Wissenswert. Gandalfs Zauberstab: Filme in Neuseeland. von Ulrich Sonnenschein. Sendung: , Uhr, hr2-kultur

Transkript

1 Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Heike Ließmann Wissenswert Gandalfs Zauberstab: Filme in Neuseeland von Ulrich Sonnenschein Sendung: , Uhr, hr2-kultur Regie: Marlene Breuer Overvoice: 5 männl.: Jackson, Thomson, Horrocks, Baynton, Mizrahi, 1 weibl.: Freeman Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks.

2 NZ Film Musik 1 (Herr der Ringe + Dialog) Ob freiwillig oder unfreiwillig, nahezu jeder Kinogänger kennt diesen Film, wenn nicht gleich alle drei. Die Herr der Ringe-Trilogie von Peter Jackson hat Kinogeschichte geschrieben. Nicht nur was Ausstattung, Produktionskosten und Filmpreise angeht ist Der Herr der Ringe unerreicht, - allein 17 Oscars hat die Trilogie bekommen, -, auch die Herstellung war ein einzigartiger Prozess. Der bis dahin nur einem eingeweihten Publikum bekannte neuseeländische Regisseur Peter Jackson wurde von New Line Cinema beauftragt, das Großprojekt umzusetzen. NZ Film O-Ton O 1 (Herr der Ringe) Wenn man den Herrn der Ringe liest, stellt man fest, wie wichtig die Welt von Mittelerde für Tolkien ist.. Er hat eine Welt von ungeheurer mythologischer Tiefe geschaffen.. Insofern war es unsere Aufgabe, aus dem Film mehr zu machen, als nur ein paar Charaktere in Kostümen K durch eine neuseeländische Landschaft laufen zu lassen. Wir haben uns große Mühe gegeben, eben, die Völker von Mittelerde mit einer eigenen Kulturgeschichte auszustatten. Seite 2

3 Erst kurz vorher hatte Peter Jackson in Hollywood reüssiert, doch seine Filme waren für ein Massenpublikum entweder zu brutal, wie Braindead, oder zu künstlerisch wie Heavenly Creatures. Er nahm also den Auftrag gerne an und überzeugte die Geldgeber davon, dass Der Herr der Ringe in Neuseeland gedreht werden sollte, und zwar alle drei Teile parallel. Aber nicht nur das, auch die Tricks, die sonst vielleicht an George Lucas Pixar Studios gegangen wären, sollten in Neuseeland gemacht werden. Ein folgenreicher Entschluss, denn damit änderte sich das Filmschaffen in Neuseeland gewaltig. Peter Jacksons kleines Studio für Post-Production (engl. gespr.), sein Weta Workshop wurde ein Centrum internationaler Film-Produktion. Weta übrigens ist keine Abkürzung, sondern ein kleines neuseeländisches Insekt, das in der Sprache der Maori Gott der häßlichen Dinge heißt. Heute ist Weta nach Pixar die weltweit zweitgrößte Firma für Nachbearbeitung und Tricks. Martin Baynton, Illustrator und Autor von Kinderbüchern, ist einer der Künstler, die von diesem Boom in Neuseeland profitierten und ihn gleichzeitig befördern. Gemeinsam mit Peter Jacksons Partner Richard Taylor hat er verschiedene Fernsehserien mit Weta produziert und dann mit Taylor, Pukeko- Pictures, eine eigene Produktionsgesellschaft gegründet. Der Pukeko, das nur nebenbei, ist eine Art Hühnervogel, den es nur in Neuseeland gibt. Seite 3

4 NZ Film O-Ton 2 (Synchro drüber) r) Das erstaunliche an Neuseeland, und das macht seine Bedeutung B in der Filmwelt aus, ist, dass man mit einem kurzen zweistündigen Flug von hier in Wellington zu jeder Art von geografischer Formation kommen kann, die es in der Welt gibt. Von den Gletschern im Süden zu den Wüsten im Norden. Das ist ein ungeheurer Wert für eine Filmgesellschaft. Das mag ein überzeugendes Argument gewesen sein, als Peter Jackson die Produktion von Herr der Ringe nach Neuseeland holte, aber heute gibt es noch viele weitere Gründe, Filme in Neuseeland zu machen. James Cameron beispielsweise lebt heute unweit von Peter Jackson in Miramar, einem Stadtteil von Wellington, wo sich auch die Weta-Produktionsstudios befinden. Es heißt, er habe Peter Jackson, nachdem er den Gollum im Herrn der Ringe gesehen hatte, gefragt, kannst Du das auch in Blau? Das war der Anfang der Na vi in seinem großen 3-D Film Avatar. Warum aber geht man damit nach Neuseeland und nicht nach Hollywood? Martin Baynton beantwortet das so: NZ Film O-Ton 3 (Synchro drüber) In Hollywood kommen verschiedene Gruppen zu einem Brainstorming zusammen, um etwas zu machen. Dann wird verteilt, die Digitaleffekte hierhin, das Drehbuch dorthin uns so weiter. Aufgrund der Tyrannei der Entfernung, muss man hier in Neuseeland alles selbst machen. Es gibt also eine ganze Reihe von Filmemachern hier, die gelernt haben ihre Freunde zusammen zu trommeln und alles selbst zu machen, weil es keine Industrie gab, auf die man sich verlassen Seite 4

