiert. In den meisten Golfmonarchien existieren bereits große Sympathien für den IS. Gleiches gilt für andere sunnitische Länder wie Jordanien, die Türkei, Ägypten und Tunesien. Rückkehrer aus dem Jihad in Syrien und Irak können dieses Milieu weiter stärken und möglicherweise zum bewaffneten Aufstand lenken. In Libyen und im Jemen ist der längst im Gange. Der Westen hat zu lange zugeschaut, wie seine Verbündeten, die Türkei, Saudi-Arabien und Katar, die Eskalation der Kämpfe gefördert haben. Es ist an der Zeit, dass der Westen diese Staaten und ihre syrischen Stellvertreter unter Druck setzt, einem Ende der Kämpfe und einer verhandelten politischen Lösung zuzustimmen, so wie dies Russland und Iran umgekehrt mit dem syrischen Regime erreichen müssen. Der syrische Bürgerkrieg kann nur durch ein verhandeltes Machtteilungsarrangement zwischen den verschiedenen Gruppen beendet werden, da keine Seite in der Lage ist, den Gegner militärisch zu besiegen. Von der Pattsituation, das haben die vergangenen Monate gezeigt, profitieren einzig extremistische Gruppierungen, die das Machtvakuum für ihre Expansion nutzen. Im Irak scheinen die meisten politischen Verantwortlichen dies mittlerweile einzusehen. Die neue Regierung unter Haidar al-abadi setzt sich jedenfalls für eine stärkere Machtbeteiligung der Kurden und sunnitischen Araber ein. Die gemeinsame Bedrohung des außer Kontrolle geratenen Islamischen Staats könnte 11
12 möglicherweise sogar zu einer Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Iran führen, was den politischen Sunna-Schia-Gegensatz und die meisten regionalen Konflikte zu entschärfen würde. Autor Dr. Stephan Rosiny, Jahrgang 1962, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am GIGA Institut für Nahost-Studien in Hamburg und Leiter des von der Volkswagenstiftung geförderten Forschungsprojekts Machtteilungsarrangements in multi-ethnischen Gesellschaften des Nahen Ostens. Zuvor unterrichtete er Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören der politische Islam (Islamismus) sowie Politik und Gesellschaft in ausgewählten Ländern der arabischen Welt. Literatur Christoph Günther, Ein zweiter Staat im Zweistromland? Genese und Ideologie des Islamischen Staates Irak, Würzburg 2014 Stephan Rosiny, Des Kalifen neue Kleider: Der Islamische Staat in Irak und Syrien, Hamburg, GIGA Focus Nahost 2014/6, Stephan Rosiny, Syrien: Vom Bürgerkrieg zum regionalen Flächenbrand?, Hamburg, GIGA Focus Nahost 2013/8, Behnam Said, Islamischer Staat: IS-Miliz, al-qaida und die deutschen Brigaden, München 2014 Weiterführende Links GIGA Institut für Nahost-Studien Bundeszentrale für Politische Bildung Deutschlandfunk/Themendossier
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