5 konnte. Das hat eine Art kreative Stimme geschaffen, die es so nur in Neuseeland gibt. Diese kreative Stimme, neben Peter Jackson sind das Filmemacher wie Lee Tamahori oder Jane Campion, wird, sobald sie in der Welt vernommen wird, dem Universalismus von Hollywood einverleibt. Nach seinem starken neuseeländischen Film Die letzte Kriegerin ging Lee Tamahori nach Hollywood und drehte schließlich einen James Bond Film. Auch Jane Campion hat nach Das Piano einen Roman von Henry James in Hollywood gedreht oder das Leben von John Keats verfilmt anstatt neuseeländische Themen aufzugreifen. Die Massenindustrie sucht sich ihre Talente weltweit und bietet einen großen kreativen Raum für einander immer ähnlicher werdende Filme. James Thomson, bei der Neuseeländischen Filmkommission für Marketing zuständig, bedauert das nicht, sondern sieht in der ökonomischen Situation des Marktes eine Seite 5

6 Notwendigkeit sich international zu betätigen. Und dass sich dann die Art der Filme ändert, findet er ganz natürlich. NZ Film F O-Ton O 12 (Synchro drüber) Ich glaube alle Kunst kommt von dem Punkt emotionaler er Wahrheit her. Das macht das Besondere B aus und zeigt uns eine künstlerische Perspektive, eine Weltsicht. Ich glaube, wenn man Geschichten erzählt, die einem nah sind, die einen umgeben, dann hat man künstlerisch einfach mehr auf das man sich beziehen kann. Auch der Abwanderung sieht man in Neuseeland nicht untätig zu. Denn hier wird der Nachwuchs gefördert. Produzent Martin Baynton öffnet immer wieder seine Türen für junge Filmemacher: NZ Film O-Ton 4 (Synchro drüber) Wir haben ein wunderbares System, das wir Rolltreppen-System nennen, in dem wir junge Filmemacher anregen, ihre Geschichten zu erzählen. Und das sind Geschichten mit einem deutlich neuseeländischen Focus. Was nicht heißt, dass hier ausschließlich neuseeländische Gesellschaft dargestellt wird. Es ist eher der intellektuelle Ansatz. Diese Filme sind außerordentlich erfolgreich bei Kurzfilmfestivals in der ganzen Welt. Natürlich gibt es den kommerziellen Aspekt immer. Deshalb haben wir uns auf Kinderfilme konzentriert, weil wir da etwas exzentrischer sein können. Seite 6

7 Rollo Wenlock ist einer dieser jungen Filmemacher. Er durfte sogar Peter Jacksons eigenes Kino für die Gala-Premiere seines Kurz-Filmes benutzen, in dem es um einen absurden Autounfall geht. Aber der Kurzfilm ist, anders als im Bereich der Literatur, eben keine Form für sich, sondern eine Art Übung, ein Schritt in Richtung langer Spielfilm. Und da ist der Markt dann ein wichtiges Moment. Rollo Wenlock steht da auf mehreren Beinen, macht Werbe- und Imagefilme und arbeitet auch fürs Fernsehen. Dennoch glaubt er daran, einmal als Kino-Regisseur leben zu können: NZ Film O-Ton 5 (Synchro drüber) Ich glaube, dass man in Neuseeland vom Filmemachen leben kann, man muss es nur richtig anfassen. Man kann hier keinen 10 Millionen Dollar Film drehen d und Profit machen. Man muss unter 1 Million bleiben, dann gibt es die Chance, dass der Film Profit macht. Und wenn er dann der erfolgreichste Film F aller Zeiten wird. es ist ein sehr eigenwilliger Markt hier. Natürlich besteht dieser Markt nicht unabhängig vom Rest der Welt. Über die gemeinsame englische Sprache ist der Schritt in die USA oder nach Europa nicht weit. Und doch hat sich diese Perspektive erst mit dem großen Erfolg von Peter Jackson ergeben. Im neuseeländischen Film gibt es quasi ein Vor und ein Nach Peter Jackson, meint die junge Produzentin Gemma Freeman: NZ Film O-Ton O 6 (weibl. Synchro drüber) Das großartige daran,, hier in Wellington zu arbeiten, ist, dass man wirklich wichtige Leute treffen kann, selbst wenn man kein Geld hat und nur ganz kleine Filme macht. Wir haben bei Parkroad Post angerufen und uns vorgestellt und man hat uns die ganze Postproduktion umsonst gemacht. Die sind wirklich sehr großzügig da und dann war die Frage, ob wir in Peter Jacksons Kino unsere Premierenfeier veranstalten könnten, nur noch eine Kleinigkeit. Seite 7

8 Beileibe keine Kleinigkeit ist Peter Jacksons jüngstes Projekt, die Verfilmung von Tolkiens kleinem Vorläufer vom Herrn der Ringe, dem Hobbit. Und die Tatsache, dass es am Ende doch wieder Peter Jackson ist, dem Regie und Produktion angetragen wurden, obwohl die Abrechnung aus dem Herr der Ringe-Projekt schließlich auch die Gerichte beschäftigte. Es zeigt, dass es kaum jemanden gibt, der so perfekt mit Tricks und Wirklichkeit umgehen kann wie er. Mike Mizrahi, der mit seiner Event-Company InsideOut Productions den Pavillion der Buchmesse für den Auftritt des Gastlandes Neuseeland bespielen wird, ist Teil des Spektakels. Er spielt den Zwergenkönig Thrain, und man wird Mühe haben ihn unter der Maske zu erkennen. NZ Film O-Ton O 7 (Synchro drüber) Es ist wahr, ich bin Thrain, der König der Zwerge. Ich habe eine sehr kleine Rolle im Hobbit und das ist einfach nur ein Spaß. Diese Maschine ist ein derartiger Moloch, es wäre eine Schande da nicht mit einem kleinen Beitrag dran teilzunehmen. Für mich ist das eine interessante neue Erfahrung. Allein das Make ake-up dauert 5 Stunden, die d Prothesen sind großartig, ebenso wie die d Set- Gestaltung. Es ist wunderbar mit diesen Menschen aus der ganzen Welt zusammen zu arbeiten, aber natürlich bin ich besonders stolz auf die Neuseeländer, die hier eine erstaunliche Arbeit von Weltklasse machen. Man sieht hier niemals jemanden gehen, alle rennen, denn sie sind so beschäftigt, um diesen Monstervogel fliegen zu sehen. Seite 8

9 Peter Jackson ist tatsächlich mehr als nur das Zentrum der Produktion. Er ist der Junge von Nebenan, der es geschafft hat und der trotzdem nicht übergeschnappt ist. Er lebt, mehr oder weniger bescheiden in seinem Haus in Wellington. Keinem ausländischen Filmemacher wäre es gestattet worden, in den Naturschutzgebieten zu drehen und dort ganze Städte aufzubauen. Nach dem Dreh sah man davon nicht mal einen umgeknickten Ast, behauptet er. Er hat erreicht, dass das Auenland aus Herr der Ringe als Bild auf lange Zeit mit Neuseeland verbunden bleibt und heute Touristen an die Drehorte gefahren werden wollen. So hat er auch den Hobbit auf die beiden Inseln zwischen Wüste und Gletscher geholt. Und schließlich hat er die einheimische Filmwirtschaft derart beflügelt, dass heute keiner mehr die Stirn runzelt, wenn der Sohn oder die Tochter sagt, sie wollen Filmemacher werden. Das bestätigt auch Mike Mizrahi: NZ Film O-Ton O 8 (Synchro drüber) Es hat das Leben von vielen Neuseeländern verändert, dass Herr der Ringe hierher kam. Viele unserer Freunde sind Schauspieler und manche von ihnen haben darin eine Rolle bekommen, die sie zwei Jahre beschäftigte. Sie können jetzt ihr Haus kaufen. Sie waren ein Leben lang arm und kaufen jetzt ein Haus und machen sich keine Sorgen mehr um Geld. Außerdem hat es das Bruttosozialprodukt von Neuseeland verdoppelt es ist einfach großartig. Doch es ist nicht nur der Geschäftssinn eines genialen Regisseurs, der es so attraktiv macht in Neuseeland Filme zu drehen. Gerade für eine technisch so anspruchsvolle Kunst braucht man viele, erzählt Mike Mizrahi, die sich dem Film mit Haut und Haaren verschreiben. Seite 9

10 NZ Film O-Ton O 9 (Synchro drüber) Es gibt eine Art Pioniergeist hier, der darin gipfelt, dass man etwas fertig kriegt. Finde die beste billigste Lösung und mach Deine Arbeit und freu dich dann an der Perfektion, daran wie du es hingekriegt hast. Mach es schnell, ohne Federlesen diese Dinge sind es, die das Filmemachen in Neuseeland zu einem großen Spaß machen. Da sind all die vielen kleinen Leute, die hin und her rennen, ihre Arbeit lieben und mit Erfindungen ankommen, die es vorher r gar nicht gab. Sie lassen Kameras durch Bäume fliegen und andere erstaunliche Dinge. Und dann sind wir billig. Man nennt uns Mexikaner mit Handys. Die kulturelle Szene in Neuseeland ist sehr jung. Erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts machte sich Neuseeland von kolonialen Einflüssen aus Großbritannien frei und entwickelte eine eigene Kultur. Der erste Roman in der Sprache der Maori erschien. Eine eigene Filmszene entwickelte sich, die Themen brachte, an denen Europa oder die USA kein Interesse zu haben schienen. Das hat sich heute geändert, und doch, so der Medienwissenschaftler Roger Horrocks, profitiert man von Geografie und Bevölkerungsmix NZ Film O-Ton O 10 (Synchro ( drüber) Man kann den neuseeländischen Kontext nicht verdrängen. Selbst wenn man heute nicht mehr so selbstbewusst t damit umgeht, gehört es doch zu der persönlichen Erfahrung eines jeden Neuseeländers dazu. Das eröffnet tatsächlich einige interessante Möglichkeiten. Zum Beispiel gibt es in Neuseeland eine einzigartige kulturelle urelle Mischung von Europäern, Maori und Menschen von den pazifischen Inseln. Diese Mischung spürt man überall, in der bildenden Kunst, im Film und der Literatur. Seite 10

11 Filme wie Whale Rider oder Boy, die es zu internationalen Erfolg brachten, stammen aus diesem Kontext. Und der Erfolg hält an. James Thomson, von der Neuseeländischen Filmkommission, ist von dem Boom der letzten Jahre nachhaltig überrascht. NZ Film O-Ton O 11 (Synchro ( drüber) Die neuseeländische Filmindustrie befindet sich nach wie vor im Aufschwung. Das betrifft nicht nur die großen Studioproduktionen sondern auch den Spielfilm- und Kurzfilmbereich. Allein im letzten Jahr wurden hier mehr Filme produziert als jemals in der Geschichte Neuseelands zuvor. Filme, die in Neuseeland produziert werden, wie Tim und Struppi, Avatar, King Kong und andere Großproduktionen, stehen den wenigen entgegen, die nicht nur dort spielen, sondern auch von der neuseeländischen Lebensrealität erzählen. Sicher ist der Markt in Neuseeland extrem begrenzt, doch gerade solche Produktionen sind wichtiger als die große Filmmaschine, die inzwischen mehr Umsatz macht als der Weinexport, eine von Neuseelands Schlüsselindustrien. James Thomson ist da allerdings zuversichtig. NZ Film O-Ton O 11 (Sync ( Synchro drüber) Was man wirklich braucht, ist etwas, das beide Seiten befriedigt. Ein Film, der kulturell wertvoll ist und gleichzeitig so universell, dass er auch ein breites Publikum für sich gewinnen kann. Denn schließlich entsteht Kultur nur, wenn ein breites Publikum angesprochen wird. Der Film Boy beispielsweise hat beides. Er erzählt die Geschichte eines Maori-Jungen in einem abgelegen Teil Neuseelands, den man vorher im Film noch nie gesehen hatte und spielte gleichzeitig 10 Millionen Dollar ein. Das machte ihn zum erfolgreichsten Film aller Zeiten in Neuseeland. Seite 11

12 Der Film lebt von internationalem Universalismus. Er braucht große Abspielstätten, Erfolg beim Fernsehen, einen stabilen Markt. Das unterscheidet ihn von der Literatur. Ein Buch ist viel schneller produziert und verlegt. Wenn jedoch neben dem Hobbit Filme wie Boy" bestehen können, ist das ein kleines Wunder. NZ Film Musik 2 Seite 12